API src

Kapitel 12 Brutvögel Rote Listen Sachsen-Anhalt 2020

Description: Rote Listen Sachsen-Anhalt Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt Halle, Heft 1/2020: 303–343 12 Bearbeitet von Mark Schönbrodt & Martin Schulze (3. Fassung, Stand November 2017*) Einleitung Rote Listen sind zum unverzichtbaren Instrument im Naturschutz geworden (Bauer 2014). Obwohl rechtlich weniger relevant als beispielsweise der Anhang I der Europäischen Vogelschutzrichtlinie oder die Bundes- artenschutzverordnung sind die Roten Listen in der Bevölkerung eher ein Begriff als gesetzliche Schutz- kategorien. Heute gibt es weltweit Rote Listen für ver- schiedene Tiergruppen, Pflanzen und Lebensräume. Sie gelten als Fachexpertise über den Erhaltungszustand der Arten und Lebensgemeinschaften, als Warnhin- weis für die Öffentlichkeit und Entscheidungsträger und sind ein wichtiges Instrument bei der Planung von Eingriffsvorhaben und Artenschutzbeiträgen. Für die Brutvögel Sachsen-Anhalts erschienen Rote Listen in den Jahren 1992 (Dornbusch 1992) und 2004 (Dornbusch et al. 2004a), jeweils eingebettet in Ge- samtlisten für verschiedene Artengruppen. Während die erste Liste noch ohne genormte Kriterienvorgaben anhand der allgemeinen Kenntnis über den Zustand der Vogelwelt erarbeitet worden ist, basierte die 2. Fassung auf den von Bauer et al. (2002) vorgegebenen Kriterien (nicht auf denen von Witt et al. 1996 wie in Bauer et al. 2011 angegeben). Basis für die Einstufung waren Daten zur Bestandsentwicklung in den letz- ten 25 Jahren und zum Gesamtbestand, ggf. ergänzt durch Risikofaktoren. Die Grundlagendaten für beide Fassungen wurden damals nicht in den jeweiligen Ro- ten Listen publiziert, so dass die Einstufungen für den Außenstehenden wenig transparent erschienen. Um diesen Mangel zu beheben, wurden diese Angaben jedoch für die 2. Fassung 2004 zeitlich etwas versetzt separat nachgereicht (Dornbusch et al. 2004b). Mit der 4. Fassung der Roten Liste der Brutvögel Deutschlands (Südbeck et al. 2007) wurde das Kriteri- enschema erneut qualifiziert. Insbesondere wurde als neues Kriterium die langfristige Bestandsentwicklung über die letzten 100 Jahre eingeführt. Diesem Beispiel folgte mittlerweile ein großer Teil der Bundesländer (Übersicht in Bauer et al. 2011), u. a. alle Nachbarlän- der Sachsen-Anhalts (Krüger & Nipkow 2015, Ryslavy & Mädlow 2008, Frick et al. 2011, Zöphel et al. 2015). Brutvögel (Aves) Wegen einer besseren bundesweiten Vergleichbarkeit der Roten Listen empfehlen Bauer et al. (2011) dringend einen vereinheitlichten Turnus für die Überarbeitung der Roten Listen von Bund und Ländern, der angepasst ist an den Turnus der Berichtspflichten nach Artikel 12 der EU-Vogelschutzrichtlinie. Aufgrund der in den letzten Jahren deutschlandweit deutlich qualifizierten Moni- toringprogramme und des ADEBAR-Projektes liegt ein bislang nicht in dieser Detailtiefe vorhandenes Daten- material als Basis für die Einstufungen in Rote Listen vor. Deshalb kommen wir dieser Empfehlung nach und legen 13 Jahre nach der letzten Roten Liste der Brutvögel Sachsen-Anhalts diese 3. Fassung vor. Dies ist insbeson- dere deshalb erforderlich, weil Sachsen-Anhalt mittler- weile mit der ältesten Roten Liste der Brutvögel aller Bundesländer nicht mehr kritiklos bewerten konnte. Aufgrund der Notwendigkeit der schnellen Verfügbar- keit einer aktuellen Roten Liste, z. B. für die Bewer- tung von Planungsvorhaben, haben der Landesver- band des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) und der Ornithologenverband Sachsen-Anhalt (OSA) in Abstimmung mit der Staatlichen Vogelschutzwar- te im Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt (LAU) entschieden, diesen Vorabdruck der Roten Liste zu veröffentlichen. Sie stellt für die Artengruppe der Vögel einen Vorabdruck der geplanten Roten Listen für alle Taxa in Sachsen-Anhalt dar. Basis für die vorliegende Brutvogel-Artenliste und die Rote Liste der Brutvögel ist die Zusammenstellung von Fischer & Dornbusch (2015b), ergänzt um aktuelle Daten aus dem Zeitraum 2010 bis 2015. Bei wenigen Arten, ohne eindeutig anhand von Veröffentlichungen oder Monitoringdaten zu belegenden kurz- und lang- fristigen Trends, wurden zahlreiche Avifaunisten des Landes gebeten, ein Expertenvotum abzugeben. Daran wirkten dankenswerterweise Dr. Bernd Nicolai, Björn Schäfer, Udo Schwarz, Dr. Bernd Simon und Ingolf Todte mit. Wertvolle Hinweise zu Einzelarten wurden zudem von Dr. Klaus George, Axel Schonert, Helmut Stein, Tho- mas Suckow und Dr. Dirk Tolkmitt gegeben. Statuseinstufung, Kriterienschema und Daten- grundlagen Das aktuelle Kriterienschema für die Einstufung von Brutvogelarten in die Rote Liste wird ausführlich bei Süd- beck et al. (2005, 2007) sowie Grüneberg et al. (2015) vor- * Die neuen Roten Listen für das Land Sachsen-Anhalt wurden bereits bis Ende 2018 für sämtliche Artengruppen erarbeitet und sollten 2019 als Sonderheft in den „Berichten des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt“ gedruckt werden. Da eine aktuelle Rote Liste für die Artengruppe der Vögel des Landes Sachsen-Anhalt bereits seit längerem vorlag, wurde sie bereits vorab im Apus-Sonderheft 2017 (Schönbrodt & Schulze 2017) im Einvernehmen mit dem Fachbereich Naturschutz des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt gedruckt. Die hier abgedruckte Version ist ein unveränderter Nachdruck, in dem nur kleinere, unmaßgebliche Fehler korrigiert wurden. 303 Vögel gestellt und diskutiert. Die Einstufung der Arten basiert auf drei Kriterien, der Häufigkeitsklasse, der langfristigen sowie der kurzfristigen Bestandsentwicklung der Arten. Zusätzliche Risikofaktoren können artspezifisch angefügt werden, wenn diese so stark verschärfend auf die kurzfristige Bestandsentwicklung wirken können, dass sich die Entwicklung in den nächsten 10 Jahren um eine Stufe verschlechtern kann. Status Als erster Schritt vor der Gefährdungsanalyse erfolgte für alle Vogelarten, für die aus Sachsen-Anhalt ein Brutnachweis oder zumindest ein starker Brutverdacht vorliegt, eine Zuordnung des Status. Grundlagen für die Einstufung als Brutvogelart und die Statusangaben sind die Artenliste der Vögel Sachsen-Anhalts (Dorn- busch 2012) und eine aktualisierte Übersicht über die Vögel Sachsen-Anhalts (Dornbusch et al. 2016): I II III IV – – – – regelmäßiger Brutvogel unregelmäßiger Brutvogel Neozoen/Gefangenschaftsflüchtlinge Daten unzureichend, keine Einstufung möglich Als regelmäßige Brutvögel (Status I) gelten Arten, die in mindestens fünf aufeinanderfolgenden Jahren ohne Zutun des Menschen in Sachsen-Anhalt gebrütet haben. (Rote-Liste-Gremium, Protokoll 96. DRV-MV). Nur Arten mit Status I werden nach dem Kriteriensys- tem in die Kategorien der Roten Liste eingestuft. Ist der Brutbestand einer ehemals regelmäßigen Brutvogel- art in Sachsen-Anhalt erloschen, erhält der Status den Zusatz ex (I ex). Diese Arten werden in der Roten Liste direkt in Kategorie „0 – ausgestorben oder verschollen“ eingestuft. Der Brutbestand gilt als erloschen, wenn seit mind. 10 Jahren kein regelmäßiges Brutvorkom- men in Sachsen-Anhalt nachgewiesen werden konnte. Eine erneute Vergabe des Status I bei einer ehemaligen Brutvogelart mit erneutem Auftreten erfolgt erst nach Bruten in drei aufeinanderfolgenden Jahren. Unregelmäßige Brutvögel (Status II) sind Ar- ten, die zwar mindestens einmal in Sachsen-Anhalt nachweislich gebrütet haben oder deren Brüten sehr wahrscheinlich war, die aber die Kriterien für Status I nicht erfüllen. Eine Einstufung dieser Arten in der Roten Liste erfolgt nicht. Als Neozoen (Status III) werden nicht einheimische Arten bezeichnet, die nach 1492 durch direkte Ein- flüsse des Menschen in Sachsen-Anhalt eingeführt wurden oder unbeabsichtigt in die Natur gelangt bzw. eingewandert sind. Obwohl Jagdfasan und Straßentaube bereits vor 1492 in Mitteleuropa an- gesiedelt worden sind, werden sie Südbeck et al. (2007) folgend ebenfalls in Status III geführt, da beide Arten von regelmäßiger Zufuhr von gezüchteten Vögeln profitieren oder deren Freilandvorkommen gar davon abhängig sind. Regelmäßig in Sachsen-Anhalt brüten- 304 de (etablierte) Neozoen erhalten den Statuszusatz a (III a), unregelmäßig brütende den Zusatz b (III b). Status IV musste aufgrund der insgesamt sehr guten Datenlage über die Vorkommen der Vogelarten in Sachsen-Anhalt nicht vergeben werden. Kriterien (nach Ludwig et al. 2009) 0 Ausgestorben oder verschollen Arten, die im Bezugsraum verschwunden sind oder von denen keine wild lebenden Populationen mehr bekannt sind. Die Populationen sind entweder: − nachweisbar ausgestorben, in aller Regel ausgerot- tet (die bisherigen Habitate bzw. Standorte sind so stark verändert, dass mit einem Wiederfund nicht zu rechnen ist) oder − verschollen, das heißt, aufgrund vergeblicher Nachsu- che über einen längeren Zeitraum besteht der begrün- dete Verdacht, dass ihre Populationen erloschen sind. Diesen Arten muss bei Wiederauftreten in der Regel in besonderem Maße Schutz gewährt werden. 1 Vom Aussterben bedroht Arten, die so schwerwiegend bedroht sind, dass sie in absehbarer Zeit aussterben, wenn die Gefährdungs- ursachen fortbestehen. Ein Überleben im Bezugs- raum kann nur durch sofortige Beseitigung der Ursa- chen oder wirksame Schutz- und Hilfsmaßnahmen für die Restbestände dieser Arten gesichert werden. Das Überleben dieser Arten ist durch geeignete Schutz- und Hilfsmaßnahmen unbedingt zu sichern. Dies gilt insbesondere dann, wenn im Bezugsraum eine besondere Verantwortlichkeit für die weltweite Erhaltung der betreffenden Art besteht. 2 Stark gefährdet Arten, die erheblich zurückgegangen oder durch laufende bzw. absehbare menschliche Einwirkungen erheblich bedroht sind. Wird die aktuelle Gefährdung der Art nicht abgewendet, rückt sie voraussichtlich in die Kategorie „Vom Aussterben bedroht“ auf. Die Bestände dieser Arten sind dringend durch geeig- nete Schutz- und Hilfsmaßnahmen zu stabilisieren, möglichst aber zu vergrößern. Dies gilt insbesondere dann, wenn im Bezugsraum eine besondere Verant- wortlichkeit für die weltweite Erhaltung der betref- fenden Art besteht (Abb. 1 & 2). 3 Gefährdet Arten, die merklich zurückgegangen oder durch lau- fende bzw. absehbare menschliche Einwirkungen be- droht sind. Wird die aktuelle Gefährdung der Art nicht abgewendet, rückt sie voraussichtlich in die Kategorie „Stark gefährdet“ auf (Abb. 3). Vögel Abb. 1: Das Rebhuhn zählt zu den stark gefährdeten Ackervögeln mit Bestandsrückgängen über 50 % (Foto: E. Greiner). Ödland bei Als- leben (SLK), 30.05.2015. Die Bestände dieser Arten sind durch geeignete Schutz- und Hilfsmaßnahmen zu stabilisieren, mög- lichst aber zu vergrößern. Dies gilt insbesondere dann, wenn im Bezugsraum eine besondere Verant- wortlichkeit für die weltweite Erhaltung der betref- fenden Art besteht. Abb. 2: Die stark gefährdete Haubenlerche, die in den 1990er Jahren noch auf vielen städtischen Freiflächen anzutreffen war, zählt heu- te zu den Arten mit stärkstem lang- und kurzfristigem Rückgang. Hält der Negativtrend weiter an, sind bereits kurzfristig weitere Be- stands- und Arealverluste, die im Süden Sachsen-Anhalts bereits erfolgten, und eine nochmalige Verschärfung der Gefährdungssitu- ation zu prognostizieren. (Foto: E. Greiner). Zwischen Niemberg und Schwerz (SK), 22.10.2015. Abb. 3: Beim Kuckuck sind aktuell moderate Bestandsrückgänge zu verzeichnen, die eine Aufnahme als‚ gefährdete‘ Art begründen. Ha- bitatveränderungen im Brutgebiet dürften für den Rückgang aber nicht die entscheidende Rolle spielen. (Foto: E. Greiner). Nahe Lan- genbogen (SK), 8.5.2013. R Extrem selten Extrem seltene bzw. sehr lokal vorkommende Arten, deren Bestände in der Summe weder lang- noch kurz- fristig abgenommen haben und die auch nicht aktuell bedroht, aber gegenüber unvorhersehbaren Gefähr- dungen besonders anfällig sind. Die Bestände dieser Art bedürfen einer engma- schigen Beobachtung, um ggf. frühzeitig geeignete Schutz- und Hilfsmaßnahmen einleiten zu können, da bereits kleinere Beeinträchtigungen zu einer starken Gefährdung führen können. Jegliche Veränderungen des Lebensraumes dieser Art sind zu unterlassen. Sind die Bestände aufgrund von bestehenden Bewirtschaf- tungsformen stabil, sind diese beizubehalten. V Vorwarnliste Arten, die merklich zurückgegangen sind, aber aktuell noch nicht gefährdet sind. Bei Fortbestehen von bestandsreduzierenden Einwirkungen ist in naher Zukunft eine Einstufung in die Kategorie „Gefährdet“ wahrscheinlich. Die Bestände dieser Art sind zu beobachten. Durch Schutz- und Hilfsmaßnahmen sollten weitere Rückgänge verhindert werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn im Bezugsraum eine besondere Verant- wortlichkeit für die weltweite Erhaltung der betref- fenden Art besteht.  Ungefährdet Arten werden als derzeit nicht gefährdet angesehen, wenn ihre Bestände zugenommen haben, stabil sind oder wenig zurückgegangen sind, so dass sie nicht mindestens in Kategorie V eingestuft werden müssen. 305

Types:

Origins: /Land/Sachsen-Anhalt/LAU

Tags: Stadttaube ? Brutvogel ? Sachsen-Anhalt ? Berichtspflicht ? Vogel ? Fluss ? Strauch ? Neozoen ? Gefährdete Arten ? Habitat ? Artenliste ? Gebietsfremde Art ? EU-Vogelschutzrichtlinie ? Artengefährdung ? Mitteleuropa ? Monitoringdaten ? Avifauna ? Risikoanalyse ? Rote Liste gefährdeter Arten ? Pflanze ? Risikofaktor ? Naturschutz ? Gestein ?

License: all-rights-reserved

Language: Deutsch

Issued: 2020-08-31

Modified: 2020-08-31

Time ranges: 2020-08-31 - 2020-08-31

Status

Quality score

Accessed 2 times.