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Description: Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt Halle, Sonderheft 2/2010: 317–351 5 Zusammenfassung und Ausblick Frank MEYER und Peer SCHNITTER In Sachsen-Anhalt erfolgte eine landesweite Er- fassung der im Anhang II der FFH-Richtlinie auf- geführten wirbellosen Tierarten. In den Jahren 2005 und 2006 wurden alle FFH-Gebiete bear- beitet, für die ein Eintrag im Standarddatenbo- gen vorlag und die Arten in die Schutz- und Er- haltungsziele der jeweiligen Gebiete aufgenom- men wurden. Angestrebt war eine umfassende Plausibilitätsprüfung und Aktualisierung der Mel- dedaten. Den Geländeerfassungen gingen aufwendige Datenrecherchen und -auswertungen voraus. Dazu wurden im großen Umfang die publizierte und „graue“ Literatur ausgewertet, Sammlungs- material gesichtet und Gebietsexperten befragt. Sowohl die Feldarbeiten als auch die Bewertung des Erhaltungszustandes folgten im Wesentlichen den im Jahre 2005 bestätigten methodischen Empfehlungen des Bundes, welche teilweise an die landesspezifischen Verhältnisse angepasst wurden. Die Ergebnisse des Vorhabens sind in Tab. 5-1 dargestellt. Damit liegt für das Land Sachsen-An- halt erstmals ein umfassender und „belastbarer“ Kenntnisstand zu den Populationen der wirbello- sen Tierarten nach Anhang II und deren Erhal- tungszustand in den gemeldeten FFH-Gebieten vor. Die Mollusken stehen stellvertretend für eine Ar- tengruppe, bei der es in den letzten fünf Jahren einen erheblichen Kenntniszuwachs gegeben hat. Von der Bachmuschel (Unio crassus) war zu Pro- jektbeginn nur das Vorkommen in der Helmenie- derung unterhalb des Stausees Kelbra bekannt, welches bis dahin die einzige rezente Population darstellte, die sich auch im Freistaat Thüringen fortsetzt. Inzwischen, ab dem Jahr 2005, gelan- gen Nachweise in der nordwestlichen Altmark, die eine Nachmeldung der Art in zwei weiteren FFH- Gebieten (Jeetze-System) begründen. Darüber hinaus liegen Fachvorschläge für die Neuauswei- sung eines FFH-Gebietes vor, das die Vorkom- men in der Dumme-Niederung einschließt. Inso- fern bieten sich in ausgewählten Fließgewässern der Altmark kurz- bis mittelfristig Präsenzprüfun- gen der Bachmuschel an, um das noch sehr lü- ckige Bild über ihre Verbreitung zu komplettieren. Außerdem müssen bei der Gewässerunterhaltung und auch der Gewässerentwicklung nach wie vor große Defizite überwunden werden, um den An- sprüchen der Art stärker zu entsprechen und ih- ren allgemein hohen Gefährdungsgrad zu mini- mieren. Die Erarbeitung und vor allem die prakti- sche Umsetzung von FFH-Managementplänen und Gewässerentwicklungskonzepten sollte am- bitioniert vorangetrieben werden. Die Bauchige Windelschnecke (Vertigo moulinsi- ana) stellt einen „Neuling“ in der Fauna Sachsen- Anhalts und ein neues „Schutzgut“ im Sinne der FFH-Richtlinie dar. Der erste Nachweis erfolgte unmittelbar vor Projektbeginn, im Jahr 2004, im NSG „Cösitzer Teich“ in der Fuhneniederung. Fast alle nachfolgenden Funde gelangen im Zusam- menhang mit der Erfassung der Schmalen Win- delschnecke (Vertigo angustior), von der sie sich jedoch hinsichtlich ihrer Habitatansprüche unter- scheidet und daher selten syntop mit ihr vorkommt. Sie bevorzugt eine hohe, oftmals ungenutzte Ve- getation, wie z. B. sehr nasse, leicht überstaute Seggenriede oder die Verlandungsbereiche von Stillgewässern. Bislang sind vier FFH-Gebiete bekannt, aber es ist noch von großen Kenntnislü- cken auszugehen. Verdachtsräume sind die nörd- lichen und östlichen Landesteile, aber auch im Süden sind weitere Vorkommen möglich, zumal die Art auch in Thüringen nachgewiesen wurde. Eine entsprechende Suchraumkulisse sollte da- her identifiziert werden. Die Schmale Windelschnecke (Vertigo angustior), besiedelt bevorzugt quellige oder andere gleich- mäßig durchfeuchtete Substrate, wobei die Kor- relation mit einer leichten Salztönung auffällig und für Sachsen-Anhalt typisch ist. Sie ist licht- und wärmeliebend, bevorzugt eine lückige Vegetati- on, in der sie die Streu besiedelt. Oftmals sind es nur kleine Habitatflächen, die auch regelmäßig, aber moderat genutzte Grünländer darstellen kön- nen, sofern der Wasserhaushalt intakt und stabil ist. Aufgrund zahlreicher Neufunde kann die Art für viele FFH-Gebiete als Schutz- und Erhaltungs- ziel ergänzt werden. Dennoch muss, auch metho- disch und nachweisbedingt, nach wie vor von grö- ßeren Kenntnislücken ausgegangen werden. Dabei handelt es sich sowohl um nicht bestätigte Altnachweise als auch um bislang gänzlich unbe- arbeitete Regionen, wie z. B. das Fiener Bruch sowie Bachtäler und Feuchtgebiete im Fläming, Vorfläming, der Dübener Heide und in den südli- chen Landesteilen. Unter den Libellen besitzt das Land Sachsen-An- halt insbesondere für die Helmazurjungfer (Coe- nagrion mercuriale) eine hohe Verantwortung im nationalen Maßstab. Für diese Art ergaben sich in den letzten Jahren große Kenntniszuwächse, 317 Tab. 5-1: Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse zum Vorkommen wirbelloser Tierarten nach Anhang II der FFH-RL in FFH-Gebieten in Sachsen-Anhalt Abkürzungen: SDB (alt): Anzahl der FFH-Gebiete mit Artangabe im SDB; SDB (S): Vorschlag zur Streichung im SDB; SDB (N) - Vorschlag zur Neuaufnahme im SDB; Gesamtbewertung Erhaltungszustand s. „Ampelschema“ für das FFH-Gebiet; kein Nach- weis: a.n. - FFH-Gebiet aktuell nicht besiedelt, pot. - kein aktueller Nachweis im FFH-Gebiet, potenziell zu erwarten; SDB (G): korrigierte Gesamtzahl der FFH-Gebiete, für die die Art im SDB zu führen ist (Meldung an die EU im nationalen Bericht); N: Gesamtzahl der aktuell von der jeweiligen Art besiedelter FFH-Gebiete Gesamtbewertung Erhaltungszustand A B C kein Nachweis a.n. pot.SDB (G)N --42218 ----44 --1--33 2-32-3107 1514--61610 16211111--22523 Euphydryas aurinia Goldener Scheckenfalter128-13-8-44 Euphydrias maturna Eschenscheckenfalter, Maivogel74--1-5131 Lycaena dispar Großer Feuerfalter77----7--- Maculinea nausithous Dunkler Wiesenknopf- Ameisenbläuling632-3-4153 Euplagia quadripunctaria Spanische Flagge412-2-1154 Graphoderus bilineatus Schmalbindiger Breitflügel- Tauchkäfer--4-----44 Dytiscus latissimus Breitrand---------- Limoniscus violaceus Veilchenblauer Wurzelhalskäfer1-1-----11 Osmoderma eremita Eremit231411051102616 Lucanus cervus Hirschkäfer53122719712114333 Cerambyx cerdo Heldbock226-555611615 Rosalia alpina Alpenbock---------- SDB (alt)SDB (S)SDB (N)Vertigo angustior Schmale Windelschnecke13-927 Vertigo moulinsiana Bauchige Windelschnecke--4-Unio crassus Bachmuschel1-2Coenagrion mercuriale Helmazurjungfer8-Leucorrhinia pectoralis Große Moosjungfer12Ophiogomphus cecilia Grüne Keiljungfer Taxon Weichtiere (Mollusca) Libellen (Odonata) Schmetterlinge (Lepidoptera) Käfer (Coleoptera) 318 vor allem auch bezüglich sehr individuenreicher Vorkommen. Diese sind sicher das Ergebnis der intensiveren Erfassungen, möglicherweise aber auch von Ausbreitungsvorgängen in der jüngeren Vergangenheit. Eine vergleichsweise hohe Zahl von Nachweisen wurde außerhalb der Gebiets- kulisse erbracht, wobei sowohl Erweiterungen als auch Nachmeldungen von FFH-Gebieten zu prü- fen sind. Typisch für die Habitate sind morpholo- gisch relativ stark überprägte Gewässer, deren Pflege und Unterhaltung einer besonderen Sen- sibilität bedarf. Ein sehr hoher Anteil von Gebieten ohne aktuel- len Präsenznachweis, aber mit weiterem Vorkom- mensverdacht muss für die Große Moosjungfer (Leucorrhinia pectoralis) konstatiert werden. Hier spiegelt sich eine schwierige Erfassbarkeit wider, weil nur eine Kartiersaison (das Jahr 2006) mit vergleichsweise ungünstigen Witterungsbedin- gungen zur Verfügung stand. Eine kurzfristige Plausibilitätsprüfung dieser unsicheren Nachwei- se wird daher empfohlen. Unter Einbeziehung des aktuellen Kenntnisstandes zur Gesamtverbreitung ist festzustellen, dass die bisherige FFH-Gebiets- kulisse die Vorkommen nur äußerst unzureichend abdeckt – bei keiner anderen Art ist eine derart schlechte Repräsentanz vorhanden! Dies liegt in erster Linie in der Tatsache begründet, dass die Bergbaufolgelandschaften im Natura-2000- Schutzgebietsnetz des Landes nahezu vollstän- dig fehlen, dabei aber eine Reihe besonders vi- taler Vorkommen von L. pectoralis aufweisen. Es wird die kurzfristige Prüfung von Nachmeldun- gen empfohlen. Eine deutlich bessere Überlagerung von Artnach- weisen und FFH-Gebieten ergibt sich hingegen für die Grüne Keiljungfer (Ophiogomphus cecilia). Für diese Fließgewässerart gab es zwar auch sehr umfangreiche Erkenntniszuwächse und Neufun- de, die jedoch fast komplett in FFH-Gebieten lie- gen und somit lediglich einen Nachtrag im Stan- darddatenbogen erforderlich machen. Defizite bestehen an der Unstrut und der Saale oberhalb Merseburg. Allerdings ist für die Art bereits seit vielen Jahren eine deutliche Ausbreitungstendenz erkennbar, die weiter beobachtet werden sollte. So ist zu erwarten, dass auch weitere kleinere und mittlere Fließgewässer besiedelt werden. Ein sehr differenziertes, jedoch überwiegend be- sorgniserregendes Bild ergibt sich auch bei den im Anhang II der FFH-Richtlinie gelisteten Schmet- terlingsarten. Besonders kritisch stellt sich die Lage in Sachsen-Anhalt – wie auch in den Nach- barländern – beim Großen Feuerfalter (Lycaena dispar) dar. Die geprüften Nachweise sind zum einen oftmals sehr alt, zum anderen war deren Zuordnung zu einem FFH-Gebiet teilweise mit sehr großen Unsicherheiten behaftet. Im Ergeb- nis der aktuellen Recherchen und Felderhebun- gen muss eine Löschung der Art in allen Stan- darddatenbögen sowie deren vollständige Entlas- sung aus den Schutz- und Erhaltungszielen aller bisher gemeldeter FFH-Gebiete erfolgen. Eine weitere Überwachung der Art hinsichtlich etwai- ger Wiederbesiedlungstendenzen wird jedoch dennoch empfohlen. Ein ähnliches Fazit ist für den Eschenschecken- falter oder Maivogel (Euphydrias maturna) zu zie- hen. Von dieser einst relativ weit verbreiteten Art, die nachweislich noch in den 1950er Jahren als Forstschädling bekämpft wurde, existiert landes- weit nur noch eine vitale Population in der Elster- Luppe-Aue südöstlich Halle, die jedoch nur antei- lig durch das FFH-Gebiet „Elster-Luppe-Aue“ ab- gedeckt wird. Nordwestlich desselben – im Be- reich der Alten Elster bei Raßnitz – macht sich deshalb entweder die Erweiterung des bestehen- den oder die Ausweisung eines neuen FFH-Ge- bietes zwingend erforderlich. Die Bestandssitua- tion der Art in den Nachbarländern ist gleicher- maßen dramatisch (in Brandenburg und Thürin- gen ist sie bereits ausgestorben!), so dass der Po- pulation bei Halle zum einen ein hoher nationaler Rang, zum anderen eine herausragende Bedeu- tung für die Kohärenzbeziehungen mit den Vor- kommen in der sächsischen Elster-Luppe-Aue bei Schkeuditz (Leipziger Nordwestaue) zugewiesen werden muss. Jegliche Beeinträchtigungen sind durch geeignete administrative und praktische Maßnahmen abzuwenden. Darüber hinaus soll- ten Verdachtsgebiete mit belegten Altnachweisen – vor allem an der Mittelelbe – weiterhin kontinu- ierlich geprüft werden. Auch die andere in Sachsen-Anhalt vorkommen- de, in der FFH-Richtlinie gelistete Euphydrias-Art, der Goldene Scheckenfalter (E. aurinia), ist als hochgradig bestandsbedroht einzuschätzen. Sämtliche überlieferte Vorkommen aus dem sach- sen-anhaltischen Flachland müssen inzwischen als ausgestorben betrachtet werden (hier Strei- chungen in den Standarddatenbögen). Alle aktu- ell bestätigten Nachweise der Art konzentrieren sich auf der Mittelharzhochfläche zwischen Trau- tenstein und Güntersberge in einem relativ klei- nen Gebiet mit nur wenigen Kilometern Durchmes- ser, wo die Art Feucht- und Nasswiesen innerhalb geschlossener Waldgebiete besiedelt. Die kurz- fristige Aufstellung und vor allem Umsetzung ei- nes Artenschutzprogramms bzw. eines Pflege- plans für diese landesweit letzten Vorkommen soll verhindern, dass weitere Flächenverluste durch schutzunverträgliche Nutzung oder Pflege sowie sonstige Beeinträchtigungen eintreten. Eine weitere, ganz besonders stark auf die Be- sonderheiten der Biologie abgestimmte Grünland- bewirtschaftung angewiesene Falterart ist der Dunkle Wiesenknopf-Ameisenbläuling (Maculinea nausithous). Der sensible Dreiklang zwischen dem Wiesenknopf als Wirtspflanze, der Ameise und dem Falter bildet dabei ein besonders fragiles Gefüge. Auch diese Art verzeichnete in den letz- ten zwei Jahrzehnten spürbare Bestandsrückgän- 319

Types:

Origin: /Land/Sachsen-Anhalt/LAU

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License: all-rights-reserved

Language: Deutsch

Issued: 2010-11-15

Modified: 2010-11-15

Time ranges: 2010-11-15 - 2010-11-15

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