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Kapitel 9 Großpilze Rote Listen Sachsen-Anhalt 2020

Description: Rote Listen Sachsen-Anhalt Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt Halle, Heft 1/2020: 205–285 9 Bearbeitet von Ulla Täglich Unter Mitarbeit von Torsten Albrecht, Hans Berndt, Gunnar Hensel, Jens Hoffmann, Eberhard Huth, Manfred Huth, Wolfgang Huth, Rudolf Knoblich, Jürgen Miersch, Jürgen Peitzsch, Dieter Penke, Heidrun und Udo Richter, Peter Rönsch, Hartmut Schubert und Horst Zimmermann (4. Fassung, Stand Dezember 2018) Einleitung und Datengrundlagen In Sachsen-Anhalt wurden bisher fast 4.800 Arten der Großpilze nachgewiesen. Damit gehören die Pilze zu einer der größten Artengruppen, die in Roten Listen betrachtet werden. Die erste Fassung der Roten Liste entstand 1989 (Richter & Dörfelt 1989) und beruhte noch sehr auf empirischer Entscheidung der Bearbeiter. Die Kennt- nis der Großpilzarten der damaligen Bezirke Halle und Magdeburg basierte ausschließlich auf Angaben aus der Literatur und weniger Kartierungsserien aus- gewählter Pilzarten. Die zweite Fassung (Dörfelt & Täglich 1992) konn- te dann auf eine gesamtdeutsche Artenliste zurück- greifen, wobei nur die Arten bezüglich ihres Vorkom- mens in Sachsen-Anhalt bewertet wurden. Nach 1990 intensivierte der Landesfachausschuss Mykologie im Naturschutzbund Deutschland e.V. die Kartierung im Bundesland. Darüber hinaus wurden alle zugängli- chen Datenquellen in Publikationen, nicht publizierten Manuskripten wie Fundlisten, Fundtagebüchern, in Herbarien und Nachlässenw erfasst und in der 1999 erschienenen Checkliste (Täglich 1999) publiziert. Die Arbeiten an dieser Checkliste und die daraus resultie- rende Fortsetzung der Kartierungstätigkeit führten im Vergleich zum Stand von 1992 zu einem erhebli- chen Erkenntniszuwachs und verbesserten Durchfor- schungsgrad von Sachsen-Anhalt. Basierend auf der Checkliste wurde dann die dritte Fassung der Roten Liste der Großpilze Sach- sen-Anhalts vorgelegt (Täglich et al. 2004), indem alle dort genannten Pilzarten in Bezug auf ihre Ge- fährdung beurteilt wurden. Die Jahre nach 2000 standen ganz im Zeichen der Arbeiten für eine Funga Sachsen-Anhalts. Im Landesfachausschuss Mykologie wurden Gattungs- bearbeiter benannt, die die Kartierungsdaten der entsprechenden Gattungen zusammentrugen bzw. die Datenquellen aus der Checkliste auswerteten. Die Funga, noch unter dem traditionellen Namen „Pilz- flora von Sachsen-Anhalt“ erschien im Herbst 2009 (Täglich 2009). Mit der Vorstellung von über 3.600 Großpilze Pilzarten (Basidiomyceten, Ascomyceten und aquati- sche Hyphomyceten) gab es damit in Sachsen-Anhalt erstmalig ein umfassendes Werk zum Vorkommen von Pilzen in den Landschaftsräumen, zu Habitats- und Substratansprüchen sowie zur Bestandsentwick- lung. Die Ergebnisse flossen dann in die Publikation des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-An- halt „Pflanzen und Tiere in Sachsen-Anhalt“ (Frank & Schnitter 2016) ein, die man als eine Vorarbeit für die jetzt vorgelegte Rote Liste betrachten kann. Das Er- scheinen der Funga gab der Kartierungstätigkeit des Landesfachausschusses Auftrieb. Es wurden Exkursio- nen in bisher wenig begangene Gebiete organisiert und weitere historische Quellen erschlossen. Seit 2010 wird zur Datenverwaltung das Kartie- rungsprogramm „Mykis“ eingesetzt. Dort werden inzwischen von zahlreichen Pilzfreunden aktuel- le Kartierungsergebnisse, Daten aus historischen Quellen (Literatur, Fundlisten, Herbarbelege, Nach- lässe, Tagebücher) eingearbeitet. Das Programm „Mykis“ wird inzwischen deutschlandweit genutzt und die Nachweise der Landesdatenbank sind auf www.pilze-deutschland.de einsehbar. Ende 2018 waren für Sachsen-Anhalt fast 4.800 Großpilzar- ten (Basidiomycetes, Ascomycetes) in ca. 290.000 Datensätzen nachgewiesen. Es wurden im Vorfeld dieser Liste alle für Sachsen- Anhalt nachgewiesenen Arten bezüglich ihrer Häufig- keit bzw. ihres Gefährdungsgrades bewertet. Für eine Gefährdungsbeurteilung war ausschlaggebend, in wie- viel Messtischblatt-Quadranten die Art nachgewiesen und ob ein Rückgang der Bestände zu verzeichnen ist. Für die Kategorie „0“ (ausgestorben oder verschollen) wurde der Zeitpunkt 1990 festgelegt. In der letzten Fassung der Roten Liste von 2004 war 1970 als Krite- rium festgelegt. Trotzdem hat sich die absolute Zahl der Arten, die in dieser Kategorie eingestuft werden mussten, mehr als verdoppelt (siehe Tabelle 3). Arten, von denen es auf Grund der Datenlage nicht möglich ist, Verbreitung, Bestand und mögliche Ge- fährdung einzuschätzen, werden in der Kategorie „D“ geführt. Es handelt sich dabei häufig um Einzelfunde bzw. insbesondere um systematisch nicht vollständig geklärte Arten. Die Anzahl dieser Arten beträgt fast 40 % aller bisher in Sachsen-Anhalt nachgewiesenen Spezies. Das bedeutet für die Zukunft, die Kartierungs- tätigkeit weiter zu intensivieren, um die Artenkenntnis zu verbessern und diese Defizite zu reduzieren. Die häufigen und ungefährdeten Arten sind in der vorliegenden aktuellen Liste nicht enthalten. 205 Großpilze Tab. 1: Übersicht zum Gefährdungsgrad der Großpilze Sachsen-Anhalts. Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) 0 101 2,1 Gefährdungskategorie R 1 2 617 61 116 12,9 1,3 2,4 3 284 5,9 Rote ListeGesamt 1.179 24,64.785 Tab. 2: Übersicht zu den sonstigen Kategorien. Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) G 135 2,8 Kategorien D 1.888 39,4 Gefährdungsursachen und erforderliche Schutzmaßnahmen Durch die stetige Zunahme der Fundnachweise und die verbesserte Datengrundlage ist es möglich bei vielen Arten das Vorkommen und die Gefährdung einzuschätzen. Durch jahrelange Beobachtung kann inzwischen auch eine Aussage über eine Ausbreitung oder Rückläufigkeit getroffen werden. Trotzdem sind verlässliche Gefährdungsursachen leider immer noch nur für eine Minderheit der Arten möglich. Meist sind es mehrere Faktoren, die zu einer Gefährdung der Art führen. Auch gibt es Kenntnislücken in Bezug auf das Wissen über die Ökologie der Pilze. Die Habitatszerstörung ist die größte Gefahr für Pilze. Dazu gehört z. B. die Umwidmung naturnaher Wälder in Nadelholzforste, Anpflanzung gebietsfremder Gehölze (z. B. Quercus rubra, Robinia pseudoacacia, Larix sp., Pseudotsuga menziesii, Populus sp.). Sie führen zur Reduzierung der Lebensräume vor allem von Mykorrhi- za-Partnern bodenständiger Gehölzarten. Auffallend ist das z. B. bei Arten der Gattung Täublinge (Russula), Röhr- linge (Boletus s. l.) sowie Schleierlinge (Cortinarius). Durch Änderung der Waldbewirtschaftung werden Waldbestände meist vor Erreichen der Altersphase der Bäume forstwirtschaftlich bearbeitet. Starkbäume fin- det man nur noch selten und nur in geschützten Bio- topen. Alte Wälder sind aber die einzigen Lebensräume einer Vielzahl von Pilzarten, die in jungen Beständen keine Existenzgrundlage finden. Daraus resultiert die hohe Gefährdung von Pilzarten, die auf starke liegende oder stehende Hölzer spezialisiert sind, z. B. Stachel- bärte (Hericium sp.), Mosaik-Schichtpilz (Xylobolus frustulatus), Safrangelber Weichporling (Hapalopilus croceus). Starkes Auslichten von Altbeständen führen zu verstärktem Lichteinfall und zur starken Zunahme der Krautschicht und zur Vergrasung, zur Reduktion der Waldmoose und damit zur starken Veränderung des für die Pilze so entscheidenden Mikroklimas. Aus der Sicht des Artenschutzes ist die Erhaltung historischer Bewirtschaftungsweisen wünschens- wert. Die alten Bauernwälder von oft nur geringer 206 V 32 0,7 Sonstige GesamtGesamt 2.055 42,94.785 Größe, die in der Nähe der Ortschaften als Nieder- wälder insbesondere auf Kalkböden gepflegt wurden, sind bereits vielfach im Übergang zum Hochwald und verlieren ihren Charakter als pilzreiche lichte Busch- wälder. Mit ihnen verlieren wir in den nächsten Jahr- zehnten die wertvollsten Lebensräume (sub-)mediter- raner Pilzarten im Bundesland. Die fortschreitende Flächenbeanspruchung durch den Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsflächen führt auch heute noch zum Verlust wertvoller Biotope. Die Trockenlegung von Feucht- und Moorgebie- ten, bzw. die Grundwasserabsenkung, um Flächen für die Landwirtschaft zu schaffen, reduzierte massiv das Artenspektrum dieser speziellen Gebiete. Durch Umdenken in Bezug auf diese Prozesse sind Feuchtge- biete und Moore unter Schutz gestellt. Diese Gebiete und ihr Arteninventar gehören jedoch immer noch zu den gefährdeten Biotopen (Riecken et al. 2006). Die Intensivierung der Grünlandnutzung oder die Nutzungsaufgabe von extensiv bewirtschafteten Flächen führt zur Verarmung der Funga. Nur wenige Arten können sich an die veränderten Bedingungen anpassen. Besonders Pilzarten nährstoffarmer Bioto- pe (z. B. Magerrasen), sind gefährdet. Das betrifft z. B. die Gattung der Saftlinge (Hygrocybe), Rötlinge (Ent- oloma), Keulenpilze (Clavaria, Clavulinopsis, Rama- riopsis). Durch Nutzungsaufgabe von ertragsarmen Wiesen und Weideflächen kommt es zur Verfilzung der Grasnarbe, dem Rückgang krautiger Pflanzen und zur Verbuschung. Die Zahl der Pilzarten dieser Stand- ort sinkt dramatisch (Karasch 2005). Die flächendeckende Eutrophierung der Land- schaft ist nach wie vor ein großes Problem. Davon sind insbesondere die Mykorrhiza-Pilze betroffen, da sie besonders empfindlich auf Nährstoffeintrag reagieren (Dörfelt & Braun 1980; Kreisel 1980). Die Veränderung der Vegetation führt zur Verschiebung der Konkurrenzfähigkeit der in diesen Habitaten le- benden Arten zu ihrem Nachteil. Pilze reagieren aber auch sehr empfindlich auf die Veränderung des pH- Wertes. Die bis ca. 1980 dauernde starke Versauerung Großpilze 1 2 Abb. 1: Die zu den Ascomyceten gehörenden Erdzungen besiedeln extensiv bewirtschaftete Wiesengesellschaften, Halbtrockenrasen oder Streuobstwiesen. Die Behaarte Erdzunge (Trichoglossum hirsutum) erscheint meist spät im Jahr, wenn die Witterung dauerhaft feucht ist. Durch Veränderung ihrer Biotope ist die Art gefährdet. Karsdorf, Hohe Gräte, 09.10.2017 (Foto: P. Rönsch). Abb. 2: Der Schwarzhütige Stein- pilz (Boletus aereus) als wärmeliebender Dickröhrling ist im Bundesland zumeist in den lindenreichen Eichen-Hainbuchenwäldern zu finden. Der Standort im Katharinenholz zeichnet sich durch das Ausstreichen des Zechsteins mit Rogensteinbändern aus und ist den Standorten auf Kalkböden vergleichbar. Wimmelburg, Katharinenholz, 09.08.2014 (Foto: G. Hensel). 207

Types:

Origin: /Land/Sachsen-Anhalt/LAU

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Language: Deutsch

Issued: 2020-08-31

Modified: 2020-08-31

Time ranges: 2020-08-31 - 2020-08-31

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