Description: Frank, D. & Schnitter, P. (Hrsg.): Pflanzen und Tiere in Sachsen-Anhalt Stechmücken (Diptera: Culicidae) Bestandsentwicklung. Stand: Juni 2014 Doreen Walther & Helge Kampen Einführung Stechmücken (Diptera, Culicidae) leben in Regenton- nen und überwintern in Kellern – so oder ähnlich sind diese Blutsauger im Volksmund umschrieben. Diese Be- schreibung trifft nur auf wenige Arten zu – einige davon kommen auch in Sachsen-Anhalt vor. Jedoch steht den Entwicklungsstadien der Stechmücken in dieser Region eine weitaus größere Palette an Brutplätzen zur Verfü- gung, sodass für dieses Bundesland derzeit der Nachweis von 39 Arten vorliegt. Weltweit sind bisher ca. 3.500 Arten beschrieben, davon 50 für die Bundesrepublik Deutsch- land (Becker et al. 2010). Trotz der flächendeckenden Verbreitung von Stech- mücken und ihrer Popularität existieren relativ weni- ge detaillierte Kenntnisse über die biologischen und ökologischen Details und Ansprüche der einzelnen Arten dieser Insektenfamilie. Der gering erscheinende Bearbeitungsstand in Sachsen-Anhalt geht mit der all- gemeinen Reduktion der Forschungstätigkeit an den Stechmücken nach dem endgültigen Verschwinden der Malaria in der Mitte des letzten Jahrhunderts in Deutschland einher. Nachdem 2011 ein deutschland- weites Stechmücken-Monitoring initiiert worden war, konnten nun wieder zahlreiche aktuelle und abgesicher- te Nachweise erhoben werden (z. B. Werner & Kampen 2014, Kampen et al. 2014). Die Entwicklung der Stechmücken-Larven findet im- mer im Wasser statt. Sie leben überwiegend als Detri- tusfresser, indem sie kleine organische Partikel aus dem Wasser herausseihen oder den Algenbewuchs abwei- den. Die Entwicklungsdauer der Larven ist unterschied- lich und stark temperaturabhängig. Aus dem vierten Larvenstadium entwickelt sich die Puppe, die frei be- weglich im Wasser lebt. Unter natürlichen Bedingungen schlüpfen die Männchen immer einige Tage eher als die Weibchen, formieren sich bald darauf zu einem Schwarm und locken ihre Kopulationspartnerinnen mit einem feinen Summton und Sexuallockstoffen an. Die begatteten Weibchen suchen sich nach der Paarung ei- nen Blutwirt und nutzen das Protein aus der Blutmahl- zeit für die Eireifung. Stechmücken können Wirbeltieren auf verschie- denen Wegen Schaden zufügen. Die Weibchen vieler Arten werden allein durch ihr Blutaufnahmeverhalten in vielen Regionen aller Kontinente als Plageerreger und Lästlinge eingestuft. Weit überschattet werden die- se Übel jedoch von der Fähigkeit einiger Stechmücken, als Überträger von Krankheitserregern zu fungieren. Infolge der Einschleppung invasiver Stechmücken-Arten werden zukünftig möglicherweise auch in Deutschland Krankheiten wie Dengue, Chikungunya und West-Nil- Fieber immer wichtigere Themen werden. Bearbeitungsstand, Datengrundlagen Trotz intensiver Erfassungen im gesamtdeutschen Raum durch das o. g. Monitoring inklusive des Citicen Science Projektes „Mückenatlas“ (Werner & Kampen 2014), bei denen zahlreiche Nachweise für das Bundes- land Sachsen-Anhalt gelangen, darf in den Hochlagen des Harzes oder in anderen Schutzgebieten mit weiteren faunistischen Besonderheiten gerechnet werden. Die ak- tuelle Bestandsaufnahme soll daher als Grundlage und Vergleichsmöglichkeit für spätere Erhebungen und wei- terführende Untersuchungen dienen. Eine klare geogra- phische Abgrenzung der Besiedlung von Mittelgebirgsre- gionen und Landschaftstypen des restlichen Bundeslan des ist nur durch Erfassung der Larvalhabitate möglich. Im o. g. Stechmücken-Monitoring wurden jedoch adulte, d. h. flugfähige und ortsflexible Entwicklungsstadien gefangen. Bei den über das Bundesland flächendeckend und massenhaft auftretenden Arten handelt es sich um re- lativ anspruchslose Arten, die die Belastung der Brut- gewässer mit organischen Substanzen oder Störungen mehr oder weniger tolerieren. Die hier Erwähnung findenden Arten sind die Arten des Culex pipiens- Komplexes (Culex pipiens Biotyp pipiens, Cx. pipiens Biotyp molestus, Cx. torrentium) sowie Cx. modestus und Culiseta annulata. Für die Beurteilung der Be- standsentwicklung einzelner, vor allem seltener Arten, Weibchen der Stechmücke Culiseta annulata. 2012, Foto: D. Walther. 1041 sind dagegen gezielte Erhebungen notwendig. Auch flächendeckende Nachweise für gemeine Arten fehlen, sodass die Entwicklung der Populationsstärken der Mücken im Moment nicht mit der Wasserqualität po- tenzieller Brutgewässer korreliert werden kann. Frü- here Meldungen berücksichtigen ausschließlich punktu- elle Vorkommen von seltenen Arten. Diese können nur als Vergleichsgrundlage zur Beurteilung der Bestands- situation verwendet werden, wenn aus den entspre- chenden Regionen aktuelle Nachweise vorliegen. Die Bestimmung des Materials der von Kröger et al. (2009) aus dem Roßlauer Luch gemeldeten Arten Ochle- rotatus euedes (Howard, Dyar & Knab, 1913), Oc. sur- coufi (Theobald, 1912) und Culex martinii (Medschid, 1930) muss angezweifelt werden, da keine molekularbio- logische Bestätigung der morphologischen Bestimmung erfolgte (Kröger pers. Mitt.). Belegmaterial existiert nicht, und in aktuellen Aufsammlungen konnten diese Arten bisher nicht bestätigt werden. Tatsächlich waren Oc. eu- edes und Oc. surcoufi zuvor in ganz Deutschland noch niemals nachgewiesen worden. Aus diesem Grund wer- den diese Arten in der Bestandsliste nicht berücksichtigt. Aedes rossicus Dolbeskin, Gorickaja & Mitrofa- nova, 1930 wurde von Karisch (2005) für das Auen- Gebiet bei Wörlitz und am Luisium gemeldet. Aktuelle Aufsammlungen, auch nach dem Sommerhochwasser 2013, bestätigen dieses Vorkommen nicht. Nach Ka- risch (pers. Mitteilung) sollte die Artbestimmung noch- mals geprüft werden. Aus diesem Grund wird auch diese Art aktuell nicht in der Bestandsliste geführt. Gefährdungsursachen, Schutzmaßnahmen Da die biotischen und abiotischen Faktoren, die eine Ansiedlung von Stechmücken in diversen Bruthabitaten begünstigen, kaum bekannt sind, bedarf die Untersu- chung zur Eignung und Besiedlung der Ökosysteme, besonders nach Umstrukturierungen von Bach- und Flusslandschaften und Änderungen in der Wasserquali- tät oder im Landschaftsmanagement, besonderer Auf- merksamkeit (Becker et al. 2010). De facto sind nur für wenige Stechmücken-Arten die Ansprüche an ihre Brut- habitate im Detail bekannt. Zahlreiche Arten tolerieren Verschmutzung oder Störungen im Brutgewässer, da sie aufgrund ihrer Anpassung schnell auf andere Wasser- ansammlungen ausweichen können. Jedoch reagieren Arten, die an saubere und klare Wasserbestände ange- passt sind, äußerst empfindlich. Großes Gefährdungs- potenzial liegt daher in der Bergregion des Harzes, wo kleinere Bruthabitate vor allem aufgrund der Trocken- legung von Quellen und Quellabflüssen, infolge mög- licher Gewässerbegradigungen im Rahmen von Auf- forstungsprogrammen oder als Folge von Renaturie- rungsmaßnahmen verschwinden könnten. Im Tiefland sind Veränderungen der Wasserqualität auch von klei- 1042 neren Wasseransammlungen insbesondere durch den Eintrag von organischen Substanzen aufgrund der Nut- zung der Gewässer als Viehtränken, durch Einleitungen aus Fischaufzuchtanlagen oder durch die touristische Gewässernutzung bedingt. In diesen Gebieten, in denen sich das Wasser in Senken und Gräben sammelt, kön- nen sich einige an Verschmutzung anpassungsfähige Stechmücken-Arten zunehmend konkurrenzlos entwi- ckeln. Keine der Stechmücken-Arten ist besonders ge- setzlich geschützt. Anmerkungen zu ausgewählten Arten 1) Anopheles atroparvus tritt nach Mohrig (1969) vor- herrschend in den deutschen Küstengebieten auf. Der Autor verweist auf vereinzelte Nachweise aus Mittel- und Süddeutschland, für Sachsen-Anhalt aus Mag- deburg. In den Aufsammlungen von Schuster & Mohrig (1971) wird die Art jedoch nicht genannt. In den aktuellen Untersuchungen konnte sie ebenfalls in Sachsen-Anhalt bisher nicht gefunden werden. Mohrig (1969) gibt ihr Auftreten an Solstellen im Binnenland an, die in den laufenden Projekten noch nicht im Detail untersucht worden sind. 2) Anopheles claviger ist in Europa weit verbreitet und be- siedelt verschiedenste Bruthabitate, die durch gute Was- serqualität gekennzeichnet sind. Tänzer & Oster- wald (1919) meldeten sie aus Halle. In Sachsen-Anhalt konnte sie in den aktuellen Erfassungen nur punktu- ell, z. B. in der Mildeniederung bei Kalbe und der Bodeniederung bei Löderburg, nachgewiesen werden. 3) Die erst 2004 von Nicolescu und Kollegen be- schriebene Art Anopheles daciae aus dem Maculi- pennis-Artenkomplex scheint in Deutschland weit verbreitet, aber nicht häufig zu sein. Sie wurde von Kronefeld et al. (2014) auch für Sachsen-Anhalt be- stätigt. Ihr Verbreitungsgebiet ist dort nach derzeiti- gem Kenntnisstand auf die Flussniederung der Elbe begrenzt. 4) Anopheles maculipennis und An. messeae besiedeln kühlere Frischwasserbiotope und kommen im Über- flutungsbereich von Bächen und Flüssen, z. B. entlang der Elbe, z. T. massenhaft zur Entfaltung. Das Vor- kommen des Komplexes wurde bereits von Tänzer & Osterwald (1919) sowie Osterwald & Tänzer (1920) in der Umgebung von Halle als häufig eingestuft. 5) Anopheles plumbeus und Ochlerotatus geniculatus sind als Baumhöhlen bewohnende Arten bekannt, wodurch sich ihr Vorkommen in Wäldern und waldnahen Siedlungen erklärt. Ein Massenauftreten von An. plumbeus, welches auf die konkurrenzlose Entfaltung in künstlichen Wasserbecken mit hoher organischer Belastung erfolgt, ist seit ca. drei Jahren aus Sangerhausen bekannt. 6) Die morphologisch schwer zu trennenden Arten Stechmücken (Diptera: Culicidae) Aedes cinereus und Ae. geminus sollen hier als Kom- plex besprochen werden, obwohl beide Arten in Sachsen-Anhalt vorkommen. Beide Arten sind in be- schatteten Biotopen zu finden, wobei es keine Rolle spielt, ob diese im Tief- oder Hügelland liegen. Sind die entsprechenden Voraussetzungen, wie z. B. zahl- reiche potenzielle Bruthabitate gegeben, können die Arten zur Massenvermehrung tendieren. 7) Aedes vexans ist der am häufigsten nachgewiesene Vertreter der sogenannten Überschwemmungsarten in Sachsen-Anhalt. Die Art kann verschiedenste Biotope besiedeln und zum massenhaften Auftreten neigen. In manchen Regionen tritt sie zusammen mit Ochlerotatus sticticus und Arten der Annulipes- Gruppe stark in Erscheinung und wird zur Plage für Mensch und Tier (Ockert 1970 – Umgebung Halle, Karisch 2005 – Umgebung Dessau, Werner & Kam- pen unveröffentlicht – Elbauen). Besonders häufig werden auch Straßengräben für die Entwicklung genutzt. Die Art toleriert organische Belastung und besiedelt zusammen mit anderen Überflutungsarten ausgedehnte Flächen in den Flussauen und Über- flutungsgebieten, sodass zeitweise von einer starken Bestandszunahme in der jeweiligen Region ausgegan- gen werden kann. Verstärkt wird dieses Phänomen durch Wiedervernässungsmaßnahmen entlang von Bächen und Flüssen, was ihren Bedürfnissen entge- genkommt. 8) Coquillettidia richiardii zählt zu den typischen Be- wohnern der bewachsenen Weiher und Tümpel. Ent- sprechend dem Vorhandensein dieser Biotope kann sich das Vorkommen und Auftreten der Generationen im Jahr sehr unterschiedlich gestalten. 9) Culex modestus übernimmt in Sachsen-Anhalt die Rolle des kleinen, penetranten Blutsaugers, der u. a. nach Überflutungsereignissen entlang der Tiefland- flüsse, z. B. Elbe, Mulde sowie Schwarze und Weiße Elster, massenhaft in Erscheinung tritt. Auch nach starken Niederschlägen, die zu stehendem Wasser auf Flussuferwiesen führen, ist eine Zunahme der Populationsdichten mitunter zu erwarten. 10) Culex pipiens (Biotyp pipiens und Biotyp molestus), Culex torrentium und Culiseta annulata sind in der Lage, in Sachsen-Anhalt flächendeckend umfang- reiche Populationen in natürlichen und künstlichen Wasseransammlungen jeglicher Art aufzubauen. Dem Menschen fallen sie verstärkt auf, wenn weibliche Exemplare vor allem in den Herbstmonaten auf der Suche nach Überwinterungsplätzen in Wohnungen drängen. 11) Die Nachweise der anderen Culiseta-Arten sind sehr selten. Culiseta alaskaensis und C. morsitans wurden von Schuster & Mohrig (1971) in ausdauernden Wiesengewässern, z. T. am Waldrand, gefunden. Culis- eta glaphyroptera hingegen konnte sich in Lithothel- men und kleinen Wasseransammlungen im Ilsegrund entwickeln (Schuster & Mohrig 1969, 1971). Die einzigen Nachweise von Cs. subochrea liegen für den Nordrand des Kyffhäusergebirges und das untere Unstrut-Tal von Dix & Ockert (1971) vor. 12) Die Vertreter der Annulipes-Gruppe, von denen fünf Arten in Sachsen-Anhalt vorkommen (Ochlero- tatus annulipes, Oc. cantans, Oc. excrucians, Oc. flaves- cens, Oc. riparius), sind auf diverse Habitate speziali- siert, die in den Frühjahrsmonaten Wasser führen. Sind die Bruthabitatbedingungen in den wald- und/ oder wiesenreichen Gebieten und das Nahrungs- angebot optimal, können Oc. annulipes und Oc. can- tans zu massenhaftem Auftreten neigen, wobei Oc. cantans die häufigste und am weitesten verbreitete Art dieser Gruppe ist. Der Nachweis der verschie- denen Arten begrenzt sich in Sachsen-Anhalt auf relativ flache Waldtümpel, Senken und Gewässer mit reichen Ansammlungen von Blattmaterial. Im Gegen- satz zu den genannten Arten und den Angaben von Peus (1951), der Oc. cantans für ganz Deutschland als häufig auf Wiesen angibt, ist die morphologisch leicht zu erkennende Art Oc. flavescens auch in die- sem Biotoptyp sehr selten. 13) Ochlerotatus caspius ist eine kleine, aber morpho- logisch leicht erkennbare Art. Mohrig (1969) be- schreibt ihr Vorkommen als massenhaft entlang der deutschen Küsten, in Mitteldeutschland dagegen nur punktuell. Im Gegensatz zu diesen Angaben tritt sie in Sachsen-Anhalt im Überflutungsbereich entlang der Flüsse, wie z. B. der Elbe (von Klöden bis Sandau), der Schwarzen Elster (von Schweinitz bis Jessen) und an der Saale (von Weißenfels bis Merseburg), mit un- terschiedlichen Abundanzen auf. Vereinzelte Funde liegen aus schattigen Wäldern des Tieflandes vor, z. B. aus der Mildeniederung bei Kalbe. 14) In Sachsen-Anhalt konnte die Art Ochlerotatus com- munis bisher als einziger Vertreter des Communis- Komplexes nachgewiesen werden. Ihr Vorkommen ist durch sehr wenige Nachweise im Harz bzw. im Hügelland belegt. 15) Ochlerotatus detritus und Oc. diantaeus als Vertreter des Detritus-Komplexes konnten in Sachsen-Anhalt sehr vereinzelt für den Harz gemeldet werden (Schus- ter & Mohrig 1971, Werner & Kampen unveröff.). 16) Mohrig (1969) sowie Schuster & Mohrig (1971) melden die Art Ochlerotatus dorsalis massenhaft von den Solstellen von Artern, vom Süßen See bei Eisleben und von der Salzstelle an der Numburg am nörd- lichen Hang des Kyffhäusers. In unseren bisherigen Erfassungen wurden diese früheren Fundorte nicht gesondert berücksichtigt. Die aktuelle Bestätigung des Vorkommens dieser Art in Sachsen-Anhalt steht noch aus, sodass aktuell keine Einschätzung zur Bestandssituation möglich ist. 1043
Origin: /Land/Sachsen-Anhalt/LAU
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Language: Deutsch
Issued: 2016-12-28
Modified: 2016-12-28
Time ranges: 2016-12-28 - 2016-12-28
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