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Beschluss des BVerfG zur Nichtigkeit des Zustimmungsgesetzes zum Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht

Description: Aktueller Begriff - Europa des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages. 2 Seiten. Auszug der ersten drei Seiten: 19. Wahlperiode Unterabteilung Europa Referate PE 2 und PE 3 Aktueller Begriff Europa Beschluss des BVerfG zur Nichtigkeit des Zustimmungsgesetzes zum Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat mit dem am 20. März 2020 ver- öffentlichten Beschluss vom 13. Februar 2020 (2 BvR 739/1) der Verfassungsbeschwerde (VB) gegen das Zustimmungsgesetz zum Übereinkommen vom 19. Februar 2013 über ein Einheit- liches Patentgericht (EPGÜ-G) mit einer Mehrheit von 5:3 Stimmen stattgegeben und das Ge- setz für nichtig erklärt. Der Senat stellte fest, dass das Gesetz den Beschwerdeführer in seinem Recht auf demokratische Selbstbestimmung verletzt, da der Bundestag das EPGÜ-G nicht mit einer notwendigen Zweidrittelmehrheit (Art. 23 Abs. 1 S. 3 i. V. m. Art. 79 Abs. 2 GG) be- schlossen habe. Hintergrund: Am 9. März 2017 stimmte der Bundesrat dem EPGÜ-G einstimmig zu; der Bundestag verabschiedete das Gesetz am 31. März 2017 einstimmig, jedoch nicht mit ver- fassungsändernder Mehrheit. Das Einheitliche Patentgericht ist ein Element eines unionsweit einheitlichen Patenschutzsystems, das durch die gemeinsame Vergabe von Einheitspatenten und deren gerichtliche Kontrolle ein einheitliches Patentrecht in allen teilnehmenden Mit- gliedstaaten ermöglichen soll. An diesem System nehmen mit Ausnahme von Kroatien und Spanien alle EU-Mitgliedstaaten teil. Die Anwendung des geplanten Patentschutzsystem setzt ein Inkrafttreten des EPGÜ voraus (Art. 18 Abs. 2 Verordnung (EU) Nr. 1257/2012). Dies ist u. a. nur dann möglich, wenn die völkerrechtliche Ratifikation des Abkommens durch die drei Vertragsstaaten mit den meisten Patentverfahren erfolgt ist (Art. 89 Abs. 1 EPGÜ). Hierzu zählt die Bundesrepublik, so dass das Inkrafttreten des EPGÜ durch die völkerrechtliche Ratifikation Deutschlands bedingt wird. Entscheidung des BVerfG: Eine Entscheidung über den gestellten Antrag auf einstweilige An- ordnung (§ 32 BVerfGG) ist nicht ergangen. Dies sei nach Ansicht des Senats nicht veranlasst gewesen. Einer ständigen Staatspraxis entsprechend habe sich der Bundespräsident dazu be- reiterklärt, das EPGÜ-G bis zur Entscheidung des BVerfG in der Hauptsache nicht auszuferti- gen und zu verkünden und das EPGÜ nicht zu ratifizieren. Die VB ist im Hinblick auf den ge- rügten Verstoß gegen das Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit für das EPGÜ-G zulässig. Art. 38 Ab. 1 S. 1 GG vermittele nicht nur die Ansprüche des Einzelnen gegen die Übertragung nicht übertragbarer Hoheitsrechte (Identitätskontrolle) und die Einhaltung des im Zustim- mungsgesetz zu den EU-Verträgen niedergelegten Integrationsprogramms (Ultra-vires-Kon- trolle). Nach Ansicht der Senatsmehrheit umfasse der „Anspruch auf Demokratie“ auch das rügefähige Recht auf die Einhaltung der formellen Voraussetzungen für die Übertragung von Hoheitsrechten (formelle Übertragungskontrolle). Daher könne im Fall des Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG das Fehlen eines zustimmungspflichtigen Bundesgesetzes und im Fall des Art. 23 Abs. 1 Nr. 02/20 (8. April 2020) © 2020 Deutscher Bundestag Verfasser/in: RD Dr. Hannes Rathke, LL.M. (PE 2); ORRn Meltem Sener (PE 3) Referat PE 2, Telefon: +49 30 227-32961, vorzimmer.pe2@bundestag.de; Referat PE 3, Telefon: +49 30 227-34344, vorzimmer.pe3@bundestag.de Die Referate PE 2 und PE 3 der Unterabteilung Europa unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeit gibt nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegt sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Referatsleitung.[.. next page ..]Unterabteilung Europa Referate PE 2 und PE 3 S. 3 GG das Fehlen einer Zweidrittelmehrheit gerügt werden. Einen solchen Verstoß und die daraus folgende Rechtsverletzung des EPGÜ-G habe der Beschwerdeführer substantiiert darge- legt. Dagegen ist die VB mangels substantiierter Darlegung unzulässig, soweit eine Rechtsver- letzung aufgrund der rechtsstaatlichen Stellung der Patentrichter, der Legitimation des EPGÜ und einer möglichen Verletzung von Unionsrecht gerügt wird. Die vom EPGÜ-G angestrebte Hoheitsrechtsübertragung unterliege den Maßstäben des Art. 23 Abs. 1 GG, da das EPGÜ in einem Ergänzungs- oder sonstigen besonderen Näheverhältnis zum EU-Integrationsprogramm stehe. Art. 23 Abs. 1 GG umfasse nicht nur das gesamte Integra- tionsprogramm und sämtliche Kompetenzerweiterungen der EU, sondern auch Vorhaben mit einem qualifizierten inhaltlichen Zusammenhang zum EU-Integrationsprogramm. Das EPGÜ ändere oder ergänze in der Sache Art. 262 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und enthalte damit eine funktional äquivalente Regelung zur Änderung der ver- traglichen Grundlagen der EU nach Art. 48 EUV. Zudem sei das Gericht untrennbar mit den auf Art. 118 AEUV gestützten materiellen Patentschutzregeln verwoben. Das EPGÜ besitze auf- grund der intendierten „Europäisierung grundgesetzlicher Vorgaben“ Verfassungsrelevanz und sei eine „vergleichbare Regelung“ im Sinne des Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG. Überdies bewirke das EPGÜ eine materielle Verfassungsänderung im Sinne von Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG, indem Recht- sprechungsaufgaben von den nationalen Gerichten auf das Einheitliche Patentgericht übertra- gen und die verfassungsrechtliche Gerichtsordnung geändert werden. Vor diesem Hintergrund setzte die Öffnung der deutschen Rechtsordnung für das Einheitliche Patentgericht und dessen demokratisch legitimiertes Handeln eine Zustimmung mit verfas- sungsändernder Mehrheit (Art. 23 Abs. 1 S. 3 i. V. m. Art. 79 Abs. 2 GG) voraus. Erstmals stellt der Senat fest, dass das „Recht auf Demokratie“ (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG) auch bei Nichtein- haltung dieser formellen Voraussetzungen verletzt sein und daher vom BVerfG im Wege einer „formellen Übertragungskontrolle“ geprüft werden könne. Begründet wird dies u. a. damit, dass übertragene Kompetenzen in aller Regel „verloren“ seien und aus eigener Kraft nicht ohne weiteres „zurückgeholt“ werden könnten. Daher verletzte die Zustimmung des Bundestages zum EPGÜ-G ohne die notwendige Zweidrittelmehrheit den Beschwerdeführer in seinem Recht auf demokratische Selbstbestimmung. Ausblick: Um das EPGÜ doch noch in Kraft treten zu lassen, müssten Bundestag und Bundes- rat ein neues Zustimmungsgesetz, nunmehr mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit erlas- sen. Dabei bleibt zu entscheiden, welche Folgerungen sich aus den Hinweisen des Senats hin- sichtlich eines materiell-verfassungsrechtlichen Problems bei einem erneuten Zustimmungs- gesetz ergeben könnten. So wirft der Senat die vom Beschwerdeführer nicht gerügte Frage auf, ob die Beteiligung Deutschlands an einem Gericht, für das ein unbedingter Vorrang des Unionsrechts gilt (Art. 20 EPGÜ), mit unveränderbaren Verfassungsgrundsätzen (Art. 20 Abs. 1 und 2 i. V. m. Art. 79 Abs. 3 GG) vereinbar sei. Das Sondervotum der Richterinnen König und Langenfeld sowie des Richters Maidowski verweist auf die grundsätzliche Bedeutung des Be- schlusses: Mit der formellen Übertragungsrüge verliere der Schutzbereich des Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG im Kontext der europäischen Integration seine Konturen vollends. Die Entscheidung könnte letztlich dazu führen, dass der politische Prozess im Kontext mit der europäischen In- tegration verengt und behindert werde. Um sich den Risiken der formellen Übertragungs- kontrolle nicht auszusetzen, könnten Bundestag und Bundesrat dann gezwungen sein, bei jeder Kompetenzübertragung im Anwendungsbereich des Art. 23 Abs. 1 GG eine Zweidrittel- mehrheit anstreben zu müssen. Dies liege aber weder in der Absicht des Verfassungsgebers, noch sei es für die Ermöglichung des demokratischen Prozesses erforderlich oder auch nur för- derlich, weil es auch möglich sein müsse, mit knappen Mehrheiten zu entscheiden. Aktueller Begriff Europa Seite 2 von 2 Beschluss des BVerfG zur Nichtigkeit des Zustimmungsgesetzes zum Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht

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Origins: /Zivilgesellschaft/FragDenStaat

Tags: Spanien ? Kroatien ? Patent ? Rechtswidrigkeit ? Europäische Union ? Europa ? Vertrag ?

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Language: Deutsch

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Issued: 2020-04-08

Modified: 2021-06-08

Time ranges: 2020-04-08 - 2021-06-08

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