Description: Rote Listen Sachsen-Anhalt Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt 39 (2004) Rote Liste der Kriebelmücken (Diptera: Simuliidae) des Landes Sachsen-Anhalt Bearbeitet von Doreen WERNER (1. Fassung, Stand: Februar 2004) Einführung Die Erfassung und Bearbeitung der medizinisch und veterinärmedizinisch relevanten Familie der Kriebelmücken (Simuliidae, Diptera) wurde bisher im Land Sachsen-Anhalt aufgrund ihrer schwieri- gen Bestimmbarkeit und wegen Problemen der Probennahme völlig vernachlässigt. Aus diesem Grund erfolgte auch keine Einordnung innerhalb der Roten Liste. Die vorliegende Zusammenstel- lung soll erstmalig eine Diskussionsgrundlage für die Zugehörigkeit der Arten dieser Familie zur Roten Liste in Sachsen-Anhalt darstellen. Weltweit sind ungefähr 1.790 Kriebelmücken (CROSSKEY 2002) bekannt, von denen bisher 48 Arten in Deutschland nachgewiesen wurden (ZWICK & WERNER 1998 unter Berücksichtigung von WERNER 2003) und ungefähr 50-60 morphologisch unterscheidbare Arten zu erwarten sein könnten. Die Artenzahl dürfte real jedoch noch wesentlich höher liegen. Für Simuliiden ist die Ausbildung von Komplexarten charakteristisch, die unter Einbe- ziehung zytotaxonomischer und molekularbiolo- gischer Techniken trennbar sind. Es ist allgemein akzeptiert, dass diese Komplexarten Geschwis- terarten darstellen, die sich hinsichtlich ihrer Ein- nischung im Ökosystem und ihrer Wirtsspezifität unterscheiden können. Auf das Bundesland Sachsen-Anhalt entfallen hiervon nach aktuellen Erhebungen (WERNER & ADLER, i. Dr.) 24 morphologisch trennbare Arten. Diese Artenzahl erscheint auf den ersten Blick sehr gering, doch der überwiegende Teil des Bun- deslandes ist durch altpleistozäne Strukturen, d.h. durch weitflächige Bereiche des Norddeutschen Tieflandes mit geringen Reliefunterschieden ge- kennzeichnet, die die Bruthabitate der Simuliiden prägen und somit ein verarmtes Arteninventar in diesem Bereich bedingen. Diese landschaftlich relative Gleichförmigkeit wird abgelöst durch das Vorhandensein hügliger Abschnitte im Gegensatz zu der im Westen des Landes einsetzenden Mit- telgebirgsschwelle mit dem nördlichsten deut- schen Mittelgebirge, dem östlichen Harz. Die Geo- logie des Harzes mit den Hochebenen, steilen Bergrücken und seichten Tälern prägt den Land- schaftscharakter. Diese geologische Besonderheit hat extreme Auswirkungen auf die Ausbildung der Fließgewässerstrukturen und somit auf das Simu- liidenspektrum im Gebiet und rückt die für die Rote Liste interessanten Arten ins Blickfeld, da die Fau- na mit der kollinen Stufe am Harzrand bis in die hochmontanen Lagen stark wechselt. " $ Simuliiden haben eine geringe Körpergröße, die ca. 2 bis 5mm beträgt. Besonders charakteristisch ist die starke Ausbildung des Mesothorax, der die bucklige Gestalt der Mücken bedingt. Der Kopf ist rundlich und trägt die 9- bis 11-, seltener 13- gliedrigen, kurzen Antennen, die Mundwerkzeu- ge mit dem kompliziert gebautem kurzen Rüssel sowie die sexualdimorph gestalteten Facettenau- gen. Ocellen fehlen. Die hyalinen Flügel sind rund- lich bis oval und werden im Ruhezustand horizon- tal übereinander gelegt. Beine und Abdomen sind im Verhältnis zu anderen Nematoceren kurz und kräftig ausgebildet. In fließenden, sauerstoffreichen Gewässern erfolgt die Entwicklung der präimaginalen Stadien. Die morphologische Anpassung der Larven und Pup- pen wurde bereits von EICHHORN (1775 zitiert nach WILHELMI 1920) bei den Larven in Form des cau- dalen Haftapperates und bei den Puppen in der Fertigung eines Kokons gesehen. Kennzeichnend für Simuliidenlarven ist ihre wurmartige Gestalt und die kompliziert gebauten Kopffächer, die dem Nahrungserwerb dienen. Suspendierende Nah- rungsartikel wie z.B. Algen, Bakterien, Detritus werden mittels dieser Fächer gefiltert und durch Abknicken zur Mundöffnung geführt. Meist werden 7 Larvenstadien durchlaufen, bis die ausgewachsene Larve mit Hilfe eines Spinnse- krets einen arttypischen, auf unterschiedliche Weise am Substrat angehafteten Kokon webt, dessen Öffnung in Strömungsrichtung liegt. Die Atmung der Puppe erfolgt über paarig angelegte Atemfäden, die bei den meisten Arten aus dem Kokon herausragen und sub- und emers fungie- ren. Vor dem Schlupf reichern die Puppen Sauer- stoff im Kokon an, mit dessen Hilfe sie beim Schlupf an die Oberfläche steigen. Durch die spezifische Lebensweise der Präima- ginalstadien der Simuliiden, gekoppelt mit ihrer Fähigkeit, alle Fließgewässertypen vom Quellbe- reich bis hin zum Strom im Potamal zu besiedeln, sind die Arten diese Familie geradezu prädesti- niert, als Bioindikatoren bei der biologischen Ge- wässeranalyse zu fungieren. Begünstigend kommt hinzu, dass an die Aufsammlung der Arten keine speziellen methodischen Anforderungen gestellt werden. Die Bestimmung der Arten gestaltet sich jedoch schwierig. Für die Schaderreger sind die Verbreitung und die Ökologie meist gut untersucht. Für die selteneren Arten sind ihre Biologie und ihre ökologische Bedeutung kaum geklärt. Ein großes Problem stellt die Einschätzung einiger Arten hinsichtlich ihrer Bestandsentwicklung und Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) 0 - - Gefährdungskategorie R 1 2 3 - - 12,5 - - 3 2Rote Liste 5 8,320,8 Ansprüche an das Ökosystem dar, weil gerade auf ihrer Grundlage die Erarbeitung der Roten Li- sten erfolgen sollte. Hinsichtlich ihrer medizinischen Bedeutung dür- fen die Simuliiden nicht unerwähnt bleiben. Ne- ben den Culicidae, Ceratopogonidae, Tabanidae, Muscidae und Calliphoridae erlangt gerade diese Familie als Blutsauger und Krankheitsüberträger eine nicht zu unterschätzende soziale und wirt- schaftliche Bedeutung. Bedingt durch die Lebens- weise der meisten Weibchen als blutsaugende Ektoparasiten spielen die Kriebelmücken eine wesentliche Rolle als Überträger von Krankheits- erregern, insbesondere von Filarien, Plasmodien und Nematoden bei Säugern und von Haemospo- ridien bei Vögeln. Überall, wo die blutsaugenden Arten der Familie zur massenhaften Entwicklung kommen, können sie u.a. am Weidevieh beträchtliche Verluste her- vorrufen. Größere Schäden werden verursacht, wenn es durch geeignete Umweltfaktoren zu Mas- senentwicklungen der Kriebelmücken kommt. Insbesondere in den Frühjahrsmonaten sind star- ke Verluste an Weidevieh hierauf zurückführbar. Der Anflug der einzelnen Kriebelmückenarten ist stark wirtsspezifisch (RÜHM 1983). Fast alle Säu- getierarten und Vögel sind potentiell geeignet für die Aufnahme einer Blutmahlzeit. Allgemeinerkrankungen bis hin zu Todesfällen (Simuliotoxikose) sind in bestimmten Schadgebie- ten des Flachlandes - auch im Bundesland Sach- sen-Anhalt - periodisch an den Wirten zu verzeich- nen (RÜHM 1982, 1983, WERNER 2003, WERNER & ADLER i. Dr.). Die Ursache hierfür liegt in den Stich- verletzungen und der Abgabe eines toxischen Speicheldrüsensekrets bei der Blutaufnahme der Weibchen. Bevorzugte Stichstellen sind meist dünnhäutige Körperpartien der Wirte. Das bei Aufnahme der Blutmahlzeit in die Wunde injizier- te Speicheldrüsensekret verhindert die Gerinnung des Blutes und übt gleichzeitig eine anästhesie- rende Wirkung aus. Außerdem stellt es ein stark hämolytisches Gift dar, welches zu Gewebs- schwellungen und Blutergüssen sowie Infiltratio- nen in den verschiedensten Organen führt (GRÄF- NER 1977). Nach einem Befall bleiben meist schwe- re physiologische Schädigungen zurück oder die Tiere sterben in kürzester Zeit. Datengrundlagen Aus dem Bundesland Sachsen-Anhalt liegen bereits Meldungen über Simuliiden von verschie- denen Autoren vor, die bis auf das Jahr 1870 zu- rückgehen. In diesen Veröffentlichungen wird je- doch ausschließlich über das Schad- und Plage- Gesamt 24 Tab. 1: Übersicht zum Gefähr- dungsgrad der Kriebelmücken Sachsen-Anhalts. auftreten von Simuliiden im untersuchten Gebiet berichtet (GRÄFNER & BETKE 1982). Die Erfassung der Familie der Kriebelmücken mit adulten Tieren gestaltet sich sehr schwierig und ist mit dem Ziel einer flächendeckenden Bearbei- tung nicht realisierbar. Aus diesem Grund wurden die präimaginalen Stadien, die an fließendes Was- ser gebunden sind, erstmals im gesamten Bun- desland von WERNER & ADLER (i. Dr.) erfasst. In ausgewählten Fließgewässern des Bundeslandes Sachsen-Anhaltes wurden in den Frühjahrs-, Som- mer- und Herbstmonaten von 1996 - 2003 prä- imaginale Stadien der Simuliiden an allen in Fra- ge kommenden Substraten (Steinen, Holz, pflanz- lichem Material, anorganischen Materialien - vor allem Kunststoffsubstraten) gesammelt. Die Ver- teilung der Entnahmestellen wurde bestimmt durch die Struktur der Fließgewässer und seiner ufernahen Abschnitte. In die Bearbeitung wurden ebenfalls Proben aus dem Staatlichen Amt für Umweltschutz Dessau/ Wittenberg und der Uni- versität Leipzig einbezogen. Insgesamt konnten somit präimaginale Stadien von 206 Bruthabita- ten berücksichtigt werden. Nomenklatur Die Nomenklatur der einzelnen Bestimmungs- schlüssel ist verwirrend und wird sehr unterschied- lich gehandhabt. Da dies auch die Zuordnung der Arten in Gattung und Untergattungen betrifft, soll in der vorliegenden Arbeit konsequent das Gat- tungs- und Untergattungssystem nach CROSSKEY & HOWARD (1997), worin die in den meisten mittel- europäischen Veröffentlichungen verwendeten Gattungsbezeichnungen wie Boophthora, Never- mannia, Eusimulium und Wilhelmia zum Untergat- tungsstatus erhoben werden, Anwendung finden. In der Übersicht des nachgewiesenen Arteninven- tars sind zum besseren Verständnis die Bezeich- nungen unter Berücksichtigung der Untergattun- gen angegeben. Gefährdungsursachen Als Gefährdungsursachen kommen in erster Li- nie die Verschmutzung von Fließgewässern durch Einleitung von Abwässern, vorrangig aus Haus- halten und Industrie, in Betracht. Die dadurch ent- stehende organische Belastung der Gewässer un- terdrückt das Vorkommen der Arten, die klare, belastungsfreie Gewässer als Entwicklungshabi- tat benötigen und begünstigt gleichzeitig das Auf- treten von verschmutzungstoleranten Arten, die somit ohne jegliche Konkurrenz zur Entfaltung von Massenpopulationen neigen und ein Schad- bzw. Plageauftreten hervorrufen können. Dieses Phä- nomen wird ebenfalls durch den Eintrag von Stick- " % stoff (Eutrophierung) im Einzugsbereich intensiv landwirtschaftlich genutzter Flächen in Form der Auswaschung von Dünge- und Pflanzenschutz- mittel beobachtet. Der Ausbau und die Begradigung der Fließgewäs- ser und damit die Unterdrückung der natürlichen Strukturen hat ebenfalls einen beträchtlichen Ein- fluß auf das Vorkommen der anspruchsvolleren Arten. Zum einen bedingen Meliorationsmaßnah- men die Absenkung des Grundwasserspiegels, zum anderen verändern künstliche Maßnahmen die Struktur des Gewässergrundes und die aqua- tische Flora, die der Anhaftung der präimagina- len Stadien der Simuliiden dient. Danksagung Dank sollte in erster Linie dem unnachgiebigen Drängen zur Bearbeitung der Simuliidenfauna des Gebietes Dr. P. SACHER (Nationalpark Hochharz) gelten. Für die Überlassung von Literaturdaten sowie für Informationen und Material Sachsen- Anhalts möchte ich folgenden Personen danken: Dr. J. BASS (CEH Dorset Winfrith Technology Cen- tre Dorchester, UK), Dr. P. BETKE (Freie Universi- tät Berlin), Frau P. MARTIN (Landesamt für Verbrau- cherschutz Stendal), Dr. F. PFEIFER (Landesamt für Verbraucherschutz Halle), Dr. R. SCHMÄSCHKE (Uni- versität Leipzig) und Herrn E. STACKFLETH (Landes- amt für Verbraucherschutz Stendal). Art (wiss.)Kat. Simulium (Nevermannia) crenobium (KNOZ, 1961) Simulium (Nevermannia) cryophilum (RUBZOV, 1959) complex Simulium (Obuchovia) auricoma MEIGEN, 1818 Simulium (Simulium) argyreatum MEIGEN, 1838 Simulium (Simulium) monticola FRIEDERICHS, 1920R R R 3 3 Nomenklatur nach CROSSKEY & HOWARD (1997). Literatur CROSSKEY, R.W. (2002): Second Update to the Taxonomic and Geographical Inventory of World Blackflies (Diptera: Si- muliidae).- The Natural History Museum, London: 1-10. CROSSKEY, R.W. & T.M. HOWARD (1997): A new taxonomic and geographical inventory of world Blackflies (Diptera: Simu- liidae).- The Natural History Museum, London: 1-144. GRÄFNER, G. (1977): Zur Artenfauna, Verbreitung, Taxonomie, Biologie, Schadwirkung und Bekämpfung von Kriebelmü- cken (Diptera; Simuliidae) Im Bezirk Schwerin mit beson- derer Berücksichtigung ihrer Bedeutung für die Jungrin- deraufzucht.- Habilitationsschrift, Humboldt-Universität zu Berlin, 202 S. GRÄFNER, G. & P. BETKE (1982): Zur Bedeutung des Kriebel- mückenbefalls bei Weidetieren mit einem geschichtlichen Überblick über das Vorkommen von Kriebelmücken (Dip- tera; Simuliidae) auf dem Territorium der DDR.- Mh. Vet.- Med., 37: 448-450. RÜHM, W. (1982): Spätes Schadauftreten von Boophthora ery- throcephala De Geer (Simuliidae, Dipt.). Ein Beitrag zur Theorie der Schadentstehung bei Weidetieren. - Anzeiger Anschrift der AutorIn Dr. Doreen Werner Humboldt-Universität zu Berlin Institut für Biologie Invalidenstr. 43 D-10115 Berlin E-Mail: h0662cer@rz.hu-berlin.de " & für Schädlingskunde, Pflanzenschutz, Umweltschutz, 55(4): 49-55. RÜHM, W. (1983): Kriebelmücken (Simuliidae, Diptera) als Pla- ge- und Schaderreger.- Veterinär-Medizinische Nachrich- ten, 1: 38-50. WERNER, D. (2003): Die aktuelle taxonomische Situation der Simuliidae (Diptera) in Deutschland mit einem kurzen ge- schichtlichen Abriß des Beginns der Simuliidenforschung in Europa.- D.G.a.a.E.-Nachrichten (Bayreuth), 17(4): 142- 144. WERNER, D. & P.H. ADLER (2004): A faunistic review of the black flies (Simuliidae, Diptera) of the federal state of Sachsen- Anhalt, Germany.- Abhandlungen und Berichte für Natur- kunde, Magdeburg. (im Druck) WILHELMI, J. (1920): Die Kriebelmückenplage.- Verlag Gustav Fischer, Jena: 1-246. ZWICK, H. & D. WERNER (1998): Simuliidae. In: SCHUMANN, H. BÄHRMANN, R. & A. STARK (Hrsg.)(1998): Checkliste der Di- pteren Deutschlands.- Studia dipterologica (Halle/Saale), Suppl. 2: 1-354.
Origin: /Land/Sachsen-Anhalt/LAU
Tags: Adler ? Wittenberg ? Dessau ? Gewässertyp ? Insekt ? Leipzig ? Sachsen-Anhalt ? Larve ? Mücke ? Nematoden ? Säugetier ? Vogel ? Detritus ? Fließgewässer ? Gewässerbelastung ? Ökologie ? Sportanlage ? Abwassereinleitung ? Ektoparasit ? Toxin ? Bakterien ? Harz ? Norddeutsches Tiefland ? Artenbestand ? Bioindikator ? Blut ? Brutgebiet ? Rote Liste gefährdeter Arten ? Ausbildung ? Algen ? Schadorganismus ? Flachland ? Tal ? Ökologischer Faktor ? Gestein ? Ökosystem ? Verunreinigung ? Krankheitsüberträger ?
License: all-rights-reserved
Language: Deutsch
Issued: 2005-06-16
Modified: 2005-06-16
Time ranges: 2005-06-16 - 2005-06-16
Accessed 1 times.