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Kapitel 67 Großschmetterlinge Rote Listen Sachsen-Anhalt 2020

Description: Rote Listen Sachsen-Anhalt Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt Halle, Heft 1/2020: 825–848 67 Bearbeitet von Christoph Schönborn unter Mitarbeit von Bernd-Otto Bennedsen, Olaf Blochwitz, Bernd Heinze, Peter Strobl und Matthias Thate (3. Fassung, Stand: November 2018) Einführung Schmetterlinge sind mit wenigen Ausnahmen phy- tophage Insekten, die sich als Larven (Raupen) an verschiedenen Pflanzenteilen entwickeln. Die Ima- gines vieler Arten benötigen ein reiches Angebot an blühenden Gefäßpflanzen; andere wiederum saugen z.B. an ausfließenden Baumsäften, überreifen Früch- ten oder Ausscheidungen von Blattläusen. Bei einigen Familien besitzen die Falter keinen entwickelten Saugrüssel und können keine Nahrung mehr zu sich nehmen. Viele Schmetterlinge stellen sehr spezifische Anforderungen an ihren Lebensraum und sind vom Vorhandensein bestimmter Nahrungspflanzen oder standortklimatischer Faktoren abhängig. Die ersten beiden Fassungen der Roten Liste für die Schmetterlinge Sachsen-Anhalts wurden von Grosser (1993) sowie Schmidt et al. (2004) zusammengestellt. In dieser aktualisierten 3. Fassung wurde die Eintei- lung der sogenannten „Großschmetterlinge“ in die vier traditionellen Gruppen beibehalten: − Rhopalocera et Hesperiidae – Tagfalter (5 Familien) − Bombyces et Sphinges – Spinner und Schwärmer (15 Familien) − Noctuidae – Eulenfalter − Geometridae – Spanner Diese Einteilung richtet sich nach der Anordnung in dem weit verbreiteten und viel genutzten Bestim- mungswerk von Koch (1984). Systematik und Nomen- klatur folgen dabei nicht dem aktuellen Kenntnis- stand, wie er in der 2. Auflage des Verzeichnisses der Schmetterlinge Deutschlands dargelegt ist (Entomo- fauna Germanica Band 3, Gaedike et al. 2017), sondern innerhalb der o.g. Gruppen weitgehend Karsholt & Razowski (1996). Dieses Konzept wurde im Interesse der Vergleichbarkeit der Roten Liste sowohl mit der Vorgängerfassung als auch mit den aktuellen Faunen- werken in Sachsen-Anhalt (s. Kapitel Datengrundla- gen) gewählt. Nach Gaedike et al. (2017) sind aus dem gesamten Bundesgebiet 3.682 Arten von Schmetter- lingen bekannt, davon 2.405 aus Sachsen-Anhalt. Die in der vorliegenden Fassung behandelten Familien beinhalten 1.367 (Deutschland) bzw. 1.052 Taxa (Sachsen-Anhalt). Aufgrund der intensiven Bearbei- tung der Landesfauna in den vergangenen Jahren ist Großschmetterlinge (Lepidoptera part.) der Kenntnisstand für diese Arten gegenwärtig relativ gut. Allerdings bestehen auch heute noch in einigen Regionen in Sachsen-Anhalt, besonders im Nordwes- ten des Landes, erhebliche Erfassungsdefizite. Datengrundlagen Für Sachsen-Anhalt liegt eine kommentierte Check- liste aller Schmetterlinge vor, teilweise mit Angaben zur Bestandsentwicklung (Karisch et al. 2016). Vor- kommen und Verbreitung der Arten der in dieser Roten Liste bewerteten Gruppen sind in einer drei- bändigen Landesfauna ausführlich dargelegt worden (Band 1: Schönborn 2011 – Spanner; Band 2: Schmidt & Schönborn 2017 – Tagfalter und Spinnerartige; Band 3: Schönborn & Lehmann 2018 – Eulenfalter). Der bei weitem größte Teil der in diesem Rahmen ausgewer- teten 233.579 Datensätze wurde von Freizeitentomo- logen erhoben. Die Angaben sind folgenden Quellen entnommen: − neuere Meldelisten von ca. 60 Mitarbeitern; ältere Meldelisten aus dem Projekt „Beiträge zur Insek- tenfauna der DDR“, − Recherche sachsen-anhaltischer Belege in öffentli- chen Sammlungen, − Durchsicht privater Sammlungen, − faunistische Literatur, − Schutzwürdigkeitsgutachten sowie Pflege- und Entwicklungspläne im Bestand des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt (zur Verfügung gestellt von Dr. P. Schnitter), − private Datensammlungen und Karteien, − faunistische Erhebungen des MNVD (1991 bis 2003) sowie Meldelisten aus dem Bestand des Mu- seums (zur Verfügung gestellt von Dr. T. Karisch), − gezielte eigene Erhebungen, seit 2002 vielfach in bisher nicht oder wenig bearbeiteten Gebieten. Die älteste zusammenfassende Grundlage für die Bearbeitung der Schmetterlingsfauna Sachsen-An- halts ist das zweibändige Werk der Gebrüder Speyer „Die geographische Verbreitung der Schmetterlinge Deutschlands und der Schweiz“ (Speyer & Speyer 1858, 1862). Hier sind auch mehrere Faunenverzeichnisse aus unserem Gebiet enthalten. Für das südliche Sach- sen-Anhalt stellt in der Folgezeit das Werk von Berg- mann (1951–1955) einen weiteren Meilenstein dar. In den mittleren und nördlichen Landesteilen ist die frühere Bestandssituation in der räumlich weit ge- fassten Fauna von Magdeburg von Bornemann (1912) dokumentiert, welche u.a. auch Angaben aus dem Harz und dem Tangergebiet enthält. Ab 1964 haben viele Freizeitentomologen an dem Projekt „Beiträge 825 Großschmetterlinge zur Insektenfauna der DDR“ mitgearbeitet. Folgende Arbeiten wurden aus dieser Reihe ausgewertet: Rein- hardt (1983, 1985, 1989 – Rhopalocera et Hesperii- dae), Reinhardt & Kames (1982 – Papilionidae, Pieridae et Satyrinae), Heinicke & Naumann (1980–1982 – Noc- tuidae), Schintlmeister (1987 – Notodontidae), Schmidt (1991 – Bombyces part.), Keil (1993 – Zygaenidae) und Reinhardt & Eitschberger (1995 – Sphingidae). Aus der großen Zahl regionalfaunistischer Veröffentli- chungen sollen die Arbeiten von Grosser (1983, 1989, 1995, 1997), Heinze et al. (2006), Karisch (2014), Kellner (2006), Max (1977–1997), Patzak (1969), Schadewald (1994) und Schmidt (2015) hervorgehoben werden. In aktueller Zeit haben wir uns im Rahmen der Entomo- logen-Vereinigung Sachsen-Anhalt e.V. (EVSA) be- müht, regionalen Erfassungsdefiziten durch gezielte Projekte entgegen zu wirken (Kellner et al. 2005, Schmidt & Schönborn 2009, 2013, Schönborn et al. 2015, Schönborn 2018). Zusätzlich liegen die Bearbeitungen der Schmetterlinge im Rahmen der Arten- und Bio- topschutzprogramme des Landesamtes für Umwelt- schutz Sachsen-Anhalt für den Harz (Karisch 1997), die Stadt Halle (Süssmuth & Karisch 1998), den Land- schaftsraum Elbe (Schmidt 2001) und das Saale-Un- strut-Triasland (Stadie & Schellhorn 2008) vor. Ausführliche Literaturverzeichnisse sind in den Bänden der Landesfauna enthalten. Gebräuchliche Synonyme können Karisch et al. (2016) entnommen werden.furva, Phibalapteryx virgata), Zwergstrauchheiden (z.­ B. Dicallomera fascelina, Lycophotia molothina, Xestia agathina, Dyscia fagaria) und Streuobstwiesen (Ateth- mia ambusta, Eupithecia insigniata), sowie die heute intensiv genutzte Agrarlandschaft (Oria musculosa, Cucullia- und Lithostege-Arten). Obwohl viele der aus- gestorbenen oder verschollenen Schmetterlinge auch früher nur an ganz wenigen Stellen in Sachsen-Anhalt gefunden wurden, gibt es auch erloschene Arten, die zumindest regional einst weiter verbreitet waren (z. B. Argynnis niobe, Hipparchia alcyone, Hemaris tityus, Tephrina murinaria). Als Beispiele für besonders dras- tische Bestandsrückgänge können v. a. viele Tagfalter (Maculinea arion, Boloria euphrosyne, Melitaea diami- na u. a.), ferner z. B. Gastropacha quercifolia, Phragma- tobia luctifera, Archanara algae oder Eulithis testata genannt werden. Einige Arten sind in Sachsen-Anhalt im gesamtdeutschen Vergleich relativ gut vertreten, wie z. B. Chazara briseis, Isturgia roraria oder die nicht gefährdete Amata phegea. Für die Erhaltung mehrerer Arten trägt Sachsen-Anhalt bundesweit eine besonde- re Verantwortung. Hierzu zählen die FFH-Scheckenfal- ter Euphydryas aurinia und E. maturna, die isolierten Teilareale von Euchalcia consona und Meganephria bi- maculosa im mitteldeutschen Trockengebiet sowie die endemischen Taxa Xestia speciosa speciosa und Elophos vittaria hercynicus im Hochharz. Ausführliche Betrach- tungen zur Verantwortlichkeit finden sich bei Karisch et al. (2016) sowie in den Bänden der Landesfauna. Bemerkungen zu ausgewählten ArtenSchwarzer Apollo – Parnassius mnemosyne (Linnaeus, 1758) Eines der Glanzlichter unserer Schmetterlingsfauna war der Harzer Schwarzapollo. Zu seiner Erhaltung wurde 1975 bei Stolberg das erste Schutzgebiet der DDR eingerichtet, das einer Insektenart gewidmet war (Kames 1975). Der letzte Nachweis gelang 1992. In der vorigen Fassung der Roten Liste (Schmidt et al. 2004) noch in der Kategorie 1 geführt, muss der Schwarzapollo nunmehr als verschollen betrachtet werden (Arndt & Schönborn 2014). Die meisten Schmetterlinge der Roten Liste sind an Biotope gebunden, die selbst gefährdet sind bzw. in der Vergangenheit den verschiedensten Gefährdungs- ursachen ausgesetzt waren. Das betrifft naturnahe Le- bensräume wie z. B. Moore (Boloria aquilonaris, Anarta cordigera, Carsia sororiata) und Auen (Gastropacha populifolia, Catocala elocata, Macaria artesiaria, Perizo- ma lugdunaria u. a.), aber auch viele nutzungsgeprägte Biotope wie z.B. Trocken- und Halbtrockenrasen (viele Arten, u.a. Chazara briseis, Hyphoraia aulica, Apamea Abb. 1: Auf traditionell in Hütehaltung beweideten Trockenrasen mit intensivem Biomassenentzug und Störstellen kann man noch die Berghexe (Chazara briseis; RL ST Gefährdungskategorie 2) finden. Der Niedergang dieser Wirtschaftsform nach 1990 hat die Bestände fast überall einbrechen lassen (Foto: S. Schönebaum). Abb. 2: Stark zurückgegangen ist der in wärmegetönten Gehölzen und Siedlungsbereichen vorkommende Spanner Crocallis tusciaria (RL ST Gefährdungskategorie 2), ohne dass die Gründe hierfür immer ersichtlich sind. Die Art besitzt in Sachsen-Anhalt einen Verbreitungsschwerpunkt innerhalb Deutschlands (Foto: E. Friedrich). Abb. 3: Einige abgelegene Feucht- wiesenkomplexe des Harzes beherbergen die landesweit letzte Metapopulation des Goldenen Scheckenfalters (Euphydryas aurinia; RL ST Gefährdungskategorie 1), einer Art des Anhangs II der FFH-Richtlinie. Die Erhaltung der Habitate ist heute von Pflegemaßnahmen des Naturschutzes abhängig (Foto: S. Lehnert). Abb. 4: Die Kupferglucke (Gastropacha quercifolia; RL ST Gefährdungskategorie 1) verdankt ihren Namen neben der Färbung der eigentümlichen, an eine Glucke erinnernden Ruhehaltung des Falters. Die früher recht weit verbreitete, als Raupe meist an holzigen Rosengewächsen lebende Art ist in letzter Zeit sehr selten geworden (Foto: F. Julich). Abb. 5: Das aktuelle Vor- kommen der in den Anhängen II und IV der FFH-Richtlinie gelisteten Haarstrang-Wurzeleule (Gortyna borelii; RL ST Gefährdungskategorie 1) im Land beschränkt sich auf zwei unmittelbar benachbarte, kleinflächige Habitate im Saaletal. In unserem Faunengebiet leben die Tiere ausschließlich in größeren Beständen des nur lokal auftretenden Echten Haarstrangs (Peucedanum officinale) (Foto: E. Friedrich). Abb. 6: Auf Trockenrasen und in lichten Trockengebüschen warmer Landschaften der südlichen Landesteile siedelt die wenig gefundene Idaea moniliata (RL ST Gefährdungskategorie 1). Sie ist besonders durch Nährstoffakkumulation und fortschreitende Verbuschung infolge ausbleibender Beweidung bedroht (Foto: E. Friedrich). 826 Großschmetterlinge 1 2 3 4 5 6 827

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Language: Deutsch

Issued: 2020-08-31

Modified: 2020-08-31

Time ranges: 2020-08-31 - 2020-08-31

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