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Regierungserklärung von Ministerpräsident Prof. Dr. Wolfgang Böhmer ?Reformen braucht das Land?

Description: Staatskanzlei - Pressemitteilung Nr.: 122/03 Staatskanzlei - Pressemitteilung Nr.: 122/03 Magdeburg, den 13. März 2003 Regierungserklärung von Ministerpräsident Prof. Dr. Wolfgang Böhmer ¿Reformen braucht das Land¿ Es gilt das gesprochene Wort! (Anrede) Wir wissen uns einig in dem Ziel, den Menschen in unserem Land wieder eine Perspektive zu geben. Dies ist auch das erste und wichtigste Ziel der Landesregierung. Dazu gehört, alles zu tun um im eigenen Land Arbeitsplätze zu schaffen. Wir wollen, dass jeder in Eigenverantwortung über sein Schicksal bestimmen soll und wissen, dass dies nur dann geht, wenn er sich durch eigene Arbeit die materiellen Grundlagen dazu selbst erarbeiten kann. Dabei waren wir bisher weniger erfolgreich als wir es erhofft hatten. Wer Arbeitsplätze schaffen will muss Arbeitgeber ansiedeln, Investitionen rechtlich begünstigen und für die vorhandenen Arbeitgeber für Arbeit und für Umsatz sorgen. Diesem Ziel haben wir viele andere nachgeordnet, dafür sind wir auch kritisiert worden. Diese Entwicklung hat kleine Erfolge gebracht, aber noch keine bessere Bilanz der Arbeitsplätze. Noch schwimmen wir gegen einen Strom, der stärker ist als wir. Sachsen-Anhalt ist kein abgeschlossenes Wirtschaftsgebiet. Wir sind ein kleiner Teil des Wirtschaftsraumes Deutschland, dessen Regeln auch für uns gelten. Das Bruttoinlandprodukt Sachsen-Anhalts ist im vergangenen Jahr real um 0,5 % gewachsen, das der neuen Bundesländer ohne Berlin um 0,1 %, das der Bundesrepublik insgesamt um 0,2 %. Die neuen Bundesländer entwickeln sich wieder langsamer als die alten. Unsere besseren Wirtschaftsdaten sind durch ein Wachstum von 7,3 % im verarbeitenden Gewerbe und von 8,4 % in der Ernährungsgüterwirtschaft bedingt und werden neutralisiert durch erhebliche Rückgänge in der Bauwirtschaft und auch im Dienstleistungsbereich. Die Arbeitslosenquote ist auf 21,7 % im Februar d.J. gestiegen; bundesweit sind über 4,7 Mio. Menschen arbeitslos gemeldet. Die tatsächliche Zahl soll erheblich größer sein. Im Januar dieses Jahres befanden sich bei uns 11.720 geförderte Arbeitnehmer in SAM und 13008 geförderte Arbeitnehmer in ABM. Im Fort- und Weiterbildungsbereich wurden 22.714 Teilnehmer gefördert. Wenn jetzt die Finanzmittel dafür erheblich gekürzt werden sollten kann sich jeder ausrechnen, was das bedeutet. Trotz angestrengter Investitionsbemühungen geht die Zahl der Erwerbstätigen in den neuen Bundesländern jährlich um 1-2 % zurück; in Sachsen-Anhalt am stärksten. In den Bereich der Chemischen Industrie wurden von 1991 bis 2001 insgesamt 7,6 Milliarden ¿ investiert. Der Umsatz ist allein von 2001 bis 2002 um mehr als 6 % gestiegen, die Zahl der Arbeitsplätze kaum noch. Was wir auch tun und wie viel wir uns auch gegenseitig zumuten, um eine bessere wirtschaftliche Entwicklung zu erreichen, gegen einen bundesweiten Trend werden wir es nicht schaffen. Deshalb brauchen wir eine andere Politik in Deutschland. Der deutsche Aktienmarkt hat in 2002 ca. 40 % seiner Werthaltigkeit verloren. Im ersten Quartal 2003 zusätzlich noch einmal 21 %, der übrige europäische Markt nur 15,6 %, der US-amerikanische 9,4 %. Einige große deutsche Gesellschaften haben einen Aktienwert teilweise unterhalb des Buchwertes und werden damit disponibel. Deutschland gilt für viele nicht mehr als werthaltiger Wirtschaftsstandort. Gegen diesen Trend können wir in einem kleinen neuen Bundesland mit knapp 3 % aller Einwohner Deutschlands keinen grundlegenden wirtschaftlichen Aufschwung organisieren und keine nennenswerte Zahl neuer Arbeitsplätze schaffen. Wir brauchen grundlegende Reformen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Wir müssen die Lohnstückkosten und damit unsere wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit entlasten von den zusätzlichen Lasten unserer sozialen Sicherungssysteme. Die großen sozialen Sicherungssysteme, auf die wir im internationalen Vergleich über einhundert Jahre stolz sein konnten, wurden gegen Ende des 19. Jahrhunderts bei einer völlig anderen demografischen Bevölkerungsschichtung als kapitalgedeckte Versicherungskassen gegründet. Nach der Inflation Anfang der 20-er Jahre des vorigen Jahrhunderts wurden daraus umlagefinanzierte Versicherungskassen. Die Sozialgerichte erweiterten kontinuierlich die Leistungspflicht. Ein völlig geändertes generatives Verhalten hat die Bevölkerungsstrukturen umgeschichtet. Der Arbeitsmarkt ist durch die Automatisierungstechnologien völlig verändert worden. Hohe Arbeitslosigkeit führt zu Einnahmeverlusten bei den Versicherungskassen und im Steuersystem. Durch zusätzliche Lasten für die Rentenversicherung soll der Arbeitsmarkt entlastet werden. Die gesetzliche Krankenversicherung finanziert staatlich gewollte Sozialleistungen. In der Wirtschaft werden Investoren als Anreiz zur Schaffung von Arbeitsplätzen mit Einnahmen aus der Lohnsteuer von Arbeitnehmern gefördert. Damit soll der Nachteil ausgeglichen werden gegenüber Investitionsstandorten mit niedrigeren Tarifen oder besserer Infrastruktur. Keines der Systeme funktioniert mehr durch Eigenregulation und bedarf der staatlichen Stützung aus dem Steuersystem. Das ist eine Belastung für den Wirtschaftsstandort im internationalen Vergleich und auch auf nationaler Ebene, weil die Wirtschaftskraft der neuen Länder unter diesen Bedingungen nicht gegen den Trend aufgebaut werden kann. Ein Handwerker muss selbst 3-4 Stunden arbeiten, um sich eine Stunde Arbeitszeit eines anderen Handwerkers leisten zu können. Das einzige was dadurch wächst ist die Schwarzarbeit. Eine Deregulierung des Arbeitsmarktes ist sicher keine Garantie für eine Belebung der Wirtschaft, aber eine notwendige Voraussetzung. Alle politischen Parteien sehen den riesigen Reformbedarf auf Bundesebene. Von keiner gibt es bisher ein überzeugendes Lösungskonzept. Gemeinsam sind wir verpflichtet, danach zu suchen und dafür Mehrheiten zu finden. Natürlich ist die jeweilige Regierung verpflichtet, Vorschläge vorzulegen. Dass unterschiedliche politische Parteien in einer Demokratie sich über den besten Lösungsweg streiten, ist auch für uns inzwischen normal. Wichtiger als jede Parteipolemik ist eine breite Überzeugung in der Bevölkerung, dass es ohne grundlegende Reformen nicht weitergehen kann. Weder auf der Ebene der Bundespolitik noch bei uns in Sachsen-Anhalt werden wir zu notwendigen Reformen fähig sein, wenn jeder nur über Veränderungen bei anderen nachzudenken bereit ist, ohne auch für den eigenen Verantwortungsbereich Alternativen zuzulassen. In der letzten Zeit wird eine gegenüber dem Bundestag andere parteipolitische Mehrheit im Bundesrat als Reformhindernis in Deutschland angesehen. Das ist schlicht falsch. Der Kompromiss bei den sog. Hartz-Gesetzen zum Arbeitsmarkt beweist, dass es nicht so sein muss, wenn man aufeinander zuzugehen bereit ist. Während der letzten Wahlperiode des Bundestages haben von den Gesetzes-Initiativen der Bundesregierung 91 % Gesetzeskraft erlangt, von den Gesetzes-Initiativen des Bundestages waren es sogar 99 %. Dagegen sind von den Gesetzes-Initiativen des Bundesrates lediglich 23 % vom Bundestag beschlossen worden. Wenigstens diese statistische Erfolgswahrscheinlichkeit von Bundesratsinitiativen sollte auch der Landtag kennen. Ein Problem ist die zunehmende konkurrierende Gesetzgebung des Bundes, wodurch unnötig viele Initiativen der Bundesregierung zustimmungspflichtig werden. Das Verfassungsgebot gleichwertiger Lebensverhältnisse verlangt keinen staatlichen Zentralismus und lässt unterschiedliche Regelungen in den Ländern zu. Nicht sinnvoll erscheint mir der Vorschlag, ein Problem bundeseinheitlich zu regeln und danach Länderkompetenz als Modellregion zulassen zu wollen. Wenn eine zur Erprobung angebotene Möglichkeit nicht überzeugt, wird es niemand tun und wenn sie überzeugend ist, werden es alle tun wollen und dann notfalls beim Verfassungsgericht einklagen. Trotzdem haben wir uns als eine solche Region angeboten, weil wir zusätzliche Freiräume brauchen. In jedem Fall käme dann auch auf den Landtag eine größere Verantwortung zu, weil ausgesetzte Bundeskompetenz dann durch den Landesgesetzgeber ausgefüllt werden müsste. Eine Föderalismuskonferenz zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung erarbeitet gegenwärtig Vorschläge dafür. Ein wichtiges Problem wird eine Reform der Mischfinanzierungstatbestände sein, die entflochten werden sollen. In Sachsen-Anhalt werden durch diese Mischfinanzierungen ca. 42 % aller Investitionen festgelegt. Bis Ende dieses Jahres sollen dazu Reformen erarbeitet werden. Bei manchen Mischfinanzierungen würden schon kleinste Definitionsänderungen für uns größere Entscheidungsfreiheit bedeuten. Mit den Finanzmitteln für Gemeinschaftsaufgaben nach Artikel 104 GG können Wirtschaftsbetriebe und wirtschaftsnahe Strukturen gefördert werden. Die Sanierung einer Berufsschule ist damit möglich, nicht aber Reparaturen in einer Sekundarschule. Ein Konsens darüber, dass diese auch zur Entwicklung eines Wirtschaftsstandortes gehören, würde uns viel helfen. In der Diskussion ist die Länderkompetenz für die ausschließlichen Ländersteuern. Zunächst hat das dazu geführt, dass der Vorschlag leistungsfeindlicher Neidsteuern wenigstens von den Verantwortungsträgern nicht weiter verfolgt wird. Das würde zwangsläufig auch zu einer Reform des innerdeutschen Finanzausgleichsystems führen müssen. Eine Steuerreform ist sicher notwendig. Bei den gegenwärtig großen Unterschieden der Steuerkraft einzelner Länder müssen wir sehr warnen vor dem Begriff eines Wettbewerbsföderalismus, solange nicht Chancengleichheit beim Start organisierbar ist. Überzeugender scheint mir ein anderer Weg. Innerhalb der Europäischen Union ist es längst üblich, für bestimmte Regionen in Abhängigkeit von der regionalen Wirtschaftskraft abweichende gesetzliche Vorschriften zuzulassen. Auch innerhalb Deutschlands würde das nicht dem Grundgesetz widersprechen. Wir erwarten keine gesetzlichen Sonderregelungen für die neuen Bundesländer. Wir halten aber bundesweit geltende Gesetze für möglich mit Sondervorschriften für Regionen mit besonders hoher Arbeitslosigkeit oder besonders niedrigem Bruttoinlandprodukt pro Einwohner. Als ersten Versuch dieser Art wird die Sächsische Staatsregierung morgen einen Gesetzentwurf in den Bundesrat einbringen, der eine solche Regelung enthält. In einem Entwurf für ein Arbeitsmarkthemmnisseabbaugesetz wird vorgeschlagen, dass eine Reihe von arbeitsrechtlichen Vorschriften in den Ländern ausgesetzt oder modifiziert werden sollen, deren Arbeitslosigkeit an einem Stichtag 50 % höher ist als der Bundesdurchschnitt. Wir werden dem Entwurf nicht beitreten, weil er auch Vorschläge enthält, denen ich mich in der vorläufigen Fassung nicht anschließen könnte. Wir sind aber sehr gespannt darauf wie der Bundestag auf den Vorschlag zur Regionalisierung von Rechtsnormen eingehen wird. Hier sehen wir Reformmöglichkeiten einfach durch die Übernahme europäischer Verwaltungspraktiken. Bevor wir uns jenen Reformen zuwenden, für die wir in unserem Land zuständig und verantwortlich sind, ist es hilfreich, noch auf notwendige Reformen innerhalb der EU hinzuweisen. Zurzeit bereitet ein europäischer Konvent eine europäische Verfassung vor. Nur 74 Regionen in 8 von 15 Mitgliedsstaaten der europäischen Union haben Selbstvertretungskörperschaften mit Gesetzgebungskompetenz. Deren Einordnung in die legislativen und exekutiven Hierarchien der europäischen Union ist noch nicht ausdiskutiert. Viele Staaten bereiten Reformen vor und orientieren sich dabei an den Strukturen der Bundesrepublik. Wir unsererseits drängen auf Reformen der Förderpolitik. Allein durch die Veränderung des 75 %-Bruttoinlandprodukt-Grenzwertes fallen zukünftig 18 Regionen aus den Förderregionen I-Konditionen, ohne dass sich ihre Wirtschaftskraft verbessert hat. Wir suchen jetzt gemeinsam nach Reformen zur Neutralisierung des statistischen Kohäsionseffektes. Von den 21 Mio. davon betroffenen EU-Bürgern leben mehr als die Hälfte in den neuen Bundesländern Deutschlands. Für unsere weitere Entwicklung werden diese Reformen von großer Bedeutung sein. Das ist der Hintergrund, vor dem wir die Reformen in unserem Land organisieren müssen. Das sicher geringer werdende Fördervolumen aus der EU und der degressive Zuschuss aus dem Solidarpakt müssen durch steigende eigene Steuereinnahmen kompensiert werden, wenn wir das gegenwärtige Ausgabenvolumen wenigsten gleich hoch halten wollen. Dazu sind noch viele Veränderungen notwendig. Dabei dürfen Reformen der Selbstverwaltung niemals zum Selbstzweck werden. Sie sollen helfen unser Hauptziel zu erreichen, nämlich die Wirtschaftskraft zu verbessern und Arbeitsplätze im Bereich der Wertschöpfung zu schaffen. Deshalb gilt der Grundsatz: so viel Reform wie nötig, aber so wenig Durcheinander wie möglich. Unser wichtigstes Reformziel in dieser Legislaturperiode muss eine Verwaltungsreform sein, mit dem Ziel, effizienter und transparenter Verwaltungsstrukturen unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Wirtschaftskraft der Regionen innerhalb unseres Landes. Der Landtag hat dazu in früheren Legislaturperioden schon eine Reihe von Beschlüssen gefasst. Sie werden uns Orientierung sein, ohne dass wir uns daran kritiklos binden. Im Januar 2002 wurde ein Grundsatzbeschluss zur Kommunalisierung von Verwaltungsaufgaben gefasst. Bereits damals habe ich in der Diskussion darauf hingewiesen, dass wir nicht zuerst heroische Beschlüsse fassen sollten und danach erst ausrechnen, was es uns kostet und was effektiver sein würde. Mir ist damals entgegen gehalten worden, dass Bürgernähe ein Wert an sich sei und dass das natürlich auch etwas kosten wird. Die finanzielle Situation der Kommunen und des Landes verbieten uns Reformschritte, die zu noch höheren Kosten führen könnten. Wir werden deshalb erst rechnen und dann neu entscheiden. Nach Meinung des Städte- und Gemeindebundes hätte jede Aufgabenverlagerung seit 1995 die kommunalen Defizite ständig weiter erhöht. Die Finanzsituation der Kommunen ist grundsätzlich reformbedürftig. Auf Bundesebene wird eine dazu eingesetzte Kommission noch in diesem Jahr Vorschläge dazu erarbeiten. Immer wieder vorgeschlagen wird eine Zusammenführung der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe. Das mag richtig sein. Bisher diskutiert wird, diese gemeinsame Leistung dann für Arbeitsfähige von der Arbeitsverwaltung und für nicht mehr Arbeitsfähige von der Kommune auszuzahlen. Bei der hohen Arbeitslosigkeit, den schlechten Vermittlungschancen und der Altersstruktur der Betroffenen wäre das für unsere Kommunen mit ihrem weit unterdurchschnittlichen Gewerbesteueraufkommen eine völlig inakzeptable Lösung. Hier müssen wir Vertreter der neuen Bundesländer darauf achten, dass nicht die Proportionen der alten Bundesländer zum Entscheidungsmaßstab werden. Noch bevor die Rahmengesetze des Bundes feststehen werden wir innerhalb des Landes unsere Beteiligungsquoten neu festlegen. So weit wie möglich und an der Einwohnerzahl orientiert verteilungsgerecht sollen einzelne Fördertitel in den allgemeinen Finanzausgleich umgesetzt werden. Das wird weniger sein als die Kommunalvertreter wünschen, aber sicher mehr als bisher. Ich habe Verständnis für den Wunsch der kommunalen Spitzenverbände nach einer verlässlichen Verbundquote und stabilen Strukturen. Nur vor diesem Hintergrund wird es Konsens auch für die Kommunalisierung von Verwaltungsfunktionen geben können. Die Umsetzungsprobleme sind noch nicht alle geklärt und bleiben eine Aufgabe der Exekutive. Das alles wird länger dauern als ich erhofft und vermutet hatte. Ein noch kontrovers diskutiertes Thema sind Probleme der Aufgabenzuordnung im Rahmen einer interkommunalen Verwaltungsreform. Die Meinungsbreite ist groß. Auch hier sollten wir zuerst rechnen und dann entscheiden. Für die Trägerschaft bestimmter kommunaler Aufgaben ist eine Mindesteinwohnerzahl unerlässlich. Sowohl das Verlagern von Zuständigkeiten als auch das Ändern von Strukturen muss möglich sein. Am Ende müssen Strukturen stehen, die eine möglichst effiziente Verwaltungsorganisation auch auf kommunaler Ebene ermöglichen. Selbst bei großem Respekt vor gemeindlicher Selbstverwaltung wäre es wirtschaftlich nicht vertretbar, auf der kommunalen Ebene parallele Verwaltungsstrukturen vorzuhalten, die sich die zu erfüllenden Aufgaben teilen. In der Praxis hat es sich bewährt, für einige Aufgaben des eigenen Wirkungskreises eine koordinierte Aufgabenwahrnehmung aller Mitgliedsgemeinden in der Verwaltungsgemeinschaft zu organisieren. Vertreter aller kommunaler Spitzenverbände erwarten von uns solche Reformen. Für die notwendige Ordnung dieser Probleme wird die Landesregierung in systematischer Reihenfolge dem Gesetzgeber Entwürfe zur Entscheidung vorlegen. Immer wieder neu werden wir dann mit dem Vorwurf konfrontiert, eine Verwaltungsreform müsste wegen der unterschiedlichen Einwohnerzahlen mit einer gleichzeitigen kommunalen Gebietsreform durchgeführt werden. Wir halten das für falsch. Noch nie hat ein Bundesland zwei so einschneidende Reformen gleichzeitig durchgeführt. Unsere wichtigste Aufgabe ist die Entwicklung des Wirtschaftsstandortes und nicht die Umorganisation der Selbstverwaltung. Das gilt für alle Verwaltungsebenen. Nur zur Einordnung dieses Problems einige Vergleichszahlen aus anderen Bereichen: - Nach der EU-Erweiterung wird der größte Staat innerhalb der Union ca. 205-mal größer sein als der Kleinste. Alle Probleme werden durch Instrumente einer Funktional- und Verwaltungsreform gelöst und niemand wird Gebietsreformen vorschlagen. - Innerhalb der Bundesrepublik hat das größte Land fast 30-mal mehr Einwohner als das Kleinste. Bisher konnten alle Probleme durch Funktional- und Verwaltungsreformen gelöst werden. Seit fünfzig Jahren werden immer wieder einmal Gebietsreformen vorgeschlagen, für die es bisher keine Mehrheiten gab. Unsere gegenwärtigen Probleme würden wir dadurch nicht lösen. - Innerhalb Sachsen-Anhalts hat der größte Kreis etwa 2-mal mehr Einwohner als der Kleinste. In anderen Ländern ist diese Spreizung noch viel größer ohne dass sie darin ein Problem sehen. Unsere gegenwärtigen Defizite würden wir durch gesetzlich erzwungene Gebietsreformen nicht lösen, wohl aber vorübergehend erschweren. Deshalb werden wir zunächst schrittweise und mit zielstrebiger Konsequenz die Verwaltungsreform durchführen und danach über die nächsten Notwendigkeiten sprechen. Ich habe bereits in meiner Regierungserklärung darauf hingewiesen, dass die Durchführung der Verwaltungsreform Auswirkungen auf die gegenwärtigen kommunalen Gebietsstrukturen haben wird. Für die Entwicklung unseres Landes sind gegenwärtig andere Reformen wichtiger. Wir haben begonnen mit einer Bildungsreform, die weit mehr bedeutet als ein Abitur nach 12 Jahren. Inzwischen ist überall deutlich, dass eine Reform der Inhalte und Strukturen des gesamten Bildungswesens notwendig ist. Wir werden beginnen mit einer Reform unserer Strukturen im Hochschulwesen. Die Universität Mannheim in Baden-Württemberg ist kürzlich vom Zentrum für Hochschulentwicklung ausgezeichnet worden, weil sie zu Gunsten eines eigenen schärferen Profils zur Schließung einzelner Fächer bereit war, um freie Ressourcen zur strategischen Entwicklung zu gewinnen. Das brauchen auch unsere Hochschulen. Wir möchten, dass sie durch innere Profilierung und abgestimmte Spezialisierung wettbewerbsfähige und damit zukunftsfähige Strukturen finden, die auch langfristig finanzierbar bleiben. Wir prüfen die Übernahme eines Vorschlages aus Nordrhein-Westfalen, in einem Wissenschaftszentrum des Landes alle Servicefunktionen für Universitäten und Hochschulen zu bündeln. Das würde die einzelnen Einrichtungen entlasten und das Land müsste diese Aufgabenerledigung nur einmal bezahlen. Mit einer Reform der Polizeistrukturen wurde bereits begonnen. Wir denken zur Zeit nach über eine Reformierung unserer Sparkassen, die wir als wettbewerbsfähige Finanzdienstleister für die Entwicklung unserer mittelständischen Wirtschaftsstrukturen dringend benötigen. Nicht nur bei uns, aber eben auch bei uns werden eine Reihe von Strukturreformen notwendig sein zur Anpassung an die demografische Entwicklung. Sinkende Schülerzahlen werden von der Grundschule bis zum Gymnasium durchlaufend eine geringere Anzahl von Lehrern und Schulen nötig machen. Die Schwierigkeiten konkreter Anpassungsentscheidungen sind bekannt. Ein absolut und relativ höherer Anteil älterer Mitbürger verlangt nicht nur Reformen der Altersvorsorge, sondern auch Strukturentscheidungen für die ambulante und stationäre Betreuung. Der bisherige Bevölkerungsrückgang hat dazu geführt, dass etwa die Hälfte der Kreise jetzt schon weniger Einwohner haben als unserem Leitbild aus der ersten Legislaturperiode entsprechen würde. Die Statistiker rechnen uns vor, wie diese Entwicklung weiter gehen könnte und aus demografischen Gründen auch weiter gehen wird. Die Wanderungsbilanz von und nach Sachsen-Anhalt ist immer noch negativ. Die Bevölkerungszahl des Landes sinkt jährlich um ca. 0,9 %. Diese Entwicklung kann kurzfristig nicht aufgehalten werden. Nur durch eine systematische Verbesserung der Lebenschancen im Land können wir gegensteuern. Wenn wir jetzt die Neuformierung von Verwaltungsgemeinschaften über bisherige Kreisgrenzen hinweg bewusst zulassen, kommt eine Entwicklung in Gang, deren Eigendynamik vorhersehbar ist. Wir werden sie nicht bremsen sondern steuern. Manches hat sich völlig freiwillig und unbemerkt vom Rest der Welt entwickelt. Von der kleinen Stadt Jessen wurden in den letzten zehn Jahren 14 Kleinstgemeinden eingemeindet, so dass sie jetzt die flächenmäßig größte Stadt Sachsen-Anhalts geworden ist. Das ist für mich ein Beispiel weitsichtiger Kommunalpolitik unter Respektierung subsidiärer Entscheidungskompetenz. Inwieweit andere diskutierte Gebietsänderungen vom Gesetzgeber Entscheidungen verlangen werden, bleibt abzuwarten. Dass eine Verringerung der Anzahl von Verwaltungseinheiten wenigstens mittelfristig auch zu Personaleinsparung führt ist unstrittig. Ich bin sicher, dass zu gegebener Zeit auch eine solche Reform notwendig werden wird! Die modernen, internetbasierten Kommunikationstechnologien lassen manche dieser Diskussionen jetzt schon als antiquiert erscheinen. Als erstes Bundesland hat Baden-Württemberg ein elektronisches Bürgerdienste-Portal aufgebaut. Das Landesportal ist für alle Kommunen geöffnet und bietet Service für fast alle Verwaltungsfunktionen. Die Bürger müssen kaum noch zu einem Amt. Beim Aufbau eines Landesverwaltungsamtes wollen wir Entscheidungsprozesse und Kompetenz zentralisieren, nicht unbedingt die Verwaltungsarbeit. Moderne Systemanbieter auch aus Sachsen-Anhalt arbeiten an Systemlösungen für dezentrale Verwaltungen in anderen Bundesländern. Da müssen auch wir uns aus den Denkvorstellungen des vergangenen Jahrhunderts befreien. Wir wollen Sachsen-Anhalt nicht für gestern aufbauen, auch nicht nur für heute, sondern für morgen und übermorgen. Es war mir wichtig vorzutragen, dass in der nächsten Zeit auf allen Ebenen ¿ vom Konvent der Europäischen Union über Bundestag und Landtage bis zu unseren Kreis-, Stadt- und Ortsräten eine Fülle von Reformschritten zu entscheiden sein werden, die alle für unsere zukünftige Entwicklung notwendig sind. Das wird im Einzelfall von uns verlangen, uns selbst mit zu bewegen und uns aus der Befangenheit in bisherigen Denknormen zu befreien. Um die Zukunft zu gestalten, wird es nicht genügen, gegenwärtige Strukturen bewahren zu wollen. Dazu bedarf es zwischen Regierung und Gesetzgeber auch einer Übereinkunft über die Reihenfolge der einzelnen Schritte und gemeinsamer Entscheidungsmaximen. Alle Entscheidungen zu den Strukturen der Selbstverwaltung und den Reformen der Risikoabsicherung müssen getroffen werden unter den Sachzwängen der Entwicklung und Gestaltung des Wirtschaftsstandortes Sachsen-Anhalt. Nur wenn es uns gelingt, unser Land zu einem werthaltigen Wirtschaftsstandort zu entwickeln, einem Land, in das auch andere sich einbringen weil sie sehen wie entschlossen wir uns selbst einbringen, nur dann werden wir im Wettbewerb der Regionen eine Chance haben. Impressum: Staatskanzlei des Landes Sachsen-Anhalt Pressestelle Domplatz 4 39104 Magdeburg Tel: (0391) 567-6666 Fax: (0391) 567-6667 Mail: staatskanzlei@stk.sachsen-anhalt.de Impressum: Staatskanzlei des Landes Sachsen-Anhalt Pressestelle Hegelstraße 42 39104 Magdeburg Tel: (0391) 567-6666 Fax: (0391) 567-6667 Mail: staatskanzlei@stk.sachsen-anhalt.de

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Region: Magdeburg

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License: all-rights-reserved

Language: Deutsch

Issued: 2003-03-13

Time ranges: 2003-03-13 - 2003-03-13

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