Description: Ohrwürmer (Dermaptera) Bestandsentwicklung. 2. Fassung, Stand: Juni 2013 Michael Wallaschek Die weltweit ältesten Funde von Dermapteren datie- ren bis in das Erdmittelalter, genauer in das Jura von Karatau in Südkasachstan, zurück. Aus dem erdneu- zeitlichen oberoligozänen bis untermiozänen Bitterfel- der Bernstein sind Reste von Ohrwürmern bekannt, die einer noch heute in Sachsen-Anhalt vertretenen Familie angehören, den Forficulidae. Von den derzeit ungefähr 1.300 Ohrwurmarten der Erde wurden bisher in Deutschland acht und in Sach- sen-Anhalt fünf nachgewiesen. Trotz dieser geringen Artenzahl zeigt sich die Dermapterenfauna des Landes in systematischer, zoogeographischer und ökologischer Hinsicht erstaunlich vielfältig. So gehören alle Spezies je eigenen Gattungen an, die sich auf drei verschiedene Familien (Forficulidae, Labiidae, Labiduridae) verteilen. Es finden sich neben drei Kosmopoliten (Forficula au- ricularia, Labia minor, Labidura riparia) zwei auf Teile Europas beschränkte Arten (Apterygida media, Che- lidurella guentheri). Die deutschen Namen der hei- mischen Ohrwürmer beschreiben, außer bei der synan- thropen Labia minor, auf treffende Weise die deutlich verschiedenen Vorzugslebensräume bzw. im Falle von Forficula auricularia das, allerdings nur scheinbar, ubi- quistische Auftreten. Alle heimischen Dermapteren be- sitzen die unverwechselbaren Zangen am Hinterleibs- ende und das gleiche lichtscheue, nach Kontakt mit dem Substrat suchende und eine hohe Luftfeuchtigkeit lie- bende Wesen. Alle heimischen Ohrwurmarten können wegen ih- rer differenzierten Zoogeographie und Ökologie unter bestimmten Umständen als Indikator für Belange des Naturschutzes und der Landschaftsplanung eingesetzt Männchen des Gemeinen Ohrwurms (Forficula auricularia). Halle, 30.11.2014, Foto: D. Frank. 666 werden. In einigen Lebensräumen des Anhangs I der FFH-Richtlinie gehören Ohrwürmer zu den dominan- ten oder typischen Wirbellosen (z. B. Chelidurella guen- theri in Rotbuchen- und Eichen-Hainbuchenwäldern, Labidura riparia auf Dünen). Bei Chelidurella guentheri umfasst der in Deutschland liegende Arealteil zwischen einem Zehntel und einem Drittel des Gesamtareals, weshalb Deutschland und damit Sachsen-Anhalt nach einer von Maas et al. (2002) vorgeschlagenen, inzwi- schen umbenannten (vgl. Maas et al. 2011) Skala für die Art „in hohem Maße verantwortlich“ sind. Innerhalb Deutschlands besitzt Labidura riparia einen Verbrei- tungsschwerpunkt in Sachsen-Anhalt, was die Verant- wortlichkeit des Landes für die Art unterstreicht. Aufgrund ihrer zoo- oder pantophagen Ernährungs- weise eignen sich manche Ohrwurmarten für die bio- logische Schädlingsbekämpfung (z. B. Labidura riparia, Forficula auricularia, Apterygida media). Nicht uner- wähnt soll bleiben, dass Forficula auricularia gelegent- lich als Pflanzen- und Vorratsschädling, Lästling und in seltenen Fällen durch Verschleppung von Krankheits- erregern der Kulturpflanzen und des Menschen in Er- scheinung treten kann. Die Kenntnis der Ohrwurmfauna Sachsen-Anhalts im Hinblick auf Zoogeographie, Ökologie, Gefährdung, Schutz und Bedeutung konnte in den letzten 20 Jahren erheblich verbessert werden, insbesondere durch das Projekt „Zoogeographische und ökologische Untersu- chungen für eine Fauna der Heuschrecken, Ohrwürmer und Schaben des Landes Sachsen-Anhalt“ und nachfol- gende Arbeiten zur Aktualisierung (Wallaschek et al. 2004, 2013: 1.460 Art-Fundort-Fundzeit-Datensätze). Im Ergebnis müssen noch immer beachtliche, vor allem methodisch bedingte Wissenslücken weniger zur Öko- logie als vielmehr zur Verbreitung der indigenen Ohr- wurmarten konstatiert werden. Deshalb sind neben den Entomologen auch die Fachleute in Land- und Forst- wirtschaft, Gartenbau und Schädlingsbekämpfung auf- gerufen, ihre Ohrwurm-Funde zu publizieren oder an die Orthopterologen des Landes weiterzugeben. Die Systematik und Nomenklatur richtet sich nach Harz & Kaltenbach (1976). Die Korrektur der Na- mensgebung bei Chelidurella guentheri erfolgte nach Klaus (2010). An Synonymen sind solche in der Origi- nalschreibweise angegeben, die für das Verständnis der älteren faunistischen Literatur Sachsen-Anhalts von Bedeutung sind. Ausführliche Listen von Synonyma finden sich in Zacher (1917) und Harz & Kalten- bach (1976). Die deutschen Namen folgen weitgehend Frank, D. & Schnitter, P. (Hrsg.): Pflanzen und Tiere in Sachsen-Anhalt Harz (1957). Die in Wallaschek et al. (2004) errech- neten Distributionsklassen waren zwar die Grundlage für die Einschätzung der Bestandssituation, doch wur- den im vorliegenden Beitrag die neueren Erkenntnisse zur Verbreitung (Wallaschek 2013) sowie die Kennt- nisse zur ökologischen Zoogeographie der Arten einbe- zogen. Daher weichen die Einstufungen meist um zwei Klassen nach oben ab. Keine der Ohrwurmarten ist ge- setzlich geschützt. Die Angaben zur Roten Liste der Ohr- würmer Sachsen-Anhalts stammen aus Wallaschek (2004). Sämtliche Nachweise beruhen auf Wallaschek (2013), weshalb auf die entsprechende Spalte in der Ta- belle verzichtet wurde. Danksagung Den Herren B. Schäfer (Stendal), R. Schweigert (Dit- furt) und M. Unruh (Großosida) sei herzlich für die kritische Durchsicht des Manuskripts und für Hinweise gedankt. Literatur Harz, K. (1957): Die Geradflügler Mitteleuropas. – Gus- tav Fischer, Jena, 495 S. Harz, K. & Kaltenbach, A. (1976): Die Orthopteren Europas III. – Ser. Entomol., Vol. 12, Junk, The Hague, 434 S. Klaus, D. (2010): Anmerkungen zu den sächsischen Altfunden von Anechura bipunctata (Fabricius) und Korrekturhinweise zu den Checklisten der Schaben und Ohrwürmer Sachsens (Dermaptera, Blattopte- ra). – Mitt. sächs. Entomol. (Mittweida) Nr. 90: 3–11. Maas, S.; Detzel, P. & Staudt, A. (2002): Gefährdungs- analyse der Heuschrecken Deutschlands. Verbreitungs- atlas, Gefährdungseinstufung und Schutzkonzepte. – Bundesamt für Naturschutz, Bonn-Bad Godes- berg, 401 S. Maas, S.; Detzel, P. & Staudt, A. (2011): Rote Liste und Gesamtartenliste der Heuschrecken (Saltatoria) Deutsch- lands. 2. Fassung, Stand Ende 2007. – Naturschutz Biol. Vielfalt (Bonn-Bad Godesberg) 70 (3): 577–606. Wallaschek, M. (unter Mitarbeit von Oelerich, H.-M.; Richter, K. & Schulze, M.) (2004): Rote Liste der Ohr- würmer (Dermaptera) des Landes Sachsen-Anhalt (2. Fassung, Stand: Februar 2004). – Ber. Landesamt. Umweltschutz Sachsen-Anhalt (Halle) 39: 220–222. Wallaschek, M.; Langner, T. J. & Richter, K. (unter Mitarbeit von Federschmidt, A.; Klaus, D.; Miel- ke, U.; Müller, J.; Oelerich, H.-M.; Ohst, J.; Osch- mann, M.; Schädler, M.; Schäfer, B.; Scharapen- ko, R.; Schüler, W.; Schulze, M.; Schweigert, R.; Steglich, R.; Stolle, E. & Unruh, M.) (2004): Die Geradflügler des Landes Sachsen-Anhalt (Insecta: Dermaptera, Mantodea, Blattoptera, Ensifera, Caeli- fera). – Ber. Landesamt. Umweltschutz Sachsen-An- halt (Halle) SH 5/2004: 1–290. Wallaschek, M. (unter Mitarbeit von Elias, D.; Klaus, D.; Müller, J.; Schädler, M.; Schäfer, B.; Schul- ze, M.; Steglich, R. & Unruh, M.) (2013): Die Ge- radflügler des Landes Sachsen-Anhalt (Insecta: Der- maptera, Mantodea, Blattoptera, Ensifera, Caelifera): Aktualisierung der Verbreitungskarten. – Entomol. Mitt. Sachsen-Anhalt (Schönebeck) SH 2013: 1–100. Zacher, F. (1917): Die Geradflügler Deutschlands und ihre Verbreitung. – Gustav Fischer, Jena, 287 S. Anschrift des Verfassers Dr. Michael Wallaschek Agnes-Gosche-Straße 43 06120 Halle (Saale) Tab. 29.1: Bestandsentwicklung der Ohrwürmer in Sachsen-Anhalt Zusätzliche Anmerkung: Rote Liste (RL) Bezug auf Wallaschek (2004) Art BR BS BE Apterygida media (Hagenbach, 1822) T, H mh0 Chelidurella guentheri Galvagni, 1994mh0 Forficula auricularia L., 1758 Labia minor (L., 1758)sh mh0 0 s Labidura riparia (Pallas, 1773) T, H UV 1.1.12.1, 1.2 1.1.12.1, 3.2.4.1, 3.2.9.1 8., 12.5, 13.2 SM 1.5.2.1, 1.10 1.5.2.1, 2.2.1, 2.2.5 4.4, 8.3, 7.2, 7.4, 12.1.6 RL Bm Synonym, Deutsche Namen Sphingolabis albipennis Megerle, 1825; Gebüsch-Ohrwurm Chelidurella acanthopygia (Géné, 1832); Wald-Ohrwurm 2 V Gemeiner Ohrwurm Forficula minor L., 1758; Kleiner Zangenträger Forficula gigantea F., 1787; Sand-Ohrwurm 667 Pflanzen und Tiere in Sachsen-Anhalt Ein Kompendium der Biodiversität Dieter Frank und Peer Schnitter (Hrsg.) Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt 3
Origin: /Land/Sachsen-Anhalt/LAU
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Language: Deutsch
Issued: 2016-12-28
Modified: 2016-12-28
Time ranges: 2016-12-28 - 2016-12-28
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