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Description: Frank, D. & Schnitter, P. (Hrsg.): Pflanzen und Tiere in Sachsen-Anhalt Süßwassermedusen (Hydrozoa: Craspedacusta) Bestandssituation Lutz Tappenbeck Vor zehn Jahren noch als selten und schwer zu finden eingestuft, kann man heute in Deutschland von über ein- tausend Fundgewässern mit Süßwassermedusen, auch Süßwasserquallen genannt, ausgehen. In Deutschland kommt nur eine Art, Craspedacusta sowerbii, vor. Euro- paweit gibt es Meldungen aus Finnland und Nordeng- land genauso wie aus Ungarn und aus der Türkei. Dabei ist interessant, dass nicht Taucher die Funde melden, sondern überwiegend Badegäste in den Sommermo- naten. Es wurde deshalb bisher angenommen, dass die Wassertemperatur für das Auftreten der Medusen die wesentliche Rolle spielt. Bei ersten Meldungen in war- men Jahren im Mai/Juni und einer Entwicklungszeit der Medusen von vier bis acht Wochen ist das Anstei- gen der Wassertemperatur nur ein Auslöser der Medu- senentwicklung. Bei der Erstbeschreibung der Art 1880 erfolgte in Unkenntnis der Zusammenhänge nur die Beschreibung der Meduse, später des Polypen (als Mircohydra ruderi). Die Art darf zutreffend nur als Craspedacusta sowerbii Lankester, 1880 bezeichnet werden (Dejdar 1934). Die unterschiedlichen Beschreibungen sind dahinge- hend nachvollziehbar, dass beide Erscheinungsformen dieses Organismus auch sehr unterschiedliche Lebens- räume besiedeln und so fast nie zusammen zu finden sind. Der maximal 3 mm große Polyp bevorzugt durch- strömte oder angeströmte Stellen mit Hartsubstraten, wo er festsitzt und durch seine klebrige Oberfläche mit Feinsedimenten bedeckt, getarnt ist. Von diesem Polyp schnüren sich (strobilieren) unter ganz besonderen Be- dingungen kleine Scheiben (Medusen) ab, die in einem mehrmonatigen Zeitraum zu Süßwasserquallen mit bis zu ca. 22 mm Durchmesser heranwachsen. Diese Me- dusen benötigen wenig bewegtes bis stehendes Wasser für ihre Entwicklung. Polypen können sich vegetativ durch Knospung ver- mehren. Polypen und Medusen können Podocysten (Überdauerungsformen) bilden oder sich zu Frusteln umwandeln. Frusteln sind wurmförmige Gebilde, die sich aktiv im Sediment und an Hartsubstrat bewegen können. Medusen sind nicht nur vegetative Vermeh- rungsprodukte, sondern ebenso generative Organis- men, regelmäßig werden auch weibliche und männliche Medusen nachgewiesen. Der Stand der Untersuchun- gen dazu befindet sich in einem Anfangsstadium. Er- kenntnisse zu Grundlagen der Nahrungsaufnahme und -zusammensetzung veröffentlichten Jankowski & Rat- te (2005). Die Süßwasserqualle Craspedacusta sowerbii stammt aus China (Fritz 2009), wo es in den großen Strömen mit ihren riesigen Auen auch noch andere Süßwasser- quallen-Arten gibt. Wie und warum von den dort vor- kommenden Arten gerade C. sowerbii nach Europa ge- langt ist, wird sich vermutlich nicht mehr klären lassen. Die Weiterverbreitung über Wassergeflügel wird nicht nur von Schmidt (2013) bezweifelt. Genauere Unter- suchungen dazu fehlen. Craspedacusta sowerbii ist keine invasive Art im Sin- ne der aktuellen Neozoenforschung. Bereits Dejdar (1934) wie auch Stadel (1960) haben die Funde euro- paweit zusammengetragen. Die Süßwassermeduse war bereits in den 1960er Jahren seit Jahrzehnten europa- weit verbreitet und die Meldungen aus Deutschland zeigen heute immer mehr, dass sie in unseren Gewäs- sern regelmäßig vorkommt (Kronfelder 1988, Tap- penbeck 2008). Die aktuelle Verbreitung ist demnach weder ein Ergebnis des Treibhauseffekts, noch in einem anderen Zusammenhang mit der aktuellen Klimaer- wärmung in Europa seit 2000 zu sehen. Die Medusen und ihre Entwicklungsstadien sind als längst etabliertes Faunenelement zu betrachten. Aus Sachsen-Anhalt sind elf Vorkommen gemeldet, die nach den bisherigen Erfahrungen für Deutschland nur einen Bruchteil der tatsächlichen Vorkommen dar- stellen. Hinsichtlich der hydrochemischen, limnologi- Medusen von Craspedacusta sowerbii aus dem Wehrstedter See bei Halberstadt. Hier wurden 1992 die ersten Süßwassermedu- sen in Sachsen-Anhalt gefunden. Foto L. Tappenbeck. 501 Süßwassermedusen (Hydrozoa: Craspedacusta) schen, ichthyologischen und meteorologischen Parame- ter für die Gewässer einerseits und der Vorkommen von Craspedacusta sowerbii andererseits bestehen keine ge- nerellen oder auffälligen Zusammenhänge. Es gibt dies- bezüglich noch sehr viel Klärungsbedarf. Der Bestand der Süßwasserqualle ist jedoch in Sachsen-Anhalt we- der gefährdet noch im Rückgang begriffen. Die Art ist nicht besonders gesetzlich geschützt. Medusen von Craspedacusta sowerbii im flachen, besonnten Wasser des Schachtsees nördlich Neugattersleben. Foto L. Tappenbeck. Literatur Dejdar, E. (1934): Die Süßwassermeduse Craspedacus- ta soberbii Lankester in monographischer Darstel- lung. – Zeitschr. Morphol. Ökol. Tiere (Berlin) 28: 595–691. Fritz, G. (2009): Dynamik und Stabilitäten: biotische und abiotische Faktoren in lentischen Systemen. – Arb. Mitt. Biol. Inst. Univ. Stuttgart (Stuttgart) 42: 1–132. Kronfelder, M. (1988): Zum Vorkommen der Süß- wasserqualle Craspedacusta sobwerbii Lankester in der Bundesrepublik Deutschland. – Acta Albertina Ratisbonensia (Regensburg) 45: 217–242. Jankowski, T.; Strauss, T. & Ratte, H. T. (2005): Tro- phic interactions of the freshwater jellyfish Craspe- dacusta sowerbii. – J. plankton res. (Oxford) 27 (8): 811–823. Stadel, O (1960): Neuere Kenntnisse über die Ökolo- gie und Verbreitung der Süßwassermeduse Craspeda- custa sowerbii. – Abh. Verh. naturw. Ver. Hamburg N. F. (Hamburg) 5: 157–192. Schmidt, B. (2013): Transportieren Enten Fische in natürlicherweise fischfreie Amphibienlaichgebiete? – Zeitschr. Feldherpetol. (Bielefeld) 20 (2):137–144. Tappenbeck, L. (2008): Faunistik und Ökologie der Süßwasserqualle Craspedacusta sowerbii Lankaster 1880 – Versuch einer aktuellen Bestandsanalyse für Deutschland. – Artenschutzreport (Jena) 22: 12–14. Anschrift des Verfassers Lutz Tappenbeck Bahnhofstraße 2 39443 Staßfurt OT Förderstedt E-Mail: Lutz.Tappenbeck@t-online.de Tab. 09.1: Bestandssituation der Süßwassermedusen in Sachsen-Anhalt Art Craspedacusta sowerbii Lankester, 1880 502 BS Bm Nachweis s N Tappenbeck (2008) Pflanzen und Tiere in Sachsen-Anhalt Ein Kompendium der Biodiversität Dieter Frank und Peer Schnitter (Hrsg.) Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt 3

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Origin: /Land/Sachsen-Anhalt/LAU

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Language: Deutsch

Issued: 2016-12-28

Modified: 2016-12-28

Time ranges: 2016-12-28 - 2016-12-28

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