Description: Rote Listen Sachsen-Anhalt Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt 39 (2004) Rote Liste der Schaben (Blattoptera) des Landes Sachsen-Anhalt Bearbeitet von Michael WALLASCHEK unter Mitarbeit von Ulrich MIELKE und Eckart STOLLE (2. Fassung, Stand: Februar 2004) Einführung Die Schaben sind nach BEIER (1961) die einzige heute noch lebende Insektenordnung, die sich in ununterbrochener Reihe bis in das mittlere Ober- karbon zurückverfolgen lässt. Die große Zahl von fossilen Resten aus den paläozoischen Schich- ten der ganzen Welt, die alle übrigen Insekten- reste weitaus übertrifft, legt nahe, dass die Ord- nung am Ausgang des Karbon und im Perm hin- sichtlich Formenmannigfaltigkeit sowie Arten- und Individuenreichtum den Höhepunkt ihrer Entwick- lung erreicht hat und seither langsam im Rück- gang begriffen ist. Der ursprüngliche Lebensraum der charakteristisch abgeflachten, im Umriss ova- len und laufstarken Tiere ist wohl in den feucht- warmen, dunklen, tropischen Urwäldern zu su- chen, wo sie zahllose geeignete Verstecke im Bodenlaub, unter Steinen und loser Rinde sowie Nahrung in Form tierischer und pflanzlicher Stof- fe im Überfluss finden. Hier lebt auch heute noch ein Großteil der ca. 4.000 rezenten Arten (GÜN- THER 2000). Datengrundlagen In Deutschland sind bisher mindestens 15 Arten gefunden worden, davon acht freilebende und sie- ben synanthrope (BOHN 1989, GÖTZ 1965, HARZ 1960, SCHIEMENZ 1978, VATER & LÖFFLER 1989, WALLASCHEK 1998). Aus dem Land Sachsen-An- halt liegen Fundortangaben von zehn Schaben- arten vor (MIELKE 2000a, 2001, WALLASCHEK et al. 2002). Letztere Arbeit enthält die aktuelle Check- liste sowie die Liste der faunistischen Primärlite- ratur und wichtiger Beiträge der Sekundärlitera- tur über die Schaben in Sachsen-Anhalt. Wie in diesem Beitrag richtet sich im Folgenden die Sys- tematik und Nomenklatur der Blattoptera nach HARZ & KALTENBACH (1976). Hinsichtlich der deut- schen Namen folgen wir HARZ (1957). Für die Sy- nonyma wird auf ZACHER (1917), HARZ (1957) und HARZ & KALTENBACH (1976) verwiesen. Die letzten beiden Bücher sowie GÖTZ (1965) sind wichtige Bestimmungswerke. Synanthrope, kosmopolitisch verbreitete Arten des Landes Sachsen-Anhalt sind Pycnoscelus surina- mensis (LINNAEUS, 1758), Blatta orientalis LINNAE- US, 1758, Periplaneta americana (LINNAEUS, 1758), P. australasiae (FABRICIUS, 1775), Blattella germa- nica (LINNAEUS, 1767) und Supella longipalpa (FA- BRICIUS, 1798). Aus der Neotropis wird gelegent- lich Blaberus craniifer BURMEISTER, 1838 einge- schleppt. Die von KÜHLHORN (1955) genannte Pan- chlora viridis bleibt wegen der Frage der richti- gen Determination unsicher. Die synanthropen Schabenarten erlangen vor allem als Überträger von Krankheitserregern, daneben auch als Vor- rats-, Material- und Pflanzenschädlinge Bedeu- tung (BEIER 1961, VATER et al. 1992). Trotz ihrer eminenten Tragweite für das Gesundheits- und Veterinärwesen ist der faunistische Kenntnisstand über die synanthropen Arten nach wie vor sehr schlecht (vgl. WALLASCHEK et al. 2002). Die auf die- sen Gebieten tätigen Fachleute, Behörden und Betriebe sind aufgerufen, eigenständige Beiträge zur Beseitigung dieses Missstandes zu leisten. Die freilebenden Schabenarten kollidieren hinge- gen als pantophage Waldbewohner in keiner Weise mit den Interessen des Menschen, wenn man nicht gelegentliches Eindringen von Ectobi- us lapponicus in Waldhäuser (WEIDNER 1972, MIEL- KE 2000b) als Belästigung einstufen will. Es zeich- net sich im Gegenteil ab, dass dieser Artengrup- pe neben ihrer nicht unwichtigen Wirkung im Stoff- kreislauf des Waldes auch Bedeutung für die Be- wertung von Waldlandschaften im Zuge von Planungen des Naturschutzes und der Land- schaftspflege zukommt (WALLASCHEK 1997, 2002). Bemerkungen zu ausgewählten Arten; Gefährdungsursachen und erforderliche Schutzmaßnahmen Von den drei freilebenden, indigenen Schabenar- ten des Landes Sachsen-Anhalt zeigen Ectobius sylvestris (PODA, 1761) und Ectobius lapponicus (LINNAEUS, 1758) eine europäische Verbreitung. Der Kenntnisstand zu beiden Arten hat sich zwar verbessert, doch ist die Zahl der Fundmeldungen nach wie vor bescheiden (WALLASCHEK et al. 2002). Es zeichnet sich aber deutlich ab, dass diese bei- den mesophilen und mäßig thermophilen Arten (WALLASCHEK 1997) in den Waldgebieten Sachsen- Anhalts weit verbreitet und ihre Bestände nicht gefährdet sind. Das Areal von Phyllodromica maculata umfasst Südost- und Mitteleuropa, ist also vergleichsweise klein. Außerdem befinden sich die Bestände der Art im Land Sachsen-Anhalt an der nördlichen Arealgrenze. Sie besiedelt im Landesgebiet Wald- landschaften in der planaren und kollinen Stufe. Hier bewohnt sie stark vertikal und horizontal strukturierte, durchsonnte, warme, trockene bis frische und von Gehölzen dominierte Lebensräu- me. Es handelt sich in Sachsen-Anhalt um Kie- fernforste und lichte Mischwälder, insbesondere deren aufgelockerte und helle Ränder, des Wei- teren um Ginster- und Calluna-Heiden, bebusch- te Heide-Sandmagerrasen-Komplexe, Kalk-Halb- trockenrasen und Kalk-Trockenrasen mit angren- % Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) G -Kategorien D V - 1Sonstige Gesamt 1 --10,0 10,0 zenden Trockengebüschen sowie waldnahe Reit- grasfluren (WALLASCHEK 1997). Gefährdungen der Bestände gehen vom Ver- schwinden solcher komplexen Lebensraumstruk- turen durch Sukzession oder waldbauliche Maß- nahmen aus. Forstarbeiten, die zur Verdichtung aufgelockerter Waldränder (Lückenschluss) und lichter Wälder (Unterbau), zur Aufforstung von tro- ckenem Gras- und Heideland oder zur Beseitigung breiter, vielfältig strukturierter Randstreifen von Forstwegen durch Wegebau führen, gefährden sowohl Lebensstätten als auch Ausbreitungswe- ge der Art. In naturnahen Landschaftselementen der Agrarflur vorkommende Bestände sind von Biozid- und Düngereinträgen, Bebauung und Auf- forstung bedroht. Gesamt Tab. 1: Übersicht zur Einstufung in die sonsti- gen Kategorien der Roten Liste. 10 Zum Schutz der Art sind vor allem die genannten Gefährdungsursachen zu unterbinden. Es sollte üblich werden, breite Forstwegränder mit vielfäl- tig strukturierter Vegetation und Rohbodenstellen zu belassen und nicht aufzuforsten. Des Weite- ren sollten Waldränder zumindest streckenweise keine scharfen Grasland-Wald-Grenzen aufwei- sen. Breite, besonnte, dem Waldrand vorgelager- te und ungenutzte Randflächen sollten erhalten und gefördert werden, insbesondere dann, wenn hier Trockenrasen- oder Heideflecken ausgebil- det sind. Mit Kiefernforsten, Mischwäldern oder Trockengebüschen verzahnte, reich strukturierte Zwergstrauchheiden und Trockenrasen sind zu erhalten und zu fördern. Art (wiss.)Art (deutsch)Kat.Bem. Phyllodromica maculata (SCHREBER, 1781)Gefleckte KleinschabeVV, A Nomenklatur nach HARZ & KALTENBACH (1976), deutsche Namen nach HARZ (1957). Abkürzungen und Erläuterungen, letzte Nachwei- se/Quellen (Spalte Bem.)V- LiteraturSCHIEMENZ, H. (1978): Blattodea Schaben.- In: STRESEMANN, E. (Hrsg.)(1978): Exkursionsfauna für die Gebiete der DDR und der BRD. Bd. 2/1.- Volk und Wissen, Berlin. VATER, G. & H. 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Untersuchungen zu den Auswirkungen von Maßnahmen zur Heide-Pflege (Flämmen, Mahd) auf Glie- derfüßer (Arthropoda).- Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt, SH 3: 29-36 WALLASCHEK, M., MÜLLER, T.J. & K. RICHTER (unter Mitarbeit von A. FEDERSCHMIDT, U. MIELKE, J. MÜLLER, C. NEUNZ, J. OHST, M. OELERICH, M. OSCHMANN, M. SCHÄDLER, B. SCHÄFER, R. SCHARAPENKO, W. SCHÜLER, M. S CHULZE, R. SCHWEIGERT, R. STEGLICH, E. STOLLE & M. UNRUH) (2002): Prodromus für ei- nen Verbreitungsatlas der Heuschrecken, Ohrwürmer und Schaben (Insecta: Ensifera, Caelifera, Dermaptera, Blatt- optera) des Landes Sachsen-Anhalt. Stand 31.01.2002.- Entomol. Mitt. Sachsen-Anhalt, 10(1/2): 3-88. Berichtigung: Entomol. Mitt. Sachsen-Anhalt, 9(2): 63. Verbreitungsschwerpunkt in ST ST - Sachsen-Anhalt A- Arealrand BEIER, M. (1961): Überordnung: Blattopteroidea Martynov, 1938. Ordnung: Blattodea Brunner, 1882.- In: Dr. H. G. BRONNS Klassen und Ordnungen des Tierreichs, 5. Bd: Arthropoda, III. 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Anschriften der Autoren und Mitarbeiter Dr. Ulrich Mielke Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg Medizinische Fakultät Institut für Arbeitsmedizin und Hygiene Leipziger Str. 44 D-39120 Magdeburg Eckart Stolle Stolberger Str. 22 D-06548 Rottleberode E-Mail: stollec@web.de Dr. Michael Wallaschek Agnes-Gosche-Str. 43 D-06120 Halle (Saale) E-Mail: DrMWallaschek@aol.com '
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Language: Deutsch
Issued: 2005-06-15
Modified: 2005-06-15
Time ranges: 2005-06-15 - 2005-06-15
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