Description: Rote Listen Sachsen-Anhalt Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt Halle, Heft 1/2020: 287–292 10 Bearbeitet von Ulla Täglich (1. Fassung, Stand: August 2019) Einleitung und Datenlagen Schleimpilze sind eukaryotische Lebewesen, die nicht, wie der Name denken lässt, mit den Pilzen verwandt sind. In frühen Werken wurden sie aufgrund ihrer Lebensweise, bei denen sie Fruchtkörper mit pilzähn- lichen Sporen und auch manchmal mit Capillitium bilden zunächst zu den Bauchpilzen (Gasteromycetes) gestellt. Erst durch De Bary (1862, 1864) wurde ihr Entwicklungszyklus entdeckt und ihre Zugehörigkeit zu den Protozoen festgestellt. Myxomyceten ernähren sich von Bakterien, Algen oder anderen Mikroorganismen. Aus den Sporen bilden sich zunächst Amöben oder biflagellate be- geißelte Myxoflagellate. Später verschmelzen diese miteinander, wachsen weiter und entwickeln eine vielkernige Riesenzelle, das Plasmodium. Dieses kriecht auf der Suche nach Nahrung mittels Plasma- strömung über das Substrat. Dem schleimigen Zu- stand des Plasmodiums verdanken die Schleimpilze ihren Namen. Wenn das Plasmodium durch günstige Bedingungen der Ernährung bzw. des Mikroklimas eine optimale Größe erreicht hat, formieren sich daraus dann Sporen enthaltende Fruchtkörper. Die Plasmamasse teilt sich in kleine Portionen, die dann als Fruchtkörper ausreifen. Es können sich einzelne gestielte oder ungestielte Sporocarpien, Plasmodio- carpien, Aethalien oder Pseudoaethalien bilden. Im Innern reifen dann die Sporen aus, die unter güns- tigen Bedingungen wieder den Entwicklungszyklus zum Auskeimen der Myxamöben starten. Plasmodien sind gegenüber Störungen meist unempfindlich. Im Reifeprozess befindliche Fruktifikationen reagieren schnell gestört und reifen dadurch nicht vollständig oder mit morphologischen Veränderungen aus. Die Sporen der Myxomyceten sind meist rund oder oval im Umriss mit artspezifischer Skulptur. Häufig fin- det sich im Innern der Fruchtkörper ein Fadengeflecht, das Capillitium, das die äußere Form aufrechterhält. Das Leben der Myxomyceten spielt sich über- wiegend im Verborgenen ab. Erst bei Fruktifikation bilden sie teils auffällige Erscheinungsformen. So sind die gelben Plasmodien oder Aethalien der Gelben Lohblüte (Fuligo septica) oder die noch unreifen roten Fruchtkörper des Blutmilchpilzes (Lycogala epiden- drum) gut sichtbar und werden bei floristischen oder mykologischen Erfassungen oft mit aufgenommen. Die überwiegende Artenzahl ist aber wesentlich Schleimpilze (Myxomycetes) kleiner und meist nur unter der Stereolupe erkennbar und deshalb im Freiland nur durch Zufall zu finden. Um solche Arten nachweisen zu können, kann man sogenannte Feuchtkammerkulturen (Gilbert & Martin 1933) anlegen. Dafür wird geeignetes Substrat, wie Borkenstücke, Erlenzapfen, Stängel von Hochstauden oder auch Dung von Pflanzenfressern auf feuchtes Filterpapier in Schalen ausgelegt, abgedeckt und in zeitlichen Abständen mit der Stereolupe nach Frucht- körpern abgesucht. Die meisten der Myxomyceten-Arten kommen weltweit verbreitet vor, besiedeln aber oft spezielle Ha- bitate. Bei geeigneten Bedingungen wie entsprechen- der Feuchtigkeit, Temperatur und Substratangebot sind Myxomyceten ganzjährig außer in Frostperioden zu finden. Die überwiegende Zahl der Arten fruktifi- ziert im Sommer bzw. Herbst. Als Substrat kommt Tot- holz oder Borke lebender Bäume in Frage. Andere Arten findet man in der Laubstreu, an Moosen, Flechten und krautigen Pflanzen. Häufig klettert das Plasmodium an den krautigen Teilen hoch um Fruchtkörper zu bilden. Auch dungbewohnende Arten gibt es. Eine besondere Artengruppe bilden die sogenann- ten „nivicolen“ Schleimpilze. Diese Arten findet man im zeitigen Frühjahr ausschließlich im Gebirge am Ran- de des abschmelzenden Schnees. Dort besiedeln sie krautige Pflanzenreste oder Sträucher, die wochenlang unter dem Schnee lagen und nun durch Tauwetter frei- gelegt werden. Bekannt sind diese Arten vor allem aus den Hochgebirgen, aber auch im Harz über 500m Höhe konnten einige Arten nachgewiesen werden. Traditionell werden Schleimpilze durch ihre Er- scheinungsweise mit sporentragenden Fruchtkörpern heute meist von Mykologen bearbeitet und erfasst. Größere und auffälligere Fruktifikationen sind auch oft in Kartierungslisten von Großpilzen zu finden. Leider gibt es nur wenige Mykologen in Sachsen-An- halt die sich speziell mit den Myxomyceten befassen, deshalb wurde diese Organismengruppe in den Roten Listen von Sachsen-Anhalt bisher nicht betrachtet. Für Deutschland wurde 1996 die erste Rote Liste und Gesamtartenliste erstellt (Schnittler et al. 1996). Die 2. Fassung mit 375 Arten wurde von Schnittler et al. (2011) vorgelegt. Weitere Rote Listen der Myxo- myceten gibt es für Sachsen (Hardtke & Otto 1999, Hardtke et al. 2015) und Thüringen (Schnittler et al. 2001, Müller & Riemay 2010). 2016 wurde durch die Autorin eine Gesamtliste mit 198 Arten und einer Ein- schätzung zur Bestandssituation erarbeitet (Täglich 2016). Seitdem konnte die Artenliste auf 216 Arten erweitert werden. 287 Schleimpilze Tab. 1: Übersicht zum Gefährdungsgrad der Myxomyceten Sachsen-Anhalts. Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) Gefährdungskategorie R 1 2 44 2 - 20,4 0,9 - 0 - - 3 7 3,2 Rote ListeGesamt 53 24,5216 Tab. 2: Übersicht zu den sonstigen Kategorien. Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) G 6 2,8 Kategorien D 43 19,9 Gefährdungsursachen und erforderliche Schutzmaßnahmen Aufgrund der Datenlage ist eine Zuordnung zu Ge- fährdungskategorien schwierig. Eine Einstufung in die Kategorie „R“ erfolgte bei Arten, die gut kenntlich, relativ auffällig und auch bei entsprechender Nachsu- che in den entsprechenden Mikrohabitaten nur selten nachgewiesen wurden. Eine ganze Anzahl an Arten wurde nur mit einem Fund nachgewiesen, sodass das Verbreitungsspektrum, die eventuelle Seltenheit oder Gefährdung schwerlich einzuschätzen ist. Diese Arten wurden in die Kategorie „D“ eingestuft. Zu den Gefährdungsursachen für das Vorkommen von Schleimpilzen kann man folgendes zählen: V 12 5,5 Sonstige GesamtGesamt 61 28,2216 − Substratentfernung durch naturferne Waldbewirt- schaftung oder Flurbereinigung entzieht holz- und rindenbewohnenden sowie streubesiedelnden Arten die Existenzgrundlage (fehlende Althölzer), − Luftverschmutzung und saurer Regen kann durch pH-Senkung rindenbewohnende Arten schädigen, − durch weitere Klimaerwärmung wird den nivicol wachsenden Myxomyceten-Arten die Existenz- grundlage entzogen, da die notwendige Schneebe- deckung der Mittelgebirge nicht mehr gegeben ist. Abb. 1: Craterium muscorum ist auch deutschlandweit eine sehr selten gefundene Art. Sie bevorzugt Standorte mit anhaltend hoher Luft- feuchtigkeit. Die beiden Fundorte im Bundesland befinden sich in Erlenbrüchen. Elend, am Kunkelbach, 23.08.2009 (Foto: G. Hensel). Abb. 2 Lamproderma echinosporum gehört zu den nivicolen (schneeliebenden) Arten, die eine länger andauernde Schneebedeckung ihres Biotops benötigen um zu fruktifizieren. In der Gattung Lamproderma gibt eine größere Anzahl von Arten, die sich auf diese Lebensweise spezialisiert haben. Durch die Klimaerwärmung sind diese Arten in ihrem Vorkommen potenziell gefährdet. Lamproderma echinosporum findet man auf verholzenden Stängeln krautiger Pflanzen, die im Frühjahr vom abtauenden Schnee freigelegt werden. Elend, Grenzweg, 11.04.2010 U. Täglich (Foto: G. Hensel). Abb. 3: Trichia alpina als nivicole Art wurde im Harz an mehreren Fundstellen u. a. bei ca. 500 m Höhe (niedrigster Fundort) gefunden. Sie besiedelt vor allem dünne Ästchen, die länger im Winter unterm Schnee lagen und durch Tauwetter freigelegt werden. Durch veränderte klimatische Bedingungen verschlechtern sich die Voraussetzungen für das Vorkommen dieser Art. Benneckenstein, 04.04.2010 U. Täglich (Foto: G. Hensel). 288 Schleimpilze 1 2 3 289
Origin: /Land/Sachsen-Anhalt/LAU
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Language: Deutsch
Issued: 2020-08-31
Modified: 2020-08-31
Time ranges: 2020-08-31 - 2020-08-31
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