Description: Inform.d. Naturschutz Niedersachs. 38. Jg. Nr. 4 229-234 Hannover 2019 Mauereidechsen in Niedersachsen – streng geschützte oder invasive Art? von Ina Blanke & Sabrina Lorenz Inhalt 1Einleitung2Sind Mauereidechsen eine Gefahr für Niedersachsens heimische Eidechsen?229 3Fallbeispiel Hannover230 4Kein strenger Schutz nach FFH-Richtlinie und BNatSchG FFH-Richtlinie Artenschutzrecht im BNatSchG Regelungen für gebietsfremde und invasive Arten 4.1 4.2 4.3 229 5 Empfehlungen für den Umgang mit Mauereidechsen in Niedersachsen233 6Aktuelle Bestandsdaten notwendig233 7Danksagung233 8Literatur und Quellen234 231 231 232 232 1 Einleitung Die Mauereidechse (Podarcis muralis) ist insbesondere im Mittelmeerraum verbreitet. Ihr natürliches Areal endet in Südwest-Deutschland. Somit ist die Mauereidechse eine in Niedersachsen nichtheimische, gebietsfremde (alloch- thone) Art. In Niedersachsen sind aber seit einigen Jahrzehn- ten Populationen bekannt, die auf Aussetzungen oder unbeabsichtigten Einschleppungen beruhen (SCHULTE & DEICHSEL 2015). In jüngster Zeit häufen sich – auch in Niedersachsen – Neuentdeckungen von allochthonen Mauereidechsen und Ausbreitungen von schon länger bekannten Vorkommen. Dabei bestehen tw. Unsicher- heiten, wie mit Vorkommen dieser nichtheimischen Art umgegangen werden sollte. 2 Sind Mauereidechsen eine Gefahr für Niedersachsens heimische Eidechsen? Populationen gebietsfremder Mauereidechsen gehen i. d. R. auf gezielte Aussetzung, unbeabsichtigte Ein- schleppung und eigenständige Ausbreitung dieser Grün- derpopulationen zurück. In den letzten Jahren wurden wiederholt nichtheimische Bestände umgesiedelt oder im Nahbereich umgesetzt (unseres Wissens bisher nicht in Niedersachsen). Von Vorkommen der Mauereidechse wird vor allem aus urbanen Bereichen und von Bahnan- lagen berichtet. Genau diese Bereiche sind auch in Niedersachsen von hoher Bedeutung für zahlreiche andere wärmebedürf- tige Arten. Im Verlauf längerer Verkehrstrassen finden sich im Siedlungsraum oft gute Bestände der heimischen Reptilienarten Zaun- und Waldeidechse. Ursachen sind vermutlich die besseren Lebensraumbedingungen im Vergleich zur „Normallandschaft“, z. B. ein allgemein höherer Strukturierungsgrad, die hier noch vorhandenen Inform.d. Naturschutz Niedersachs. 4/2019 Ödlandflächen und Raine sowie bessere Jagdgebiete in angrenzenden Gärten. Verdrängungen von heimischen Waldeidechsen (Zoo- toca vivipara) und Zauneidechsen (Lacerta agilis) durch gebietsfremde Mauereidechsen sind aus verschiedenen Regionen Deutschlands bekannt. Die Arten konkurrieren bei sehr unterschiedlicher Individuendichte u. a. um Ver- steck- und Unterschlupfmöglichkeiten (z. B. Bahnschot- ter, Erdhöhlen), Sonnenplätze und Beutetiere. Bei durch Mauereidechsen beeinträchtigten Vorkom- men von Wald- oder Zauneidechse sind oft auffallend wenige oder gar keine Jungtiere zu beobachten. Es ist wahrscheinlich, dass bei gemeinsamen Vorkommen Jung- tiere der heimischen Arten im Spätsommer und Herbst von adulten Mauereidechsen erbeutet werden (adulte Zauneidechsen sind dann oft schon im Winterquartier). Im Tessin wurde eine adulte Mauereidechse fotogra- fiert, die eine junge Smaragdeidechse überwältigte, 229 tötete und in eine Mauerritze zog (DEICHSEL & ANSER- MET 2012). Es ist daher denkbar, dass auch ältere Indivi- duen kleinerer Arten (wie Wald- und Zauneidechsen) von Mauereidechsen zumindest verletzt werden können. Die Verdrängung heimischer Eidechsen durch allo- chthone Mauereidechsen erfolgt häufig recht schnell. So wurde eine fast vollständige Verdrängung von Zauneidechsen an drei Standorten in Baden-Württem- berg, Sachsen und Nordrhein-Westfalen dokumentiert (U. Schulte briefl.). Dies geschah in weniger als zehn Jah- ren (z. B. SCHULTE 2009). In Sachsen konnte A. Langhof (mdl. Mitt.) 2019 auf einer Industriebrache nur 3 Zaun-, aber 289 Mauereidechsen nachweisen. Entlang von Bahnanlagen breiten sich Mauereidechsen besonders schnell aus: SCHULTE et al. (2013) berechneten mit gene- tischen Analysen eine Ausbreitungsgeschwindigkeit allo- chthoner Mauereidechsen von bis zu 500 m pro Jahr. 3 Fallbeispiel Hannover Neben Berlin (F. Ortlieb mdl.) exis- tieren in Hannover nach derzeiti- gem Kenntnisstand die nördlichs- ten etablierten Vorkommen der Mauereidechse in Deutschland. Vorkommen der streng geschütz- ten Zauneidechse sind im hanno- verschen Stadtgebiet selten und hier vor allem von Bahnanlagen und ihrem Umfeld im Osten der Stadt bekannt. Im Westen der Stadt galt die Art als erloschen, 2019 wurde hier eine kleine Popu- Abb. 1: Mauereidechsen-Männchen der Venetien-Linie im hannoverschen Berggarten (Foto: Ina Blanke) lation entdeckt. Derzeit bekannte Vorkommen der Mauereidechse liegen westlich des Hauptbahnhofs Hannover. 2010 wurden im Berggarten Hannover (Teil der Herrenhäuser Gärten) Mauereidechsen beobach- tet (I. Blanke). Die dortigen Tiere (Abb. 1) gehören der Venetien- Linie an. Laut SCHULTE & DEICH- SEL (2015) stammen diese vermut- lich nicht aus dem Ursprungsraum, sondern gehen als sekundäre Ver- schleppung auf bereits in Deutsch- land etablierte Bestände zurück. 2012 wurden bei Arbeiten zur Erneuerung einer Brücke über die Ihme Mauereidechsen im Betriebs- bereich der Deutschen Bahn entdeckt. Anschließend wurde versucht, Tötungen von Indivi- duen während der Bauarbeiten im Schotterbett möglichst zu vermei- den; der Fortbestand der Popu- lation wurde im nächsten Jahr durch ein Monitoring bestätigt (zuständige Naturschutzbehörde, briefl.) Laut SCHULTE & DEICHSEL (2015) handelt es sich bei diesen Abb. 2: Fundorte von Mauereidechsen in der Umgebung eines ehemaligen Baumarkts in Hannover im Tieren um Vertreter der Südalpen- Jahr 2019. Anscheinend profitierte dieser Bestand von Hitzesommern und Erneuerungen von Bahnbrü- cken. Dabei wurden dichte Gehölze entfernt und sandige Böschungen und damit auch Eiablageplätze Linie. Meldungen von Mauerei- geschaffen. Die Funde im Nordosten (oberhalb des Nordpfeils) gehen wahrscheinlich auf Verschleppung dechsen aus den letzten Jahren mit Abrissmaterial zurück. (Luftbild: LGLN) aus den Bereichen „Maschsee“ und „Bahnhof Linden-Fischerhof“ gehen vermutlich auf Mauereidechse im Bereich eines ehemaligen Baumarkts. diesen Bestand zurück. Diese Tiere gehören der Südalpen-Linie an. Dabei wur- Im Rahmen einer gezielten Kartierung im Rahmen der den (von L. Bolte, I. Blanke und M. Fischer) binnen eines Errichtung einer Lärmschutzwand kam es 2019 zur Ent- Monats bei fünf Begehungen insgesamt 140 Mauer- deckung einer großen innerstädtischen Population der eidechsen beobachtet (vgl. Abb. 2). Diese nutzten u. a. 230 Inform.d. Naturschutz Niedersachs. 4/2019 Abb. 3 u. 4: Tiere der „Baumarkt-Population“ nutzen unter anderem Bauzäune sowie Ritzen an Gebäuden und in der Pflasterung als Unterschlupf und Quartier. (Fotos: Ina Blanke, Mathias Fischer) Bahnanlagen, Gewässerrandbereiche sowie Bepflanzun- gen und Ritzen auf Parkplätzen (Abb. 2-4). Die maximale Aktivitätsdichte (= Sichtungen von Adulti und Subadulti pro Stunde) lag bei >50 (53 Indi- viduen in 45 Minuten – Zum Vergleich: Die maximale Aktivitätsdichte von Zauneidechsen liegt in Niedersach- sen i. d. R. deutlich unter 10.) Schlüpflinge der Mauer- eidechse wurden ab Juli beobachtet. Bis November gelangen weitere Zufallsfunde in der Umgebung. Diese Suche erfolgte nur in frei zugänglichen Bereichen. Für eine genauere Bestandsaufnahme wäre eine gezielte Kartierung entlang von Bahnanlagen erforderlich gewe- sen. Aber auch so wird deutlich, dass sich die Tiere dieses Bestandes schon recht weit in der Umgebung ausgebrei- tet haben und wohl auch innerstädtisch verschleppt wur- den (vgl. Abb. 2). Im Jahr 2019 wurde nicht nur der Mauereidechsen- Bestand entdeckt, sondern auch ein reproduzierendes Zauneidechsen-Vorkommen in ca. 1,5 km Entfernung (im Westen der Stadt bei Leinhausen). Mit deutlich höherem Suchaufwand konnten hier insgesamt vier Zauneidech- sen nachgewiesen werden (M. Fischer und I. Blanke). 4 Kein strenger Schutz nach FFH-Richtlinie und BNatSchG 4.1 FFH-Richtlinie Die Mauereidechse ist eine Art des Anhangs IV der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL). Gemäß Art. 12 dieser Richtlinie genießen die Arten des Anhangs IV in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet strengen Schutz. Im Folgenden wird auf die Frage eingegangen, wel- chen Schutzstatus die Mauereidechse außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebietes hat. Die EU-Kommission unterstreicht in Kap. I.2.2 (19) des Leitfadens (Guidance-Dokument) zur FFH-Richtlinie: „Jedoch sollten Einzeltiere oder verwilderte Populatio- nen von Tieren, die absichtlich oder unbeabsichtigt durch den Menschen an Orte gelangten, wo sie in historischer Zeit nicht von Natur aus vorkamen oder wohin sie sich in absehbarer Zeit nicht verbreitet hätten, als außerhalb Inform.d. Naturschutz Niedersachs. 4/2019 ihres natürlichen Verbreitungsgebietes auftretend und insofern als nicht unter die Richtlinie fallend erachtet werden“ (EU-KOMMISSION 2007). Die Mauereidechse fehlt in Niedersachsen von Natur aus gänzlich und fällt hier als nichtheimische, gebiets- fremde Art nicht unter den Schutz der FFH-Richtlinie. Grundsätzlich „können auch Unterarten oder Teilpopula- tionen einer Art, die als Ganzes nicht gebietsfremd sind, in einem bestimmten Gebiet gebietsfremd sein“ (SCHU- MACHER & FISCHER-HÜFTLE 2011). Das Bayerische Landesamt für Umwelt weist darauf seit 2018 hin: Die nichtheimische Unterart der Mauer- eidechse fällt „nicht unter den Schutz der FFH-Richt- linie, die Verbote des § 44 BNatSchG gelten nicht und es sind auch keine Ausgleichsmaßnahmen erforderlich“ (LFU 2018). 231
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Origin: /Land/Niedersachsen/NLWKN
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