Description: STRAHLENTHEMEN Die Kontamination von Lebensmitteln nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl In der Nacht vom 25. zum 26. April 1986 ereignete sich in Tschernobyl die bis dahin schwerwiegenste Reaktorkatast- rophe der Geschichte. Während der folgenden zehn Tage wurden große Mengen von Radionukliden in die Umwelt freigesetzt. Drei verschiedene radioaktive Wolken zogen über große Teile Europas hinweg und breiteten sich bis nach Irland aus. Auch Deutschland war betroffen. Bedingt durch heftige lokale Niederschläge wurde der Sü- den Deutschlands deutlich höher kontaminiert als der Nor- den. Lokal wurden im Bayerischen Wald und südlich der 1) Donau bis zu 100.000 Becquerel pro Quadratmeter (Bq/m2) Cäsium-137 (Cs-137) abgelagert. In der norddeutschen Tief- ebene betrug die Ablagerung dagegen selten mehr als 4.000 Bq/m2. Bereits vor der Reaktorkatastrophe waren die Böden in Deutschland mit einigen 1.000 Bq/m2 Cs-137 in- folge des weltweiten Atombomben-Fallouts1) belastet. Die Nuklidzusammensetzung in den radioaktiven Wol- ken änderte sich mit der Entfernung zum Reaktor. In unmittelbarer Nähe wurden die weniger flüchtigen Ele- mente, wie Strontium (z. B. Sr-90) oder Plutonium (z. B. Pu-239), abgelagert. Vor allem Cäsium- und Iodisotope wurden dagegen über weite Strecken transportiert. Aus der Atmosphäre auf die Erde in Form kleinster Teilchen durch Niederschläge und Sedimentation von festen und flüssigen Bestandteilen der Luft abgelagertes radioaktives Material, das zum Beispiel bei Kernwaffenversuchen entstanden ist. Für die Kontamination von Waldprodukten und land- wirtschaftlichen Erzeugnissen ist heute in Mitteleuropa nur noch das langlebige Cs-137 von Bedeutung. Auch 30 Jahre nach der Katastrophe von Tschernobyl wird dieses Radionuklid auf Grund seiner Halbwertszeit von etwa 30 Jahren nur zur Hälfte zerfallen sein. Im Folgen- den wird der aktuelle Kenntnisstand zum Auftreten die- ser Kontaminationen dargestellt. Kontamination von Waldprodukten in Deutschland Waldböden zeichnen sich im Gegensatz etwa zu landwirt- schaftlich genutzten Böden durch organische Auflage- schichten (sich zersetzende Streu und Humus) auf den Mi- neralböden aus. Cäsium ist in diesen Schichten, die reich an Bodenorganismen und Nährstoffen sind, leicht verfüg- bar: Es wird schnell durch Bodenorganismen, Pilze und Pflanzen aufgenommen und, wenn Blätter und Nadeln fal- len, wieder dem Boden zugeführt. Cäsium bleibt also in ei- nen sehr wirkungsvollen Nährstoffkreislauf eingebunden und kann deshalb kaum in die mineralischen Bodenschich- ten abwandern, wo es, ähnlich wie auf landwirtschaftli- chen Böden, durch Tonminerale fixiert werden könnte. Maronenröhrling In Waldökosystemen kommt es typischerweise lokal zu hohen Schwankungen der Cs-137-Kontamination. Wildpilze Während in landwirtschaftlichen Erzeugnissen derzeit nur noch geringe Aktivitäten von Cs-137 als Folge des Tschernobyl-Fallouts nachzuweisen sind (im Bereich von einigen Becquerel pro Kilogramm (Bq/kg) und darunter), können die Werte bei wild wachsenden Pilzen im Ver- gleich dazu deutlich erhöht sein. In Semmelstoppelpil- zen und Trompetenpfifferlingen aus Südbayern und dem Bayerischen Wald werden noch bis zu einige 1.000 Bq/ kg Cs-137 gemessen. Steinpilze und Pfifferlinge können mehrere 100 Bq/kg aufweisen, bei Parasolpilzen sind es meist weniger als 20 Bq/kg. Pilze, die in den Handel ge- langen, dürfen eine maximale spezifische Aktivität von 600 Bq/kg haben. Die oben genannten Werte sind typisch für höher kontami- nierte Gebiete Süddeutschlands. In anderen Regionen sind Parasolpilz die Aktivitäten in wild wachsenden Pilzen wegen der ge- ringeren Ablagerungen von Cs-137 entsprechend niedriger. In gleichem Maß wie Cs-137 in die Tiefe verlagert wird, werden die Aktivitätswerte in den Pilzen abnehmen, die ihre Nährstoffe aus den oberen Bodenschichten beziehen. Ansteigende Cs-137-Aktivitäten werden nur in Ausnahme- fällen zu beobachten sein, wenn das Pilzgeflecht beson- ders tief im Boden liegt. In Zukunft ist zu erwarten, dass bei Speisepilzen in der Regel langsam abnehmende Cs- 137-Aktivitäten gemessen werden. Allerdings schwankt der Cs-137-Gehalt einer Pilzart innerhalb eines Standortes im Allgemeinen wesentlich stärker als von Jahr zu Jahr. Spezifische Aktivität von Cs-137 in Bq/kg Frischmasse ProbenzahlMittelwertMinimalwertMaximalwert Maronenröhrlinge371904,4940 Pfifferlinge1769< 0,3480 Steinpilze23320,5180 Parasolpilze40,2< 0,10,4 1) Zur Berechnung des Mittelwertes wurden Messwerte kleiner als die Nachweisgrenze gleich der halben Nachweisgrenze gesetzt. Messergebnisse aus dem Integrierten Mess- und Informationssystem (IMIS) für wild wachsende Pilze aus dem Inland im Jahr 2012. Zum Vergleich: Pilze, die in den Handel gelangen, dürfen eine spezifische Aktivität von 600 Bq/kg nicht überschreiten. Spezifische Aktivität von Cs-137 in Bq/kg Frischmasse ProbenzahlMittelwert 1)MinimalwertMaximalwert Hirsch218,0< 0,0974 Reh19323< 0,04430 Wildschwein221190< 0,19 800 1) Zur Berechnung des Mittelwertes wurden Messwerte kleiner als die Nachweisgrenze gleich der halben Nachweisgrenze gesetzt. Messergebnisse aus dem Integrierten Mess- und Informationssystem (IMIS) für Wildfleisch aus inländischer Erzeugung im Jahr 2012. Zum Vergleich: Wildfleisch, das in den Handel gelangt, darf eine spezifische Aktivität von 600 Bq/kg nicht überschreiten. Wildfleisch Die Kontamination von Wildfleisch ist, ähnlich wie bei wild wachsenden Pilzen, im Vergleich zu landwirtschaft- lichen Produkten noch deutlich erhöht. In einzelnen Gebieten Deutschlands sind spezifische Aktivitäten von über 1.000 Bq/kg Cs-137 zu beobachten. Die im Rahmen eines bundesweiten Routinemess programms (IMIS) erhobenen Daten erreichten im Jahr 2012 für Hirsche maximal 74 Bq/kg und für Rehe 430 Bq/kg. Die höchsten Cs-137-Aktivitäten werden im Allgemeinen bei Schwarzwild gemessen. So wurden 2012 Werte von rund 9.800 Bq/kg im Muskelfleisch von Wildschweinen erreicht. Der Spitzenwert betrug bis- her etwa 65.000 Bq/kg und wurde 1998 im Bayerischen Wald beobachtet. Sowohl die Höhe der Kontamination als auch deren jah- reszeitlicher Verlauf hängen eng mit dem Ernährungs- verhalten des Wildes zusammen. Höhere Kontamina- tionen sind insbesondere dann zu erwarten, wenn die Tiere ihr Futter vornehmlich im Wald suchen und nicht auf landwirtschaftlichen Flächen weiden. Für die Konta- mination von Schwarzwild spielen die für den menschli- chen Verzehr nicht geeigneten Hirschtrüffel eine Schlüs- selrolle. Sie leisten wegen ihres außergewöhnlich hohen Cs-137-Gehaltes den mit Abstand bedeutendsten Beitrag zur Cs-137-Aufnahme von Wildschweinen. Kontamination landwirtschaftlicher Produkte in Deutschland In Deutschland wurde Ende der 1950er Jahre mit systema- tischen Messungen insbesondere von Cs-137 und Sr-90 in verschiedenen Umweltmedien begonnen. Die Bundesan- stalt für Ernährung (jetzt Max-Rubner-Institut, Bundesfor- schungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel) beobach- tete in allen tierischen und pflanzlichen Nahrungsmitteln einen steilen Anstieg der Cs-137-Aktivitäten bis 1964, der auf den Fallout oberirdischer Kernwaffenversuche zurück- ging. Danach reduzierte sich die Cs-137-Aktivität in der Nahrung kontinuierlich, bis 1986 der Tschernobyl-Fallout die Kontaminationen wieder deutlich erhöhte. Auf landwirtschaftlichen Flächen verweilt Cs-137 heute noch im Oberboden und wandert ausgesprochen lang- sam in tiefere Schichten. Die Wurzelaufnahme spielt bei Cs-137 nur eine geringe Rolle, da es in mineralischen Bö- den sehr stark an Tonminerale gebunden wird. Land- wirtschaftliche Kulturen, die erst nach dem Reaktorun- fall von Tschernobyl ausgesät oder angepflanzt wurden, waren bereits im Sommer 1986 nur noch mit wenigen Bq/kg kontaminiert. Die Cs-137-Aktivität in Milch erreichte ihr Maximum Mit- te und Ende Mai 1986 und nahm in der Folgezeit konti- nuierlich ab. Ende Oktober 1986 wurden in vermarkteter Rohmilch aus Südbayern nur noch einige Becquerel pro Liter (Bq/l) gemessen. Die Aktivität stieg aber im Winter Jahresmittelwerte des Sr-90- und Cs-137-Gehaltes der Rohmilch in der Bundesrepublik Deutschland.
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Tags: Hirsch ? Bayerischer Wald ? Reh ? Wildschwein ? Bodennährstoff ? Cäsium ? Strontium ? Tschernobyl ? Süddeutschland ? Flechte ? Humus ? Nährstoff ? Plutonium ? Tschernobyl-Kernschmelzunfall ? Donau ? Irland ? Super-GAU ? Bodenverunreinigung ? Futtermittel ? Laubblatt ? Radionuklid ? Waldboden ? Waldökosystem ? Oberboden ? Mitteleuropa ? Cäsium-137 ? Radioaktiver Stoff ? Atomtest ? Bodenbelastung ? Lebensmittelkontamination ? Nachweisgrenze ? Pilz ? Pflanzliche Lebensmittel ? Produktvergleich ? Halbwertszeit ? Nährstoffkreislauf ? Europa ? Bodenorganismen ? Agrarprodukt ? Bodenhorizont ? Tonmineral ? Jahresmittelwert ? Reaktor ? Informationssystem ? Speisepilz ? Atmosphäre ? Sedimentation ? Lebensmittel ? Wald ? Landwirtschaftliche Fläche ? Verunreinigung ? Niederschlag ? Partikel ? Mittelwert ?
Region: Peine
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