Description: Frank, D. & Schnitter, P. (Hrsg.): Pflanzen und Tiere in Sachsen-Anhalt Schmetterlinge (Lepidoptera) Bestandsentwicklung. 2. Fassung, Stand: August 2015 Timm Karisch, Peter Schmidt & Christoph Schönborn Einführung Die Schmetterlinge gehören zu jenen Insektengrup- pen, die in großen Artenzahlen in vielen terrestrischen Lebensräumen anzutreffen sind. Die Larven der Schmet- terlinge (Raupen) ernähren sich meist phytophag. Viele Imagines konsumieren Nektar. So bestimmen Vegetati- onszusammensetzung und -struktur eines Lebensrau- mes wesentlich die Zusammensetzung der Schmetter- lingsfauna, ohne dass dabei das bloße Vorhandensein potenzieller Habitatstrukturen bzw. Futterpflanzen auf das tatsächliche Vorkommen der diese präferierenden Arten schließen lässt. Die lepidopterologische Forschungstätigkeit auf dem Territorium des heutigen Sachsen-Anhalts hat eine lan- ge Tradition, deren Kenntnis wichtig ist, möchte man mehr über die Gründe wissen, weshalb heute für man- che Taxa unter den Schmetterlingen genauere, für ande- re Gruppen aber nur sehr wenige Angaben zu Bestands- situation oder -entwicklung gemacht werden können. Es ist dies jedoch nicht der Platz, einen umfassenden Abriss jener Forschungsgeschichte zu geben. Bearbeitungsstand, Datengrundlagen Die ersten Veröffentlichungen über Schmetterlinge stammen aus dem 18. Jahrhundert. Mitte des 19. Jahrhun- derts erschienen die ersten umfassenderen Lokalfaunen (z. B. Richter 1849 für Dessau und Umgebung, Stan- ge 1869 für Halle (S.) und Umgebung, Wilde 1860 für den Raum Zeitz). Auch das Werk von Speyer & Speyer (1858, 1862) verzeichnet viele Nachweise, insbesondere aus dem Harz sowie dem südlichen Sachsen-Anhalt. Als weitere wichtige Schmetterlingsverzeichnisse für Teile des heutigen Sachsen-Anhalts seien genannt: Fischer (1886) – Grafschaft Wernigerode, Reinecke (1905) – nordöst- licher Harzrand, Bornemann (1912) – Magdeburg und Harz, Grauert (1912) – Raum Zerbst, Stange (1916) – Halle (S.), Bauer (1917) – Umgebung von Naum- burg. Schließlich veröffentlichte Rapp (1936) zahlreiche Fundmeldungen von Petry († 1932), die von Sachsen- Anhalt insbesondere den Harz betreffen. Eine kritische Aufarbeitung erfahren viele historische Literaturangaben sowie Aufzeichnungen zahlreicher Entomologen für das südliche Sachsen-Anhalt und den Harz durch das aus- gezeichnete Werk von Bergmann (1951–1955) über die Großschmetterlinge Mitteldeutschlands. An jüngeren Arbeiten sind unter vielen anderen zu nennen: Wolter (1960, 1961) – Querfurt, Patzak (1969) – nordöstliches Harzvorland, Grosser (1983–1997) – Dübener Heide, Schadewald (1994) – Umgebung von Zeitz, Heinze (1993, 1995, 1996, 1997) – Umgebung von Havelberg, Schmidt (2001a) – Landkreis Wittenberg, Kellner (2006) – Umgebung von Dessau, Heinze et al. (2006) – Altmark und Elbhavelland sowie die unter in- tensiver Mitarbeit vieler, meist ehrenamtlicher Lepido- pterologen entstandenen „Beiträge zur Insektenfauna der DDR“ (siehe Literaturverzeichnis). Arbeiteten im 19. Jahrhundert die Entomologen noch ziemlich universell über alle Schmetterlingsgruppen, so greift zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine zunehmen- de Spezialisierung um sich. Das Hauptaugenmerk liegt nun, insbesondere nach Erscheinen des Bestimmungs- werkes von Seitz (1909–1915), auf den sogenannten Großschmetterlingen. Doch auch diese werden aufgrund von Schwierigkeiten bei der Erfassung nachtaktiver Tiere sowie von Determinationsproblemen nicht gleichmäßig behandelt. Favoriten sind die „Tagfalter“ (Papilionoidea und Hesperiidae). Ihnen folgen einige der meist attraktiv gezeichneten bzw. in der Körpergröße auffallenden Spin- ner (Bombyces) und Schwärmer (Sphingidae), jenen mit Abstand die Eulenfalter (Noctuidae), dann, wiederum mit Abstand, die Spanner (Geometridae) und schließlich noch einige Familien (z. B. Sackträger, Psychidae oder Glasflügler, Sesiidae), die kaum beachtet wurden. Jenes Bild zeigt sich bei den Großschmetterlingen auch heute noch, wenngleich insbesondere zu den letztgenannten Familien verstärkte Untersuchungen in Sachsen-Anhalt (Lemm, Stadie) erfolgten. Überproportional häufen sich die Daten bei den Tagfaltern, welche eine beliebte Organismengruppe bei der Erarbeitung verschiedenster Argynnis aglaja (Großer Perlmutterfalter). Oranienbaumer Hei- de, 9.7.2012, Foto: T. Karisch. 961 Gutachten mit ökologischer Ausrichtung wurden. Mit dem 2006 vom Umweltforschungszentrum Halle/Leipzig begonnenen Tagfaltermonitoring könnte sich die Daten- lage perspektivisch weiter verbessern. Am schlechtesten ist der Kenntnisstand zur Verbreitung bzw. Bestandsent- wicklung der sogenannten Kleinschmetterlinge. Eine Reihe von Familien erfuhr eine Bearbeitung im Rahmen der DDR-Insektenfaunen. Insbesondere Angaben aus dem vorhandenen Sammlungsmaterial wurden dazu veröffentlicht. Doch reichen die Daten oft nur aus, um das reine Vorkommen einer Art auf dem Territorium des Landes zu konstatieren. Weitergehende Aussagen zur Verbreitung oder Bestandsveränderung sind, wenn über- haupt, nur punktuell möglich. In den letzten 50 Jahren beschäftigten sich nur we- nige Lepidopterologen mit Freilandarbeiten an Klein- schmetterlingen auf dem Gebiet des heutigen Sachsen- Anhalts (Soffner †, Müller †, Eichler †, Sutter, Jung, Rutten, Karisch), sodass die Situation kaum besser geworden ist. Die Auswertung des „Verzeichnis der Schmetterlinge Deutschlands“ von Gaedike & Hei- nicke (1999) ermöglichte es, in der vorliegenden Zu- sammenstellung auch jene Kleinschmetterlingsfamilien zu berücksichtigen, die im Rahmen der „DDR-Fauna“ bzw. „Fauna Ostdeutschlands“ noch nicht bearbeitet wurden. Die meisten Angaben zum Vorkommen dieser Spezies stammen von Sutter (Bitterfeld). Historisches Sammlungsmaterial konnte bisher nicht vollumfänglich berücksichtigt werden, sodass später noch Arten nach- zutragen sind, die in Sachsen-Anhalt schon nachgewie- sen wurden, von deren Auftreten wir aber derzeit keine Kenntnis (mehr) haben. Der dargestellte Wissensstand spiegelt sich in dem hier vorgelegten Verzeichnis wider. Es enthält 2.464 Schmetterlingsarten, die sich, wie in Tab. 1 dargestellt, auf die einzelnen Familien verteilen. Tab. 58.1: Artenzahl der einzelnen Schmetterlingsfamilien in Sachsen-Anhalt. Familie Micropterigidae (Urmotten) Eriocraniidae (Trugmotten) Hepialidae (Wurzelbohrer) Nepticulidae (Zwergminiermotten) Opostegidae Heliozelidae Adelidae (Langhornmotten) Prodoxidae Incurvariidae (Miniersackmotten) Tischeriidae Tineidae (Echte Motten) Psychidae (Sackträger) Roeslerstammiidae Douglasiidae Bucculatricidae Gracillariidae (Blatttütenmotten) 962 Artenzahl 5 4 5 50 3 1 20 6 7 6 47 23 2 3 11 87 Familie Yponomeutidae (Gespinstmotten) Ypsolophidae Plutellidae Acrolepiidae Glyphipterygidae Bedelliidae Lyonetiidae Ethmiidae Depressariidae (Flachleibmotten) Elachistidae (Grasminiermotten) Agonoxenidae Scythrididae Chimabachidae Oecophoridae (Faulholzmotten) Batrachetridae Coleophoridae (Sackträgermotten) Momphidae Blastobasidae Autostichidae Amphisbatidae Cosmopterigidae Gelechiidae Limacodidae (Asselspinner) Zygaenidae (Widderchen) Sesiidae (Glasflügler) Cossidae (Holzbohrer) Tortricidae (Wickler) Choreutidae Epermeniidae Alucitidae (Federgeistchen) Pterophoridae (Federmotten) Thyritidae (Fensterschwärmer) Pyralidae (Zünsler) Lasiocampidae (Wollraupenspinner) Endromidae (Scheckflügel) Saturniidae (Augenspinner) Lemoniidae Sphingidae (Schwärmer) Hesperiidae (Dickkopffalter) Papilionidae (Ritter) Pieridae (Weißlinge) Lycaenidae (Bläulinge) Nymphalidae (Edelfalter, Augenfalter) Drepanidae (Sichelflügler) Geometridae (Spanner) Notodontidae (Zahnspinner) Noctuidae (Eulenfalter) Pantheidae Lymantriidae (Schadspinner) Nolidae (Kleinbären) Arctiidae (Bärenspinner) Artenzahl 40 18 5 7 7 1 5 4 41 41 4 15 2 26 2 112 15 1 3 6 9 149 2 15 24 3 351 4 6 4 41 1 186 18 1 2 1 18 17 3 13 40 57 16 335 34 408 3 14 14 40 507 Schmetterlingsarten werden in der Roten Liste der Schmetterlinge Sachsen-Anhalts (Schmidt et al. 2004) er- wähnt. Da aufgrund des unzureichenden Kenntnisstan- Schmetterlinge (Lepidoptera) des nur wenige Familien der sogenannten „Kleinschmet- terlinge“ Eingang in die Roten Listen gefunden haben, spiegeln die genannten 507 Arten 46 % des mit den Roten Listen abgedeckten Artenbestandes der Schmet- terlinge Sachsen-Anhalts wider. Besonders fällt die starke Bestandsgefährdung bei Arten ins Auge, die an pflanzenartenreiche Nass- oder Magerwiesen gebunden sind (siehe unten). Als Beispiel seien die Zygaenidae ge- nannt, von denen fast 70 % in einer Rote-Liste-Katego- rie geführt werden. Besondere Verantwortung kommt Sachsen-Anhalt für die Erhaltung einer Reihe von Schmetterlingsarten zu, die zum einen an der Arealgrenze oder auf einem Vor- postenstandort leben und die zum anderen einen Vor- kommensschwerpunkt für Deutschland in Sachsen-An- halt haben. Zu diesen Verantwortungsarten seien gestellt: Adelidae: Nematopogon magna, Incurvariidae: Incurva- ria vetulella, Gelechiidae: Chionodes viduella, Tortrici- dae: Aethes triangulana, Pterophoridae: Stenoptilia gra- tiolae, Pyralidae: Epascestria pustulalis, Udea alpinalis, Lasiocampidae: Gastropacha populifolia, Nymphalidae: Euphydryas aurinia, Euphydryas maturna, Hipparchia statilinus, Geometridae: Elophos vittaria mendicaria, Sco- topteryx coarctaria, Idaea contiguaria, Lithostege griseata, Aspitates gilvaria, Noctuidae: Anarta cordigera, Catocala fulminea, Cryphia muralis, Dicycla oo, Gortyna borelii lunata, Hadena albimacula, Meganephria bimaculosa, Photedes captiuncula, Syngrapha interrogationis, Valeria jaspidea, Xestia speciosa, Zanclognatha zelleralis. Für weitere Spezies, die als „Verantwortungsarten“ einzustufen wären, fehlen aktuelle Nachweise aus Sach- sen-Anhalt bzw. ist davon auszugehen, dass sie mitt- lerweile ausgestorben sind: Papilionidae: Parnassius mnemosyne, Nymphalidae: Erebia epiphron, Hipparchia alcyone, Minois dryas, Noctuidae: Acosmetia caligino- sa, Ipimorpha contusa, Periphanes delphinii, Arctiidae: Chelis maculosa. Sollten diese Arten wiedergefunden werden, so ist der Schutz der Populationen und ihrer Lebensräume eine dringliche Aufgabe. 43 Schmetterlingsarten kommen als Gäste oder Durchzügler in Sachsen-Anhalt vor. Hierzu zählen solch bekannte Arten, wie der Postillon (Colias croceus), der Totenkopfschwärmer (Acherontia atropos) oder das Taubenschwänzchen (Macroglossum stellatarum). Als „Neozoen“ wurden im nachfolgenden Verzeich- nis 17 Arten ausgewiesen. Hier ist die Aufzählung mit Sicherheit nicht vollständig. Allerdings ist der Kennt- nisstand hinsichtlich der Verbreitung der Schmetterlin- ge in der Zeit vor dem 19. Jahrhundert so unzureichend, dass Ausbreitungstendenzen oder Verschleppungen, die vor 1850 stattgefunden haben, höchstens in Aus- nahmefällen zu rekonstruieren sind. Darum handelt es sich bei den in der Liste verzeichneten Neozoen unter den Schmetterlingen um solche, die erst in den letzten Jahrzehnten in Sachsen-Anhalt Fuß gefasst haben. Zu beachten ist hierbei, dass aufgrund des Flächenbezu- ges auf Sachsen-Anhalt auch Arten zu Neozoen zählen können, die ihr Areal eher regional ausgeweitet haben und früher bereits aus Nachbarbundesländern oder deutschen Nachbarstaaten bekannt waren. Methodik Die Skala zur Einschätzung der Bestandssituation (sehr selten, selten, mäßig häufig und häufig) wurde hauptsächlich angewendet, um zu verdeutlichen, inwie- weit eine Art in Sachsen-Anhalt allgemein verbreitet ist. Nur sekundär kann damit veranschaulicht werden, in welcher Individuenzahl die Art an Plätzen ihres Vor- kommens nachgewiesen wurde. Folgerichtig wurden Arten, die in Sachsen-Anhalt nur von einem oder zwei aktuellen Fundorten bekannt sind, dort aber in sehr großer Zahl angetroffen werden, als sehr selten bzw. sel- ten eingestuft. Auf die Anwendung der Kategorie „sehr häufig“ wurde verzichtet, da eine wirklich flächende- ckende Verbreitung einer Art und ihre Häufigkeit an al- len Orten nur für sehr wenige Arten nachgewiesen oder vermutet werden kann. Für die Beurteilung der Bestandsentwicklung wurde der Trend der letzten rund 50 Jahre betrachtet. Während bei einigen Großschmetterlingen, auch Nachtfaltern, inzwischen recht verlässliche Angaben zur Bestandsent- wicklung möglich sind, musste auf diese bei anderen Arten verzichtet werden. Hier sind wir schon glücklich, etwas über die Bestandssituation überhaupt sagen zu können. Fehlende Angaben in den Spalten „Bestands- situation“ bzw. „Bestandsentwicklung“ bedeuten immer nur, dass der Kenntnisstand zum Vorkommen der je- weiligen Art keine präzisen Aussagen erlaubt. So kann die jeweilige Art durchaus auch ohne entsprechende Notiz gegenwärtig einen dramatischen Bestandsrück- gang erfahren und – wäre dieser bekannt – würden Schutzmaßnahmen dringend erforderlich sein, um das Überleben der Art zu sichern. Einige Anhaltspunkte dazu kann die Einstufung der Arten in die Rote Liste der Schmetterlinge Sachsen-Anhalts (Schmidt et al. 2004) bieten. Die dort sichtbaren hohen Gefährdungsgrade bei den gut bearbeiteten Gruppen zeigen deutlich, dass bei den weniger bekannten Schmetterlingsfamilien von einer aktuellen Bestandsbedrohung einer ganzen Reihe weiterer Arten ausgegangen werden muss. Die Nomenklatur der Schmetterlinge richtet sich im vorliegenden Verzeichnis bis auf wenige Ausnahmen nach Karsholt & Razowski (1996). Wichtige Synonyme sind insbesondere für die Benutzung der Werke von Leraut (1980) und Koch (1984) aufgeführt. Karsholt & Ra- zowski (1996) folgend werden die Endungen der Epi- theta wie in den Urbeschreibungen angegeben und nicht entsprechend der Forderungen des International Code of Zoological Nomenclature (ICZN) grammatikalisch dem 963
Origin: /Land/Sachsen-Anhalt/LAU
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Language: Deutsch
Issued: 2016-12-28
Modified: 2016-12-28
Time ranges: 2016-12-28 - 2016-12-28
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