Description: Frank, D. & Schnitter, P. (Hrsg.): Pflanzen und Tiere in Sachsen-Anhalt Lurche (Amphibia) Bestandsentwicklung. Stand: April 2015 Thoralf Sy & Frank Meyer Amphibien eroberten im Devon, vor etwa 350 bis 400 Millionen Jahren, als erste Wirbeltiere die Landgebiete unserer Erde und entwickelten eine enorme Diversität an Formen und Arten. Rezent werden drei sehr unter- schiedliche Ordnungen unterschieden: Schwanzlurche (Urodela), Froschlurche (Anura) und Blindwühlen (Gym- nophiona). Die Zahl der bekannten Amphibienarten ist gegenwärtig auf knapp 7.400 zu beziffern, die Webseite amphibiaweb.org gibt eine „tagesaktuelle“ Zahl an. Mit- teleuropa ist ausgesprochen arm an Amphibien, was in erster Linie den Wirkungen der pleistozänen Kaltzeiten zuzuschreiben ist (Hofrichter 1998). Bearbeitungsstand, Datengrundlagen Von den 21 in Deutschland heimischen Amphibien- arten kommen 18 in Sachsen-Anhalt vor. Im Rahmen eines ehrenamtlichen, durch den Landesfachausschuss Feldherpetologie des Naturschutzbundes Deutschland koordinierten Projektes zur landesweiten Kartierung der Herpetofauna Sachsen-Anhalts wurden vor allem im Zeitraum 1995 bis 2001 umfangreiche Daten erho- ben. Diese mündeten schließlich in der Verbreitungs- darstellung der Lurche und Kriechtiere Sachsen-An- halts von Meyer et al. (2004). In den darauffolgenden Jahren erfolgten einerseits vor allem in den FFH-Gebieten Sachsen-Anhalts inten- sivere Erfassungen der Herpetofauna, z. B. im Rahmen der FFH-Managementplanung oder im Zuge meh- rerer Kartierungsprojekte des Landesamtes für Um- weltschutz. In der Regel standen dabei die Arten der Anhänge II und IV der FFH-Richtlinie im Fokus der Erhebungen. Andererseits nahm die Kartierungsinten- sität im Rahmen von Eingriffsplanungen in den vergan- genen Jahren weiter zu. Für viele Arten waren die Tätigkeiten mit weiteren Kenntnisgewinnen verbunden. So ist z. B. für den Laub- frosch (Hyla arborea) im Bereich der Saale-Elster-Aue und im Stadtrandgebiet von Halle ein Ausbreitungspro- zess festzustellen, der momentan anhält. Daneben sind auch in der Altmark neue Fundorte des Laubfrosches bekannt geworden, welche das aktuelle Verbreitungs- bild ergänzen. Dank vermehrter Kartierungsaktivitäten konnte auch für den Bergmolch (Ichthyosaura alpest- ris) der Kenntnisstand im Fläming und Vorfläming verbessert werden. Den Ergebnissen von Berg & Hen- nig (2011) zufolge ist der Bergmolch in den Fläming- Grenzregionen zwischen Sachsen-Anhalt und Bran- denburg deutlich weiter verbreitet als bislang angenom- men. Zugleich gelangen in der nordwestlichen Altmark weitere Funde des Bergmolches (R. Knapp mdl. Mitt.). Auch dieses Vorkommensgebiet ist unter zoogeogra- phischen Gesichtspunkten von besonderem Interesse. Trotz der verbesserten Kenntnislage bezüglich der Verbreitungssituation bleibt die Ableitung konkreter Bestandstrends für die meisten Arten mit z. T. erheb- lichen Schwierigkeiten behaftet. In der Regel fehlen hierfür vor allem flächenkonkrete und quantitative Ver- gleichsdaten oder entsprechende Kenntnisse sind regio- nal sehr begrenzt. Große Unsicherheiten bestehen nach wie vor für die Arten des „Wasserfrosch-Komplexes“. Insbesondere im Fall des Kleinen Wasserfrosches (Pelo- phylax lessonae) erlauben die Schwierigkeiten bei der Determination kaum eine objektive Einschätzung der Bestandsentwicklung. Für den Kammmolch (Triturus cristatus) zeichnet sich in den meisten Schwerpunktgebieten ein mehr oder we- niger stabiles Verbreitungsbild ab. Regional halten sich Neunachweise und erloschene Vorkommen in etwa die Waage, wobei ein Großteil der Neufunde auf die im Ver- gleich zu früheren Erhebungen wesentlich effizienteren Erfassungsmethoden mittels Licht- und Reusenfallen und weniger auf aktive Ausbreitungsprozesse zurückzuführen sein dürfte. Lokal sind aber auch stärkere Bestandsein- brüche zu verzeichnen, wie z. B. am Nordharzrand, wo Der Laubfrosch (Hyla arborea) zeigt in Sachsen-Anhalt regio- nal eine Ausbreitungstendenz, landesweit lässt sich jedoch kei- ne generelle Zunahme konstatieren. Elster-Luppe-Aue, 2005, Foto: T. Sy. 511 viele ehemalige Kammmolch-Gewässer zwischenzeitlich mit Fischen besetzt und als Angelteiche genutzt werden. Gefährdungsursachen Anhaltend rückläufige Trends müssen – wie bereits von Meyer (1999) vermerkt – auch für die früheren „Massenarten“ Erdkröte (Bufo bufo) und Grasfrosch (Rana temporaria) angenommen werden. Wenngleich sich dieser Trend nicht zwingend in einer rückläufigen Rasterfrequenz widerspiegeln muss, sind die Individu- enzahlen an vielen Laichplätzen im Rückgang begriffen. Für diese charakteristischen Explosivlaicher mit ausge- prägten Wanderbewegungen zwischen Winterquartier, Laichgewässer und Sommerlebensraum zählt die fort- schreitende Fragmentierung der Habitate durch Ver- kehrstrassen, Flächenverbrauch und -versiegelung nach wie vor zu den wichtigsten Gefährdungsfaktoren. Da- neben ist zumindest lokal eine zunehmende Bedeutung der Prädation durch Neozoen, wie Mink und Waschbär, als Rückgangsursache anzunehmen. Auch die Bestände der Kreuzkröte (Bufo calamita) und der Wechselkröte (Bufo viridis) sind in Sachsen- Anhalt weiter als rückgängig einzuschätzen. Kaum eine andere Amphibienart ist in so starkem Maße an nut- zungsgeprägte Sekundärlebensräume gebunden wie die Kreuzkröte. Im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung des Braunkohlebergbaus, des Sanierungsbergbaus und der Konversion militärischer Übungsplätze hat die Art auch im vergangenen Jahrzehnt weitere Lebensraum- verluste und Bestandseinbußen hinnehmen müssen. Im Norden Sachsen-Anhalts ist die Kreuzkröte im Zuge der Sanierung von Erdgasförderanlagen vielerorts ver- schwunden oder zumindest quantitativ stark zurück- gegangen. Für viele Regionen Sachsen-Anhalts ist der Verlust der „Massenvorkommen“ in den großen Sekun- därlebensräumen charakteristisch, nicht zuletzt auf- grund der Sanierung und Flutung großer Tagebaue. Die Sicherung und Wiederherstellung geeigneter Primärle- bensräume in den Flussauen gewinnt in diesem Zusam- menhang für den langfristigen Schutz der Kreuzkröte in Sachsen-Anhalt zunehmend an Bedeutung. Mehrere Amphibienarten erreichen in Sachsen-Anhalt natürliche Verbreitungsgrenzen, und für die Erhaltung der Arten an ihren Arealrändern kommt dem Land eine besondere Verantwortung zu. Die collin-montan verbreitete Geburtshelferkröte (Alytes obstetricans) sie- delt in Sachsen-Anhalt am nordöstlichen Rand ihres vorwiegend westeuropäischen Verbreitungsgebietes. Ihr Vorkommen ist damit geographisch sehr eng begrenzt. Als Larvalhabitate dienen ihr im hiesigen Vorkommens- gebiet vorwiegend Abgrabungsgewässer und Teiche, im Südharz auch episodisch wasserführende Karstgewässer. Historisch belegte Vorkommen innerhalb von Siedlun- gen sind dagegen weitgehend erloschen. Generell ist für 512 die Art gegenwärtig eine Abnahme der Fundortdichte zu konstatieren, wobei als Ursachen vor allem die Intensivie- rung oder Aufnahme der fischereilichen Nutzung ehema- liger Gewässerhabitate sowie die nicht schutzverträgliche Nachnutzung oder Rekultivierung von Abbaustellen an- zuführen sind (Uthleb et al. 2003). Besorgniserregend ist die Bestandsentwicklung in den Messtischblättern 4232 und 4233 um Thale, Quedlinburg, Gernrode und Ballenstedt. Hier konnten in den letzten Jahren nur noch wenige der ehemaligen Vorkommen bestätigt werden. In zahlreichen Gewässern wurde ein Besatz mit Fischen festgestellt (Prof. Hellriegel-Institut & RANA 2012). Der Erhaltung der Geburtshelferkröte an ihrer nordöstli- chen Arealgrenze muss in den kommenden Jahren ver- stärkte Aufmerksamkeit gewidmet werden, ggf. auch im Rahmen eines gesonderten Artenhilfsprogrammes. Die überwiegend osteuropäisch-kontinental verbrei- tete Rotbauchunke (Bombina bombina) erreicht in Sach- sen-Anhalt ihre westliche Verbreitungsgrenze und besitzt vor allem im Elbtal noch individuenstarke Vorkommen von bundesweiter Bedeutung. Hier ist ihr Schutz untrenn- bar gekoppelt mit der Erhaltung naturnaher Flussland- schaften und einer weitgehend unregulierten Überflu- tungsdynamik (Sy & Meyer 2001). Im Rahmen der zwi- schen 1999 und 2002 vorgenommenen Studien zu einem landesweiten Artenhilfsprogramm für die Rotbauchunke konnte zunächst die Verbreitungssituation auf einen aktu- ellen Stand gebracht werden. Außerdem wurden Schwer- punkte regionaler und lokaler Rückgänge benannt und entsprechende Maßnahmekonzepte erarbeitet, um weite- ren Bestandseinbußen entgegenzu- wirken (Sy & Meyer 2004). Der generell rückläufige Trend ist vor allem au- ßerhalb der großen Stromauen nicht gestoppt, und es ist aus heutiger Sicht eine besonders dringliche Umsetzung von Maßnahmen des Artenhilfsprogrammes erforderlich. Schwerpunkträume sollten dabei zunächst das Untere Saaletal, die Klebitz-Rahnsdorfer Feldsölle im Vorfläming und Hochfläming, die Elster-Luppe-Population bei Mer- seburg sowie die Vorkommen im Köthener Ackerland und in der Magdeburger Börde sein. Daneben sind große Anstrengungen erforderlich, auch die individuenreichen Populationen des Elbtals langfristig zu sichern. Hierfür sind u. a. die Revitalisierung von Auengewässern, die Op- timierung des Wasserrückhalts in der Überflutungsaue und Deichrückverlegungen geeignete Maßnahmen. Die wesentlichen Rückgangsursachen für die heimi- schen Amphibien sind, zusammenfassend betrachtet, seit vielen Jahren konstant und bekannt. Nach wie vor spie- len die Faktoren der Lebensraumverluste und -degradie- rung, der Landschaftszerschneidung, der Entwertung der Flussauen, der intensiven Nutzung der Landhabitate aber auch der Nutzungsaufgabe von Sekundärlebens- räumen die entscheidende Rolle. Untersuchungsbedarf besteht noch zum Einfluss von Prädatoren, insbesonde- re von Neozoen, auf Amphibienpopulationen. Lurche (Amphibia) Noch weitgehend unbekannt ist der Einfluss des Chytridpilzes Batrachochytrium dendrobatides (Bd) auf heimische Amphibienarten. Der Pilz verursacht Chy- tridiomykose, eine Hauterkrankung, die ursächlich mit einem weltweit beobachteten Amphibienrückgang in Zusammenhang gebracht wird. Der Erreger ist auch inMitteleuropa weit verbreitet und auf vielen Amphibien nachweisbar. Anders als in Amerika, Australien oder Spanien sind aus Deutschland jedoch bislang keine durch Bd verursachten Bestandseinbrüche oder Rück- gänge von Amphibien bekannt geworden (Ohst et al. 2011, Böll et al. 2014). Die Knoblauchkröte (Pelobates fuscus) ist in Sachsen-Anhalt noch relativ weit verbreitet. Geiseltal (Innenkippe), 2010, Foto: M. Schulze.Für die in Sachsen-Anhalt stark gefährdete Rotbauchunke (Bombina bombina) sind dringend weitere Maßnahmen des Artenhilfsprogrammes umzusetzen. Gohrischheide (SN), 2009, Foto: M. Schulze. Literaturrenti, Bielefeld, 239 S. Ohst, T.; Gräser, Y.; Mutschmann, F. & Plötner, J. (2011): Neue Erkenntnisse zur Gefährdung europäisch- er Amphibien durch den Hautpilz Batrachochytrium den- drobatides. – Zeitschr. Feldherpetol. (Bielefeld) 18: 1–17. Prof. Hellriegel-Institut & RANA (2012): Grund- datensatz Naturschutz zur Investitionssicherung – Er- fassungen von Arten der Anhänge II und IV in FFH- Gebieten und in Flächen mit hohem Naturschutzwert: Lurche und Kriechtiere im Harz/Nordharzvorland in Sachsen-Anhalt – Plausibilitätsprüfung der Meldeda- ten, Festlegung dauerhafter Überwachungsflächen. – Unveröff. Gutachten im Auftrag des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt, 172 S. u. Anl. Sy, T. & Meyer, F. (2001): Die Rotbauchunke (Bombina bombina) an ihrer westlichen Arealgrenze – zur Ver- breitung und Gefährdungssituation in den Flussauen Sachsen-Anhalts. – In: Kuhn, J.; Laufer, H. & Pintar, M. (Hrsg.): Amphibien in Auen. – Zeitschr. Feldher- petol. (Bochum) 8: 233–244. Sy, T. & Meyer, F. (2004): Bestandssituation und Schutz der Rotbauchunke in Sachsen-Anhalt. – Ber. Landesamt. Umweltschutz Sachsen-Anhalt (Halle) SH 3/2004: 1–297. Thüring, M. (2012): Der Fadenmolch Lissotriton helve- ticus (Razoumowsky, 1789) am nordöstlichen Are- alrand – Analyse der ausbreitungslimitierenden Fak- toren unter besonderer Berücksichtigung der Vorkom- men in Sachsen-Anhalt. – Masterarb., Hochschule Anhalt, Bernburg 67 S. Uthleb, H.; Scheidt, U. & Meyer, F. (2003): Die Ge- burtshelferkröte (Alytes obstetricans) an ihrer nord- östlichen Verbreitungsgrenze: Vorkommen, Habitat- Berg, J. & Hennig, R. (2011): Aktuelle Verbreitung des Bergmolches (Ichthyosaura alpestris) nordöstlich der Elbe – eine colline Art im Fläming. – Rana (Rangs- dorf) 12: 13–25. Böll, S.; Tobler, U.; Geiger, C. C. & Hansbauer, G. (2014): Unterschiedliche Bd-Prävalenzen und -Be- fallsstärken verschiedener Amphibienarten und Ent- wicklungsstadien an einem Chytridpilz belasteten Standort in der bayerischen Rhön. – Zeitschr. Feld- herpetol. (Bielefeld) 21: 183–194. Hofrichter, R. (Hrsg.) (1998): Amphibien – Evolu- tion, Anatomie, Physiologie, Ökologie und Verbrei- tung, Verhalten, Bedrohung und Gefährdung. – Na- turbuch-Verl., Augsburg, 264 S. Meyer, F. (1999): Bestandsentwicklung der Lurche (Am- phibia). – In: Frank, D. & Neumann, V. (Hrsg.): Be- standssituation der Pflanzen und Tiere Sachsen-An- halts. – Ulmer, Stuttgart, S. 172–174. Meyer, F. & Buschendorf, J. (2004): Rote Liste der Lur- che (Amphibia) und Kriechtiere (Reptilia) des Landes Sachsen-Anhalt. – Ber. Landesamt. Umweltschutz Sach- sen-Anhalt (Halle) 39: 144–148. Meyer, F.; Mehnert, J. & Nöllert, A. (2001): Verbrei- tung und Situation des Kammolches in den Ländern Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen. – Rana (Rangsdorf), SH 4: 71–82. Meyer, F.; Buschendorf, J.; Zuppke, U.; Braumann, F.; Schädler, M. & Grosse, W.-R. (Hrsg.) (2004): Die Lurche und Kriechtiere Sachsen-Anhalts – Ver- breitung, Ökologie, Gefährdung und Schutz. – Lau- 513
Origin: /Land/Sachsen-Anhalt/LAU
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Language: Deutsch
Issued: 2016-12-28
Modified: 2016-12-28
Time ranges: 2016-12-28 - 2016-12-28
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