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Rote Listen Sachsen-Anhalt 2020

Description: Rote Listen Sachsen-Anhalt Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt Halle, Heft 1/2020: 467–475 27 Bearbeitet von Mathias Hohmann und Wolfgang Kleinsteuber (3. Fassung, Stand: Dezember 2018) Einführung Die Steinfliegen oder Plecoptera sind eine vergleichs- weise kleine Insekten-Ordnung, die weltweit mit etwa 3.500 Arten vertreten ist (Fochetti & Tierno de Figueroa 2008). Aus Europa sind 426 Arten bekannt (Fochetti & Tierno de Figueroa 2006), in Deutschland sind 123 Arten nachgewiesen (Reusch & Weinzierl 2001). Von diesen kommt ungefähr die Hälfte (62 Arten) auch in Sachsen-Anhalt vor. Seit der letzten zusammenfassenden Bearbeitung der Plecoptera im Bundesland (Hohmann 2016) hat sich die Artenzahl durch die taxonomische Revision bzw. Aufsplittung der „Capnia bifrons s.l.“-Artengruppe (Boumans & Murányi 2014, Murányi et al. 2014) leicht erhöht. In der Steinfliegen-Fauna Sachsen-Anhalts ist das Fehlen einiger stenotoper Potamal-Bewohner auffäl- lig, was vermutlich auf historische Bearbeitungslücken zurückzuführen ist. So gibt es keine plausible Erklärung für die fehlenden Nachweise von Isogenus nubecula Newman, 1833 (vgl. Verbreitungskarte in Zwick 1992), Iso- perla obscura (Zetterstedt, 1840) und Xanthoperla apicalis (Newman, 1836). Die genannten Arten sind aus benach- barten Bundesländern wie Brandenburg und Sachsen bekannt und in den Flüssen Oder, Mulde und Elbe ge- funden worden (z.B. Joost 1989, Zwick 1999, Braasch & Berger 2003), was auch ein Vorkommen in Sachsen-An- halt nahe legt (Hohmann 2016). Jüngere Fundmeldun- gen aus ostdeutschen Flüssen (Lausitzer Neiße: Braasch 2001, 2003; Spree: Polak et al. 2015, Küttner et al. 2016) lassen zumindest für X. apicalis hoffen, dass der Art eine Rückkehr in weitere Flussgebiete gelingt. Steinfliegen verbringen als merolimnische Insek- ten den überwiegenden Teil ihres Lebens, nämlich das Ei- und Larvenstadium, in Gewässern. Bei den meis- ten einheimischen Arten dauert dieser Zeitraum etwa ein Jahr, von „großen“ Perlidae wie Perla oder Dino- cras sind aber auch mehrjährige Entwicklungszyklen bekannt. Die terrestrische, imaginale Phase ist zeitlich kurz und beschränkt sich auf Partnersuche, Paarung und Eiablage. Plecoptera haben oft sehr enge Bindun- gen an bestimmte Umweltqualitäten entwickelt. Ihr Vorkommen bzw. Fehlen kann deshalb im Rahmen von Bioindikations-Systemen zur Feststellung von Störungen des Sauerstoff- und Säurehaushaltes (z.B. Braukmann & Biss 2004) der Gewässer herangezogen werden. Die meisten Arten der Ordnung nutzen kalte, rasch strömende, sauerstoffreiche Fließgewässer als Lebensraum (vgl. Zwick 1980). Gleichwohl finden sich Steinfliegen (Plecoptera) unter den Plecoptera auch Arten, die in Stillgewässern wie Seen oder Mooren leben können. Alle in naturna- hen Gewässern vorhandenen Substrate (Steine, Kies, Totholz, flutende Wurzeln, Makrophyten, Laub, Sand) mit Ausnahme von Faulschlamm werden von jeweils speziell angepassten Formen besiedelt. Steinfliegen- Larven sind wichtige Bestandteile in Nahrungsnetzen und werden von Fischen und Wasservögeln gefres- sen. Die Plecoptera-Larven ernähren sich auf vielfäl- tige Weise, so sind Typen wie Weidegänger, Räuber, Sammler und Zerkleinerer bekannt (vgl. Graf et al. 2009). Die Imagines trinken Wasser, nehmen andere Nahrung wie Flechten, Algen oder Pollen aber nur in geringem Umfang auf. Die Männchen einiger Arten besitzen verkürzte Flügel, was die Ausbreitungsfä- higkeit einschränkt. Grundsätzlich sind Plecoptera jedoch zu gewissen Flugleistungen befähigt, was ihr plötzliches Auftreten in bisher unbesiedelten Ge- wässerabschnitten erklärt. Ausführliche Angaben zu Biologie und Ökologie finden sich beispielsweise bei Zwick (1980), Graf et al. (2009) oder auch Lubini et al. (2012); zum phylogenetischen System siehe Zwick (2000). Karte 1: Landschaftsgliederung Sachsen-Anhalt. 467 Steinfliegen 1 2 Abb. 1: Imago von Perla abdominalis, Selke bei Meisdorf (17.05.2017, Foto: M. Hohmann). Abb. 2: Imago von Perlodes microcephalus, Bremke bei Braunlage (07.05.2017, Foto: M. Hohmann). 468 Steinfliegen Datengrundlagen Die dieser Arbeit zu Grunde liegenden Daten setzen sich aus der Auswertung von Fachliteratur, zahl- reichen bisher unveröffentlichten Nachweisen der Autoren und Recherchen von Fundmeldungen im Rahmen der routinemäßigen Gewässergüteuntersu- chungen des Landesbetriebes für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft Sachsen-Anhalt zusammen. Durch die Revision bestehender Sammlungen könnte sich ein zusätzlicher Erkenntnisgewinn ergeben (z.B. Hohmann & Küttner 2019). Hohmann & Böhme (1999) stellten für das Land Sachsen-Anhalt erstmalig eine Checkliste der Eintags- und Steinfliegen auf, die 53 Plecoptera-Arten enthielt. Seitdem ergaben sich einige Neunachweise, die im Rahmen der Neubearbeitung der „Bestandsentwick- lung Steinfliegen“ bei Hohmann (2016) berücksichtigt und kommentiert sind. Aktuell sind 62 Plecoptera- Arten aus Sachsen-Anhalt bekannt. 23 dieser Arten kommen im (Norddeutschen) Tiefland vor, 59 Arten in der Region Hügel- und Bergland (siehe Karte 1). Im Vergleich zur Situation bei Erscheinen der ers- ten bzw. zweiten Fassung der Roten Liste für Sachsen- Anhalt (Reusch & Blanke 1993, Böhme 2004) hat sich die Datengrundlage durch intensivere Sammel- und Publi- kationstätigkeit quantitativ und qualitativ bedeutend verbessert. Gewisse regionale Kenntnislücken beste- hen aber noch im nordwestlichen Raum (Altmark) oder auch in einigen südlichen Landesteilen. Zur Determination von Steinfliegen gibt es momen- tan kein Bestimmungswerk in Deutschland, das Larven und Imagines zusammenfassend abdeckt. Die letzte diesbezügliche Bearbeitung stammt von Illies (1955) mit einer Ergänzung aus dem Jahr 1963. Diese taxonomische Literatur ist mittlerweile veraltet und kann nur noch eingeschränkt zur Unterscheidung von Plecoptera verwendet werden. Zur Bestimmung der Imagines ist die hervorra- gende Bearbeitung der rumänischen Steinfliegen- Fauna von Kis (1974) nahezu uneingeschränkt zu empfehlen. Mit Ausnahme von Leuctra leptogaster und L. pseudocingulata sind dort alle Arten Sachsen- Anhalts bzw. auch große Teile der deutschen Fauna enthalten. Die bislang vier aus Deutschland bekann- ten Zwicknia-Arten („Capnia bifrons s.l.“) können nach Wolf (2016) unterschieden werden. Ergänzend sind die Bestimmungsbücher für Portu- gal & Spanien (Tierno de Figueroa et al. 2003), Österreich (Graf & Schmidt-Kloiber 2008) und die Schweiz (Lubini et al. 2012) mit heran zu ziehen. Die Bearbeitungen der Britischen, Skandinavischen und Niederländischen Steinfliegen (Hynes 1977, Lillehammer 1988, Koese 2008) sind auf Grund des eingeschränkten Artenspektrums nur im Norddeutschen Tiefland verwendbar. Zur Determination der Larven der deutschen, au- ßeralpinen Steinfliegen ist der Schlüssel von Hohmann Abb. 3: Imago von Isoptena serricornis, Rossel im NSG „Buchholz“ (10.05.2011, Foto: M. Hohmann). (2011) gut geeignet. Als Ergänzung und zur Bearbei- tung alpiner Taxa kann der österreichische Schlüs- sel (Graf & Schmidt-Kloiber 2008) empfohlen werden. Nach Zwick (2004) können alle westpaläarktischen Plecoptera-Gattungen erkannt werden, in Einzelfällen (Gattungen Nemoura und Leuctra) auch Arten bzw. Artengruppen. Bei der Nomenklatur wird Reusch & Weinzierl (2001) gefolgt. Gefährdungsursachen und erforderliche Schutzmaßnahmen Vor allem die Steinfliegen-Larven sind, da sie überwie- gend sehr saubere, sauerstoffreiche, stark strömende Bäche mit klarem, kaltem Wasser und steinig-kiesigem Grund bewohnen, vielfältigen Gefährdungen ausge- setzt. Beispielhaft sind zu nennen: − Landwirtschaft (Intensivdüngung, Großflächen- Melioration, Nutzung von Gewässern als Viehträn- ke mit Viehtritt in sensiblen Bereichen), − Forstwirtschaft (Aufforstung mit standortfremden Ufergehölzen und Nadelwald-Monokulturen, Zer- störung von Kleingewässern und Quellabflüssen), 469

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Origin: /Land/Sachsen-Anhalt/LAU

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License: all-rights-reserved

Language: Deutsch

Issued: 2020-08-31

Modified: 2020-08-31

Time ranges: 2020-08-31 - 2020-08-31

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