Description: SZA_4_2012:EUROSOLAR 20.12.12 16:48 Seite 100 ZIVILGESELLSCHAFT ALS MOTOR DER ENERGIEWENDE Zivilgesellschaft als Motor der Energiewende GERD OELSNER „Um die Sonnenstrategie voranzutreiben, ist die aktive Gesellschaft notwendig: Freie Initia- tiven, die angebliche Sachzwänge durchbrechen und eigene Projekte kreieren“ schrieb Her- mann Scheer vor knapp 20 Jahren in seinem Buch „Sonnenstrategie“. Inzwischen hat sich die Zivilgesellschaft als treibender Motor der Energiewende erwiesen. 2011 befanden sich mehr als die Hälfte der in Deutschland instal- lierten Anlagen zur Stromerzeugung aus Erneu- erbaren Energien im Eigentum von Privatperso- nen und Landwirten. Energiegenossenschaften verzeichnen enormen Zuwachs. Vor Ort und regional sind flächendeckend Solarvereine, Agenda-Arbeitskreise und Umweltgruppen aktiv. Diese bürgerschaftlichen Aktivitäten erfolgen dabei meist in Zusammenarbeit mit den Kommunen und werden zu einem koopera- tiven Klimaschutz. Nötig ist eine vertikale Ver- knüpfung mit Landes- und Bundespolitik, um die Energiewende zu einem breit getragenen Gemeinschaftswerk zu machen. Bürgerschaftliche Aktivitäten Eine umfassende Untersuchung zivilgesellschaft- licher Aktivitäten hat Ulrich Dewald 2008 in seiner Studie „Solarinitiativen in Deutschland“ vorge- nommen. Diese Energie-Initiativen werden meist ehrenamtlich getragen und sind knapp zur Hälfte als Verein organisiert, etwa ein Viertel als Agenda- Arbeitskreis. Regional liegen die Schwerpunkte in Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-West- falen. Als wichtigstes Aufgabenfeld nennen 91% 100 SOLARZEITALTER 4 2012 der Initiativen Information und Beratung, etwa drei Viertel stoßen Investitionsprojekte (meist Photo- voltaik- Anlagen) an. Ebenso zentral ist die politi- sche Einflussnahme auf Entscheidungsträger. Als weiteres wichtiges Feld wird die Bildung von Netz- werken genannt. Zur Information und Aufklärung haben sich lokale und regionale Energie-Informationstage inzwi- schen fest etabliert. So fand der „Tag der Erneuer- baren Energien“ in Karlsruhe 2011 zum 14. Mal statt. Seit 2007 werden in Baden-Württemberg die vielen örtlichen Aktivitäten jährlich in einem lan- desweiten „Energietag Baden-Württemberg“ zusammengefasst. Bundesweit ist die „Woche der Sonne“ zu nennen. Dadurch werden die örtlichen Aktionen gebündelt und öffentlichkeitswirksam in den Medien verstärkt. Im Mittelpunkt steht die Aufklärung der Bevölkerung zu Erneuerbaren Energien und zum Energiesparen. Die Programm- palette umfasst dabei Besichtigungen, „Wattwan- SZA_4_2012:EUROSOLAR 20.12.12 16:48 Seite 101 ZIVILGESELLSCHAFT ALS MOTOR DER ENERGIEWENDE Erneuerbare Energien in Bürgerhand derungen“ zu Energieprojekten, geführte Fahrrad- Solartouren, Probefahrten mit Pedelecs und E- Mobilen, Infomärkte mit Handwerkern und Anbie- tern, Diskussionsforen oder Filmvorführungen wie die „Vierte Revolution“. Inzwischen fester Bestandteil sind dabei Kinderprogramme mit sola- rem Basteln, Energie-Quiz oder Wettbewerbe mit Schulklassen. Öffentlichkeitsarbeit erfolgt aber nicht nur an diesen Tagen sondern über das ganze Jahr. So führt beispielsweise die studentische Initi- ative „KINE – Karlsruher Initiative für nachhaltige Energie“ regelmäßig Vortragsreihen mit Experten an der Universität durch. Besonders Bürger- und Gemeinschaftssolaranla- gen haben sich in den letzten Jahren als flächen- deckend erfolgreiches Projekt erwiesen. Nachdem viele bisher als Gesellschaften bürgerlichen Rechts (GbR) organisiert waren, hat in den letzten Jahren ein wahrer Genossenschaftsboom eingesetzt. Die Zahl der Energiegenossenschaften hat sich bundesweit von 2008 bis 2011 auf inzwischen knapp 600 vervierfacht. Auch hier werden meist Photovoltaik-Anlagen betrieben, zunehmend auch andere Erneuerbare Energien wie Windkraftanla- gen oder auch Blockheizkraftwerke, wie dies die mittelbadische Energiegenossenschaft „meg“ gemeinsam mit dem SWR in Baden-Baden tut. Neben örtlichen und regionalen Genossenschaften gibt es auch übergreifende Aktivitäten wie bei- spielsweise die „Ökumenische Energiegenossen- schaft – ÖEG“, die in der Evangelischen Akademie Bad Boll ihren Ausgang nahm und inzwischen in ganz Baden-Württemberg örtliche Energieprojekte mit Kirchengemeinden umsetzt. Diese zivilgesellschaftlichen Initiativen haben eine wichtige Voraussetzung: Sie brauchen einige besonders aktive ehrenamtliche „Motoren“ als Antrieb. Oft sind dies nur drei bis fünf Personen die als harter Kern weitere Interessierte um sich scharen und dann Projekte anstoßen. Dies zeigen auch Untersuchungen, die die zentrale Rolle dieser „Kümmerer“, „Schlüsselpersonen“ oder „aktiven Eliten“ unterstreichen. Das von den Initiativen genannte weitere wichtige Aufgabenfeld der Einflussnahme auf die örtlichen Entscheidungsträger verweist auf die Zusammen- arbeit mit der Kommunalpolitik. Erfolgreicher bür- gerschaftlicher Klimaschutz ist auch kooperativer Klimaschutz. Kooperativer Klimaschutz Viele Kommunen arbeiten mit diesen Initiativen zusammen, was sich besonders im Rahmen der SOLARZEITALTER 4 2012 101 SZA_4_2012:EUROSOLAR 20.12.12 16:48 Seite 102 ZIVILGESELLSCHAFT ALS MOTOR DER ENERGIEWENDE Entwicklung von Energiegenossenschaften in Deutschland Lokalen Agenda 21 herausbildete. Unterstützt wer- den die Aktivitäten von den Kommunen meist durch das Bereitstellen von Räumlichkeiten, öffentlichen Dächern für Bürgersolaranlagen oder Artikeln in den Gemeindeblättern. Gerade letzteres sollte nicht unterschätzt werden: kostenlose Gemeindezeitungen erreichen oft vor Ort die meis- ten Bürger und regelmäßige Kolumnen wie der „Stromwechsler des Monats“ in der kleinen Gemeinde Allensbach am Bodensee zeigen die erhoffte Schneeballwirkung solcher Aktionen. Wichtig ist, dass es für die Initiativen einen Ansprechpartner in der Verwaltung gibt, der als Bindeglied zum Gemeinderat fungiert. Bürger- meister oder Gemeinderäte sollten möglichst als Mitglieder in Solarvereinen diese Aktivitäten unterstützen und die Zusammenarbeit vertiefen. Gemeinderäte sind häufig in Energie-Initiativen aktiv. So entsteht ein „magisches Dreieck“ der Zusammenarbeit von Initiativen, Verwaltung und Politik, das inzwischen als „Trialog“ der Bürgerbe- teiligung bezeichnet wird. Darüber hinaus werden in Kommunen die Bürge- rinnen und Bürger zunehmend in die kommunalen Energie-Aktivitäten eingebunden. Dabei kommen meist informelle Methoden der Bürgermitwirkung zum Einsatz: Klima-Werkstätten oder Zukunfts- 102 SOLARZEITALTER 4 2012 konferenzen nutzen Engagement und Sachverstand der örtlichen Bevölkerung als Impuls- und Ideen- geber kommunaler Energiepolitik. Zunehmend erfolgt dies für umfassende Klimaschutzkonzepte, wobei hier besonders auch wichtige Multiplikato- ren und Akteure wie Handwerk und Wirtschaft ein- gebunden werden. Dafür kommen dann auch Methoden wie Fachforen, Expertengespräche oder runde Tische zur Anwendung. Unter den vielen kommunalen Beispielen sei besonders auf die Stadt Ludwigsburg verwiesen. Diese nutzte für die Erstellung ihres Gesamtenergiekonzepts einen breiten Methodenmix zur Bürgerbeteiligung und bettet dies in ein umfassendes Konzept für eine nachhaltige Stadtentwicklung ein. Umfragen und Bürgerentscheide zu geplanten Großprojekten holen die Bürgermeinung ein und intensivieren den Dialog zur Energiewende vor Ort. Wie dabei die bisherigen Beispiele in Baden- Württemberg zeigen, führen sie auch zur Zustim- mung und Aktivierung der Bürgerschaft. Eine Abstimmung zur Windkraft im südbadischen Mün- stertal brachte bei einer Beteiligung von 73% eine Zustimmung von 80% zur Nutzung der Windener- gie. Ein Bürgerentscheid zum geplanten Natur- stromspeicher im ostschwäbischen Gaildorf, einem äußerst anspruchsvollen Projekt der Windkraftnut-
Origin: /Land/Baden-Württemberg/LUBW
Tags: Württemberg ? Seeschwalbe ? Baden-Baden ? Karlsruhe ? Ludwigsburg ? Baden-Württemberg ? Bayern ? Blockheizkraftwerk ? Bürgerentscheid ? Windenergie ? Zivilrecht ? Solaranlage ? Lokale Agenda 21 ? Bodensee ? Energiewende ? Energiegenossenschaft ? Bürgerenergieanlage ? Bürgerbeteiligung ? Handwerk ? Stromerzeugung ? Erneuerbare Energie ? Genossenschaft ? Runder Tisch ? Elektrofahrrad ? Stromspeicher ? Nachhaltige Stadtentwicklung ? Klimaschutzkonzept ? Kommunalpolitik ? Kommunalverwaltung ? Motor ? Öffentlichkeitsarbeit ? Studie ? Kirchengemeinde ? Klimaschutz ? Großprojekt ? Energie ? Energieeinsparung ? Energiepolitik ? Zivilgesellschaft ?
Region: Baden-Württemberg
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Language: Deutsch
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