Description: ||||||||||||||||||||| Berichte 4.3.16 des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt, Heft TEICHFROSCH 4/2015: 371 – 386 Teichfrosch – Pelophylax esculentus (Linnaeus, 1758) Jürgen Reusch 1 Artsteckbrief Allgemeines: Bis gegen Ende der 1960er Jahre wurde der Teichfrosch als eigenständige Art unter dem von Linne 1758 vergebenen Namen Rana esculenta (esculenta – lat.: essbar) geführt. Neuere Kenntnisse über seine abweichenden Fortpflanzung und beson- dere Genetik erzwangen ein Umdenken. Da er keine biologische Art ist, wird er als „Klepton“ (klepto – griech.: stehlen) bezeichnet. Seinen Namen verdankt der Teich- frosch dem breiten Spektrum an besiedelten Habitaten, unter denen auch viele Teichformen sind. Kennzeichen: Mittelgroß (45 – 120 mm), sehr variabel mit grasgrüner (selten brauner oder blassblauer) Grund- farbe und dunkelbraunen oder schwarzen Flecken, typisch sind die Gelbtöne an den Innenseiten der Hin- terbeine, seine Schallblasen sind ausgestülpt hellgrau, sonst dunkelgrau, der Paarungsruf ähnelt dem des See- froschs, ist aber mehr schwirrend und deutlich auf- und abschwellend, gut erkennbarer, fester und fast halb- mondförmiger, aber unsymmetrischer Fersenhöcker, der im Vergleich zur Zehenlänge größer als beim Seefrosch und kleiner als beim Kleinen Wasserfrosch ist. Eine relativ sichere Artansprache ist nur durch das Ver- messen und Errechnen folgender Körperproportionen möglich: Quotient aus Körper-Rumpf-Länge/Unter- schenkellänge > 2,0; Quotient aus Unterschenkellänge/ Länge des Fersenhöckers 6,5 – 9,4; Quotient aus Länge der 1. Zehe/Länge des Fersenhöckers 1,7 – 2,9. Größe: ♂♂ bis ca. 100 mm; ♀♀ bis ca. 120 mm Kopf- Rumpf-Länge. Geschlechtsunterschiede/Trachten: ♂♂ besitzen Schallblasen, die auch außerhalb der Paarungszeit als grauschwarze Schlitze seitlich am Kopf erkenn- bar sind, während der Paarungszeit bei ♂♂ sehr gut erkennbare graue Daumenschwielen. Habitate: In nahezu allen stehenden und langsam flie- ßenden Gewässertypen, häufig in Weihern Teichen, Alt- wässern und Söllen, bevorzugt werden Laichgewässer mit nicht zu dichter Ufer- und vertikaler Unterwasser- vegetation, aber ausgeprägter Schwimmblattflora. Aktivität: Anwanderung zu Laichgewässern erfolgt ab März, Laichperiode in Warmwetterperioden ab April – Juni, selten noch im Juli, Abwanderung in Win- terquartiere meist im September/Oktober. Wanderungen/Reviere: Wandert in Mitteleuropa häu- figer über Land als Seefrosch, vereinzelt ausgeprägte Wanderungen bei feuchter Witterung nach der Laichpe- riode, Wechsel zwischen Sommer- und Winterquartieren sind häufig, Winterquartiere sind stehende und langsam fließende Gewässer, aber auch 20 – 30 cm tiefe Hohl- räume, im Winterquartier keine absolute Ortstreue, in Warmphasen durchaus kurze Wanderungen möglich. Fortpflanzung/Entwicklung: Je ♀ mehrere Laich- klumpen unterschiedlicher Form mit insgesamt 1.000 – 10.000 Eiern 5 – 10 cm unter der Wasserober- fläche an Pflanzen, auffallend häufig sind unterschiedli- che Eigrößen (0,5 – 2,6 mm Durchmesser) in den Laich- ballen (vgl. Pkt. „Einführung zur Wasserfroschgruppe“). Die Entwicklung ist stark temperaturabhängig und stag niert bei Temperaturen unter 10 °C, nach 2,5 – 6 Tagen schlüpfen die ca. 5 – 10 mm großen Larven, die sich einzelgängerisch über das gesamte Laichgewässer verteilen, nach 5 – 12 Wochen – zwischen Mitte Juli und Anfang Oktober - und einer Größe zwischen 45 – 80 mm wandeln sich die Larven in Juvenile um, nach zwei Überwinterungen beteiligen sich die ♂♂ am Reproduk- tionsprozess, die ♀♀ nach ca. 3 Jahren, Vorkommen von Riesenlarven (bis 180 mm) möglich. Nahrung: Als Larven meist pflanzliches Material, als Juvenile und Adulte alle Arten Wirbellose und selbst kleine Wirbeltiere, auch submerse Nahrung. Alter: Bis zu 10 Jahre. Abb. 1: Teichfroschmännchen, im Hintergrund rufendes Männ- chen mit hellgrauer Schallbla- senfärbung (Montage, Fotos: A. Westermann). 371 ||||||||||||| Einführung in die WASSERFROSCHGRUPPE Einführung zur Wasserfroschgruppe Arten und Formen Der typische „Frosch“ schlechthin ist immer ein Ver- treter der Grünfrosch- oder auch Wasserfroschgruppe. Seine Oberseite ist grün, oliv- oder bronzefarbig, sel- ten bräunlich, dann aber mit grünen Anteilen. Er hat meist einen grünlichen Längsstreifen in der Mitte und die Männchen ausstülpbare, kräftige Schallblasen, die im nicht expandierten Zustand als hinter dem Mund- winkel sitzende Hautfalte gut erkennbar sind (nach Günther 1996). Bis vor wenigen Jahren wurden die heimischen Was- serfrösche noch unter dem Gattungsnamen Rana geführt, gemeinsam mit den heimischen Braunfrö- schen, wie Spring- oder Grasfrosch, die diesen Namen heute noch tragen. Jüngere phylogenetische Unter- suchungen haben jedoch ergeben, dass sowohl die Braun- als auch die Wasserfrösche monophyletische Gruppen bilden, zu denen auch eine ganze Reihe asiatischer Arten zählen, weshalb die beiden Grup- pen aufgespalten wurden (Frost et al. 2006; Vences 2007). Die Wasserfrösche werden nunmehr unter dem von Fitzinger (1843) vorgeschlagenen Gattungsna- men Pelophylax geführt (nach Kaufmann 2014). Es gibt in Sachsen-Anhalt drei Vertreter dieser Was- serfroschgruppe – nachfolgend „Formen“ genannt: die beiden echten Arten Seefrosch (Pelophylax ridibundus) und Kleiner Wasserfrosch (Pelophylax lessonae) und die Hybridform Teichfrosch (Pelophylax esculentus). Seefrosch und Kleiner Wasserfrosch sind im Aussehen gut voneinander zu unterscheiden. Sie sind zwei Arten. Der Teichfrosch hingegen ist eine Mischung aus bei- den, die je nach Anteil in den Merkmalen zwischen bei- den Ausgangsarten variiert. Auf eine besondere Kenn- zeichnung dieses Status im wissenschaftlichen Namen wurde im vorliegenden Verbreitungsatlas verzichtet. Für eine exakte Einordnung von Wasserfroschbe obachtungen ist die Kenntnis über die Besonderheiten der als Hybridogenese und Hybridolyse (Günther & Plötner 1988) bezeichneten Fortpflanzungsform von Pelophylax esculentus sehr wichtig. Bei der Hybrido- genese wird der Chromosomensatz der einen Eltern art komplett eliminiert, so dass die Keimzellen den unveränderten Chromosomensatz der zweiten Eltern- art übernehmen. Die Paarung erfolgt dann wieder mit der ersten Elternart, so dass erneut die Mischform ent- steht. Dabei sollen hier nicht die kompletten Vorgänge in ihrer Gesamtheit, sondern die für die feldherpetolo- gische Arbeit und die in diesem Atlas erfolgte Daten- auswertung relevanten Sachverhalte betont werden. Genetische Grundlagen Zum besseren Verständnis ist ein kleiner Genetikex- kurs notwendig: Wasserfrösche besitzen im Normalfall 13 verschiedene Chromosomen in einer Körperzelle. Jedes Chromosom ist zwei Mal vorhanden (2x13 = 26 → diploider Chromosomensatz). Geschlechtszellen besitzen genau die Hälfte der Chromosomen (13 → haploider Chromosomensatz). Verschmelzen Eizelle und Samenzelle (also zwei Geschlechtszellen) mit- einander, so entsteht dabei eine diploide Zelle, die befruchtete Eizelle oder Zygote. Verschmelzen nun Geschlechtszellen mit einem Chromosomensatz des Seefroschs mit Geschlechtszellen mit einem Satz Chromosomen des Kleinen Wasserfroschs, entsteht zunächst einmal ein „normaler“ Teichfrosch mit je einem Chromosomensatz des Seefroschs (Chromoso- 372 mensatz = R) und einem des Kleinen Wasserfroschs (L). Bei der Realisierung der Erbinformation entsteht ein Frosch mit den Merkmalen zwischen See- und Kleinem Wasserfrosch, also ein Teichfrosch (RL). Zu erwarten wäre jetzt eine Keimzellbildung, bei der die Hälfte aller Keimzellen den Chromosomensatz des Seefroschs, die andere Hälfte den des Kleinen Was- serfroschs trägt. Dem ist aber nicht so! Die Besonder- heit ist nun, dass ein noch unbekannter Mechanismus dafür sorgt, dass entweder, je nach potentiellen Part- nern in der Population, Seefrosch-Chromosomen oder aber die Chromosomen des Kleinen Wasserfroschs weiter gegeben werden. Diese als Hybridogenese bezeichnete Weitergabe geht solange, bis sich durch Kombination zweier gleicher Chromosomensätze die eine oder andere Elternart zurückbildet. Noch komplexer gestaltet sich der Sachverhalt durch die Herausbildung von triploiden Formen, also Frö- schen mit drei Chromosomensätzen. Produziert ein Elternteil eine Geschlechtszelle mit dem doppelten Chromosomensatz (also eine diploide Zelle) und wird diese durch eine „normale“ haploide Geschlechtszelle befruchtet, dann ist die sich entwickelnde Zygote bzw. befruchtete Eizelle und der daraus entstehende Teich- frosch triploid. Durch die Erweiterung der Kombina- tionsmöglichkeiten (2xlessonae und 1xridibundus (LLR) oder 1xlessonae und 2xridibundus (RRL)) gestaltet sich der Übergang zu den Ausgangsvertre- tern fließend. Damit wird klar, dass Teichfrösche (mit Ausnahme seltener Sonderfälle) nur in bestimmten Populationssystemen mit den Ausgangsarten existie- ren können, da sie sich ihre Gene sozusagen immer von ihnen besorgen müssen. Die Analyse der Popula- tionsstrukturen ist deshalb auch für die feldherpetolo- gische Arbeit bedeutsam und soll im Folgenden kurz umrissen werden. Populationssysteme In Mitteleuropa werden nach Plötner (2005) folgende Populationssysteme unterschieden: lessonae-esculentus (LE)-Populationen In diesem Populationssystem Mitteleuropas kommen Kleine Wasserfrösche (P. lessonae) mit hybridoge- netischen Teichfröschen (P. esculentus) syntop vor (Uzzell & Berger 1975). Bei unseren Untersuchun- gen scheint dieses System an 4,1 % der Fundpunkte des Teichfroschs in Sachsen-Anhalt zu bestehen. Dabei wurden die Systeme nicht zielgerichtet unter- sucht, dieser Wert ergibt sich aus den Werten von gemeinsam besetzen Fundpunkten, der aus dem Datenbestand berechnet wurde. ridibundus-esculentus (RE)-Populationen Hier leben Seefrösche (P. ridibundus) und hybrido- genetische Teichfrösche gemeinsam in einem Popu- lationssystem (Uzzell & Berger 1975). Das ist das in Sachsen-Anhalt vermutlich am häufigsten vorkom- mende System (28 % aller Teichfroschfundpunkte schneiden sich mit Seefroschfundpunkten). lessonae-ridibundus-esculentus (LRE)-Populationen In diesem seltenen Populationssystem leben beide heimischen Elternarten P. lessonae und P. ridibundus gemeinsam mit ihrer Hybridform P. esculentus. Die- ser Populationstyp ist noch verhältnismäßig schlecht analysiert und es ist unklar, ob sich P. esculentus hier hybridogenetisch fortpflanzt oder auch aus Primärbas- tardisierung hervorgeht (Plötner 2005). Alle drei For- Einführung in die WASSERFROSCHRUPPE men wurden in Sachsen-Anhalt nur an 1 % der Fund- punkte festgestellt. Reine Hybridpopulationen Fortpflanzungsfähige Hybridpopulationen ausschließ- lich mit Teichfröschen sind meist auf triploide Hybride zurückzuführen. Mitunter kann es sich hierbei aber auch um nicht-reproduktive Aggregationen durch Neu- besiedlung aus umliegenden LE- oder RE-Populatio- nen handeln (Plötner 2005). Aus den ausgewerteten Daten Sachsen-Anhalts lassen sich keinerlei Rück- schlüsse auf solche Populationssysteme ziehen. Unterscheidung der drei Grundformen Schröer (1997) verglich morphologische und enzym- elektrophoretische Befunde bei der Bestimmung von Wasserfröschen miteinander. Seine Untersuchungen zeigten, dass die Unterscheidung von Wasserfröschen nach äußeren Merkmalen bis zu einem gewissen Grade möglich ist. 87 – 95 % der Teich- und Seefrösche lassen sich so sicher bestimmen. Schwieriger ist die Unterscheidung der Teich- und der Kleinen Wasserfrö- sche. Mit nur ca. 70 % richtiger Zuordnung schnitten die Weibchen des Kleinen Wasserfroschs aufgrund des Fehlens der Schallblasenfärbung als Merkmal am schlechtesten ab. An diesem Beispiel wird klar, dass möglichst alle beobachtbaren und erfassbaren Merk- male zur Diagnostik der Wasserfroschform herange- zogen werden sollten. Im vorliegendem Atlas wird zwar anhand der aus- zuwertenden Fundpunkte auch zwischen den drei Formen unterschieden, es sollte jedoch dem Leser bewusst sein, dass nicht immer mit 100%-er Sicher- heit die wahre Natur der entsprechenden Wasserfrö- sche erkannt wurde und es somit auch nicht in jedem Fall garantiert sein kann, die Aussagen über einzelne Fundpunkte genau der exakten Form der Wasserfrö- sche zuzuordnen. Diese Zuordnung wurde vor allem zur Analyse der Verbreitung, aber auch für die Habitat- analyse und das Erstellen von Syntopiewerten beibe- halten. Im Freiland ist es eigentlich nur über die Paarungsrufe möglich, einen Wasserfrosch ohne genaue Prüfung der morphologischen Daten zu bestimmen. Ist der Seefrosch noch durch das Fehlen der Gelbfärbung an den Flanken und seine Größe relativ gut zuzuordnen, ist die Unterscheidung Kleiner Wassserfrösche von Teichfröschen allein durch Beobachtung kaum mög- lich. Eine feldherpetologisch sinnvolle Bestimmung der drei Grundformen erfolgt deshalb über Quotien- tenbildung aus wichtigen biometrischen Daten (Gün- ther 1990, Plötner 2005, vgl. Tabelle 1). Besonders der Fersenhöcker-Vergleich erweist sich in der Praxis als hilfreich und ermöglicht zumindest eine erste grobe Zuordnung zu den drei Formen. Diese Einschätzung erfordert jedoch ein wenig Erfahrung, sodass Ungeüb- ten eine Berechnung der Quotienten aus den wichtigs- ten biometrischen Daten nicht erspart bleibt. Dabei werden die Daten mittels Messschieber ermittelt (Abb. 3 a–f). Aus den ermittelten Daten werden dann die Quotien- ten berechnet und mit Tabellenwerten verglichen. Für den Beispiel-Teichfrosch (Abb. 3 a–f) wurden fol- gende Werte ermittelt: KRL = 84,2 cm; TL = 38,5; ZL = 1 cm; HL = 0,53 cm; KB = 28,3 cm; ANA = 1,46 cm Zur Absicherung der Bestimmungsergebnisse soll- ten auch die Kopf-Rumpf-Länge, Kopfbreite, Abstand Auge-Nasenloch und die Unterschenkellänge (vgl. Abb. 2) ermittelt und die in der Tabelle angegebenen und in weiterführender Fachliteratur beschriebenen Quotienten berechnet werden. Kopf-Rumpf-Länge (KRL) Abstand der Nasen- löcher (NA) Kopf- breite (KB) Ø des Trommel- fells (TD) Länge des Fersenhöckers [Callus inter- nus] (HL) Abstand zwischen Auge und Nasenloch (ANA) Länge des Unter- schenkels (der Tibia) (TL) Länge der ersten Zehe [Digitus pri- mus] (ZL) Abb. 2: Bestimmung der Grunddaten für die Quotientenbestimmung bei den Wasserfröschen (nach Plötner 2010). 373
Origin: /Land/Sachsen-Anhalt/LAU
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Language: Deutsch
Issued: 2016-01-17
Modified: 2016-01-17
Time ranges: 2016-01-17 - 2016-01-17
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