Description: Aktueller Begriff des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages. 2 Seiten. Auszug der ersten drei Seiten: Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag Aktueller Begriff Vor 65 Jahren: Urteile im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess am 30. September und 1. Oktober 1946 Am 30. September und 1. Oktober 1946 verkündete das Internationale Militärtribunal (IMT) im Nürnberger Justizpalast die Urteile im seit 18. Oktober 1945 unter großer Anteilnahme der Presse und der Öffentlichkeit durchgeführten Prozess gegen 22 Hauptkriegsverbrecher aus Politik, Mili- tär und Wirtschaft des untergegangenen NS-Staates. Dem „Nürnberger Prozess“ kommt historisch und juristisch eine fundamentale Bedeutung zu, da erstmals Staaten unterschiedlicher Regie- rungsformen gemeinsam über einen besiegten Feindstaat richteten und sich zugleich dessen füh- rende Verantwortliche auf völkerrechtlicher Grundlage persönlich verantworten mussten. Zu Recht wird Nürnberg als „Geburtsort des modernen Völkerstrafrechts“ verstanden, in dessen Tradition seit 2002 auch der heutige Internationale Strafgerichtshof in Den Haag steht. Vorgeschichte Schon während des Zweiten Weltkriegs, im November 1943, verständigte sich die Anti-Hitler- Koalition darauf, deutsche Kriegsverbrecher gemeinsam zu verfolgen und anzuklagen. Nach schwierigen Verhandlungen aufgrund stark unterschiedlicher Vorstellungen einigten sich die USA, die UdSSR, Großbritannien und Frankreich am 8. August 1945 im Londoner Vier-Mächte- Abkommen auf ein „Statut für den Internationalen Gerichtshof“. Insgesamt vier Anklagepunkte wurden für das rechtsstaatliche Verfahren festgelegt: 1. Verschwörung, 2. Verbrechen gegen den Frieden, 3. Kriegsverbrechen und 4. Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Prozessbeginn und -verlauf Hauptsitz des IMT war zwar Berlin, der Prozess selbst wurde aber in Nürnberg durchgeführt. Die fränkische Metropole bot sich dafür aus mehreren Gründen an: Sie lag in der amerikanischen Besatzungszone (was dem Sicherheitsbedürfnis der USA für diesen Prozess entgegen kam), besaß durch den kaum beschädigten Justizpalast mit direkt angeschlossenem Gefängnis einen nahezu idealen Gerichtsort und war als ehemalige „Stadt der Reichsparteitage“, in der 1935 die „Rasse- gesetze“ erlassen worden waren, ein symbolträchtiger NS-Täterort. Das IMT, bestehend aus je zwei Richtern und je einem Hauptankläger der vier Alliierten (Vorsitz: Sir Geoffrey Lawrence, Großbritannien), klagte ursprünglich insgesamt 24 Personen an. Neben dem damals ranghöchsten Vertreter des NS-Regimes, Hermann Göring, wurden auch Personen beschuldigt, die eher repräsentativ für bestimmte Einrichtungen oder Bereiche im NS-Staat stan- den (z.B. Hans Fritzsche für das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda). In 218 Verhandlungstagen wurden in Nürnberg über 230 Zeugen u.a. zu den Verbrechen in Oradour-sur-Glane vom Juni 1944 oder zur Behandlung der slawischen Völker im Zuge der deut- schen Besatzungsherrschaft vernommen, rund 200.000 eidesstattliche Erklärungen für die Be- weisführung verwertet und über 5.300 Dokumente (darunter umfangreiches Filmmaterial, z.B. über die befreiten KZ Dachau, Buchenwald und Bergen-Belsen) vorgelegt. Die Verhandlung, bei der erstmals auch die simultane Übersetzung zum Einsatz kam, lief nach dem Muster eines ame- Nr. 29/11 (29. September 2011) Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin.[.. next page ..]Wissenschaftliche Dienste Aktueller Begriff Seite 2 Vor 65 Jahren: Urteile im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess am 30. September und 1. Oktober 1946 rikanischen Strafprozesses ab: So gab es u.a. Kreuzverhöre durch die vier alliierten Anklagever- treter, in deren Rahmen auch die Angeklagten, die sich alle als „nicht schuldig“ erklärt hatten, in den Zeugenstand gerufen wurden. Nach rund zehn Monaten der Beweisführung, Zeugenverneh- mungen und der mehrtägigen Schlussplädoyers der Verteidigung und der Anklagevertreter im Juli 1946 zogen sich die Richter zu ihren Urteilsberatungen zurück. Sie mussten sich in den fol- genden Wochen im Falle eines jeden Angeklagten auf einen gemeinsamen Urteilsspruch einigen, wobei es bei vier Richterstimmen eine Mehrheit von drei Voten zur Verurteilung bedurfte. Urteile Am 30. September und 1. Oktober 1946 sprachen die Richter schließlich die Urteile gegen die Angeklagten. Das Strafmaß reichte dabei vom Todesurteil gegen 12 Angeklagte über mehrjährige Gefängnisstrafen bis zum Freispruch. Zum „Tod durch den Strang“ wurden verurteilt: Martin Bormann (in Abwesenheit), Hans Frank, Wilhelm Frick, Hermann Göring, Alfred Jodl, Ernst Kal- tenbrunner, Wilhelm Keitel, Joachim von Ribbentrop, Alfred Rosenberg, Fritz Sauckel, Arthur Seyß-Inquart, Julius Streicher. Lebenslange Haft: Walther Funk, Rudolf Heß, Erich Raeder. 20 Jahre Haft: Baldur von Schirach, Albert Speer. 15 Jahre Haft: Konstantin von Neurath. 10 Jahre Haft: Karl Dönitz. Freispruch: Hans Fritzsche, Franz von Papen, Hjalmar Schacht. Ferner wurden vier von sieben angeklagten Organisationen als verbrecherisch eingestuft: NSDAP-Führerkorps, Schutzstaffel (SS), Sicherheitsdienst (SD) sowie die Geheime Staatspolizei (Gestapo). Der Reichsregierung, der Sturmabteilung (SA) sowie dem Generalstab und Oberkom- mando der Wehrmacht (OKW) wies das IMT diesen Charakter jeweils nicht zu. Rechtliche Bewertung Trotz der Vermeidung des Verfahrens als „Schauprozess der Siegermächte“ stieß das Vorgehen bei den Nürnberger Prozessen in rechtlicher Hinsicht auch auf Kritik. So wurde schon von der Verteidigung in Frage gestellt und auch später in der Rechtswissenschaft kontrovers diskutiert, ob die Verbrechen zum Zeitpunkt der Begehung völkerrechtlich überhaupt unter Strafe gestan- den hätten und welche Folgen sich ggf. im Hinblick auf das Verbot rückwirkender Bestrafung nach dem Grundsatz „kein Verbrechen, keine Strafe ohne Gesetz“ („nullum crimen, nulla poena sine lege“) ergäben. Im Juni 1950 wurden die sieben „Nürnberger Prinzipien“ formuliert, die u.a. Verbrechen gegen die Menschlichkeit als „Verbrechen nach dem Völkerrecht strafbar“ deklarieren. Auch die Straf- gerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda sowie der im Juli 2002 errichtete (ständige) Internationale Strafgerichtshof in Den Haag stehen in der Tradition dieser Prinzipien. Erinnerungsort: Memorium Saal 600 in Nürnberg Im November 2010 wurde anlässlich des 65. Jahrestages des Beginns des Nürnberger Prozesses, dem bis 1949 noch zwölf weitere Prozesse (u.a. gegen Ärzte oder das Auswärtige Amt) folgten, im Dachgeschoss des Gebäudes mit dem Schwurgerichtssaal 600 als originalem Ort der Prozesse eine vom Bund mitgeförderte Dokumentation eröffnet. Literatur und Quellen: – Fuchs, Johannes/Lattanzi, Flavia: „International Military Tribunals“, in: Wolfrum, Rüdiger (Hrsg.) (2008): The Max Planck Encylopedia of Public International Law. Oxford University Press, online edition, http://www.mpepil.com [Letzter Abruf: 28. September 2011] – Müller-Ballin, Gabi (1995): Die Nürnberger Prozesse 1945 - 1949. Nürnberg: Bildungszentrum Stadt Nürnberg – Urban, Markus (2008): Die Nürnberger Prozesse. Kurzführer. Nürnberg: Sandberg – Weinke, Annette (2010): Die Nürnberger Prozesse. München: Ch. Beck – Memorium Saal 600: http://www.memorium-nuernberg.de bzw. „Nürnberger Prinzipien“: http://www.memorium- nuernberg.de/geschichte/erbe-von-nuernberg.html [Letzter Aufruf: 28. September 2011] Verfasser: RR Alexander Kropp; Praktikantin Friederike Mayer-Schwinning – Fachbereich WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik
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Origins: /Zivilgesellschaft/FragDenStaat
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Language: Deutsch
Issued: 2011-09-29
Modified: 2024-03-19
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