Description: Informationsdienst Naturschutz Niedersachsen 2/2020 Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz Thorsten Krüger, Jürgen Ludwig, Gregor Scheiffarth & Thomas Brandt Quantitative Kriterien zur Bewertung von Gastvogel lebensräumen in Niedersachsen – 4. Fassung, Stand 2020 – Inform.d. Naturschutz Niedersachs. 39. Jg. Nr. 2 49-72 Hannover 2020 Quantitative Kriterien zur Bewertung von Gastvogellebensräumen in Niedersachsen 4. Fassung, Stand 2020 von Thorsten Krüger, Jürgen Ludwig, Gregor Scheiffarth & Thomas Brandt Inhalt 1Einleitung505Zusammenfassung62 2 2.1 2.2Methode und Datengrundlage Begriffserklärungen und Definitionen Datengrundlage53 53 566Summary62 7Literatur63 3Herleitung und Anwendung der Kriterien 584Dank Anhang 67 Tabelle „Quantitative Kriterien für die einzelnen Arten“ 61 1 Einleitung Für Niedersachsen erfolgte 1997 eine umfangreiche Aktualisierung der quantitativen Kriterien zur Bewer- tung von Gastvogellebensräumen (BURDORF et al. 1997). Mit dieser Aktualisierung war auch eine methodische Weiterentwicklung des ursprünglich von BERNDT et al. (1985) entwickelten Verfahrens verbunden. Seither hat sich diese Bewertungsmethode zu einem erfolgreichen und unverzichtbaren Instrument in der Naturschutzpra- xis des Landes Niedersachsen entwickelt (KRÜGER et al. 2010, 2013). Es zählt gemeinsam mit seinem Pendant zur Bewertung von Vogelbrutgebieten*) (BEHM & KRÜGER 2013) zu den wohl am häufigsten angewandten natur- schutzfachlichen Bewertungsverfahren. Es liegt jedoch auf der Hand, dass die Kriterien regel- mäßig fortgeschrieben und an Bestandsveränderungen der Gastvogelpopulationen angepasst werden m üssen. Seit Veröffentlichung der 3. Fassung der Kriterien (KRÜ- GER et al. 2010, 2013), welche sich auf Gastvogelbe- stände im Zeitraum von 2003 bis 2007 beziehen, sind z. T. deutliche Veränderungen der Bestandsgrößen eini- ger Gastvogelpopulationen in den verschiedenen, dem Bewertungsverfahren zugrunde liegenden Bezugsräu- men zu verzeichnen. In Niedersachsen sind seither z. B. die Bestände von Schnatterente (Mareca strepera), Hau- bentaucher (Podiceps cristatus) und Silberreiher (Ardea alba) deutlich angestiegen bzw. die von Pfeifente (M. penelope), Sichelstrandläufer (Calidris ferruginea) und Silbermöwe (Larus argentatus) moderat bis stark zurück- gegangen. Das Bewertungsverfahren ermöglicht eine objektive und differenzierte Bewertung von Gastvogellebensräu- men auf der Grundlage von nachvollziehbaren quantita- tiven Kriterien. Damit liefert es eine wesentliche Grund- lage für die Identifizierung von naturschutzfachlich bedeutsamen Gebieten, die dann u. a. in den Regionalen Raumordnungsprogrammen, den Landschaftsrahmenplä- nen sowie in der Bauleitplanung und bei der Beurteilung von Eingriffsvorhaben Berücksichtigung finden. Einige Beispiele können dies verdeutlichen: Für die Aufstellung der Landschaftsrahmenpläne wer- den standardmäßig die Bewertungen der im Pla- nungsraum befindlichen Brut- und Gastvogellebens- räume bei der Staatlichen Vogelschutzwarte abge- fragt. Diese Kenntnisse über avifaunistisch wertvolle Gebiete fließen in die Planwerke ein (vgl. HECKEN- ROTH 1994, DAHL et al. 2000) und sind damit Grund- lage für gebietsbezogene Schutz-, Pflege- und Ent- wicklungsmaßnahmen sowie für die Berücksichti- gung der Naturschutzziele in anderen Fachplanungen und Flächennutzungen. Es gibt einen steten, großen Bedarf an diesen planungsrelevanten Informationen, so dass eine Übersicht über die wertvollen Gastvogel- lebensräume des Landes auf der Webseite des Nieder- sächsischen Umweltministeriums abgerufen werden kann (MINISTERIUM FÜR UMWELT, ENERGIE, BAUEN UND KLIMASCHUTZ 2020). Bei der Standortplanung und Genehmigung von Windenergieanlagen entfaltet das Bewertungsver- fahren z. B. insofern Bedeutung, als die Empfehlun- gen des Niedersächsischen Landkreistages zu wei- chen Tabuzonen zur Steuerung der Windenergienut- zung mit Ausschlusswirkung in Regionalen Raum- ordnungsprogrammen seit vielen Jahren unmittelbar an die Bedeutungsstufen von Gastvogellebensräu- *) Das Bewertungsverfahren für Vogelbrutgebiete (BEHM & KRÜGER 2013) hat weiterhin Gültigkeit, bis eine aktualisierte Fassung veröffentlicht wird. 50 Inform.d. Naturschutz Niedersachs. 2/2020 men anknüpfen (NIEDERSÄCHSISCHER LANDKREIS- TAG 2014). Dies ist von entscheidender Bedeutung, da gerade Gastvögel gegenüber solchen technischen Bau- werken als besonders störempfindlich gelten und – mit artspezifischen Unterschieden – Räume meiden, in denen Windenergieanlagen errichtet wurden (Über- sicht: HÖTKER et al. 2004, HÖTKER 2006). Seit 2016 wird dieser Ansatz indirekt auch im sog. Windenergie- erlass des MINISTERIUMS FÜR UMWELT, ENERGIE UND KLIMASCHUTZ (2016) zugrunde gelegt. In die gleiche Richtung zielen bundesweit einheitliche Empfehlungen der LÄNDERARBEITSGEMEINSCHAFT DER VOGELSCHUTZWARTEN (2014), die neben artspe- zifischen Mindestabständen zu Gastvogelvorkommen entsprechende Abstände für Gastvogellebensräume von landesweiter bis internationaler Bedeutung emp- fehlen und damit ebenfalls unmittelbar auf das nie- dersächsische Bewertungsverfahren zurückgehen. Auch für andere raumbedeutsame Planungen ist das Bewertungsverfahren von hoher Relevanz. Besondere Bedeutung kommt Gastvogellebensräumen dabei z. B. bei der Planung und Genehmigung von Energielei- tungstrassen, Verkehrswegen, Bauten im Außenbe- reich – v. a. Stall- und sonstige landwirtschaftliche Anlagen – oder Bodenabbau-Projekten zu. Zur Umsetzung der Europäischen Vogelschutzrichtlinie (RL 2009/147/EG) in Niedersachsen sind die quantitati- ven Kriterien zur Bewertung von Gastvogellebensräu- men ein Kriterium bei der fachlichen Identifizierung von Europäischen Vogelschutzgebieten. Es wurden all jene Gebiete vorgeschlagen, in denen mindestens eine Gastvogelart des Anhanges I oder eine Zugvogelart gem. Art. 4 Abs. 2 der Europäischen Vogelschutzricht- linie den Kriterienwert für internationale Bedeutung erreicht (KRÜGER et al. 2003). Kamen in den entspre- chenden Gebieten weitere Gastvogelarten in Bestän- den von nationaler Bedeutung vor, so wurden diese ebenfalls als für das Gebiet wertbestimmende Arten benannt und bei der Abgrenzung des Vogelschutzge- biets berücksichtigt. Für den Schutz wandernder Vogelarten reicht es nicht aus, Brutgebiete und Überwinterungsquartiere einzeln oder nur regional zu sichern, sondern es bedarf eines Netzes von Gebieten entlang ihrer Zugwege, in denen sie ohne Störung rasten, Nahrung aufnehmen, mausern und Energiereserven für den Weiterzug, die Rückkehr in die Brutgebiete und die anschließende Brut ansam- meln können. Daraus ergibt sich das Erfordernis, nicht nur an den Schwerpunkten des Zug- und Rastgeschehens für einen wirkungsvollen Schutz zu sorgen, wie z. B. im Wattenmeer oder an den großen Binnenseen, wo auch jedem Laien angesichts der viele tausend Individuen umfassenden Vogelschwärme die Bedeutung der Gebiete unmittelbar einsichtig wird. Es gilt, auch solche Gebiete als bedeutsam für Gastvögel zu erkennen, die geringere Anzahlen aufweisen. Vor allem im Binnenland sollen auf diese Weise Gebiete mit lebensnotwendiger Trittstein- funktion ermittelt werden, z. B. für Arten, die generell keine großen Ansammlungen bilden. Durch die Aufstellung von quantitativen Kriterien zur Bewertung auf unterschiedlichen Ebenen, von interna tional, national, landesweit, regional bis lokal, und zusätzlich unter Berücksichtigung des unterschiedlichen Verbreitungsmusters der Gastvogelarten in Niedersach- sen wird diese Differenzierung möglich. Inzwischen wur- den auch in anderen Bundesländern entsprechende Kri- terien und Schwellenwerte definiert und zur Bewertung der dortigen Gastvogellebensräume zugrunde gelegt (SUDMANN et al. 2017, HENNICKE 2018). Bei den Zahlen Abb. 1: Der Rastbestand der Pfeifente ist in den letzten zehn Jahren deutlich zurückgegangen. Hooksiel, Januar 2017 (Foto: Thorsten Krüger) Inform.d. Naturschutz Niedersachs. 2/2020 51
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Origin: /Land/Niedersachsen/NLWKN
Tags: Silbermöwe ? Hannover ? Niedersachsen ? Haubentaucher ? Vogel ? Seen ? Raumordnungsprogramm ? Anlagengenehmigung ? Bauleitplanung ? Verkehrsweg ? Wattenmeer ? Windkraftanlage ? Landschaftsrahmenplan ? EU-Vogelschutzgebiet ? Bewertungskriterium ? Bewertungsverfahren ? Brutgebiet ? Energie ? Energiebedarf ? Flächennutzung ? Klimaschutz ? Energiereserven ? Schwellenwert ? Wasserwirtschaft ? Naturschutz ? Kommunalebene ?
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