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geradfl_Kap13_Zur_Oekologie.pdf

Description: 13 13.1 Wandlungen des Biotopspektrums M. WALLASCHEK Für die Interpretation des Faunenwandels wie auch für die Ermittlung der Biotopbindung ist die Frage von Interesse, ob sich Veränderungen des Biotopspektrums der Orthopterenarten Sachsen-Anhalts im Laufe der letzten 100 bis 150 Jahre nachweisen lassen. Da aus dem Landesgebiet erst aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts für eine größere Zahl von Ar- ten belastbare Hinweise zum Biotopspektrum vorliegen, soll der Vergleich mit der von ZACHER (1917, 269ff.) auf das damalige Reichsgebiet bezogenen „Tabellarischen Übersicht der Vertei- lung der deutschen Geradflügler auf die ökologi- schen Formationen“ gesucht werden. Bei den meisten Arten lässt sich trotz der weit geringeren Fläche Sachsen-Anhalts gegenwär- tig ein deutlich breiteres Biotopspektrum als bei ZACHER (1917) erkennen (Tab. 10). Das dürfte in erster Linie auf einem heute weit besseren fau- nistisch-ökologischen Kenntnisstand beruhen. Erst ab einer im Vergleich zu ZACHER mehrfach größeren Zahl von Biotoptypen ließen sich sinn- volle ökologische Begründungen für die Annah- me des Übergangs in vormals nicht oder nur ausnahmsweise besiedelte Biotoptypen, also für eine Erweiterung des Biotopspektrums finden. Das betrifft dann Conocephalus fuscus (ZACHER: 2 Biotoptypen/jetzt: 10) und Chrysochraon dispar (2/14) und dürfte eine Folge des Wandels der Landschaft sein, der heute beiden gemäßigt hygrophilen Langgrasarten in einer Vielzahl von Acker-, Grünland- und Magerrasenbrachen bes- te Existenzbedingungen bietet, während sie frü- her in Folge der Nutzung auch von Grenzer- tragsstandorten sowie von Rest- und Splitterflä- chen auf nicht mehr nutzbare Feuchtflächen be- grenzt waren (WALLASCHEK 1996a). Eine Einengung des Biotopspektrums betrifft, abgesehen von ausgestorbenen Arten mit im Grunde unbekanntem früherem Biotopspektrum in Sachsen-Anhalt, Blattella germanica (3/1), Barbitistes constrictus (2/1), Gryllotalpa gryllo- talpa (10/4), Tetrix bipunctata (3/1), Calliptamus italicus (3/1), Oedipoda germanica (2/1) und Stenobothrus nigromaculatus (4/3). Allerdings beruht die Einengung bei Blattella germanica wohl auf der Verwechslung mit einer Ectobius-Art (vgl. Arttext). Über Barbitistes constrictus und Gryllotalpa gryllotalpa liegen möglicherweise nicht genügend Untersuchun- gen vor, so dass die Einengung ein Artefakt sein Zur Ökologie der Orthopteren in Sachsen-Anhalt könnte. Die letztere Art dürfte aber auf Äckern heute durch das Tiefpflügen und den Biozidein- satz kaum reale Existenzchancen besitzen. Bei den anderen Species ist die Einengung wohl ei- ne Folge der Arealrandlage ihrer Bestände im Land. Das Fehlen einiger Gebirgsmatten-Arten auf dem Brocken dürfte mit der geringen Fläche subalpiner Matten, teils auch mit dem extremen Klima zusammenhängen. Einige Arten konnten in Sachsen-Anhalt gar nicht in solchen Biotoptypen gefunden werden, denen sie von ZACHER (1917) zugeordnet wor- den sind. Mantis religiosa wurde in einen Garten eingeschleppt. Barbitistes serricauda war ZA- CHER offenbar sicher nur aus Gärten bekannt, obwohl er im Text zur Art auch Wälder nennt. Auch früher lebte Tachycines asynamorus in Gewächshäusern. Oecanthus pellucens wurde aktuell in einen Garten eingeschleppt, früher a- ber in naturnahen Lebensräumen gefunden. Insgesamt halten sich nachweisbare Wandlun- gen des Biotopspektrums der Orthopterenarten Sachsen-Anhalts im betrachteten Zeitraum in engen Grenzen. Der Wissenszuwachs hat jedoch zur Folge, dass heute für die meisten Biotoptypen eine weit grö- ßere Zahl von Orthopterenarten bekannt ist als zu ZACHERs Zeiten. Bemerkenswert ist die große Zahl von Arten, die in Ackerbrachen gefunden wurden. Das sollte jedoch nicht als Erweiterung des Biotopspekt- rums der betreffenden Species, sondern ledig- lich als dessen Rückgewinnung betrachtet wer- den, da die wenig gedüngten und nicht mit Bio- ziden behandelten Äcker der Dreifelderwirtschaft bzw. deren Brachen solchen Arten ebenfalls Le- bensraum geboten haben. Noch heute können Extensiv-Äcker xerophile oder mesohemerobe Arten aufweisen (WALLASCHEK 1999e: Aufnahme 4b, WALLASCHEK 2003a: Sr1b, Zg3b; Decticus verrucivorus, Platycleis albopunctata, Gryllus campestris, Chorthippus mollis). Lediglich in Bezug auf Nadelwälder ist ein Rückgang der Artenzahlen von 26 auf 23 zu verzeichnen. Zudem sind hier bei 12 Arten ZA- CHERs Zuordnungen nicht bestätigt worden. Dem könnte jedoch zugrunde liegen, dass ZA- CHER Arten zu den Nadelwäldern gerechnet hat, die hier in eingestreuten Sandtrockenrasen-, Heide- und Grünlandflecken auftreten, aber heu- te nur diesen Biotoptypen zugeordnet werden (z.B. Oedipoda caerulescens, Omocestus viridu- lus). 207 Tab. 10: Das Biotopspektrum der Orthopterenarten Sachsen-Anhalts im historischen Vergleich. Benennung der Biotoptypen (ökologischen Formationen) nach ZACHER (1917), nur Biotoptypen von Sachsen-Anhalt aufgeführt; ? = von ZACHER (1917) als fragliches Vorkommen im Biotoptyp bezeichnet, X = nur von ZACHER (1917) so zugeordnet, XA = ak- tuell im gleichen Biotoptyp, A = nur aktuell im Biotoptyp, (A) = hier früher in Sachsen-Anhalt nachgewiesen, * = nur in Stalldung- haufen im Biotoptyp, + = bisher nicht in reinen Laub- bzw. Nadelwäldern, kommt in Mischwäldern vor, X! = Zuordnung durch Verwechslung mit Ectobius-Art, # = Brachen. 208 A XA A XA X? XA XA XA A A A A# A# XA XXA AA AA AXA A XA A AA# XA A A XXA XA XA XA ? A# A A A A A X XA A XA XA A# A# A#XA XA A XA#XA A A A XA A X A X(A) A X X A A A A A# A A X(A) A A AA A AXA AXA A A X A XXAXA A A XA XA XA Ufer Gebirgsmatten A XA XA Moore XA A XA Salzwiesen Nadelwälder + XA + XA A XA A X! XA XA + XAXA XA XA XA XA XA XA XA A A ?A AA XA XAA XA A X X + XA XA + A + A + A ?A ? A A A A A A X A ?A A A A XA A A A A + A XA A A XA XA A X XA A A A ? X ? XA XA A XA A X A XA A XA + A XXA XAA XAXAXAXAA AA A A X A XA XA A A X XA A A A A A A A A XA A A X! X XA X ?A X XA AA A XA A XA XA A ? A XA XA A ? XA XA A A A A XA XA XA XA AXA* X A A XA XA A XA A A A XA A A XA Laubwälder XA Heiden Sandfelder XAWiesen A XA ? X XA BinnendünenXA Weinberge A* Sonnige Hügel Äcker XAAuenwälder XA Ruderalstellen Dermaptera L. minor L. riparia C. guentheri A. media F. auricularia Mantodea M. religiosa Blattoptera B. craniifer P. surinamensis B. orientalis P. americana P. australasiae B. germanica S. longipalpa E. sylvestris E. lapponicus P. maculata Ensifera P. falcata L. albovittata L. punctatissima I. kraussii B. serricauda B. constrictus M. thalassinum C. fuscus C. dorsalis T. viridissima T. cantans T. caudata D. verrucivorus G. glabra P. albopunctata M. brachyptera M. bicolor M. roeselii P. griseoaptera T. asynamorus G. bimaculatus G. campestris A. domesticus N. sylvestris O. pellucens M. acervorum G. gryllotalpa Caelifera T. subulata T. ceperoi T. undulata T. tenuicornis T. bipunctata C. italicus A. aegyptium P. pedestris L. migratoria P. stridulus O. caerulescens Gärten Häuser Taxon X X XA A X XAXA XA A AA A A A X X (A) XXX(A)X XXXXX X AAA#AXAXAXAXA X (A) (A) (A) A X A A A A# A# A A A# Ufer Gebirgsmatten Moore Salzwiesen X A A X A# A# A# Wiesen XA Auenwälder A Nadelwälder Heiden XA Laubwälder Sandfelder Weinberge Sonnige Hügel Äcker Ruderalstellen XA A Binnendünen O. germanica S. caerulans S. grossum C. dispar E. brachyptera O. viridulus O. haemorrhoidalis S. lineatus S. nigromaculatus S. crassipes S. stigmaticus G. sibiricus G. rufus M. maculatus C. albomarginatus C. dorsatus C. montanus C. parallelus C. apricarius C. vagans C. biguttulus C. brunneus C. mollis Gärten Häuser Taxon A XA XA XA A XA A A A A XA A AA A A A XA XA AA X A + A X X A + AXA X AX (A) AA A AA# A# A# A#XA XA A AA X A A AA XAA# XA#A AXA A AXA# A# A#A XA A XA A AXA AXA XA XAXA A A A AAXA A AXA A AXA XA XA XA A AA A XA XA A A So schreibt ZACHER (1917, 33) zum Vorkommen von Orthopterenarten in Wäldern: „Arm an Or- thopteren sind ferner die Wälder, besonders die Laubwälder, in denen sich neben Ohrwürmern und Schaben nur die Waldgrille (Nemobius syl- vestris L) findet und die trockenen Kiefernwäl- der, solange die Kronen dicht aneinander schließen und die Grasnarbe fast völlig fehlt. In diesen fand ich nur Tettix-Arten. Ist dagegen die Grasnarbe reicher entwickelt, ist z. B. ein reicher Bestand an Aira flexuosa vorhanden, so finden sich Stenobothrus lineatus PZ., Stauroderus- und Chorthippus-Arten ein. Auf Heidestellen in Kiefernwäldern finden sich Stenobothrus nigro- maculatus H.-S., stigmaticus RMB. und lineatus PZ., Tettix subulatus L., wenn sie ausgedehnter sind, auch Oedipoda coerulescens L. und viel- leicht Bryodema tuberculatum F. und Sphingo- notus cyanopterus CHP. Waldwege und Schnei- sen bevorzugt in Norddeutschland Podisma pe- destre L., die weiter südlich nur im Gebirge auf- tritt, sowie Stauroderus pullus PHIL.“ Angesichts des hier genannten Artenspektrums stellt sich aber doch die Frage, ob nicht Wälder, insbeson- dere Kiefernwälder, zu ZACHERs Zeiten wesent- lich größere offene, mit Heide und Trockenrasen bewachsene Stellen oder öfters fließende Gren- zen zwischen Wald und Offenland aufwiesen als heute (WALLASCHEK 2001a). Mehrere Untersuchungen in Sachsen-Anhalt haben gezeigt, dass Grasland- und Heidefle- cken in lichten Wäldern und auf Waldblößen durchaus auch heute Orthopterenarten des Of- fenlandes beherbergen und fließende Wald- + XA XA A AXA XA AA A XA A AXA XA A A XA A XA XA XA A XA X XA A XA XA A XA XA A A X XA X(A) XA (A) A XA XA A XA XAXA XA A XA A XA A AXA A A X X A A XA XA A XAXA X A AA A XA XA XA A A A XA A A Grasland-Grenzen deren Vorkommen begünsti- gen. So konnten in der Glücksburger Heide auf ei- nem unbefestigten, teils mit Sandmagerrasen bedeckten Weg durch einen Kiefernforst Platyc- leis albopunctata, Oedipoda caerulescens, O- mocestus haemorrhoidalis, Stenobothrus linea- tus, Myrmeleotettix maculatus und Chorthippus parallelus nachgewiesen werden (WALLASCHEK 1997c). Im NSG „Colbitzer Lindenwald“ fanden sich in einem mit Trockenrasen durchsetzten Teil des Lindenwaldes neben Waldorthopteren auch Stenobothrus lineatus, Chorthippus biguttulus und C. brunneus. In einer schmalen Laubwald- Schlagflur im Beetzendorfschen Forst lebten Chrysochraon dispar, Chorthippus parallelus und C. mollis. In einer an Grasland grenzenden Calluna-Heide in einem lichten Eichen- Hainbuchenwald bei Othal kamen Metrioptera roeselii, Stenobothrus lineatus, S. stigmaticus, Chorthippus parallelus, C. biguttulus und C. brunneus vor (WALLASCHEK 2001a). Andererseits ist wohl Chorthippus vagans im NSG „Steinklöbe“ ausgestorben, weil inzwischen ein dichter Waldmantel den Magerrasen vom Ei- chentrockenwald trennt, sich die Grasnarbe durch die Sukzession in beiden Biotoptypen verdichtete und offenbar auch das Kronendach der Eichen geschlossener ist als früher (SCHIEMENZ 1965, WALLASCHEK unveröff.). Es darf nicht vergessen werden, dass die aktuelle Zuordnung von Arten in Laub- oder Nadelwälder 209

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Origin: /Land/Sachsen-Anhalt/LAU

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Language: Deutsch

Issued: 2007-01-12

Modified: 2007-01-12

Time ranges: 2007-01-12 - 2007-01-12

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