Description: Nutzung von Kenntnissen über Bestandssituation und -entwicklung 3 Nutzung von Kenntnissen über Bestandssituation und -entwicklung Umsetzung von Kenntnissen zur Bestandssituation Das Bundesnaturschutzgesetz fordert, daß die Länder geeignete Maßnahmen zur Darstellung und Bewer- tung der unter dem Gesichtspunkt des Artenschutzes bedeutsamen Populationen treffen sollen. Das Gesetz zur Erhaltung der Biologischen Vielfalt unterstreicht gar die gesellschaftliche Verantwortung für alle Ar- ten. Die gesellschaftliche Praxis hingegen kommt der Wahrnehmung von Fragen des Schutzes heimischer Arten wie auch deren allgemeine Berücksichtigung in Industrie, Land- und Forstwirtschaft sowie dem öf- fentlichen Handeln nur halbherzig nach. Erst durch die Zwänge zur Umsetzung der Fauna-Flora-Habitat- Richtlinie der EU ist der Schutz von Arten und ihren Lebensräumen wieder in das öffentliche Interesse ge- rückt. Für den langfristigen Erhalt der biologischen Vielfalt sind vor allem folgende Rahmenbedingungen erfor- derlich, die heute leider nur ansatzweise gegeben sind: Umweltbildung aller Bevölkerungsschichten - Wirksame Vermittlung von Grundkenntnissen über die Arten, deren Biologie und Lebensräume erfolgt nicht nur in Schulen, sondern kontinuierlich durch die Vielfalt der Medien. - Praktisches Naturerleben findet im täglichen Leben statt. - Der Wert naturnaher Ökosysteme als Grundlage menschlichen Wirkens findet breite Akzeptanz. Ausbildung und Wirken von Artspezialisten - Kompetente Spezialisten für möglichst viele Ar- tengruppen forschen und lehren kontinuierlich an Hoch- und Fachschulen insbesondere auf den Ge- bieten Taxonomie und Ökologie. - Museen, Verbände und Behörden fördern die Ver- mittlung von Spezialwissen. Gesellschaftliche Leitbilder zum Umgang mit Arten und Lebensräumen - Verschiedenartige, naturbelassene Gebiete bieten Raum für natürliche Dynamik, sind Rückzugs- und Ausgangsgebiete für spezialisierte Arten/Taxa. - Für nutzungsabhängige Lebensräume der Kultur- landschaft werden Strategien zu Erhalt und Förde- rung bzw. zum Auflassen dieser Lebensraumtypen erarbeitet. Akzeptanz der biologischen Vielfalt als Wirtschafts- faktor - Erkennen, Erhalt und Förderung spezifischer Arten und Lebensräume im jeweiligen Wirkungsbereich gehören zum Selbstverständnis von Wirtschaft und öffentlicher Hand. 11 - Der wirtschaftlich relevante Wert verschiedenster langfristig intakter Ökosysteme wird in Strategien und Pläne von Wirtschaftsunternehmen und Ver- waltungen einbezogen. - Naturerleben, Erholung und intakte biologische Kreisläufe werden im privaten, wirtschaftlichen und öffentlichen Leben als kommerzielle Größe angesehen. Weitgehende wirtschaftliche Selbständigkeit der Landschaftspflege - Dienstleistungen zum Erkennen, Erhalten und För- dern spezifischer Arten und Lebensräumen sind selbständige Wirtschaftsbereiche. - Für ausgewählte Gebiete der Kulturlandschaft fin- den Konzepte zur wirtschaftlichen Weiterführung traditioneller Nutzungsformen Anwendung. Angaben zur Bestandssituation und -entwicklung in der Naturschutzpraxis Soll bei Entscheidungen zu Maßnahmen, die den Na- turhaushalt betreffen, die gesamte biologische Vielfalt in die Abwägung einbezogen werden, müssen umfas- sende Kenntnisse zum Vorkommen der Arten, ihrer Biologie und ihren ökologischen Ansprüchen verfüg- bar sein. Die konkrete Bestandssituation eines Artvorkom- mens wird bislang meist danach beurteilt, ob diese Art in der Roten Liste aufgeführt ist oder nicht. Bei der systematischen Prüfung von Artenlisten auf "Ro- te-Liste-Arten" kommt es somit meist nur zu gele- gentlichen "Treffern". In nachfolgende Betrachtungen werden nur wenige Informationsträger einbezogen. Das Vorkommen (bzw. Fehlen) einer Rote-Liste-Art beeinflußt die Bewertung einer Artenliste/Fläche im hohen Maße. Für Gebiete ohne Vorkommen von Ar- ten der Roten Liste folgt daraus eine geringere Wert- schätzung trotz gleicher oder gar in der Gesamtheit "wertvollerer" Artzusammensetzung. Da Rote Listen laut Definition nur die aktuell gefähr- deten oder aufgrund extremer Seltenheit potentiell ge- fährdeten Arten enthalten, sind deren Arten in der Regel nur selten anzutreffen. Sie sind somit zur quan- titativ vergleichenden Einstufung einzelner Artenlis- ten/Flächen nur bedingt geeignet. Außerdem besteht die Möglichkeit falscher Ableitungen aufgrund un- vollständiger Erfassung der „Spitzenarten“. Hohen Indikatorwert für gefährdete Ökosysteme haben Rote-Liste-Arten jedoch in Verbindung mit je- nen Arten, die allgemein in der Region eine rückgän- gige (bis konstante) Bestandsentwicklung haben und zudem allgemein selten (bis verbreitet) sind (vgl. FRANK 1991). Die Wahrscheinlichkeit, mehrere Arten Nutzung von Kenntnissen über Bestandssituation und -entwicklung aus diesen Gruppen anzutreffen, ist wesentlich höher. Die Eignung zur qualitativ-vergleichenden Einschät- zung einzelner Artenlisten/Flächen ist deutlich besser. Für die praktische Naturschutzarbeit eröffnet sich mit dem hier vorgelegten Werk die Chance, bei der Beurteilung von Artvorkommen von der ausschließli- chen Berücksichtigung des Vorkommens von Rote- Liste-Arten, wegzukommen und statt dessen eine möglichst ganzheitliche Beurteilung des Artbestandes vorzunehmen. Zwar war dies auch bisher unter Ein- beziehung von kompetentem Sachverstand möglich - einem Sachverstand, auf den auch in Zukunft nicht verzichtet werden kann. Diese Übersicht liefert dafür aber zusätzlich noch eine umfassende, vergleichbare und nachvollziehbare Kriteriensammlung. Insbeson- dere ist es möglich, die Bedeutung von verbreiteten Arten mit rückgängiger Bestandsentwicklung oder seltenen Arten ohne Bestandsveränderungen besser hervorzuheben. Gleichzeitig können die im öffentli- chen Bewußtsein bereits anerkannten Roten Listen gefährdeter Arten vom Ballast zusätzlicher Angaben entlastet und dadurch leichter verständlich werden. Bei der Beurteilung von Lebensräumen anhand dort nachgewiesener Arten sollte möglichst nicht nur der Anteil gefährdeter, rückgängiger bzw. seltener Taxa einbezogen werden, sondern auch Bezug auf die Ökologie dieser Arten genommen werden. Nur durch das Wissen um die ökologischen Ansprüche der ein- zelnen Arten, können deren Beziehungen, die Kon- kurrenzverhältnisse und spezifische Ansprüche richtig eingeschätzt werden. Für Naturschutzfragen besonders relevante ökolo- gische Faktoren sind beispielsweise für die Pflanzen der Hemerobiegrad, der Nährstoff- und der Feuchte- zeigerwert sowie sonstige Anpassungen an Extrem- werte (vgl. FRANK 1991, ELLENBERG et al. 1992, KORNECK et al. 1998, SCHNITTLER et al. 1998). Das Vorkommen mancher Wirbelloser ist hinge- gen unabhängig von den genannten Faktoren aus- schließlich vom Vorhandensein spezifischer Struktu- ren abhängig. Ungefährdete Arten Als offensichtlich ungefährdet können die „in Aus- breitung“ befindlichen Taxa und jene die „gemein“, bzw. „häufig“ sind, angesehen werden (vgl. FRANK & KLOTZ 1990, FRANK 1992). Von den im Bezugsgebiet als „verbreitet“ einge- stuften Arten sind jene mit konstanter Bestandsent- wicklung im Einzelfall die aktuelle Gefährdung zu prüfen. Verbreitete, seltene bzw. sehr seltene Arten mit konstanter oder rückgängiger Bestandsentwick- lung, die keine Neubürger (N oder G) sind, sollten bei naturschutzfachlichen Betrachtungen grundsätzlich besondere Berücksichtigung finden. 12 Rote Listen Rote Listen gefährdeter Arten haben sich seit ihrer Einführung in Deutschland in den 1970er Jahren (SUKOPP 1998) zu einem anerkannten Instrument für die praktische Naturschutzarbeit entwickelt. Ein sol- ches Wahrnehmen und Akzeptieren von Problemen unserer lebenden Umwelt ist insbesondere in einer Zeit der zunehmenden Technisierung, Verstädterung und virtuellen Realitätsdarstellung von Bedeutung. In diesem Zusammenhang sollte durch die Verfas- ser von Roten Listen (nachfolgend immer im Sinne ”Roter Listen gefährdeter Arten” verwendet) beson- derer Wert auf die Beibehaltung und Erweiterung die- ser allgemeinen Akzeptanz Roter Listen durch Bür- ger, Naturnutzer, Verbände und Behörden gelegt werden. Die breite allgemeine Verständlichkeit wird insbesondere durch die Kontinuität der Bezugswerke gewährleistet. Ebenso von Bedeutung ist die allge- meine Anerkennung der Berufung von Rote-Liste- Autoren durch eine hierfür akzeptierte Gebietskörper- schaft (Behörde, Verein). Rote Listen sind Expertengutachten, welche re- gelmäßiger Fortschreibung bedürfen. Im Sinne der allgemeinen Verständlichkeit und Akzeptanz sollten Rote Listen grundsätzlich über einen längeren Zeit- raum (mindestens 8-10 Jahre) gültig bleiben. Verän- derte Neuauflagen, kurzfristige Fortschreibungen oder gar parallel veröffentlichte ”Schattenlisten” er- schweren die Anwendung dieser Listen. Für die Nut- zer ist es schwer, das jeweils aktuelle Bezugswerk zu finden, es inhaltlich wahrzunehmen, und die inhaltli- che Diskussion über Rote Listen mit weiteren An- wendern zu führen, da diese möglicherweise eine an- dere ”Version” der jeweiligen Liste als ”aktuell” füh- ren. Für die breite Anwendung von Roten Listen ist es unerheblich, ob einzelne neue wissenschaftliche Er- kenntnisse vorliegen, die bei der Fortschreibung eine Neueinstufung der Gefährdung zur Folge haben könn- ten. Die Beurteilung von Einzelfällen sollte grund- sätzlich durch ausgewiesenes Fachpersonal erfolgen, dabei müssen natürlich neue wissenschaftliche Er- kenntnisse berücksichtigt werden. Um dies zu ermöglichen, wurden für Sachsen-Anhalt der bis dato bekannte Erkenntniszuwachs veröffent- licht (LAU 1996), ohne eine Neuauflage der Roten Listen zu veranlassen. Rote Listen in Sachsen-Anhalt Innerhalb der letzten sieben Jahre wurden als Ergeb- nis der Initiative vieler Artspezialisten zahlreiche Ro- te Listen für Sachsen-Anhalt, publiziert in vier Bän- den (LAU 1992, 1993, 1995, 1998), erstellt. Voraus- setzung hierfür war immer ein möglichst umfangrei- ches Studium der Bestandssituation der Arten der je- weiligen Gruppe. Die Bearbeiter konnten dabei auf sehr unterschiedliche Datengrundlagen zurückgreifen. Nutzung von Kenntnissen über Bestandssituation und -entwicklung Im Ergebnis wurde der aktuelle Kenntnisstand über die gefährdeten Arten in Form eines Expertenvotums zusammengestellt. Seitdem hat sich das Wissen über die Bestandssi- tuation aufgrund weiterer kontinuierlicher Recher- chen der Rote-Liste-Bearbeiter wie auch anderer Per- sonen, die durch die Roten Listen zu eigenen Beob- achtungen angeregt wurden, zumeist verbessert. Neue Erkenntnisse dürfen aber nicht automatisch zur bald- möglichen Fortschreibung der Roten Listen führen, da für potentielle Nutzer der aktuelle Stand nicht mehr nachzuvollziehen und Verwirrung unvermeid- bar wäre. Eine Fortschreibung Roter Listen sollte frü- hestens nach etwa 10 Jahren erfolgen. Die inzwischen relativ gute Datenlage zu ver- schiedenen Artengruppen ermöglicht es nun, eine ak- tuelle Zusammenfassung des Wissens über die Be- standssituation aller Taxa einer Artengruppe, nicht nur zu den gefährdeten Arten, zu erstellen. In den nachfolgenden Kapiteln finden sich bereits eine Viel- zahl neuer Erkenntnisse, die sicher bei einer Fort- 13 schreibung der Roten Listen berücksichtigt werden, jedoch bereits jetzt für Fachstudien zur Verfügung stehen. Für einige Arten sind Unterschiede zwischen der aktuellen Einstufung von Bestandssituation und -ent- wicklung einerseits und der Zuordnung zu Gefähr- dungskategorien der Roten Liste andererseits festzu- stellen. Dies ist entweder auf eine andere Gefähr- dungssituation zum Zeitpunkt der Drucklegung der jeweiligen Roten Liste oder auf Wissenszuwachs zu- rückzuführen. Nicht jede „Verbesserung“ der Be- standseinschätzung einer Rote-Liste-Art verdient es, als Erfolg im Sinne der „Listen erfolgreich erhaltener oder geförderter Tier- und Pflanzenarten der Roten Listen“ (Blaue Listen, GIGON et al. 1994, 1995) ein- gestuft zu werden. Oft handelt es sich um Kenntnis- zuwachs, veränderte Ansichten zur Einstufung des Gefährdungsgrades (KORNECK et al. 1996, SCHNITT- LER & LUDWIG 1996, BINOT et al. 1998) oder um Fehleinstufungen des Rote-Liste-Status.
Origin: /Land/Sachsen-Anhalt/LAU
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Language: Deutsch
Issued: 2009-03-03
Modified: 2009-03-03
Time ranges: 2009-03-03 - 2009-03-03
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