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Kapitel 20 Kiemenfuß- und Ruderfußkrebse Rote Listen Sachsen-Anhalt 2020

Description: Rote Listen Sachsen-Anhalt Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt Halle, Heft 1/2020: 403–410 20 Bearbeitet von Mario Engelmann, Hans Pellmann & Volker Neumann (1. Fassung, Stand: August 2019) Einführung Taxonomisch handelt es sich bei den Großbranchio- poden um eine heterogene Gruppe, die Bestandteil der Klasse der Kiemenfußkrebse (Branchiopoda) ist und sich in die Ordnungen Anostraca (Schalenlose), Notostraca (Rückenschaler) und Diplostraca (Zwei- schalige) gliedern lässt (Olesen & Richter 2013). In Europa ist – bis auf Artemia spec. als Vertreter der Anostraca – allen diesen Tieren gemein, dass sie aus- schließlich in temporären Gewässern leben. Die in den letzten 50 Jahren in Sachsen-Anhalt nachgewiesenen Anostraca gehören zu den Gat- tungen Eubranchipus, Tanymastix, Branchipus und Artemia, die mit jeweils einer Art vertreten sind. Während Eubranchipus grubii und Tanymastix stagna- lis als „Frühjahresarten“ bezeichnet werden dürfen, ist Branchipus schaefferi den „Sommerarten“ zuzu- ordnen. Artemia spec. lebt in permanenten (stark salzigen) Gewässern und kann demzufolge über fast das gesamte Jahr beobachtet werden. Typischerweise können in allen einheimischen Vorkommen der An- ostraca beide Geschlechter beobachtet werden. Eine Ausnahme bildet auch hier Artemia spec.: für diese Art(en) liegen auch Berichte über nur aus Weibchen bestehenden Vorkommen vor (Engelmann et al. 2014). Die Notostraca sind mit den Arten Lepidurus apus (Frühjahresart) und Triops cancriformis (Som- merart) in Sachsen-Anhalt vertreten. Die meisten Vorkommen bestehen aus weiblichen Tieren, obwohl auch Männchen nachgewiesen wurden (Engelmann et al. 1996; Stephan 2008). Der fast 100 Jahre alte Bericht von Osterwald (1920) enthält Nachweise für zwei weitere Spezies von Großbranchiopoden in unserem Bundesland: Streptocephalus torvicornis (Anostraca) und Lynceus brachyurus (Diplostraca). Die Adulti der letztgenann- ten Art sind deutlich kleiner (zwischen 3 und 5 mm) als alle anderen hier genannten Großbranchiopoden. In Vorkommen beider Arten sind typischerweise so- wohl männliche als auch weibliche Tiere zu beobach- ten (Osterwald & Schwan 1919, Hofmann 2016). Die zu den Copepoda gehörenden, auffallend großen (etwa 5 mm Körperlänge) und blau gefärbten Kiemenfuß- (Branchiopoda) und Ruderfußkrebse (Copepoda) Riesen-Ruderfußkrebse Hemidiaptomus (Gigantodiap- tomus) superbus und H. (G.) amblyodon leben in tem- porären Frühjahrsgewässern in Sachsen-Anhalt, in denen sich fast immer auch Vertreter der Großbran- chiopoden finden. Das und die Tatsache, dass diese beiden zur Ordnung der Calanoida gehörenden Arten diese auentypische Habitate bewohnen, veranlasste uns, auch sie in die vorliegende Arbeit aufzunehmen. H. (G.) amblyodon scheint in Ost- und Mitteleuropa verbreitet zu sein, wurde aber nur selten beobachtet (Kiefer 1973). Noch seltener sind die Nachweise von H. (G.) superbus. Die Art wurde bislang weltweit in nur 13 Habitaten gefunden, von denen vier im Elbe-Ein- zugsgebiet liegen (Marrone et al. 2011). Datengrundlagen Zusätzlich zu den umfangreichen, insbesondere die alte Literatur berücksichtigenden Zusammenstellun- gen über die in Deutschland vorkommenden Groß- branchiopoden von Neumann & Heidecke 1989, Engel- mann & Hahn 2004; Neumann & Heinze 2004, Engelmann et al. 2014 und Neumann et al. (2016) wurden weitere, nach 2004 erschienene Publikationen ausgewertet. Der Erstautor verwaltet eine kontinuierlich aktuali- sierte Datenbank für alle Großbranchiopodenvorkom- men auf dem Territorium der heutigen Bundesrepu- blik Deutschland. Die Datengrundlage dieser Arbeit entspricht dem Stand vom Mai 2018. Die beiden letzten umfassenden Arbeiten zu den Ruderfußkrebsarten H. (G.) superbus und H. (G.) amblyodon stammen aus den Jahren 2011 und 2014 (Marrone et al. 2011; Martens 2014). Marrone und Mit- arbeiter (2011) gewähren u.a. einen Überblick über die weltweiten Fundorte der Arten. Martens (2014) lie- fert eine umfangreiche Darstellung der historischen und aktuellen Vorkommen auf dem Territorium der heutigen Bundesrepublik Deutschland. Aus den Publi- kationen ist ersichtlich, dass die Vorkommen entlang der Elbe, insbesondere im Land Sachsen-Anhalt, nicht nur landes- sondern sogar weltweit von herausragen- der Bedeutung sind: Von den insgesamt fünf Nach- weisen, die für H. (G.) superbus nach 1950 erbracht wurden, stammt ein Nachweis aus einem Vorkom- men von Sachsen-Anhalt, nämlich aus Breitenhagen an der Elbe. Dabei wurden die Tiere bei Breitenhagen an insgesamt drei, räumlich z.T. durch den Deich von- einander getrennten Habitaten gefunden. 403 Kleinkrebse Tab. 1: Übersicht zum Gefährdungsgrad der Kiemenfuß- & Ruderfußkrebse Sachsen-Anhalts. Kiemenfußkrebse Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) Ruderfußkrebse Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) 0Gefährdungskategorie R 1 23 2 25,0- -2 25,01 12,5- -- -2 100,0- - Bemerkungen zu ausgewählten Arten Kiemenfußkrebse – Branchiopoda Salinenkrebschen – Artemia spec. [Artemia salina (Linnaeus, 1758)] Alte Nachweise stammen aus den 1930er Jahren in salzhaltigen Abwässern und Teichen des Salzabbaus bei Staßfurt (Leopoldshall, jetzt Ortsteil von Staß- furt). Diese Vorkommen existieren nicht mehr. Ende der 1960er Jahre soll im NSG „Salzstelle bei Hecklin- gen“ auch Artemia spec. beobachtet worden sein. Seit Mitte der 1990er Jahre gibt es Nachweise für die Art in Gewässern einer Salzbergbauabraumhalde in Teutschenthal (FND „Salzstelle bei Teutschenthal- Bahnhof“) (Engelmann et al. 2014). Bei allen rezenten Vorkommen von A. spec. in Deutschland ist zu ver- muten, dass es sich um Ansalbungen verschiedener Artemia-Arten aus Europa und Nordamerikas handelt (Thienemann 1916, Neumann & Heinze 2004; Engelmann et al. 2014; Neumann et al. 2016). Spätestens Ende der 1940er Jahre waren Dauereier der kalifornischen Art A. franciscana auch in Deutschland verfügbar und wurden von Aquarianern als Fischaufzuchtfutter ge- nutzt (Anonymus 1949). Für die sichere Charakterisie- rung einer Salzkrebsart sind multidisziplinäre (ein- schließlich molekulargenetische) Untersuchungen und/oder Kreuzungsversuche notwendig (Dost 2004). Deshalb ist die genaue Artdetermination bis heute problematisch. Frühjahreskiemenfuß – Eubranchipus grubii (Dybowski, 1860) Der Frühjahreskiemenfuß ist in der Elbaue im Land Sachsen-Anhalt in vielen Vorkommen nachweis- bar. Manzke und Mitarbeiter (2014) vermuten, dass sich fast alle rezenten Vorkommen von E. grubii in „grundwassernahen und bodenfeuchten ‚alten‘ Waldgebiete[n] und [in] erhalten gebliebenen Au- und Bruchwaldreste[n] (außerhalb der rezenten Auen)“ befinden. Der Bereich der Einmündung der Ohre in die Elbe (ehemalige Lehm- und Sandgrube Rogätz) weist besonders stabile Populationen auf. Bislang unpublizierte Nachweise aus diesem Areal stammen aus den Jahren von 2002 bis 2018. Diese 404 Rote ListeGesamt 2 25,07 87,58 - -2 100,02 Vorkommen sind an fast allen Fundpunkten syntop mit denen von L. apus. Ebenso waren die Vorkom- men bei Breitenhagen (Flutrinne und im Bereich zwischen Elbe und Elbdamm) zwischen 2007 und 2018 relativ stabil. Dort wurde der Frühjahres- kiemenfuß allerdings nur in der Flutrinne syntop mit L. apus beobachtet. Vergesellschaftet war(en) E. grubii (und z.T. auch L. apus) mit H. (G.) superbus und H. (G.) amblyodon. Aktuelle Vorkommen des Frühjahreskiemenfußes sind auch aus den Bereichen der Elbaue bei Wörlitz (April 2016, Grosse, pers. Mitt.) und der Elster-Luppe- Saaleaue zwischen Leipzig und Halle bekannt (Grosse & Neumann 2016). Eigene Nachweise von E. grubii in Magdeburg stammen aus dem Monat April der Jahre 2006 und 2008 von der südlichen Grenze der Kreuzhorst und aus dem Herrenkrugpark in Elbnähe (auch vordeichs). Wegen ausbleibender Frühjahrshochwässer konnten die Tiere in späteren Jahren dort nicht mehr nachge- wiesen werden. Aufgrund geplanter Deichbaumaß- nahmen ist die zukünftige Wiederbeobachtung im Bereich der Kreuzhorst fraglich. Sommerkiemenfuß – Branchipus schaefferi (Fischer, 1834) Der Sommerkiemenfuß kommt meist in Bereichen am Auenrand (Altaue) oder außerhalb der Aue vor, die durch entsprechende Nutzung (militärische Übungsgelände; unbefestigte, landwirtschaftliche Wege) wasserrückhal- tende Senken und wenig Vegetation aufweisen. Auch die alten und erloschenen Vorkommen bei Magdeburg („Cracauer Anger“) lagen in einem z.T. militärisch ge- nutzten Gebiet. Seit dem Jahr 2010 wurden im Bereich der Elbaue nördlich von Magdeburg mehrere neue Vorkommen von B. schaefferi registriert: Ein Vorkommen konnte im Juni und Juli der Jahre 2016 bzw. 2017 in der Nähe von Bertkau auf einem Weg zwischen zwei teil- weise als Viehweiden genutzten Wiesen nachgewiesen werden. In Fahrspuren eines – offensichtlich konventio- nell bewirtschafteten (!) – Getreidefeldes unmittelbar am Elbe-Havel-Kanal bei Niegripp wurde im Juni 2016 und Juli 2017 B. schaefferi gemeinsam mit T. cancrifor- mis entdeckt. Weitere Beobachtungen des Sommerkie- menfußes stammen nördlich von Burg und in der Nähe Kleinkrebse 1a 1b 2 3 Abb. 1 a, b: Eubranchipus grubii aus dem Vorkommen bei Rogätz. a: Habitus eines männlichen Tieres mit den arttypischen Kopfanhängen; b: Der arttypische Brutbeutel eines Weibchens, der sich caudal des 11. Blattbeinpaares befindet, vergrößert (Fotos: M. Engelmann, 24.04.2006). Abb. 2: Fahrspuren auf einem Weg zwischen zwei als Viehweiden genutzten Wiesen in der Nähe von Bertkau dienen als Habi- tate für Branchipus schaefferi (Foto M. Engelmann, 06.07.2017). Abb. 3: Weibliche (mit blauem Brutsack) und männliche Branchipus schaefferi (grün gefärbt) im in Abb. 2 gezeigten Habitat (Foto M. Engelmann, 06.07.2017). 405

Types:

Origin: /Land/Sachsen-Anhalt/LAU

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Language: Deutsch

Issued: 2020-08-31

Modified: 2020-08-31

Time ranges: 2020-08-31 - 2020-08-31

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