Description: Rote Listen Sachsen-Anhalt Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt 39 (2004) Rote Liste der Zikaden (Hemiptera, Auchenorrhyncha) des Landes Sachsen-Anhalt Bearbeitet von Werner WITSACK unter Mitarbeit von Herbert NICKEL (2.Fassung, Stand: Februar 2004) Einführung Die Zikaden sind Pflanzensaftsauger und entneh- men art- bzw. gruppenspezifisch ihre Nahrung dem Phloem, Xylem oder den Parenchymzellen ihrer Wirtspflanzen. Dabei können sie Pflanzenviren übertragen und dadurch als Pflanzenschädlinge von größerer Bedeutung sein. Der Saftentzug schä- digt ihre Wirtspflanzen dagegen meist nicht wesent- lich. Die überwiegende Mehrzahl der Arten legt ihre Eier in das Gewebe der Wirtspflanzen. Die teilweise sehr enge Bindung an spezielle Wirtspflanzen, aber auch die spezifischen Habitatsansprüche lassen sie als gute Bioindikatoren insbesondere in Offenland- habitaten erscheinen (ACHTZIGER 1999). Für die verschiedenen Habitattypen (von Trockenrasen bis zu Feuchtwiesen, Mooren und Sümpfen) können typische Gilden zusammengestellt werden. Durch die sehr differenzierten Reaktionen der verschie- denen Arten auf Veränderungen in den Öko- systemen lassen sie sich besonders gut z.B. als Bioindikatoren für Umweltgutachten, Monitoring- und Naturschutzmaßnahmen verwenden. Dies wird durch die zumeist hohen Arten- und Indivi- duenzahlen an den Standorten und die relativ gute Erfassbarkeit mit einfachen Fangmethoden noch gefördert. Zikaden galten bisher für den Nichtspezialisten als praktisch kaum determinierbare Insektengruppe, da es an neuerer deutscher Bestimmungslitera- tur fehlte. Diese Situation wird sich in naher Zu- kunft durch die Herausgabe von zwei unterschied- lich konzipierten Bestimmungswerken der Zika- den Mitteleuropas bzw. Deutschlands deutlich verbessern. Ein erster Teil ist bereits erschienen (HOLZINGER et al. 2003). Zusammenfassende Dar- stellungen über die Biologie, Ökologie und Ge- fährdung der Zikaden fehlten in der Vergangen- heit weitgehend. Dies hat sich in den letzten Jah- ren durch mehrere Publikationen wesentlich ver- bessert (z.B. NICKEL et al. 1999 - Habitate, Ge- fährdungsfaktoren und Anmerkungen zum Areal; NICKEL & REMANE 2002 - Angaben zu Nährpflan- zen, Lebenszyklus, Areal aller deutschen Arten; NICKEL 2003 - Biologie, Ökologie, Verbreitung al- ler deutschen Arten). Von den für Deutschland sicher nachgewiesenen 620 Zikadenarten (NICKEL & REMANE 2003) wurden für Sachsen-Anhalt im Jahre 1999 insgesamt 394 Arten angegeben (WITSACK 1999a). Durch inten- sivere Nachforschungen wurden bis heute weite- re Arten in unserem Bundesland nachgewiesen, so dass sich die Anzahl auf 421 Arten in Sach- & sen-Anhalt erhöhte (NICKEL & REMANE 2003, i. Druck). Diese entspricht auch etwa der Artenzahl im Nachbarland Sachsen (WALTER et al. 2003, i. Druck). Die erste Fassung der Roten Liste des Landes Sachsen-Anhalt (WITSACK 1995) ordnete von den damals nachgewiesenen 385 Arten insgesamt 176 Arten den Gefährdungskategorien (1, 2, 3, P) zu. Es war eine der ersten Roten Listen der Zikaden in einem deutschen Bundesland und gewissermaßen Vorreiter der Roten Liste der Zikaden Deutschlands (REMANE et al. 1997, REMANE et al. 1998). Diese zweite Fassung kann zwar auf zahlreiche neue Funddaten zurückgreifen, der Erkenntnisstand über einzelne sehr selten zu fangende bzw. für Sach- sen-Anhalt neu nachgewiesene Arten zwang aber (unter Berücksichtigung der Kriterien von BINOT et al. 1998) zur Eingruppierung eines Teils dieser Ar- ten in die Kategorie D. Datengrundlagen Die Grundlage für die vorliegende zweite Fassung der Roten Liste der Zikaden Sachsen-Anhalts ist natürlich die sehr umfassende Bearbeitung der Zikadenfauna des Gebietes der ehemaligen DDR bzw. der ostdeutschen Bundesländer von SCHIE- MENZ (1987, 1988, 1990) und SCHIEMENZ et al. (1996). Diese Arbeiten fassen die bis dahin be- kannten Zikadenfunde von verschiedenen Spezi- alisten wie BORCHERT, FEIGE, HAUPT, KUPKA, LEHMANN, MAERTENS, MICHALK, MÜLLER, REMANE, SCHIEMENZ, WAGNER und WITSACK zusammen und berücksich- tigen die Belege aus Museen und Sammlungen (z.B. DEI, ZIH) sowie die aus der Literatur bekann- ten Angaben. In der Zeit danach wurden eine große Anzahl an neuen eigenen Nachweisen und auch Funden durch andere Zikadenspezialisten (besonders durch W. FRÖHLICH, T. FUNKE, S. HAHN, S. NEUMANN, H. NICKEL, H. SCHÖPKE und S. WALTER) zusammen- getragen. Ein Teil der neueren Nachweise liegt bereits publiziert vor (FUNKE & WITSACK 2002, HAHN & WITSACK 1996, NEUMANN 1997, WITSACK 1997, 1998a,b, 1999a,b,c, 2001, 2003). Verbreitungs- angaben und Nachweise besonderer Arten sind auch in den Arbeiten von HOLZINGER et al. (2003) und NICKEL (2003) zu finden. Die Nomenklatur richtet sich nach NICKEL & REMA- NE (2002) und N ICKEL (2003). An geeigneter deutschsprachiger Bestimmungsliteratur existiert bisher nur der Teil 1 einer fortzuführenden Zusam- menfassung (Fulgoromorpha, Cicadomorpha excl. Cicadellidae - HOLZINGER et al. 2003). Die Deter- mination war bisher eine Sache von Spezialisten, die mit französischen (RIBAUT 1936, 1952, GIUSTI- NA 1989) und skandinavischen (OSSIANNILSSON 1978, 1981, 1983) Bearbeitungen, umfangreicher Spezialliteratur und der eigenen Vergleichssamm- lung zum Ziel gelangten. Literaturangaben sind deshalb häufig kritisch zu beurteilen, zumal für eine Reihe von Arten bzw. Artengruppen der Art- status noch nicht eindeutig geklärt war bzw. ist (vgl. REMANE & FRÖHLICH 1994). Die Zuordnung innerhalb der Roten Liste erfolgte nach den durch BINOT et al. 1998 definierten und von Sachsen-Anhalt übernommenen Gefähr- dungskategorien. In der ersten Fassung der Ro- ten Liste Sachsen-Anhalts (WITSACK 1995) wurde die Kategorie 0 (Ausgestorben oder verschollen) wegen der Datenlage nicht vergeben, da das Feh- len aktueller Funde teilweise auf die geringe Fang- intensität an potentiellen Fundorten der betreffen- den, meist seltenen Arten zurückzuführen war. In dieser zweiten Fassung wird die Kategorie 0 dann verwendet, wenn mit hinreichender Intensität an geeigneten Standorten nach diesen Arten ab dem Jahre 1950 erfolglos gefahndet wurde. Im Gegen- satz zur ersten Fassung wurden in der zweiten auch Arten in die Kategorien R und D eingrup- piert, wenn die Kriterien (BINOT et al. 1998) dies erforderten. Die Kenntnisse über die Verbreitung der Zikaden in Sachsen-Anhalt sind sehr unterschiedlich. Re- lativ gut bearbeitet ist der südöstliche Raum um Halle. Deutliche Reserven gibt es im Harz und dem nördlichen Harzvorland. Der gesamte Norden Sachsen-Anhalts weist die größten Datenlücken auf. Durch das Trockenrasenprojekt des LAU (WIT- SACK 2003) ist die Bearbeitung der Zikaden der Trocken- und Halbtrockenrasen relativ intensiv er- folgt. Wenige Erkenntnisse liegen dagegen über die an Gehölzen lebenden Zikaden vor. Für die weitere Verifizierung des Gefährdungsstatus der Zi- kaden sind zukünftig weitere Untersuchungen in den gering durchforschten Gebieten notwendig. Bemerkungen zu ausgewählten Arten Diese aktualisierte Fassung der Roten Liste Sach- sen-Anhalts umfasst 206 Arten (ca. 49 % der nach- gewiesenen Arten) gegenüber 176 (46 %) der er- sten Fassung. Die Erhöhung der Artenzahl und auch des Anteils der Rote-Liste-Arten ging auch mit der Intensivierung der faunistischen und öko- logischen Tätigkeit der letzten Jahren einher. Neunachweise von seltenen bzw. ökologisch an- spruchsvolleren Arten sowie ein insgesamt viel besserer Kenntnisstand waren Voraussetzung für eine qualifiziertere Einstufung. So wurden u.a. vier Arten (Trigonocranus emmeae, Kelisia haupti, Endria nebulosa, Mocydiopsis attenuata) der Ge- fährdungskategorie R zugeordnet. Der Gefährdungsstatus der Arten der ersten Fas- sung der Roten Liste hat sich nur selten deutlich verändert, so dass die Einstufung in eine höhere Gefährdungskategorie erfolgen musste. Einige Ar- ten, die beispielsweise 1995 als Potentiell gefähr- det galten, wurden in die Gefährdungskategorie 3 (Gefährdet) eingeordnet (z.B. Arocephalus languidus, Florodelphax leptosoma, Jassargus sursumflexus, Jassidaeus lugubris, Rhytistylus proceps, Sorhoanus assimilis oder Xanthodelphax straminea). Die ehemals als nicht gefährdet an- gesehene Dictyophara europaea musste neu in die Rote Liste (Gefährdungskategorie 3) aufge- nommen werden. Die gegenwärtige Gefährdungssituation erforder- te eine Höherstufung von Arten der Gefährdungs- kategorie 3 auf Kat. 2 (Cixius cambricus, Cixius similis, Batracomorphus irroratus, Doratura hor- vathi) bzw. von Kat. 2 auf Kat. 1 (Nothodelphax albocarinata, Mendrausus pauxillus, Psammotet- tix albomarginatus, P. pallidiventris). In die Gefährdungskategorie 0 (ausgestorben bzw. verschollen) mussten die Arten Myndus musivus, Ribautodelphax angulosa, Tettigometra impres- sopunctata, Athysanus quadrum, Deltocephalus maculipes, Eupteryx artemisiae, Handianus ignos- cus, Macropsidius sahlbergi, Macrosteles fieberi und Ophiola transversa eingeordnet werden, da die letzten Nachweise vor dem Jahre 1950 liegen und Nachsuchen bisher erfolglos blieben. Bei einigen Arten erfolgte dagegen eine Herab- setzung des Gefährdungsstatus, z.B. bei Eurysella brunnea von Gefährdungskategorie 1 auf 3. Durch intensivere faunistische Arbeiten in gefährdeten Biotoptypen (Trocken- und Halbtrockenrasen) und ein erweitertes Methodenbesteck - hier die Nut- zung von Bodenfallen - konnte diese bodennahe lebende Art vermehrt nachgewiesen werden. Ei- nige Spezies wie z.B. Zyginidia scutellaris, Gry- potes puncticollis (ehemals Gefährdungskatego- rie 3) und Rhopalopyx vitripennis (ehemals P) konnten aus der Roten Liste eliminiert werden. Die Tabellen 1 und 2 geben einen Überblick über die Gefährdungssituation innerhalb der verschie- denen Familien der Zikaden Sachsen-Anhalts. Demnach sind bei den artenärmeren Familien (Cixiidae, Dictyopharidae, Tettigometridae, Issi- dae, Cicadidae) vergleichsweise viele Spezies als gefährdet anzusehen (Ausnahme: Membracidae). Gefährdungsursachen und erforderliche Schutzmaßnahmen Die Gefährdungsursachen für die Zikaden Deutsch- lands wurden durch NICKEL et al. (1999) und WIT- SACK (1999a) herausgearbeitet und sind wie folgt zu definieren: - direkte Zerstörung der Habitate (z.B. durch Baumaßnahmen, Gesteins- und Torfabbau), - Intensivierung in der Landwirtschaft (z.B. durch Ausräumung der Landschaft, Umnutzung, Che- misierung), - Intensivierung der Forstwirtschaft (z.B. durch Anlage von Monokulturen, Beseitigung von ' Cixiidae Delphacidae Dictyopharidae Tettigometridae Issidae Cicadidae Cercopidae Membracidae Cicadellidae Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) Cixiidae Delphacidae Dictyopharidae Tettigometridae Issidae Cicadidae Cercopidae Membracidae Cicadellidae Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) - - - - - 0 1 1 - 1 - - - - 7 10 2,4 G - - - - - - - - - - - Gefährdungskategorie R 1 2 1 1 6 1 2 15 - - - - 1 - - - 1 - - 1 - - 1 - - - 3 5 30 5 9 543 3 20 1 - - - 1 - 39 64Rote Liste 12 39 1 2 1 1 2 - 84 142 2,115,233,7 1,2 Kategorien D V - - 3 7 - - 1 - 1 1 - - - 2 - - 33 12 38 22 9,0 5,2 12,8 Sonstige Gesamt - 10 - 1 2 - 2 - 45 60 Gesamt 15 76 1 3 3 1 24 2 301 421 Gesamt 15 76 1 3 3 1 24 2 301 421 Tab. 1: Übersicht zum Gefähr- dungsgrad der Zikaden Sach- sen-Anhalts. Tab. 2: Übersicht zur Einstufung in die sonstigen Kategorien der Roten Liste. 14,3 Forstunkräutern, Beseitigung der Waldsäume, Forstschutzmaßnahmen), Aufgabe historischer Nutzungsformen (z.B. Be- weidung, Plaggen, Schneiteln von Kopfbäumen), Beeinträchtigung von Feuchtgebieten, Mooren und Gewässerrändern (Entwässerung, Fluss- regulierung, Eutrophierung), Beeinflussung von Trockenstandorten (wie Halbtrocken- und Trockenrasen, Binnendünen) durch Nutzungsänderungen (Auflassung der Beweidung, Verbuschung, Eutrophierung), Umnutzung von Heiden, Bergwiesen, Restge- hölzen, sogen. Ödland u.ä. (Aufforstung, Inten- sivnutzung, Fehlen der Beweidung und des Plaggens usw.), sonstige Faktoren wie Eutrophierung über die Luft, Zersiedlung der Landschaft etc. sen, Heiden, Binnendünen, Feuchtstandorte und Moore, aber auch Salzstellen, naturnahe Wälder, Waldsäume, sowie Fluss- und Bachauen von be- sonderer Bedeutung. Aus den hier genannten Ge- fährdungsursachen ergeben sich mögliche bzw. notwendige Schutzmaßnahmen für die Zikaden. Danksagung Frau Dr. S. WALTER und Frau Dr. S. NEUMANN und den Herren Dr. W. FRÖHLICH, T. FUNKE, Dr. S. HAHN und Dr. H. SCHÖPKE sei an dieser Stelle für die Überlassung von Funddaten ganz herzlich ge- dankt. Dank gebührt Herrn Prof. Dr. REMANE für die Bestätigung von taxonomisch problematischen Arten sowie Frau Dr. S. WALTER und Herrn Dr. EMMRICH für die Diskussionen um den Gefähr- dungsstatus von Zikaden in Mitteldeutschland. Von den gefährdeten Habitatstrukturen sind für die Zikaden besonders Halbtrocken- und Trockenra- Art (wiss.)Kat. Cixiidae Cixius beieri WAGNER,1939 Cixius cambricus CHINA, 1935 Cixius distinguendus KIRSCHBAUM,1868 Cixius dubius WAGNER,1939 Cixius similis KIRSCHBAUM,1868 Cixius simplex (HERRICH-SCHÄFFER, 1835) Cixius stigmaticus (GERMAR,1818) Hyalestes obsoletus SIGNORET, 1865 Myndus musivus (GERMAR,1825) Pentastiridius leporinus (LINNAEUS, 1761) Reptalus panzeri (LÖW, 1883) Trigonocranus emmeae (FIEBER, 1876)2 2 3 3 2 3 2 1 0 2 2 R ! Bem. 19) 1947 14)
Origin: /Land/Sachsen-Anhalt/LAU
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Language: Deutsch
Issued: 2005-06-15
Modified: 2005-06-15
Time ranges: 2005-06-15 - 2005-06-15
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