Description: Rüsselkäfer (Coleoptera: Curculionidae) Bestandssituation Karla Schneider Einführung Die Rüsselkäfer sind mit etwa 1.200 Arten eine der artenreichsten Käfergruppen in Mitteleuropa. Weltweit stellen sie mit rund 50.000 Arten die umfangreichste Familiengruppe dar. Charakteristisch für diese Käfer ist die rüsselförmige Verlängerung des Kopfes. Die in Mitteleuropa beheima- teten Arten sind nicht sehr groß und eher unauffällig (1,3–20 mm). Sie durchleben eine vollständige Ver- wandlung vom Ei über die Larve und Puppe zum ferti- gen Insekt. Käfer und Larven der heimischen Arten sind phytophag, das heißt, sie ernähren sich von Pflanzen. Nur wenige der mitteleuropäischen Pflanzen werden von ihnen nicht befallen. Häufig gibt es eine oligophage, bei etwa 10 % der Arten eine monophage Bindung an die Pflanzen. Die Imagines bevorzugen meist die ober- irdischen Teile der Pflanzen als Nahrung, während die Larven hauptsächlich im Inneren des Pflanzenkörpers leben. Sie entwickeln sich in Stängeln, Blütenböden, Wurzeln oder im Holz. Einige minieren in Blättern bzw. fressen frei an Blättern. Meist wird eine Generation pro Jahr durchlaufen. Die Überwinterung erfolgt häufig im Imaginalstadium. Rüsselkäfer kommen in allen terrestrischen Lebens- räumen vor. Besonders artenreich werden trockenwarme offene Standorte besiedelt. Einige Gattungen (Bagous, Hydronomus, Tanysphyrus) sind sekundär zur Lebens- weise an Wasserpflanzen übergegangen. Die wirtschaftli- che Bedeutung dieser Käfergruppe ist enorm. Viele Arten Die häufige Rüsselkäfer-Art Apion haematodes bewohnt offene und warme Standorte. Sie lebt monophag auf Kleinem Sauer- ampfer (Rumex acetosella). Foto J. Händel. 888 verursachen einerseits in der Land- und Forstwirtschaft sowie in der Lagerwirtschaft große Schäden, anderer- seits werden Arten zielgerichtet zur Unterdrückung von Neophyten eingesetzt. Bearbeitungsstand, Datengrundlagen Die Rüsselkäfer sind in Sachsen-Anhalt derzeit mit 733 Arten vertreten. Das entspricht rund 79 % der 928 in Deutschland bisher nachgewiesenen Arten. Der Rückgang gezielter faunistischer Untersuchungen, der große Artenreichtum und die spezielle Lebensweise vieler Arten – zahlreiche Arten sind oft nur direkt an der Entwicklungspflanze zu finden, häufig leben sie sehr versteckt bzw. sind dämmerungs- oder nachtaktiv, außerdem sind viele unauffällig gefärbt und dadurch schlecht sichtbar – sind die Gründe dafür, dass nicht alle Gebiete von Sachsen-Anhalt in den letzten Jahrzehnten gleich gut durchforscht wurden. Dennoch konnten in den letzten Jahren Neunachweise für Sachsen-Anhalt registriert werden, u. a. Anthonomus chevrolati (2004, Bäse), Ceutorhynchus canaliculatus (2006, Bäse), Ceu- torhynchus niyazii (2004, Gruschwitz), Ceutorhynchus pervicax (2002, Bäse), Isochnus foliorum (2006, Bäse) und Pachyrhinus lethierryi (2007, Scholze). Einige als verschollen geltende Arten wurden wieder gefunden u. a. Bradybatus fallax (2006, Bäse), Camptorhinus statua (2007, Schneider), Dorytomus salicis (2007, Strobl), Magdalis barbicornis (2007, Strobl), Gymne- tron bipustulata (2009, Bäse – als Rhisuna bipustulata), Rhyncolus reflexus (2001, Dietze) und Tachyerges rufi- tarsis (2005, Bäse). Grundlagen für die vorliegende Checkliste bilden die Faunenverzeichnisse von Rapp (1934) und Borchert (1951) sowie das umfangreiche Datenmaterial aus den „Beiträgen zur Insektenfauna der DDR“ von Dieck- mann (1972, 1974, 1977, 1980, 1983, 1986, 1988). Au- ßerdem wurden Fangdaten aus den Sammlungen des Zentralmagazins der Naturwissenschaftlichen Samm- lungen der Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg und des Museums für Naturkunde und Vorgeschichte Dessau sowie Angaben aus den Sammlungen der Her- ren W. Bäse, W. Gruschwitz, P. Scholze, M. Jung, T. Pietsch und der Autorin herangezogen. Zusätzlich fanden Meldungen Dritter, von den Herren K. Graser, M. Huth und S. Schornack, für die Einschätzung der gegenwärtigen Bestandssituation Einarbeitung. Fang- daten aus Literaturangaben u. a. von Sprick (2000), Dietze (2005a 2005b), Strobl (2005, 2007) und Zieg- Frank, D. & Schnitter, P. (Hrsg.): Pflanzen und Tiere in Sachsen-Anhalt ler (2006) wurden ebenso verwendet. Außerdem wird auf kommentierte faunistische Erfassungen aus der Um- gebung von Staßfurt, die sich auf die letzten 20 Jahre beziehen, verwiesen (Gruschwitz 1997, 1998, 1999, 2000a, 2000b, 2001a, 2001b, 2002 sowie Gruschwitz & Schornack 1999, 2005). Die Nomenklatur richtet sich nach Köhler & Klaus- nitzer (1998). Da es seit dem Erscheinen des Bestim- mungswerkes „Die Käfer Mitteleuropas“ von Freude et al. (1981, 1983) viele neue taxonomische Erkenntnisse gibt, die zahlreiche nomenklatorische Änderungen not- wendig machten, sind in der vorliegenden Checkliste in der Spalte „Synonyme“ nur die nomenklatorischen Veränderungen zwischen Freude et al. (1981, 1983) und dem „Verzeichnis der Käfer Deutschlands“ von Köh- ler & Klausnitzer (1998) aufgenommen worden. Heu- te werden in der Überfamilie Curculionoidea eine Reihe nahe verwandter Familien zusammengefasst, die teilwei- se früher als Unterfamilie galten. Die nun ebenfalls zur Überfamilie Curculionoidea gehörenden Familien Platy- podidae, Scolytidae, Anthribidae und Urodonidae wur- den für die vorliegende Arbeit noch nicht berücksichtigt. Von den 733 Rüsselkäferarten, die nach dem derzei- tigen Stand für Sachsen-Anhalt registriert sind, müssen laut Roter Liste (Schneider & Gruschwitz 2004) ca. 55 % aller für Sachsen-Anhalt nachgewiesenen Arten als gefährdet eingestuft werden. 69 Arten davon gel- ten als ausgestorben oder verschollen, da die letzten Nachweise mehr als 50 Jahre zurückliegen. In den ver- gangenen zehn Jahren konnten von diesen verschol- lenen Arten bzw. in der Roten Liste von Sachsen-Anhalt mit 0 eingestuften Arten 21 wiedergefunden werden. Seit dem Jahr 2000 sind in Sachsen-Anhalt 15 neue Rüsselkäferarten entdeckt worden. ihre Bindung an die Wirts- und/oder Entwicklungspflan- ze berücksichtigt werden sollten. Es besteht immer noch Mangel an intensiver, zielge- richteter und flächendeckender Suche. So muss eine Art nicht ausgestorben sein, auch wenn sie letztmalig vor 50 Jahren gemeldet wurde. Dies bestätigen die Funde der letzten zehn Jahre. Arten können diskontinuierlich in den Lebensgemeinschaften verteilt sein, auch wenn deren Entwicklungspflanzen vielleicht regelmäßig und häufig vorkommen. Problematisch ist die Eingruppierung in die Häufigkeitskategorien, da es auch Arten gibt, die ausschließlich im Harz verbreitet sind (2 %) bzw. ihren Verbreitungsschwerpunkt nur auf Trockenrasen- oder Heidestandorten haben, dort aber häufig sein können. Diese offenen, xerothermen Standorte sind durch Ver- änderungen in den Habitatstrukturen, z. B. durch Auf- gabe der traditionellen Nutzung von Trockenrasen und Zwergstrauchheiden, durch Verdichtung der Vegetation, Verbuschung und Überalterung bei Heide stark gefährdet und damit auch die Bestandsentwicklung vieler Rüssel- käferarten. Unter diesen Vorbehalten können 115 Arten (16 %) als häufig bzw. gemein (h), 281 Arten (38 %) als mäßig häufig (mh), 214 Arten (29 %) als selten (s), 62 Arten (9 %) als sehr selten (ss) und 51 Arten (7 %) als ausgestorben oder verschollen (A) eingestuft werden. Gefährdungsursachen Gefährdungen werden vorwiegend verursacht durch: ■ Vernichtung von Habitatstrukturen ■ veränderte Habitatstrukturen ■ Nährstoffeintrag durch die Luft ■ Beweidung ■ Zersiedlung oder Versiegelung der Landschaft ■ Verbuschung bzw. Aufforstung von Heiden und Berg- wiesen ■ Beeinträchtigung bzw. Beseitigung von Feuchtgebie- ten, Mooren und Salzstellen ■ (Industrie und Landwirtschaft). Zur Einschätzung der Bestandssituation und -ent- wicklung wurden die nachgewiesenen Arten in fünf Häufigkeitskategorien eingeteilt. Diese Eingruppierung für ganz Sachsen-Anhalt ist nicht unproblematisch und aufgrund von Wissenslücken auch noch nicht für alle Arten möglich, da immer die allgemeine Verbreitung, die ökologische Potenz und das Verhalten der Tiere sowie Tapinotus sellatus ist eine hygrophile Rüsselkäfer-Art, die mono- phag auf Gilbweiderich (Lysimachia vulgaris) lebt. Foto J. Händel. Die seltene Rüsselkäfer-Art Baris cupirostris lebt oligophag auf Kreuzblütengewächsen (Brassicaceae). Die Larven fressen in der Stängelbasis und den Wurzeln. Foto J. Händel. 889 Literatur Bäse, W. (2007a): Neu- und Wiederfunde für die Käfer- fauna Sachsen-Anhalts und Brandenburgs (Coleopte- ra). – Entomol. Nachr. Ber. (Dresden) 51 (1): 49–53. Bäse, W. 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Origin: /Land/Sachsen-Anhalt/LAU
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Language: Deutsch
Issued: 2016-12-28
Modified: 2016-12-28
Time ranges: 2016-12-28 - 2016-12-28
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