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Der Konflikt um die WTO-Streitschlichtung

Description: Aktueller Begriff des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages. 2 Seiten. Auszug der ersten drei Seiten: Wissenschaftliche Dienste Aktueller Begriff Der Konflikt um die WTO-Streitschlichtung Das Streitschlichtungssystem der Welthandelsorganisation (World Trade Organisation, WTO) be- findet sich gegenwärtig in einer Krise, da es mangels Richterbesetzung nicht funktionsfähig ist. Die kürzlich erfolgte einstimmige Ernennung einer neuen Generalsekretärin der WTO könnte eine Chance für die Krisenlösung sein. Die WTO existiert in der heutigen Form seit 1995, kurz nachdem die sog. Uruguay-Verhand- lungsrunde zwischen den damaligen Vertragsparteien des Vorgänger-Vertragswerks GATT (Gene- ral Agreement on Tariffs and Trade) erfolgreich abgeschlossen werden konnte. Wesentliche Neu- erungen der WTO gegenüber GATT lagen unter anderem in der grundlegenden Neuregelung des Streitschlichtungssystems (Dispute Settlement System). Während die GATT-Streitschlichtung hauptsächlich diplomatischer Natur war und das Ergebnis der Schlichtungsverhandlungen im Einzelfall durch alle GATT-Vertragsparteien angenommen werden musste, um bindend zu wer- den (sog. Consenus-Prinzip), ist das in der WTO seit 1995 nun genau umgekehrt: das Ergebnis der Streitschlichtung wird rechtlich bindend, es sei denn, alle Mitglieder lehnen es einstimmig ab (sog. reversed Consensus-Prinzip). Um diese massive Ausweitung der Bindungswirkung der Streitschlichtung abzumildern, wurde zudem eine ständige Berufungsinstanz (sog. Standing Appellate Body, SAB) geschaffen und das dazugehörige Verfahren im sog. Dispute Settlement Unterstanding (DSU) geregelt. So wird bei jedem Handelsstreit zunächst ein sog. ad-hoc-Panel eingerichtet, welches nach den Verhandlun- gen einen Schlichtungsbericht (Panel Report) vorlegt. Gegen diesen Bericht kann jeder beteiligte Mitgliedstaat eine Berufung vor dem SAB einlegen. Dieses besteht aus insgesamt sieben Rich- tern, die von allen Mitgliedstaaten unter Wahrung des geografischen Gleichgewichts für eine Amtszeit von vier Jahren bestellt werden. Im konkreten Fall entscheidet eine dreiköpfige Kom- mission, die sich dabei aber nur mit Rechtsfragen und nicht erneut mit der Faktenlage befasst. Das Urteil des SAB ist endgültig bindend. Das Berufungsverfahren vor dem SAB gewann in der Streitschlichtung innerhalb der WTO von 1995 bis 2020 zunehmend an Bedeutung. In dieser Zeit wurden ca. 67 Prozent der Panel Reports angefochten. In diesen Zeitraum fiel auch eine großflächige Erweiterung der WTO um die Länder China (Beitritt 2001) und Russland (Beitritt 2012). Durch die Einbindung der beiden Länder in das WTO-System erhoffte man nicht nur den wirtschaftlichen Aufschwung in diesen Ländern, sondern auch deren weitere Einbeziehung in die regelbasierte Weltordnung. Diese Hoffnungen haben sich jedoch bis jetzt nicht erfüllt und werden von vielen Beobachtern als endgültig ge- scheitert betrachtet. Insbesondere konnte das existierende WTO-System nicht den lange schwe- lenden und nun offenen Handelskonflikt zwischen China und den USA verhindern. Nr. 05/21 (20. April 2021) © 2021 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines sei- ner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasse- rinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung.[.. next page ..]Wissenschaftliche Dienste Aktueller Begriff Seite 2 Der Konflikt um die WTO-Streitschlichtung Dieser Konflikt und die WTO-kritische Haltung der USA zeichnete sich bereits bei den zahlrei- chen WTO-Verfahren unter der Administration des damaligen US-Präsidenten Barack Obama ab, in denen das SAB die sog. Schutzmaßnahmen der USA gegen Dumping für unzulässig erklärte. Die Situation verschärfte sich unter Donald Trump als US-Präsident, der 2018 ohne Abstimmung mit anderen WTO-Handelspartnern einseitige Handelszölle gegen China verhängte. Zudem haben die USA die Benennung der Nachfolge von allen aus dem Amt scheidenden Berufungsrichtern und -richterinnen seit Januar 2017 blockiert, was der kritischen Haltung von Trump gegenüber allen internationalen Organisationen entsprach. Dies führte dazu, dass das SAB seit Dezember 2019 mangels einer ausreichenden Anzahl von Richterinnen und Richtern nicht arbeitsfähig ist; seit Anfang 2021 sind überhaupt keine Richterinnen und Richter mehr im Amt, sodass die ange- fochtenen Panel Reports nicht verhandelt werden und keine Bindungswirkung entfalten können. Zur Auflösung dieses Konfliktes um die Benennung der Berufungsrichter und -richterinnen wur- den seitdem, vor allem von der EU, Indien und China, zahlreiche Reformvorschläge unterbreitet. Ein Ansatz ist, das bestehende Streitschlichtungsverfahren zu ändern und etwa für Schutzmaß- nahmen ein getrenntes Verfahren zu schaffen bzw. die sonstigen von den USA geäußerten Beden- ken hinsichtlich der Transparenz und Reichweite der Kompetenzen des SAB auszuräumen. Dies ginge aber nur durch eine einvernehmliche Abänderung der Streitbeilegungsvereinbarung, wofür sowohl eine Zustimmung der USA als auch Chinas erforderlich wären. Als vorübergehende Al- ternative hat sich die EU im März 2020 mit 15 weiteren WTO-Mitgliedern, darunter China, Brasi- lien, Kanada, die Schweiz und Mexiko, geeinigt, alternative Streitschlichtung nach WTO-Regeln durchzuführen. Das Verfahren steht auch anderen WTO-Mitgliedern offen, sofern sie sich freiwil- lig dazu bereit erklären. Bisher wurde es jedoch, soweit ersichtlich, noch nicht angewandt. Sollten sowohl die grundlegenden Reformverhandlungen mit den USA und China als auch die alternative Streitschlichtung innerhalb der WTO scheitern, bleibt für die EU und andere WTO- Mitglieder die Option, auf bilaterale und regionale Freihandelsabkommen zurückzugreifen und in diesem Rahmen Streitschlichtung außerhalb der WTO zu etablieren. Entscheidender Nachteil dieses Weges wäre jedoch das Fehlen eines einheitlichen und für alle Handelspartner verbindli- chen Streitbeilegungssystems, wie es innerhalb der WTO zu Zeiten eines arbeitsfähigen SAB existierte. Noch offen ist, ob und inwieweit die US-Präsidentschaft unter Joe Biden Bewegung in die festge- fahrene Verhandlungssituation bringt. Allerdings hat die Biden-Administration gleich in den ers- ten Wochen ihrer Amtszeit im Februar 2021 die Blockade der Neubesetzung des WTO-General- sekretärpostens aufgegeben. Danach konnte die aus Nigeria stammende Wirtschaftsexpertin Ngozi Okonjo-Iweala einstimmig ernannt werden und zum 1. März 2021 ihr Amt antreten. Ne- ben Themen wie Digitalisierung, Klimawandel und Entwicklungshilfe, wird die Reform der WTO-Streitschlichtung eine ihrer Prioritäten werden. Inwieweit es unter ihrer Führung gelingt, einen Interessensausgleich in den Verhandlungen zwischen den USA, China, der EU und den üb- rigen WTO-Mitgliedern zu finden, bleibt abzuwarten. Ausgewählte Quellen: – Laura von Daniels/Susanne Dröge/Alexandra Bögner, WTO-Streitschlichtung: Auswege aus der Krise, SWP-aktuell Nr. 1, Januar 2020, https://www.swp-berlin.org/10.18449/2020A01/ [Stand: 14. April 2021]; – Marc Loesewitz, Das WTO Dispute Settlement System in der Krise, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht, Heft 165 Juni 2019, https://telc.jura.uni-halle.de/sites/default/files/Heft%20165.pdf [Stand: 14. April 2021]. Verfasser: RR Dimitri Kessler – Fachbereich WD 2 (Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe)

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Tags: Entwicklungszusammenarbeit ? Menschenrechte ? China ? Indien ? Kanada ? Mexiko ? Nigeria ? Russland ? Schweiz ? USA ? Völkerrecht ? Klimawandel ? Wirtschaftsrecht ?

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Language: Deutsch

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Issued: 2021-04-20

Modified: 2024-03-19

Time ranges: 2021-04-20 - 2024-03-19

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