Description: Frank, D. & Schnitter, P. (Hrsg.): Pflanzen und Tiere in Sachsen-Anhalt Fledermausfliegen (Diptera: Nycteribiidae) Checkliste. Stand 2010, Nachtrag 2015 Joachim Müller Einführung Von den weltweit 270 ungeflügelten, augenlosen Fle- dermausfliegenarten (Familie Nycteribiidae Samouel- le, 1819 in der Superfamilie Hippoboscoidea der Sec- tion Calyptratae) leben 34 Arten in der paläarktischen Region (Hurka & Soos 1986), davon nur neun in Deutschland (Müller 1999, Heddergott 2008). Die Kenntnis der deutschen Vorkommen dieser blutsau- genden Ektoparasiten auf Fledermäusen ist noch un- zureichend und basiert hauptsächlich auf den Bearbei- tungen von Bau (1929), Rapp (1942), Weidner (1958), Hurka (1971) und Kock (1974) und wurde danach nur von wenigen Spezialisten ergänzt, insbesondere in Publikationen ab Mitte der 1980er Jahre hauptsächlich von D. Kock (in Fortsetzung seiner bisherigen Arbei- ten) und G. Walter (z. B. Walter 1985, 1987, 2004) in Westdeutschland (BRD) bzw. J. Müller (z. B. Müller 1990) in Ostdeutschland (DDR) sowie ibidem seit An- fang der 2000er Jahre von M. Heddergott (Hedder- gott & Kock 2003) und neuerdings von O. Lindecke (Lindecke & Scheffler 2011). Die Nycteribiiden- Nachweise in Sachsen-Anhalt stammen hauptsächlich aus dem Ektoparasiten-Programm der Fachgruppe Faunistik und Ökologie, Staßfurt, die inzwischen drei Jahrzehnte u. a. diesbezüglich ehrenamtlich forschte (Müller & Ohlendorf 1984, Müller & Leuthold 1985, Müller 1989, 1989/90, 1990, 1996a, 1996b). Die geringe Bearbeitung dieser Fliegenfamilie liegt gewiss an ihrer verborgenen Lebensweise in einer sehr spezifischen Nische (im Fell) der Fledermäuse, die wie- derum sehr versteckt in verschiedenen Höhlen leben. Dabei besiedeln sie neben den spezifischen (Haupt-) Wirtsarten auch „Nebenwirtsarten“ in Quartieren mit mehreren Fledermausarten, wenn sie ihren Wirt zur Ablage einer verpuppungsreifen Larve verlassen und danach auf ein Wirtsindividuum einer anderen Art zu- rückkehren. Die abgesetzten Larven verpuppen sich sogleich und kleben als Puparium (deshalb im System auch als Pupipara eingegliedert) an der Quartierwand oder im Kot. Sie können etwa drei Wochen nach dem Absetzen schlüpfen und erneut (auch andere) Fleder- mäuse besiedeln. Trotz der relativ wenigen Nycteribiiden-Funde lassen sich mit erkennbaren Areal- und Bestandsänderungen der Wirtsarten auch bei deren spezifischen Ektopara- siten solche Areal- und Bestandsänderungen erken- nen. Dies wird z. B. beim Wirt-Parasit-Komplex Myotis 1126 daubentoni-Nycteribia kolenatii-Penicillidia monoceros deutlich, wobei hier noch der relativ seltene Fall ei- ner Arealerweiterung in westlicher bzw. südwestlicher Richtung aus klimatisch kontinental geprägter Region festzustellen ist (Kock 2004). Dem Verfasser liegen allein für den Zeitraum zwischen 1966 und 1994 aus 14 ostdeutschen Fundorten 31 Nachweise der bisher hauptsächlich nordpaläarktisch verbreiteten Penicillidia monoceros vor, womit seinerzeit eine südwestliche Ver- breitungsgrenze im Harz belegt werden konnte (Mül- ler 1996b). Kock (2004) analysierte die noch zuneh- mende Anzahl von Nachweisen aus westlicheren Fund- orten und diskutierte die Arealerweiterung im Zusam- menhang mit der Ausbreitung des Hauptwirtes Myotis daubentoni (Wasserfledermaus) und (unterstützend) von Nebenwirten. Bearbeitungsstand, Datengrundlagen Neben den bisher vier für Sachsen-Anhalt sicher nach- gewiesenen Nycteribiiden-Arten (44 % der in Deutsch- land nachgewiesenen Arten) sind auch folgende, be- reits im benachbarten Thüringen nachgewiesene, zu erwarten: Phthiridium biarticulatum Hermann, 1804, spezifisch für Hufeisennasen, (Nachweise 2000, 2002 nach Heddergott 2003, Heddergott & Kock 2003); Nycteribia vexata Westwood, 1834, spezifisch für Myo- tis myotis, (Nachweis 2000 nach Heddergott & Kock 2003) und Basilia mongolensis nudior Hurka, 1972 auf der erst neu beschriebenen und für Deutschland erstmals im Jahre 2005 nachgewiesenen Nymphenfle- dermaus Myotis alcathoe Helversen & Heller, 2001 (Heddergott 2008). Penicillidia monoceros (Länge etwa 3,5–4 mm) von Myotis dau- bentonii. Rübeland-Neuwerk, 2.3.1982, Foto: J. Müller. Außerdem benennen Heddergott & Kock (2003) auch als zu erwarten auf dem Hauptwirt Myotis natte- reri (Fransenfledermaus) Nycteribia latreillei (Leach, 1817) und Basilia nattereri (Kolenati, 1857). Der von Gottschalk (1970) für Thüringen auf Myo- tis daubentoni genannte Fund einer „Listropodia schmid- ti“ (Listropodia als ungerechtfertigte Emendation anstel- le Listropoda Kolenati, 1857 und vermutlich auch noch mit Druckfehler schmidti anstelle schmidli) (jetzt syno- nym mit N. schmidlii) muss nach Heddergott & Kock (2003) als Fehldetermination geführt werden, da die- se Nycteribiide nur auf ihrem Hauptwirt Miniopterus schreibersi (Kuhl, 1817) oder (erfahrungsgemäß) nur in ihrem Areal auf Nebenwirten vorkommen. Methodische Hinweise zur wünschenswerten weiteren Erfassung gaben Walter (1985) und Müller (1990). Vorhandenes Sammlungsmaterial erscheint gegenwär- tig noch unzureichend untersucht bzw. ist noch nicht vollständig determiniert (leider auch noch eigenes in Coll. J. Müller). Mit diesem Beitrag soll im Rahmen der Biodiversitäts-Erfassung ein erster Versuch zur Er- stellung eines Nycteribiiden-Verzeichnisses (Checklis-te) für Sachsen-Anhalt vorgelegt werden (vgl. Hedder- gott 2004 für Thüringen). Dabei betrachtet der Autor die Ektoparasiten als Bestandteil der ökologischen Aus- einandersetzung des Wirtes mit seiner Umwelt, der zur Immunstärkung und somit zur Fitness der Wirte bei- trägt. Schließlich haben die Ektoparasiten die Evolution ihrer Wirte erfolgreich begleitet und gehören somit zu einem wichtigen Teil der Biodiversität. Mit ihren Wir- ten sind die Fledermausfliegen als „stark gefährdet“ bzw. „gefährdet“ einzustufen. Keine Fledermausfliegen- art ist besonders gesetzlich geschützt. Nomenklatorisch wird der deutschen Nycteribiiden- Checkliste (Müller 1999) nach Hurka & Soos (1986) gefolgt. Nycteribia kolenatii (Länge jeweils etwa 2,2 mm) von Myotis daubentonii. Rübeland-Neuwerk, Präparat in Kanadabalsam. 2.3.1982, Foto: J. Müller.Penicillidia monoceros von Nyctalus noctula. Ventrale Abdo- menansicht mit der arttypischen Dornenreihe auf dem 5. Ster- nit (etwa 0,5 mm breit) und den beiden Clasper des Genitalap- parates. Hakel, 14.8.1966, leg. M. Stubbe, Foto: J. Müller. Literaturfliegen Thüringens (Diptera: Calyptrata, Nycteribii- dae). Stand: 31.07.2004. – In: Thüringer Entomo- logenverband e. V. (Hrsg.): Check-Listen Thüringer Insekten und Spinnentiere Teil 12, Erfurt, S. 73–75. Heddergott, M. (2008): Erstnachweis der Fledermaus- fliege Basilia mongolensis nudior Hurka, 1972 in Deutschland (Diptera: Nycteribiidae). – Studia dipte- rol. (Halle) 15 (1–2): 301–304. Heddergott, M. & Kock, D. (2003): Die Fledermaus- fliegen Thüringens (Diptera: Calyptrata: Nycteribii- dae). – Entomol. Zeitschr. (Stuttgart) 113: 283–286. Hurka, K. (1971): Zur Kenntnis der Fledermausflie- gen-Fauna (Diptera: Nycteribiidae) des deutschen Bau, A. (1929): Die Pupipara der Dipteren-Sammlung Victor v. Röder. – Zool. 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Anschrift des Verfassers Dr. Joachim Müller Frankefelde 3 39116 Magdeburg E-Mail: faunoek.jmueller@t-online.de Tab. 77.1: Checkliste der Fledermausfliegen in Sachsen-Anhalt Art BS Wirtsarten: Hauptwirt (Nebenwirt) Nachweis Nycteribia kolenatii h Theodor & Moscona, 1954 Myotis daubentonii, (Myotis myotis, Kock (1974), Lindecke & Scheffler (2011), Mül- Myotis nattereri, Plecotus auritus, ler & Ohlendorf (1984), Müller, & Leuthold Barbastella barbastellus) (1985), Müller (1989/1990, 1996a), 2003 Müller Basilia nana Theodor, 1954 mh Myotis bechsteini, Myotis nattereri Müller (1989, 1996a) Penicillidia dufourii ss Myotis myotis Bau (1929), Kock (1974) (Westwood, 1835) Penicillidia monoceros mh Myotis daubentonii, Nyctalus noctula, Müller & Ohlendorf (1984), Müller & Leut- Speiser, 1900 (Myotis dasycneme, Pipistrellus nathu- hold (1985), Müller (1989, 1996a, 1996b). Kock sii, Plecotus auritus) (2004), Walter (2004), 2003 Müller 1128
Origin: /Land/Sachsen-Anhalt/LAU
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Language: Deutsch
Issued: 2016-12-28
Modified: 2016-12-28
Time ranges: 2016-12-28 - 2016-12-28
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