Description: Rote Listen Sachsen-Anhalt Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt Halle, Heft 1/2020: 873–877 71 Bearbeitet von Matthias Jentzsch (1. Fassung: Stand: Juli 2018) Einleitung Die Waffenfliegen sind deutschlandweit mit 71 Arten vertreten. Aus Sachsen-Anhalt wurden bislang 51 Spezies festgestellt, die als Faunenübersicht (Jentzsch 2013) und als Checkliste (Jentzsch 2016) vorliegen. Hinzu kommt der bislang nicht publizierte Nach- weis von Oxycera morrisii (1 ♂: 14.06.2012, 1 ♀: 14.06.2012, 1 ♀: 24.06.2012, 1 ♀: 29.06.2013, alle Drübeck, leg./det. F. Marquradt, vid. Verfasser), so dass sich die bekannten Vorkommen derzeit auf 52 Arten beziehen. Aufgrund von regionalen Untersuchungen vor allem im Zusammenhang mit FFH-Management- plänen (beispielsweise alle Binnensalzstellen mittels Farbschalen, Ziegelrodaer Forst mittels Autokescher, Jentzsch 2013, Jentzsch et al. 2017), die Auswertung zahlreicher Beifänge aus anderen faunistischen Er- fassungen, die Übermittlung von Zufallsfunden und Auswertungen von Sammlungen und Fotodokumen- tationen gehört die Waffenfliegenfauna Sachsen-An- halts zu den relativ gut untersuchten Vorkommen im Vergleich mit den anderen Bundesländern. Einige der größeren Arten (z. B. Gattungen Stra- tiomys, Odontomyia) sind aufgrund ihrer Färbung (z. T. Wespenmimikry) recht auffällig und anhand der kleinen Dörnchen auf dem Scutellum auch leicht als Waffenfliegen auszumachen. Andere sind nur wenige Millimeter groß, dunkel gefärbt, unscheinbar (z. B. Gattungen Pachygaster, Beris, Nemotelus) und einigen fehlt auch die Bedornung des Schildchens, weshalb sie oft nicht als Waffenfliegen erkannt werden. Ohne- hin ist es im Vergleich zu vielen anderen Dipterenfa- milien schwieriger, Waffenfliegen gezielt zu untersu- chen, da sie in der Regel nur vereinzelt, bei kleineren Arten eher durch das Streifen des Keschers in der Waffenfliegen (Diptera: Stratiomyidae) Vegetation oder als Larven anstelle von Sichtbeobach- tungen der Imagines festgestellt werden können. Am erfolgversprechendsten ist abgesehen von den grö- ßeren und auffälligen Spezies, die man auch gezielt mit dem Kescher erfassen kann, der Einsatz wahllos fangender Fallen, wie Malaisefalle oder Farbschale. Bemerkenswerte Ergebnisse bringen zudem Auswer- tungen von Foto-Foren im Internet (Jentzsch, in Vorbe- reitung). Generell sind aber Individuenzahlen, wie sie beispielsweise bei Schwebfliegen-Erfassungen auf- treten können, kaum zu erwarten und Auswertungen müssen auf entsprechend geringerer Datengrundlage erfolgen. Das ist wohl auch ein Grund, weshalb der Kreis von Entomologen, die sich mit Stratiomyiden beschäftigen, in Sachsen-Anhalt wie auch deutsch- landweit bedauerlicherweise nach wie vor übersicht- lich ist, obwohl relativ einfache Bestimmungsschlüs- sel sowohl für die Fluginsekten als auch die Larven zum Teil sogar in deutscher Sprache zur Verfügung stehen (Reemer 2014, Rozkošný 1982, 1983, 2000). Viele Waffenfliegen bewohnen als Larven Gewäs- ser und hier vor allem Teiche und Tümpel – aber auch saubere Bergbäche, Binnensalzstellen sowie feuchte Standorte wie z. B. überströmte Moosbereiche oder feuchte Erde. Die Imagines finden sich dementspre- chend in der Nähe auf Umbelliferen und anderen Blüten bei der Nahrungssuche. Einige der aquatisch lebenden Waffenfliegen-Spezies werden bereits als Indikatoren bei der Bewertung der ökologischen Qua- lität von Fließgewässern eingesetzt. Bislang haben aber nur die Gattung Stratiomys sowie die beiden Arten S. chamaeleon und S. longicornis in die entspre- chende DIN 38410–1 Eingang gefunden (DIN Deut- sches Institut für Normung e. V. 2004). Andere Arten leben in verrottendem Pflanzen- material, sei es in Holzmulm oder unter Rinde und einige davon besiedeln regelmäßig Kompostanlagen in Gärten. Tab. 1: Übersicht zum Gefährdungsgrad der Waffenfliegen Sachsen-Anhalts. Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) 0 10 19,2 Gefährdungskategorie R 1 2 - 2 3 - 3,8 5,8 Rote ListeGesamt 21 40,452 3 6 11,5 Tab. 2: Übersicht zu den sonstigen Kategorien. Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) G 2 3,8 Kategorien D 6 11,6 V 7 13,5 Sonstige GesamtGesamt 15 28,852 873 Waffenfliegen Datengrundlagen, Bemerkungen zu ausgewähl- ten Arten, Gefährdungsursachen und erforder- liche Schutzmaßnahmen 1 2 3 Abb. 1: Beris clavipes lebt als Larve in nassem Moos und unter Pflanzenresten in Gewässernähe. Die Imagines sind Blütenbesucher (♀, 09.06.18, Altwarmbüchen). Abb. 2: Oplodontha viridula ist eine europaweit häufige Art, deren aquatische Larven auch in der Lage sind, salzhaltige Gewäs- ser zu besiedeln (♀, 24.07.18, Springe-Altenhagen). Abb. 3: Pachygaster atra ist eine der wenigen Waffenfliegen-Arten, die mitunter massenhaft auf Dolden und andern Blüten gefunden werden können. Ihre Larven besiedeln verrot- tendes Pflanzenmaterial, darunter auch morsches Holz (♀, 27.06.17, Bantikow, Ost-Prignitz) (Fotos: H. Leunig). 874 Insgesamt 22 Arten (entspricht 42,3 % des Gesamt- bestandes) wurden in eine der Gefährdungskate- gorien und 14 Arten (26,9 %) in eine der sonstigen Kategorien eingeordnet (Tab. 1, 2). Neun Arten gelten als ausgestorben oder verschollen, wobei mit Sargus cuprarius, Sargus iridatus und Sargus rufipes drei Arten darunter sind, für die das Kriterium „seit mindestens 20 Jahren verschwunden“ auf das Jahr genau erfüllt wurde. Hier ist mit Wiederfunden zum Beispiel in den Elbauen-FFH-Gebieten im mittleren Sachsen-Anhalt, wo sie zuletzt nachgewiesen wurden, zu rechnen. Von den restlichen sechs der ausgestorbenen bzw. verschollenen Arten liegen nur Nachweise vor, die rund 40 Jahre oder deutlich älter sind und bei denen sich diese Befunde abgesehen von Beris fuscipes und Neopachygaster meromelaena, wo das Fehlen wohl ein methodisches Problem darstellt, mit Erkenntnis- sen aus anderen Bundesländern decken (z. B. Nieder- sachsen und Bremen, Stuke 2003). Oxycera pygmaea wurde bisher nur an einer einzigen der hiesigen und mittels Farbschalen untersuchten Binnensalz- stellen festgestellt (Jentzsch 2013), bei dem es sich aufgrund der isolierten Lage des Gebietes mit großer Wahrscheinlichkeit um das Habitat der Art handelt. Aufgrund dessen und dem Umstand, dass die natür- lichen Binnensalzstellen Sachsen-Anhalts selbst vom Verschwinden bedroht sind (Schuboth & Fiedler 2020), führte zur Einstufung als eine vom Aussterben be- drohte Art. Auch Odontomyia hydroleon ist vom Aus- sterben bedroht. Hier ist die Tatsache auffällig, dass zahlreichen historischen Belegen dieser gewöhnlich in Teichen und Tümpeln lebenden und aufgrund von Größe und Färbung auffälligen Art (Rozkošný 2000) ein einziger Nachweis aus der Gegenwart gegenüber- steht. Zusätzlich ist die Art auch in Niedersachsen, Norddeutschland allgemein, den Niederlanden und Belgien verschwunden (Stuke 2003), was demnach als ein überregionales Phänomen auffällig ist. Nemotelus brevirostris, Odontomyia angulata und Stratiomys equestris wurden ähnlich wie Oxycera pygmaea aus- schließlich an Binnensalzstellen, allerdings in diesen Fällen an mehreren und z. T. auch an anthropogen entstandenen festgestellt und O. angulata und S. equstris sind auch an Süßgewässern zu erwarten. Insgesamt überwiegen aber historische die aktuellen Nachweise deutlich und in der Gesamtschau muss daher eine starke Gefährdung dieser Arten angenom- men werden. Ähnliches gilt für Clitellaria ephippium, einer in Form und Farbe sehr auffälligen und sich in Ameisennestern, beispielsweise bei der häufigen Formica fulginosa entwickelnden Spezies. Obwohl im Gegensatz zu den Arten der Gefährdungskategorie 2 noch verschiedene aktuelle Nachweisorte existieren, Waffenfliegen ist im Vergleich mit den historischen Daten von ei- nem stetigen Rückgang der Art auszugehen, weshalb sie in die Kategorie 3 „Gefährdet“ eingestuft wurde. Im Falle von Actina chalybea, deren Vorkommen in Sachsen-Anhalt zur nördlichen Verbreitungsgrenze der Art zählen und die eine Bindung an lichte Laub- wälder zeigt (Rozkošný 1982), kam dieselbe Kategorie zur Anwendung. Sachsen-Anhalt gehört nach jetzi- gem Kenntnisstand zur nördlichen Verbreitungsgren- ze der Art, wo sie bisher nur im Harz und im Ziegelro- daer Forst festgestellt wurde (Jentzsch 2013, Jentzsch et al. 2017). Auch überregional liegen außer aus Sach- sen-Anhalt aktuell nur aus Sachsen und Bayern einige wenige Daten vor (Hable et al. 200, Jentzsch et al. 2016, Merkel-Wallner 2015). Von Oxycera morrisii gelangen nur drei aktuelle Nach- weise in zwei aufeinanderfolgenden Jahren an einem Gartenteich im Harz, der aber als stehendes Gewäs- ser wohl nicht als Lebensraum infrage kommt (vgl. Rozkošný 2000). Da die Art zudem überregional als selten gilt (Rozkošný 1982), wurde sie in die Kategorie G eingeordnet. Gleiches gilt für Oxycera pardalina. Bei der Art handelt es sich um einen Artkomplex und eine Revision ist in Vorbereitung. Da die Art extrem selten und als Larve nur in sehr sauberen Gewässern gefunden wird, ist eine Gefährdung anzunehmen. Die Auftrennung der Arten Beris hauseri und B. strobli war u. a. das Ergebnis einer Revision des Artkomple- xes Beris strobli auct. (Stuke 2004) und faunistische Daten sind noch defizitär, zumal auch Sammlungs- auswertungen für Sachsen-Anhalt keine weiteren Erkenntnisse lieferten. Von Sargus flavipes gibt es bislang nur einen Beleg. Eine weite Verbreitung ist zwar zu vermuten (Jentzsch 2013, Stuke 2003), kann aber nicht belegt werden, so dass ebenfalls die Kate- gorie D gewählt wurde. Gleiches gilt für Zabrachia minutissima, die bei Jentzsch (2013) fälschlicherweise als Z. tenella geführt wurde und deren Bestimmung hiermit korrigiert wird. Nemotelus pantherinus wurde hingegen in die Vor- warnliste aufgenommen. Zwar lässt die Datenlage in Sachsen-Anhalt wie auch in Sachsen noch keine Gefährdung erkennen (Jentzsch 2013, 2016, eigene Untersuchungen), aber Stuke (schriftl. Mitt.) berichtet von einem drastischen Rückgang der Art im benach- barten Niedersachsen. Aufgrund dessen scheint es geboten, den hiesigen Bestand in besonderem Maße zu überwachen. Gleiches gilt für Beris geniculata. Die Art lebt als Larve an Petasites hybridus (Stuke 2003), bevorzugt gebirgige Regionen (Rozkošný 1982) und wurde bisher nur im Harz festgestellt. Dort kommt sie noch relativ häufig vor (Jentzsch 2013, Stuke 2003). Sollte ein negativer Bestandstrend einsetzen, würde die Art in die Gefährdungskategorie R abrutschen, weshalb eine Überwachung und damit eine Einstu- fung in die Vorwarnliste gerechtfertigt erscheinen. Insgesamt können als Hauptgefährdungsursachen von Waffenfliegen-Beständen die Verluste an öko- logischer Qualität ihrer Habitate (nicht angepasste bzw. fehlende Nutzung und kaum mögliche Regene- rierbarkeit von natürlichen Binnensalzstellen, kurze Umtriebszeiten in Waldbeständen, Verlust an Alt- und Totholz, unzureichende Wasserqualität in Fließgewäs- sern u. v. a. m.) angenommen werden. Hieraus erge- ben sich entsprechende Möglichkeiten zur Förderung bedrohter Arten. Danksagung Ich bedanke mich herzlich bei Konstantin und Wolf- gang Bäse (Wittenberg Lutherstadt), die auf ihren Exkursionen in Sachsen-Anhalt regelmäßig auch Waf- fenfliegen sammeln und so einen wertvollen Beitrag zur Erforschung der Fauna leisten. Herrn Dr. Jens-Her- mann Stuke (Leer) danke ich für die vielen wertvollen Fachdiskussionen in Bezug auf die Stratiomyiden-Fau- na insgesamt. Herrn Frank Marquardt (Drübeck) gilt mein Dank für die Übermittlung der Daten zu Oxyce- ra morrisii und Herrn Hans Leunig (Hannover) für die Bereitstellung der Fotos 875
Origins: /Land/Sachsen-Anhalt/LAU
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Language: Deutsch
Issued: 2020-08-31
Modified: 2020-08-31
Time ranges: 2020-08-31 - 2020-08-31
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