Description: Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt Halle, Sonderheft 22010: 189–192 4.4.3 Limoniscus violaceus (MÜLLER, 1821) – Veilchenblauer Wurzelhals-Schnellkäfer Werner MALCHAU Coleoptera: Schnellkäfer (Elateridae) Abb. 4.4-3: Limoniscus violaceus (MÜLLER, 1821) – Veilchenblauer Wurzelhals-Schnellkäfer (Foto: KREJCIK). Kurzcharakteristik der Art Der Veilchenblaue Wurzelhals-Schnellkäfer Limo- niscus violaceus (MÜLLER, 1821) gehört zu den absoluten Raritäten unter den Elateriden Mittele- uropas. Dieser knapp über einen Zentimeter gro- ße Käfer fällt vor allem durch seine tiefblaue, ins violette gehende, metallisch glänzende Färbung ins Auge. Da es nur wenige andere bläulich ge- zeichnete Elateridae (Schnellkäfer) in Mitteleuro- pa gibt, ist unter diesen eine Diagnose schon an- hand der unterseits nagelförmig hervortretenden Halsschildhinterwinkel möglich, die durch einen unmittelbar daneben liegenden Ausschnitt des Hinterrandes der Vorderbrust gebildet werden (RUDOLPH 1982). Die Tiere, von denen keine Vari- ationen bekannt sind, sind fein und locker behaart. Auf dem matten Halsschild sind gedrängt beieinander stehende Nabelpunkte auszumachen. Die Bestimmung sollte stets durch Spezialisten geprüft werden. Aufgrund der Seltenheit der Art existieren noch viele Kenntnislücken zur Biologie und Ökologie. Nach WURST & KLAUSNITZER (2005) werden Eier in Spalten und Ritzen innerhalb hohler Bäume ab- gelegt, wo dann auch die Larven im feuchten Mulm, der durch Nagetätigkeit anderer Insekten entstanden ist, leben. Immer wieder wird darauf verwiesen, dass die mit Mulm gefüllten Baumhöh- len in direkter Verbindung mit dem Erdboden ste- hen müssen (RUDOLPH 1982, WURST & KLAUSNITZER 2005). Dies ist nur möglich, wenn die Baumstäm- me Risse bzw. Spalten aufweisen, die bis zum Wurzelhals reichen. L. violaceus wird im Substrat oft mit Ischnodes sanguinicollis (PANZER, 1793) und 189 Megapenthes lugens (REDTENBACHER, 1842) ver- gesellschaftet angetroffen (RUDOLPH 1982), zwei weiteren recht seltenen Elateriden-Arten. Abge- sehen davon, dass das Entwicklungssubstrat in größeren Mengen vorhanden sein muss, kommt seiner Zusammensetzung eine entscheidende Bedeutung zu. KÖHLER (2001) beschreibt es als schwarzen, humusartigen Detritus. Derartiges Material bildet sich in ausreichenden Mengen nur in größeren Baumhöhlen älterer, zumeist anbrü- chiger Bäume. Buchen, Eichen, Eschen und Ul- men werden zur Individualentwicklung bevorzugt (WURST & KLAUSNITZER 2005). Die Art mit einer Generationsdauer von zwei Jah- ren verpuppt sich im Frühherbst. Hierzu begeben sich die Tiere in weiches, faulendes Holz inner- halb der Baumhöhlen. Bald danach schlüpfen die Imagines, die bis zum kommenden Frühjahr in der Puppenwiege verbleiben. Im Mai und Juni sind die Imagines anzutreffen. Nachweise des Veilchenblauen Wurzelhals- Schnellkäfers im Freien stellen die Ausnahme dar. Dies steht einerseits damit im Zusammen- hang, dass den Tieren Lichtempfindlichkeit und Nachtaktivität zugeschrieben wird (R UDOLPH 1982), ist aber auch in Verbindung mit den rela- tiv kurzen imaginalen Aktivitätsphasen zu sehen, während der die Baumhöhlungen wohl nur kurz- zeitig verlassen werden. Wahrscheinlich ist der Art nur ein eingeschränktes Dismigrationsverhal- ten zuzuschreiben. Zugute kommt ihr dabei, dass das Entwicklungsmedium über Jahrzehnte rela- tiv konstant erhalten bleiben kann. Aufgrund der geringen Mobilität dürften Vorkommen von L. vi- olaceus wohl nur dort möglich sein, wo eine un- unterbrochene, relativ naturnahe Waldentwick- lung mit durchgängigem Vorhandensein geeig- neter Wirtsbäume gegeben ist. Die Art gilt des- halb als „Urwaldrelikt“. Der Veilchenblaue Wurzelhals-Schnellkäfer ist ausschließlich in Europa beheimatet. Vorkommen konnten bisher aus Südengland, Frankreich, Nordspanien, Italien, Deutschland, Österreich und Dänemark gemeldet werden. RUDOLPH (1982) führt sieben Fundorte für die ehemalige DDR auf, die sich vor allem auf das östliche Brandenburg (ehemaliger Bezirk Frankfurt/Oder) konzentrie- ren. Ohne konkrete Nennung der Fundumstän- de verweist er auch auf einen Nachweis aus Berlin (leg. PREIDEL). Für Deutschland kennen KÖHLER & KLAUSNITZER (1998) in der Zeit nach 1950 lediglich aus Hessen, dem Rheinland und aus Brandenburg Nachweise. Neuerdings gelang es auch, L. violaceus in Sachsen-Anhalt (KÖHLER 2000) und Bayern (WURST & KLAUSNITZER 2005) nachzuweisen. Bezüglich des Gefährdungs- und Schutzstatus wird auf Tab. 1-1 verwiesen. 190 Kenntnisstand und Vorkommen in Sachsen-Anhalt Der bisher einzige Nachweis des Veilchenblauen Wurzelhals-Schnellkäfers aus Sachsen-Anhalt gelang am 10.06.1998 im NSG „Colbitzer Linden- wald“. BAYER fing das Tier bei Gewitterstimmung auf einer gefällten Eiche (briefl. Mitt. an LAU Sach- sen-Anhalt). Auf diesen Fund beziehen sich die Angaben zum Nachtrag des Verzeichnisses der Käfer Deutschlands von KÖHLER (2000). Auch die Einstufung der Art in der Roten Liste Sachsen- Anhalts (DIETZE 2004) basiert auf dem Nachweis bei Colbitz. Der Fundort liegt innerhalb des FFH-Gebietes 0029 „Colbitzer Lindenwald“, welches im Rahmen der durchgeführten Untersuchungen zur Plausi- bilitätsprüfung der Meldedaten in das Untersu- chungsprogramm aufgenommen wurde. Erfassungsmethodik Die Erfassungsarbeiten zu L. violaceus im FFH- Gebiet 0029 fanden parallel zu den Untersuchun- gen der anderen im SDB aufgeführten Käferarten statt. Auf den Einsatz von automatischen Fang- vorrichtungen an geeigneten Baumhöhlen wurde verzichtet. Die Nachsuche nach Larven oder nach Imagines während des Winterhalbjahres innerhalb der Baumhöhlen unterblieb ebenfalls. Auch wenn damit Chancen, die Art nachzuweisen, stark ein- geschränkt sind, kamen die von SCHNITTER et al. (2006) vorgeschlagenen Erfassungsmethoden nicht zur Anwendung. In Anbetracht der Selten- heit des Veilchenblauen Wurzelhals-Schnellkäfers sollten derartige Vorgehensweisen nur praktiziert werden, wenn ein Weiterleben aller Einzelindivi- duen gewährleistet werden kann. Bei den zwei- felsfrei erheblichen Kenntnislücken zur Biologie und Ökologie der Art kann derzeit nicht sicher ausgeschlossen werden, dass sich beispielsweise Veränderungen im Entwicklungssubstrat durch Nachsuche negativ auf die Überlebensrate aus- wirken können. Unter diesem Aspekt ist es bes- ser, die entsprechende Individuendichte der Teil- population in der Bruthöhle nicht zu kennen, als sie im Rahmen der Beurteilung ihres Erhaltungs- zustandes zu gefährden. Situation im bearbeiteten FFH-Gebiet FFH-Gebiet 0029 – „Colbitzer Lindenwald“ Vorkenntnisse: Der einzige Nachweis aus Sach- sen-Anhalt wurde durch BAYER 1998 im FFH- Gebiet getätigt. Aktuelle Vorkommen: Während der Untersu- chungen in den Jahren 2005/2006 konnte die Art nicht nachgewiesen werden. Bewertung des aktuellen Erhaltungszustandes: Der Erhaltungszustand der Teilpopulation im FFH- Gebiet wurde 2005/2006 aufgrund fehlender ge- sicherter Artnachweise zunächst nicht bewertet. Die Habitatstrukturen sind aber als hervorragend einzuschätzen. Im Gebiet stehen zahlreiche alte Bäume, die Höhlungsbereiche aufweisen und so- mit potenziell als Lebensraum geeignet erschei- nen. Insofern ist damit zu rechnen, dass L. vi- olaceus nach wie vor im Colbitzer Lindenwald beheimatet ist, zumal derzeit auch keine Verän- derungen registriert werden konnten, die zu einer spürbaren Verschlechterung der Situation gegen- über dem Nachweisjahr 1998 führten. Handlungsbedarf: Die Art ist aufgrund der rela- tiv aktuellen Meldung weiter im SDB zu führen. Situation im Land Sachsen-Anhalt Sachsen-Anhalt muss insgesamt hinsichtlich der Faunistik der Elateriden als vergleichsweise gut bearbeitet eingestuft werden. Hierzu liegen meh- rere Publikationen vor, in denen größere Gebiets- teile abgehandelt wurden. So beschreibt WAHN- SCHAFFE (1883) die Käferfauna zwischen Magde- burg und Helmstedt. Für Magdeburgs Umgebung stellt FEUERSTACKE (1912) die Elateridenfauna zu- sammen. RAPP (1933–35) schildert die Situation für den Süden des Landes, während BORCHERT (1951) unter Bezugnahme auf einige weitere lo- kal-faunistische Publikationen (PETRY 1914, EG- GERS 1901, HILLECKE 1907, POLENTZ 1949–1950) den Kenntnisstand der Käferfaunistik für die ers- te Hälfte des 20. Jahrhunderts für die weit gefasste Umgebung Magdeburgs (entspricht fast den heu- tigen Grenzen Sachsen-Anhalts) zusammenfas- send darstellt. Die Elateridenfauna der ehemali- gen DDR bearbeitete RUDOLPH (1982). Aufgrund seines Wohnsitzes in Dessau gelangten bis auf wenige Ausnahmen faunistische Daten aller lokal tätigen Entomologen aus Sachsen-Anhalt mit zur Auswertung. Erstmals gelang es 1998, L. violaceus für das Bundesland Sachsen-Anhalt innerhalb des FFH- Gebietes 0029 „Colbitzer Lindenwald“ nachzuwei- sen. Die Umstände sprechen mehr für einen zu- fälligen Fund, weil das Tier bei Gewitterschwüle auf einer gefällten Eiche beobachtet wurde. Beo- bachtungen außerhalb des Entwicklungssubstra- tes stellen eher die Ausnahme dar. In Anbetracht der erwähnten Philopatrie der Art ist davon aus- zugehen, dass sich im Umfeld des Fundortes Entwicklungsstätten befinden. Der bisher einzige Fund von L. violaceus in Sachsen-Anhalt liegt in- nerhalb der FFH-Schutzgebietskulisse. Trotz feh- lender aktueller Nachweise im Ergebnis der 2005/ 06 durchgeführten Untersuchungen ist davon aus- zugehen, dass im Colbitzer Lindenwald nach wie vor eine Teilpopulation vorhanden ist. Bisher wur- de die Art nur in naturnahen Waldgesellschaften mit ununterbrochener Biotoptradition gefunden, wodurch sie eine Einstufung als sogenanntes „Ur- waldrelikt“ erfuhr (MÜLLER et al. 2005). Unter die- sen Umständen und in Anbetracht der vorliegen- den Kenntnisse zur Gesamtverbreitung der Art (WURST & KLAUSNITZER 2005) muss davon ausge- gangen werden, dass die im Colbitzer Lindenwald nachgewiesene Teilpopulation isoliert ist. Eine Kohärenz mit bekannten aktuellen Vorkommen (dann in anderen Bundesländern!) ist auszuschlie- ßen. Eher noch könnten Verbindungen zu poten- ziellen Lebensstätten existieren, die im angren- zenden FFH-Gebiet 0235 „Colbitz-Letzlinger Hei- de“ befinden. Vor allem um Born und um Dolle sind Habitatstrukturen vorhanden, die ein Auftre- ten weiterer Teilpopulationen des Veilchenblauen Wurzelhals-Schnellkäfers vermuten lassen. Der nachhaltige Schutz der Bäume, die den spe- zifischen Ansprüchen der Art entsprechen oder mittel- bis langfristig entsprechen könnten, ist als vordringlichste Arterhaltungsmaßnahme zu gewährleisten. Diese potenziellen Lebensstät- ten sind zunächst zu kartieren. In enger Zusam- menarbeit mit den zuständigen Forstbehörden sollte das direkte Umfeld behutsam „gepflegt“ Tab. 4.4-3: Zusammenfassung der Bewertungsergebnisse zum Vorkommen des Veilchenblauen Wurzelhals-Schnell- käfers (L. violaceus) in den FFH-Gebieten und Hinweise zur Aktualisierung der SDB SDB (alt)SDB (Vorschlag)BewertungZustand der PopulationHabitatqualitätBeeinträchtigungGesamtbewertung ErhaltungszustandGutachterliche Einschätzung Colbitzer Lindenwald letzter Nachweis (Jahr) 0029 FFH-Gebiet: Name FFH-Gebiet: Nr. Abkürzungen: x: geführt bzw. durchgeführt; - : nicht geführt bzw. nicht durchgeführt; A, B oder C: Bewertungsstufen; N: Vor- schlag zur Neuaufnahme im SDB; S: Vorschlag zur Streichung im SDB; n.B.: aktuell kein Nachweis, Vorkommen aber wahr- scheinlich, in Klammern: Bewertung vorläufig 1998xxn.B.----x 191
Origin: /Land/Sachsen-Anhalt/LAU
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Language: Deutsch
Issued: 2010-11-15
Modified: 2010-11-15
Time ranges: 2010-11-15 - 2010-11-15
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