Description: Rote Listen Sachsen-Anhalt Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt Halle, Heft 1/2020: 379–386 17 Bearbeitet von Clemens Grosser (3. Fassung, Stand: Dezember 2018) Einführung und Datengrundlagen Seit dem Erscheinen der zweiten Fassung der Roten Liste der Egel des Landes Sachsen-Anhalt (Grosser 2004a) haben sich einige Erkenntnisse zur Fauna der Hirudinida ergeben, die eine Aktualisierung der Roten Liste dieses Taxons notwendig erscheinen lassen. Die Artenliste der für Sachsen-Anhalt gemeldeten Egelarten konnte erfreulicherweise erweitert werden. So konnte erstmals der seltene Schwarzbäuchige Viel- fraßegel (Haemopis elegans) für unser Bundesland nachgewiesen werden. Vor allem aber Nachweise aus der Familie Piscicolidae (Fischegel) erweiterten das be- kannte Artenspektrum, wie z. B. von Piscicola respirans Troschel, 1850 (Grosser 2007). Durch den polnischen Hirudinologen Aleksander Bielecki erfuhr diese Familie eine umfassende Revision (Bielecki 1997). Einige der aus Polen beschriebenen Fischegel konnten auch schon für Deutschland und speziell Sachsen-Anhalt sicher nachgewiesen werden. Eine Einschätzung der Ge- fährdung ist aber zum heutigen Zeitpunkt noch nicht möglich, so dass in der vorliegenden Fassung diese Taxa nicht berücksichtigt werden. Überhaupt stellt die Erfassung von Daten zur Egelfauna ein Problem dar, da Egel bei faunistischen Untersuchungen in der Regel keine angemessene Beachtung finden. Somit standen nur wenige historische und aktuelle Quellen für die Analyse der Gefährdung der Egelarten zur Verfügung. Die Aussage, ob eine Art im Gebiet schon immer selten war oder ein Bestandsrückgang zu verzeichnen ist, kann nur im Rahmen einer langfristigen Datensamm- lung getroffen werden. Lediglich bei einzelnen Arten war anhand meist sehr pauschaler Häufigkeitsanga- ben in der älteren Literatur auf einen derzeitigen Be- standsrückgang zu schließen. Im wesentlichen konnte sich der Verfasser nur auf seine eigenen faunistischen Erhebungen beziehen. Einige mündliche und schriftli- che Mitteilungen anderer Naturfreunde, die durch den Verfasser größtenteils verifiziert wurden, ergänzten die Datenquellen. Bemerkungen zu ausgewählten Arten; Gefährdungsursachen und erforderliche Schutzmaßnahmen Von den ca. 50 in Deutschland bislang aufgefundenen Süßwasseregelarten konnten 30 auch in Sachsen-An- halt sicher nachgewiesen werden. Weiterhin wurden auch Glossiphonia paludosa (Carena, 1824) und G. verrucata (Fr. Müller, 1844) gemeldet (Wilhelmy & Scharf 1996), wobei die Funde noch nicht verifiziert werden Egel (Hirudinida) konnten. Wiederholt beruhten in der Vergangenheit vermeintliche Nachweise dieser seltenen Egel auf Fehl- bestimmungen. Deshalb wird momentan auch noch von einer Aufnahme der beiden Arten in die Rote Liste abgesehen. Gesicherte Nachweise beider Arten liegen jedoch aus dem brandenburgischen Havelgebiet vor (Kalbe 1965). Meldungen weiterer Arten sind für die Zukunft nicht auszuschließen. Weiterhin ist mit einem Auftreten von Trocheta pseudodina Nesemann, 1990 in der Weißen Elster zu rechnen, da diese Art im Stadt- gebiet Leipzigs in besagtem Fließgewässer vorkommt, wenngleich nicht häufig. Auch der aus der Wisper beschriebene Gebirgsegel Trocheta taunensis Grosser, 2015 ist für die Harzregion nicht auszuschließen. Gestreifter Schneckenegel – Alboglossiphonia striata (Apathy, 1888) (Glossiphoniidae, Abb. 1) Die Art galt lange Zeit als Farbvarietät von A. hetero clita (Linnaeus, 1758) mit einer besonders ausgepräg- ten transversalen Streifung. Molekularbiologische Untersuchungen von Trontelj (1997) rechtfertigen jedoch den Artstatus. Dieser Egel konnte bisher in drei Auengewässern der Elbe bzw. Mulde nachgewiesen werden. Lediglich das Vorkommen in der Alten Elbe bei Sandkrug ist so individuenreich, dass die Art dort regelmäßig anzutreffen ist. Liniierter Schlundegel – Dina lineata (O. F. Müller, 1774) (Erpobdellidae) Diese Egelart ist im norddeutschen Tiefland verbrei- tet und tritt somit z.B. in Mecklenburg-Vorpommern relativ häufig auf (Jueg 1998). Dagegen ist sie im üb- rigen Deutschland als selten anzusehen. Als einziger historischer Fundort im Gebiet wird die Ziegelwiese in Halle/S. angegeben (Johansson 1929). Der Verfasser konnte sie dort nicht mehr nachweisen. Derzeit sind im Gebiet nur fünf Vorkommen bekannt (Saalealtarm Zaschwitz/Saalekreis, Elbealtarm bei Tangermünde, Mittellandkanal, Schlagenthiner Stremme/Jericho- wer Land, Zufluss zur Beber/Ohrekreis; die beiden letzteren Meldungen briefl. Mitt. M. Jährling/LAU Sachsen-Anhalt). Den Lebensraum bilden stehende und langsam fließende Gewässer mit größeren Was- serstandsschwankungen, die zeitweilig auch aus- trocknen können. Derartige Habitate sind meist von Verlandung bedroht. Einstreifiger Schlundegel – Erpobdella monostriata Lindenfeld et Pietruszynski, 1890 (Erpobdellidae) In den großen Seen Mecklenburg-Vorpommerns und Nordpolens charakteristisch (Jueg 1998), war E. monostriata in Sachsen-Anhalt lediglich im Arendsee häufig anzutreffen. An ihrem südlichsten Fundort, dem Wörlitzer Park, konnte sie trotz mehrmaliger 379 Egel 1 3a2a 43b 2b Abb. 1: Alboglossiphonia striata mit noch nicht restlos geklärter taxonomischer Stellung, galt als Farbvarietät von A. heteroclita, ähnelt mor- phologisch jedoch mehr A. hyalina (Foto: C. Grosser). Abb. 2a, b: Glossiphonia concolor. a - typisch gefärbtes Exemplar. b - auffällig gescheckte Tiere (Fotos: C. Grosser). Abb. 3a, b: Hirudo medicinalis; a - juvenile Tiere zeigen ein sehr hellbraunes Muster. b - adulte Tiere zeigen kräftig orangerote bis rotbraune Streifen (Fotos: C. Grosser). Abb. 4: Placobdella costata ist ein noch seltener Egel, der offenbar in Ausbreitung be- griffen ist. In der Umgebung von Dessau-Wörlitz ist er regelmäßig anzutreffen (Foto: C. Grosser). 380 Egel Nachsuche nur einmal in zwei Exemplaren nach- gewiesen werden. Eine weitere stabile Population scheint dagegen in der Alten Elbe bei Sandkrug zu existieren. Dieser Egel wird erst seit jüngerer Zeit als eigenständig von der folgenden Art abgetrennt. Schlamm-Schlundegel – Erpobdella testacea Savigny, 1822 (Erpobdellidae) Die Art wird in der Literatur (Herter 1968) als häufig und überall verbreitet bezeichnet. Möglicherweise hat dieser Egel in den vergangenen Jahrzehnten besonders in den industrialisierten Gebieten durch zunehmende Gewässerverschmutzung einen Be- standsrückgang erfahren. Dem Verfasser ist diese Art aus dem südlichen Sachsen-Anhalt nicht bekannt. Im Norden des Landes wurde sie dagegen regelmäßig, wenn auch nirgends häufig, angetroffen. Dies könnte auf die meist geringere Belastung der Gewässer im nördlichen Landesteil zurückzuführen sein. Jedoch ist bei einer Ursachenabschätzung auch die unter- schiedliche Morphologie der Gewässer, z.B. hinsicht- lich Fließgeschwindigkeit und Sediment sowie der dadurch bedingten Vegetation, in den verschiedenen Landesteilen zu berücksichtigen. Interessanterweise tritt die Art in Sachsen verbreiteter auf. In Mecklen- burg-Vorpommern ist sie regelmäßig zu finden. Einfarbiger Schneckenegel – Glossiphonia concolor (Apathy, 1888) (Glossiphoniidae, Abb. 2) Dieser Egel scheint ebenfalls seltener aufzutreten als vielfach angenommen und ist im Gebiet nur von wenigen Fundorten mit geringer Individuenzahl bekannt. Umso erfreulicher war es, dass G. concolor sich im Zuge der Verbesserung der Wasserqualität seit Mitte der 1990er Jahre in der Fuhne ausgebrei- tet hatte. Jedoch blieb eine intensive Nachsuche bei Werdershausen, Wieskau und Cösitz im Jahre 2016 ergebnislos. Die Biozönose hatte sich mit dem massiven Auftreten des Neozoon Dikerogammarus villosus (Sowinsky, 1894) abermals drastisch geän- dert. Außer dem Entenegel, Theromyzon tessulatum, konnten keine weiteren Egelarten aber auch keine Kokons nachgewiesen werden. Ein Jahr später traten bei Wieskau wieder Erpobdella octoculata, Helob- della stagnalis und Glossiphonia complanata auf. G. concolor fehlte neben weiteren Arten jedoch immer noch. Gleiches gilt für das Vorkommen in der Saale- Elster-Aue in Planena. Hier konnte die Art 2018 auch nicht mehr nachgewiesen werden, Dikerogammarus war dagegen zahlreich zu finden. Der allochthone Gammaride tritt als aggressiver Prädator auf und ist zur Bedrohung autochthoner Lebensgemeinschaften in Fließgewässern geworden. G. concolor kann als ein hervorragender Indikator für die oft sehr artenreich besiedelten Sumpf- und Augewässer der Ebenen angesehen werden (Nesemann 1997). Die Art ist zu- sammen mit Dina lineata und Erpobdella testacea in Mecklenburg-Vorpommern nicht selten und zeigt, dass sich Faunen benachbarter Bundesländer mit- unter signifikant unterscheiden können. Schwarzbäuchiger Vielfraßegel – Haemopis elegans Moquin-Tandon, 1846 (Haemopidae) H. elegans wurde neu in die Rote Liste aufgenom- men, da er zwischenzeitlich für Sachsen-Anhalt in einem Exemplar im Elbealtarm bei Breitenhagen (Nähe Fähre) nachgewiesen werden konnte. Die Art besiedelt in Europa ein ausgedehntes Areal und ist von Frankreich bis Serbien bekannt, Fundmeldungen liegen aber auch aus Österreich, der Schweiz und Slowenien vor (Grosser 2004b, Grosser & Pešić 2006). In Deutschland wurde die Art mehrfach im Donauge- biet, in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern gefunden. Generell ist sie nirgendwo häufig und insgesamt wesentlich seltener als der ubiquitär auf- tretende Gemeine Vielfraßegel Haemopis sanguisuga (Linnaeus, 1758). H. elegans hat eine gewisse Tendenz zu einer terrestrischen Lebensweise und wurde schon weit entfernt von Gewässern gefunden, kommt an diesen aber häufiger vor, besiedelt hier jedoch auch die trockeneren Uferbereiche mit größerer Entfer- nung zur Wasserkante. Möglicherweise ist die Art ein Nahrungsspezialist, worauf nicht nur die schwäche- ren Kiefer hindeuten würden (Grosser 2004b) sondern auch die Tatsache, dass die Art im Gegensatz zu H. sanguisuga noch nicht über einen längeren Zeitraum unter Laborbedingungen mit angebotenen Regen- würmern ernährt werden konnte. Medizinischer Blutegel – Hirudo medicinalis Linnaeus, 1758 (Hirudinidae, Abb. 3a-b) Der Medizinische Blutegel war zu Beginn des Jahr- hunderts durch das Absammeln für medizinische Zwecke in Deutschland vielerorts ausgerottet (Johans- son in Herter 1968). In der Literatur werden Funde aus der Umgebung von Halle (Hecht 1929) und Merseburg (Dathe 1934) gemeldet. Die aktuellen Funde von H. medicinalis in Sachsen-Anhalt konzentrieren sich vor allem auf die Auengebiete von Saale, Mulde und Elbe. Die Vorkommen im Einzugsgebiet der Saale schließen sich an den Verbreitungsschwerpunkt der Art in der sächsischen Weiße Elster-Luppe-Aue an. Größtenteils werden in Sachsen-Anhalt stehende natürliche Ge- wässer besiedelt. Meist konnte H. medicinalis an den einzelnen Fundorten nur in geringer Abundanz nach- gewiesen werden. Mitunter blieb die Art an einzelnen Gewässern über einen längeren Zeitraum verschollen, konnte jedoch nach wenigen Jahren wieder aufge- funden werden. Insofern ist von einer ausgeprägten Populationsdynamik auszugehen und diese bei der Bewertung von Gewässern im Rahmen eines Hirudo- Monitorings mit zu berücksichtigen. 381
Origins: /Land/Sachsen-Anhalt/LAU
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Language: Deutsch
Issued: 2020-08-31
Modified: 2020-08-31
Time ranges: 2020-08-31 - 2020-08-31
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