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Description: 12 Zur Zoogeographie der Orthopteren in Sachsen-Anhalt M. WALLASCHEK 12.1 Struktur der Orthopterenfauna Tab. 6 zeigt die Artenzahlen und Anteile der hö- heren Taxa Sachsen-Anhalts in Bezug auf Deutschland. Da auch eingeschleppte Arten mit kurzer Verweildauer Berücksichtigung fanden, sind diese Zahlen mit der Unsicherheit behaftet, dass solche in der Literatur genannten Arten übersehen worden sein können. Bisher sind knapp zwei Drittel der in Deutsch- land nachgewiesenen Orthopterenarten auch im Land Sachsen-Anhalt gefunden worden. Die Caelifera und Ensifera dominieren in beiden Gebieten, wobei erstere besser in Sachsen- Anhalt vertreten sind als letztere. Die artenreichsten Orthopterenfamilien stellen in Deutschland und Sachsen-Anhalt die Tettigonii- dae und die Acrididae dar. Jeweils sieben der 15 bzw. 14 Geradflüglerfamilien kommen nur mit ein oder zwei Arten vor. Betrachtet man die ar- tenreicheren Familien, so sind die Tetrigidae, Acrididae und Tettigoniidae verhältnismäßig gut in Sachsen-Anhalt vertreten. Relativ schlecht sind die frei lebenden Ectobiidae im Land reprä- sentiert. Hier stellt sich die Frage, ob nicht ein- zelne Arten bisher übersehen worden sind. Vor allem bei den Blattopteren weist die große Zahl nur kurzzeitig in Deutschland eingeschlepp- ter Arten auf eine momentan hohe Faunendy- namik hin. Tab. 6: Die Orthopterenzahlen Deutschlands und Sachsen-Anhalts. Artenzahlen Deutschlands nach BOHN (1989, 2003), HARZ (1957), MAAS et al. (2002), MATZKE (2001), POSPISCHIL (2004), WEIDNER (1993), ZACHER (1917); genannt wird jeweils die Gesamtartenzahl inkl. der Arten, die im Gebiet bisher nur kurzzeitig oder gar nicht reproduziert haben, in Klammern deren Artenzahl. Systematische Einheit Dermaptera Carcinophoridae Labiidae Labiduridae Forficulidae Mantodea Mantidae Blattoptera Blaberidae Blattidae Blattellidae Ectobiidae Ensifera Tettigoniidae Raphidophoridae Gryllidae Gryllotalpidae Caelifera Tetrigidae Acrididae Artenzahl gesamt Artenzahl Deuschland 9 1 (1) 2 (1) 1 5 1 1 ca. 23 ca. 10 (10) ca. 5 (2) 2 7 42 27 (1) 2 11 (3) 1 45 6 39 (1) 120 Die in Sachsen-Anhalt niedrigere Zahl nur kurz- zeitig eingeschleppter Schabenarten folgt wohl aus der Lage im Binnenland. Tab. A7 zeigt u.a. die Struktur einiger zoogeographischer Arten- gruppen Sachsen-Anhalts. Danach ist die Or- thopterenfauna Sachsen-Anhalts fast vollständig eine arboreale im Sinne von DE LATTIN (1967). Nur eine Ohrwurm- und eine Langfühlerschre- ckenart sowie zwei Kurzfühlerschreckenarten gehören dem Eremial an. Oreotundrale Arten fehlen. Bei den Dermapteren, den Mantodeen und besonders den Blattopteren überwiegen kosmopolitische/eingeschleppte Faunenelemente. Die Ensiferenfauna Sachsen-Anhalts wird von mediterranen und kaspischen Faunenelementen Artenzahl Sachsen-Anhalt 5 0 1 1 3 1 1 (1) 10 2 (2) 3 2 (1) 3 27 19 1 6 (2) 1 34 5 29 (2) 77 Anteil in Sachsen-Anhalt (%) 56 0 50 100 60 100 100 43 20 60 100 43 64 70 50 55 100 76 83 74 64 dominiert. In der Caeliferenfauna treten diese beiden Gruppen selbst gemeinsam deutlich hin- ter die sibirischen Faunenelementen zurück. Rund drei Viertel aller Orthopterenarten Sach- sen-Anhalts sind Idiochorozoen. Zwei solcher Arten sind in der zweiten Hälfte des 19. Jahr- hunderts im Land ausgestorben (Calliptamus ita- licus, Locusta migratoria), eine in der ersten (Gomphocerus sibiricus) und eine in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Podisma pe- destris). Bereits mit den ersten Viehhaltern und Acker- bauern könnten die Archaeozoen Labia minor und Blatta orientalis im Landesgebiet aufge- 195 taucht sein; Acheta domesticus kam wohl erst in der römischen und der Völkerwanderungszeit. Neozoen finden sich vor allem unter den Blat- topteren, wobei noch nicht ganz klar ist, ob sich Supella longipalpa im Land etabliert hat. Tachy- cines asynamorus ist die einzige neozoische Ensifere des Landes. Vorübergehend traten im Land bisher außer bei den Dermapteren in allen Ordnungen ein bis zwei Arten auf; die Mantodeen sind überhaupt nur durch ein Ephemerozoon im Land vertreten. Als Irrgast (Alienozoon) ist Oecanthus pellucens zu betrachten. Von den 70 Orthopterenarten, die zwischen dem 01.01.1990 und dem 31.08.2004 mit Nachwei- sen auf dem Landesgebiet vertreten waren, sind 47 nur sehr wenig verbreitet. Lediglich elf Arten sind in Sachsen-Anhalt weit oder sehr weit ver- breitet. Unter Berücksichtigung der in Kap. 5.1 genannten methodischen Einschränkungen ent- spricht der auf Metrioptera roeselii bezogene Distributionsgrad zumindest für Offenlandarten gut der Geländeerfahrung. 38 % der Orthopterenarten Sachsen-Anhalts konnten bisher in der planaren und kollinen Stu- fe nachgewiesen werden. Weitere 16 % sind bis in die submontane und noch einmal 21 % bis in die montane Stufe vertreten. Lediglich sieben Arten, davon sechs Caelifera und nur eine Ensi- fera, konnten bisher im hochmontanen und sub- alpinen Bereich gefunden werden. Einige weite- re Arten sind in Sachsen-Anhalt auf bestimmte Stufen beschränkt. Da die meisten Arten in den europäischen Gebirgen in weit größeren Höhen angetroffen worden sind als sie der sachsen- anhalter Harz zu bieten hat (vgl. Tab. A3), ist dies wohl ein deutliches Zeichen für die klimati- schen Extreme im Bereich des Brockenmassivs (Kap. 6.3.4). Allerdings ist das Spektrum an Of- fenlandbiotopen in diesem Gebiet ebenfalls rela- tiv schmal. Hinsichtlich der Bindung an die Höhenstufen herrschen in Sachsen-Anhalt oligostenozone Ar- ten vor, gefolgt von den oligo-meso-stenozonen Arten, d.h. das Gros der Arten ist eng an untere und mittlere Höhenstufen gebunden. Podisma pedestris war auf mittlere Höhenstufen be- schränkt. Omocestus viridulus bevorzugt sie, tritt aber auch in allen anderen auf. Sechs Arten ha- ben ihren Schwerpunkt in unteren Höhenstufen, kommen jedoch gleichfalls in allen anderen vor. Immerhin 21 Orthopterenarten erreichen ihre nördliche Arealgrenze in der subtemperaten Zo- ne. Bei zehn Arten markieren ihre Bestände im Land eine geschlossene Nordgrenze. Vier Arten kommen hier am nördlichen Arealrand vor, drei Arten leben in Exklaven. Bei einer verläuft ihre nördliche Arealgrenze im Süden des Landes; sie lebt zugleich in Exklaven vor ihr. Eine hat die Arealgrenze im Süden und Westen des Landes, wobei sie hier in disjunkten Beständen existiert. Eine Art lebt am Arealrand in disjunkten Vor- 196 kommen. Bei einer weiteren Art verläuft die ge- schlossene Arealnordgrenze an der Ostseeküs- te, also außerhalb des Landesgebietes. Unter den temperaten Arten sind eine mit Areal- grenze, zwei am Arealrand und drei in erlosche- nen Exklaven in Sachsen-Anhalt. Eine boreale Art hat ihre Arealgrenze im Süden und Westen Sachsen-Anhalts und besitzt im mittleren Lan- desgebiet Exklaven. Eine weitere befindet sich am nördlichen Arealrand und eine Art besaß ei- ne erloschene Exklave im Land. Die Bestände einer arktischen Art liegen am nordwestlichen Rand des Areals. Eine weitere solche verfügte über eine Exklave. In Europa bis in die submeri- dionale Zone verbreitete Arten werden entweder nach Sachsen-Anhalt eingeschleppt (zwei Arten) oder verfügen über eine weit vorgeschobene Exklave. Drei kosmopolitische Arten besitzen oder besaßen in Sachsen-Anhalt Exklaven; eine weitere kosmopolitische Art kommt hier am Nordrand des europäischen Arealteils vor. Eine wird gelegentlich aus Südamerika einge- schleppt. Somit befinden sich von den 77 sachsen- anhalter Orthopterenarten 39, also die Hälfte, im Land in Arealgrenz- oder randlage bzw. in Ex- klaven. Davon stellen die subtemperaten Arten allein die Hälfte (20), gefolgt von den tempera- ten mit sechs, den kosmopolitischen/ südameri- kanischen mit fünf, den borealen und den sub- meridionalen mit je drei sowie den arktischen mit zwei. Von den Blattopteren Sachsen-Anhalts befinden sich 30 % im Land in Exklaven. 34 % der Ensife- ren leben hier an der Arealgrenze, hingegen nur 12 % der Caeliferen. Diese stellen aber viele Ar- ten, die in Sachsen-Anhalt am Arealrand oder in Exklaven existieren. Ein Teil dieser Exklaven ist erloschen, womit auch die betreffenden Arten ausgestorben sind (Calliptamus italicus, Podis- ma pedestris, Locusta migratoria, Gomphocerus sibiricus). Nur knapp die Hälfte der Orthopterenarten Sachsen-Anhalts zeigt eine stationäre Arealdy- namik. Immerhin zehn Arten sind ausgespro- chen expansiv, wobei es sich vor allem um eini- ge Ensiferenarten und mehrere synanthrope Blattopterenarten handelt. Zwar weisen auch einzelne Dermapteren- und Blattopterenarten sowie drei Ensiferenarten regressive Tendenzen auf, doch fallen hauptsächlich Caeliferenarten durch einen Rückgang ihrer Bestände auf. Im Landesgebiet erloschen sind ausschließlich Kurzfühlerschreckenarten. Die Ergebnisse der bisherigen Untersuchungen zur Vagilität von Orthopterenarten in Sachsen- Anhalt sind in Tab. A6 zusammengefasst. Es wird sichtbar, dass die Vagilität der Arten in den Naturräumen teils erheblich differiert und dass die Vagilitäts-Artengruppen naturraumspezifisch sind. Viele Arten erweisen sich in den meisten Naturräumen als wenig vagil. Deutlich weniger Arten sind in den meisten Naturräumen hoch vagil bzw. mäßig vagil. Eine hohe Zahl wenig vagiler Arten ist oft in Naturräumen mit relativ geringer Landnutzungsintensität zu beobachten. 12.2 Artenreichtum Mit mehr als 30 Heuschreckenarten erweisen sich folgende Gebiete in Sachsen-Anhalt als be- sonders artenreich (Abb. A1): •das Land Schollene, •die nördliche und südöstliche Letzlinger Heide und angrenzende Bereiche der Trüstedter Hochfläche bzw. der Elbtalniede- rung, •die harznahen Bereiche des westlichen Nordöstlichen Harzvorlandes und des östli- chen Teils der Harzrandmulde, •das Elbe-Mulde-Tiefland bei Dessau, Wit- tenberg und Bitterfeld, •der Südharzer Zechsteingürtel zwischen Berga und Stolberg, •die Hallesche Kuppenlandschaft und die Stadt Halle im Östlichen Harzvorland, • das Saale-Unstrut-Gebiet um Freyburg und Naumburg zwischen der Landesgrenze zu Thüringen und Weißenfels. Mit 40 Species ist das Meßtischblatt 4736 zwi- schen Freyburg und Karsdorf an der Unstrut das an Heuschreckenarten reichste Gebiet in Sach- sen-Anhalt. Arm an Heuschrecken zeigen sich vor allem die an den Grenzen des Landes gelegenen ange- schnittenen Meßtischblätter. Ursachen sind in der teils mangelnden faunistischen Durchfor- schung, in der Knappheit von Offenlandbiotopen (z.B. Perleberger Heide) und in der geringen Fläche zu suchen. Es existieren vollständig im Land liegende Meß- tischblätter, in denen weniger als 15 Heuschre- ckenarten nachgewiesen werden konnten. Dazu gehören Teile der Jeetze-Dumme-Lehmplatte und Arendseer Platte, der Westlichen Fläming- hochfläche, des Zerbster Landes, des Nördli- chen Harzvorlandes und des Mitteldeutschen Schwarzerdegebietes. In diesen durch intensi- ven Ackerbau, intensive Grünlandwirtschaft oder ausgedehnte Forste geprägten Landschaften finden sich über weite Strecken nur wenige weit oder sehr weit verbreitete Arten. Dennoch be- stehen auch hier fast überall Reste naturnaher Offenländer, die anspruchsvolleren Species Le- bensstätten bieten. Größere an Heuschrecken- arten arme Räume sind daher in Sachsen- Anhalt relativ selten. Im Norden der Altmark häufen sich Meß- tischblätter, die relativ niedrige Heuschreckenar- tenzahlen aufweisen. Hierin dürfte sich neben Kartierungsmängeln und Nutzungseinflüssen das für ganz Deutschland gültige Süd/Südost- Nord/Nordwest-Gefälle der Artenzahl widerspie- geln (WALLASCHEK 1996a). Die Funde von Ohrwurmarten häufen sich be- sonders in den traditionell und in den während der Projektlaufzeit intensiver untersuchten Räu- men des Landes, also in der Umgebung von Halle, im Landessüden zwischen Freyburg, Naumburg, Zeitz und Weißenfels, im Elbe- Mulde-Tiefland, im Fläming, in der Elbtalniede- rung und der Altmark. Bei Apterygida media dürften der Häufung der Fundorte im Landessü- den jedoch nicht nur erfassungsmethodische, sondern zoogeographisch-ökologische Fakto- ren, insbesondere die Verfügbarkeit geeigneter Lebensräume und thermische Ansprüche, zugrunde liegen. Labidura riparia konzentriert sich in den Braunkohle-Bergbaugebieten; die Fundortverteilung ist also ebenfalls nicht allein methodisch bedingt. Da die meisten Nachweise freilebender Scha- benarten auf Beifänge von Bodenfallen zurück- gehen, zeigt die Verteilung der Fundorte vor al- lem die Lokalitäten entsprechender Untersu- chungen an. Weil die Funde synanthroper Schabenarten auf Zufällen oder Zuarbeiten von Schädlingsbekäpfungsbetrieben beruhen, wei- sen Häufungen von Nachweisen auf die Wohn- orte von interessierten Entomologen oder Hy- gienikern bzw. die Arbeitsgebiete entsprechen- der Firmen hin. In die Analyse der Verbreitung subtemperater Arten in Sachsen-Anhalt gingen folgende 20 Or- thopterenspecies (Blattoptera: 1, Ensifera: 11, Caelifera: 8) ein: Barbitistes serricauda, B. constrictus, Chorthippus mollis, Chorthippus va- gans, Conocephalus fuscus, Gampsocleis glabra, Gryllus campestris, Isophya kraussii, Leptophyes albovittata, Metrioptera bicolor, Myrmecophilus acervorum, Nemobius sylvestris, Oedipoda caerulescens, Oedipoda germanica, Omocestus haemorrhoidalis, Phyllodromica ma- culata, Stenobothrus nigromaculatus, Steno- bothrus stigmaticus, Tetrix ceperoi und Tettigo- nia caudata. Neun und mehr solcher relativ wärmebedürftiger Arten finden sich in folgenden Räumen des Landes Sachsen-Anhalt (Abb. A2): •Land Schollene, •südöstliche Letzlinger Heide und angren- zende Bereiche der Elbtalniederung, •harznahe Bereiche des östlichen Teils der Harzrandmulde und des westlichen Nordöstlichen Harzvorlandes, •Elbe-Mulde-Tiefland bei Bitterfeld, •Gebiet der Mansfelder Seen und Hallesche Kuppenlandschaft im Östlichen Harzvorland, •Saale-Unstrut-Gebiet um Nebra, Freyburg und Naumburg. 197

Types:

Origin: /Land/Sachsen-Anhalt/LAU

Tags: Heuschrecken ? Ohrwürmer ? Dessau ? Bitterfeld ? Sachsen-Anhalt ? Irrgast ? Zoogeografie ? Neozoen ? Landzunge ? Gebietsfremde Art ? Harz ? Südamerika ? Artenvielfalt ? Heidelandschaft ? Stadt ? Naturraum ? Europa ? Fauna ?

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Language: Deutsch

Issued: 2007-01-12

Modified: 2007-01-12

Time ranges: 2007-01-12 - 2007-01-12

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