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BfS-Magazin: „Einblicke Nummer 10 | Informationen über ein Endlager“ (PDF, nicht barrierefrei)

Description: Asse E i n blick e Nr. 10 oktober 2010 Informationen über ein endlager (04/2010) reportage Hinterm Horizont geht’s weiter weltweit produzieren über 400 atomkraftwerke strom, aber auch müll. eins von ihnen ist das akw grohnde bei hameln Editorial In der Mitte angekommen Seit dem 1. Januar 2009 ist das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) für das Endlager Asse zuständig. Und genauso lange gibt es die »Asse Einblicke«. Mit dieser Zeitungsbeilage wollen wir für etwas sorgen, was es lange Zeit nicht gegeben hat: Transparenz. Regelmäßig informieren wir über alles, was auf der Asse geschieht und wie die sichere Stilllegung des Endlagers umgesetzt wird. Dabei ist uns wich- tig, keine PR-Broschüre herauszugeben, sondern mit journalistischen Mitteln über das komplexe Thema Endlagerung zu berichten. Dazu gehören neben den Reportagen unabhängiger Journalisten vor allem die Infografiken. Sie erklären anschaulich komplexe Sachverhalte: Wie ist das Wasser in die Asse eingedrungen oder woher kommen die radio­aktiven Abfälle? Die »Asse Einblicke« sind dazu da, Bürgern ohne Vorkenntnisse alles Wissenswerte über die Asse zu vermitteln. Gerade das Thema radioaktive Abfälle ist oft mit Ängsten behaftet. Umso wichtiger ist es, über die tatsächlichen Gefahren aufzuklären. Spätestens seit der grundlegenden Weichenstellung für eine Still­ legungsoption geht die Asse nicht nur die Menschen der Umgebung an, sondern alle. Die Rückholung von Atommüll aus einem Bergwerk ist noch nie praktiziert worden. Sie stellt eine große Heraus­forderung für Mensch und Technik dar und bedeutet die sichere End­lagerung der Abfälle an einem anderen Ort in Deutschland. Aus Gründen der Langzeitsicherheit ist die Rückholung nach heutigem Ermessen die beste Möglichkeit, die Asse sicher stillzulegen. Bislang sind die »Asse Einblicke« in der betroffenen Region erschienen. Doch die Asse steht für ein Problem, das weit über Nieder- sachsen hinausreicht. Die Erfahrungen, die hier gemacht werden, sind für den zukünftigen Umgang mit radioaktivem Abfall in diesem Land entscheidend. Weil die Asse unkontrolliert abzusaufen droht, wird darüber diskutiert, ob sich Salzbergwerke überhaupt als Endlager eignen. Gleichzeitig wird über längere Laufzeiten gestritten und auch dabei geht es immer darum, den Abfall über Zeiten zu lagern, die für uns Menschen unvorstellbar lang sind. Mit anderen Worten: Das Thema Endlagerung ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Deswegen haben wir uns entschieden, die zehnte Ausgabe der »Asse Einblicke« auch überregional erscheinen zu lassen. Wir wollen signalisieren, dass es sich um eine Aufgabe handelt, die die gesamte Gesellschaft angeht: die Zukunft der Endlagerung von Atommüll so zu gestalten, dass wir und die nächsten Generationen sicher damit leben können. Von der Asse gehen bei allen Problemen auch wichtige Erkenntnisse aus. Vor allem die, dass wissenschaftliche Ergebnisse und das Demokratiebedürfnis der Menschen ernst genommen werden und somit am ehesten eine tragfähige Lösung für den Umgang mit der Kernenergie bieten. Und nun Glück auf und viel Erkenntnis beim Lesen! wolfram könig Präsident des Bundesamtes für strahlenschutz Die Asse ist zum Synonym für das bisherige Scheitern der Endlagerung geworden. Darüber hinaus hat sie aber eine neue Diskussion über die Folgen der Atomkraftnutzung angeregt – über Laufzeiten von AKWs und die Endlagerfrage. Ein erstes Ergebnis der Debatte: Die Bundes­regierung will mit einer Kernbrennstoffsteuer auch die Sanierung der Asse finanzieren. Rundreise durch ein bewegtes Land von oliver geyer und ralf grauel foto: Anja Behrens E s hat lange gedauert, bis sich die Böden, Seen und Wälder in der Mär- kischen Schweiz zwischen Berlin und der polnischen Grenze vom Erbe der DDR erholt haben. Im Wasser der Seen fanden sich nach der Wende Schad- stoffe aus den Agrarbetrieben – zuweilen schwamm sogar Kerosin auf der Oberflä- che. 20 Jahre nach der Wende sind viele der Seen wieder so klar, dass die Touristen kommen – doch die Menschen vor Ort ha- ben Angst, dass es mit der unberührten Natur vor der Haustür schon bald wieder vorbei ist, seit dort die unterirdische Kohlendioxid-Lagerung geprobt werden soll. Von »einem CO2 -Klo« sprechen die Menschen in den Leserbriefspalten der »Märkischen Oderzeitung«, und der Bür- germeister einer betroffenen Gemeinde sagt: »Wir wollen hier keine Asse.« Die Asse – rund 300 Kilometer entfernt vom Märkischen Oderland – hat zweifellos Karriere gemacht: Als Inbegriff für ein menschengemachtes Unglück, für eine un- berechenbare Gefahr im Untergrund, für die Unfähigkeit, mit den unerwünschten Nebenprodukten eines gewünschten Wirt- schaftswachstums verantwortlich umzu- gehen. Auch in der Stuttgarter Innenstadt konnte man im Frühsommer auf die Asse stoßen: Dort eröffnete der Berliner Werbe- filmer und Künstler Ralf Schmerberg das »Café Endlager« – eine Ausstellung zur Problematik der Atomenergie. Kernstück der gut besuchten Ausstellung, die vom regenerativen Stromversorger Entega packen und anschließend in einem sicheren finanziert wurde, war ein Nachbau des Endlager unterbringen. Aus Gründen der Asse-Schachts: Tropfendes Salzgestein und Langzeitsicherheit hat sich das als die beste rostige Fässer sollten die Besucher das Option herausgestellt. Und plötzlich sind Gruseln lehren. es nicht nur die Menschen im Umkreis von Zwei Jahre ist es her, als erstmals be- Wolfenbüttel, die gebannt auf die Asse kannt wurde, dass im alten Salzbergwerk schauen, sondern die ganze Republik. Die Asse II gesetzeswidrig kontaminierte Flüs- Bilder von den verrotteten Atomfässern sigkeit in tiefere Bereiche gepumpt wurde wirken im Nachhinein fast wie ein heil- und damit gleich eine ganze Reihe von samer Schock – für eine Öffentlichkeit, die Fragen hochkam: Warum wird in einem das Thema Atommüll lange verdrängt hat. nach Bergrecht betriebenen Schacht mit Im Jahr 2010 nun bewegt eben dieses Atommüll hantiert? Wo kommen diese Thema das Land wie lange zuvor nicht. Mengen radioaktiver Abfall überhaupt Nach Jahren, in denen man her, wenn es sich doch um sich von den heftigen Aus­ ein Forschungsendlager Beim Thema Atom handelt? Und warum dringt neigt die Gesellschaft einandersetzungen um die Atomkraft in den 70er- und dort Wasser ein, wo doch zum Glaubenskrieg 80er-Jahren erholt hatte. Atommüll möglichst tro- Dem größten Teil der Bevölkerung kam der cken verwahrt werden muss, um die Um- Protest wie ein Gespenst aus der Vergan- welt nicht zu gefährden? genheit vor. Mit dem Ausstiegsbeschluss Stück für Stück kam die Wahrheit über der rot-grünen Regierung schien das die Asse ans Licht: Rund 126.000 Fässer Thema ad acta gelegt – um den Atommüll mit schwach- und mittel­radioaktivem Ab- würde man sich irgendwann kümmern, fall lagern in einem Salzstock, der in we- der technologische Fortschritt würde es nigen Jahren abzusaufen droht und in schon richten. den schon jetzt zu viel Wasser eindringt. Doch so kam es nicht. Bis heute gibt es Nachdem das Bundesamt für Strahlen- weltweit kein Endlager für wärme entwi- schutz (BfS) unter Aufsicht des Bundes­ ckelnde, radioaktive Abfälle – und das, ob- umweltministeriums im Januar 2009 die wohl über 400 AKWs auf der ganzen Erde Verantwortung für die Asse übernommen unablässig strahlenden Müll produzieren. hatte, begann man damit, die Menschen In Deutschland sorgte das über Gorleben umfangreich über die Zustände im Schacht verhängte Moratorium für eine trügerische zu informieren. Unter öffentlicher Beteili- Ruhe; nach Alternativen wurde in dieser gung wurde in einem monatelangen Aus- Zeit nicht gesucht. Das Knirschen in der wahlverfahren ein Vorgehen beschlossen, maroden Asse kam da fast wie ein längst das weltweit einmalig ist: Das BfS will den überfälliger Weckruf. kompletten Atommüll bergen, neu ver­ asse einblicke nr. 10 ­–– oktober 2010 (04/2010) energiemix in deutschland 15,6 77,5 9,6 18, 3 6,2 2,6 12,9 istzustand 2010 Angaben in Prozent ,4 24 strom aus atomkraftwerken Frankreich 77 % Deutschland 22 % USA 19 % Russland 16 % China 2% quelle: „kernenergie weltreport“, internationale zeitschrift für kernenergie, april 2008 Wunsch der Bundesbürger Angaben in Prozent BraunKohle Steinkohle Atom Erneuerbare Energie Gas Andere | unentschieden quellen: Arbeitsgemeinschaft energiebilanzen e. v., Forsa / Stand februar 2010 ,6 22 Zwar lagern nach den vorliegenden Er- kenntnissen in der Asse nur schwach- und mittelradioaktive Abfälle, deren Gesamt- aktivität in etwa der eines Castorbehälters entspricht, während in Gorleben ein End- lager für hochradioaktiven Abfall entste- hen könnte – und dennoch sind die Erfah- rungen mit dem Salzstock Asse als Lagerstätte von großer Wichtigkeit für die zukünftige Errichtung eines Endlagers für hochradioaktiven Abfall. Der Beschluss der Bundesregierung, die Restlaufzeiten der AKWs zu verlängern, die erneuten Untersuchungen in Gorleben und die Bilder aus der Asse haben dafür gesorgt, dass heute kaum ein Tag vergeht, an dem das Thema Atom nicht in den Schlagzeilen ist. Und von Politikverdros- senheit ist zumindest beim Thema Atom nichts zu spüren: Erst vor wenigen Wochen zogen auf einer Anti-Atomkraft-Demons- tration mehrere Zehntausend Menschen durch Berlin, manche von ihnen hielten hölzerne „A“s in die Kamera – „A“ wie „aufpASSEn“. Wollte vor zwei Jahren – vor Bekanntwerden des Asse-Desasters – noch knapp die Hälfte der Deutschen einen Aus- stieg aus dem Atomausstieg, sind es nun nur noch 32 Prozent. Allerdings sind auch 81 Prozent der Meinung, dass bei der Stromversorgung nicht völlig auf Atom- kraft verzichtet werden kann, vor fünf Jahren waren das noch 59 Prozent. Die politische Debatte über die Laufzeit- verlängerung hält das Land über Monate in Atem. Anfang September schließlich einigte sich die Regierung, die Laufzeiten zu verlängern: um durchschnittlich zwölf Jahre. Beschlossen wurde auch eine Kern- brennstoffsteuer auf jedes Gramm Uran. Mit den Einnahmen daraus soll auch die Asse-Sanierung finanziert werden – nach derzeitigen Schätzungen des Bundes­ umweltministeriums sind dafür bis zu 3,7 Milliarden Euro nötig. Zusätzlich sollen die Stromkonzerne einen Teil der Gewinne in die Förderung regenerativer Energien investieren. Die Opposition sagt: viel zu wenig. Bei kaum einem anderen Thema neigt die Gesellschaft so zum Glaubenskrieg wie im Falle der Atomkraft. Doch das ist vielleicht die einmalige Chance, die diese Zeit, die von den Bildern aus der Asse geprägt ist, bietet: dass an den alten Gewissheiten gezweifelt wird, Argumente neu bewertet werden. Dass man aus der Vergangenheit erfährt, wie man das komplexe Thema der Entsorgung von Atommüll im Einvernehmen mit dem Gesetz und der Bevölkerung lösen kann, an- statt über ihren Kopf hinweg. Reise in die Vergangenheit: Der Untersuchungs- ausschuss In einem holzvertäfelten, nüchternen Konferenzraum – dem Leibnizsaal im Leineschloss in Hannover – sind die Tische zu einem U zusammengestellt worden, am offenen Ende steht ein einzelner Tisch für die geladenen Zeugen. Über 40 von ihnen saßen bereits hier, seit der Parlamenta- rische Untersuchungsausschuss (PUA) zur Asse am 17. Juni 2009 erstmals zusammen- trat – darunter die ehemaligen Bundes­ umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) und Jürgen Trittin (Grüne) und alle bisherigen Präsidenten des BfS beziehungsweise der Vorgängereinrichtung. Sie standen den Abgeordneten von CDU, FDP, SPD, Grünen und Linkspartei Rede und Antwort. Dabei war der Ton trotz der politischen Diffe- renzen über weite Strecken ruhig und besonnen. Zu viel ist schiefgelaufen, das ist allen klar. Tatsächlich hat der Untersuchungsaus- schuss einiges hervorgebracht, was die zu- künftige Diskussion befeuern und das Ver- hältnis zwischen Staat, Energiekonzernen und den Bürgern neu definieren könnte. Dazu aber musste erst alles auf den Tisch, darunter vieles, was manche gern wie den Atommüll für immer entsorgt hätten: Denn neben den Versäumnissen bei der Einlagerung hat der Ausschuss deutlich gemacht, dass die Forschungen in der Asse eine zentrale Rolle für den Betrieb deut- scher Kraftwerke spielten. In einzelnen Genehmigungen für AKWs war die Asse als Entsorgungsweg festgeschrieben. Brisant dürfte für die Energiekonzerne auch die sogenannte »Endlagervorauslei- stungsverordnung« des Atomgesetzes sein, die ebenfalls im Ausschuss zur Sprache kam. Aus ihr könnte sich ein Anspruch auf eine Beteiligung der Konzerne an den Ko- sten für die Sanierung der Asse ergeben. Gelehrtenstreit um das Salz: Die Wissenschaft Nicht nur die politische Aufarbeitung der Entsorgung radioaktiver Abfälle ist durch die Asse befeuert worden, auch die wissen- schaftliche. „Die Asse war der Prototyp der Endlagerung, ein Vorbild auch internatio- nal. Jetzt ist sie ein Vorbild der geschei- terten Endlagerung im Salz“, sagt Heinz Smital, Atomexperte von Greenpeace und studierter Kernphysiker. Andere Experten sehen in der Asse hin- gegen kein schlechtes Omen für die Ein­ lagerung von Atommüll im Salz. „Die Asse zeigt nur, dass vormals industriell ge- nutzte, salinare Gewinnungsbergwerke für Endlagerung ungeeignet sind“, sagt Bruno Baltes, Kerntechniker und langjähriger Leiter der Abteilung Endlagerung bei der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktor­ sicherheit. „Man hat in der Asse ja schon frühzeitig gesehen, dass man zur Errich- tung eines Endlagers im Salinar immer nur jungfräuliche, das heißt Salzstöcke ohne Vornutzung auffahren sollte, um die nötigen Sicherheitsabstände zu den Rand- bereichen eines Salzstockes einhalten zu können. Dann können Endlager langzeitig sicher im Salzgestein errichtet werden, was man unter anderem aus der viele hundert Jahre andauernden Entwicklungs­ geschichte der Salzstöcke ableiten kann.“ Einen jungfräulich aufgefahrenen Salz- stock, der nie kommerziell genutzt wurde, gibt es schon: Er liegt im wendländischen Gorleben und auch zu ihm gibt es einen Untersuchungsausschuss, der jeden Don- nerstag in Berlin tagt. Abgeordnete aller Parteien im Bundestag untersuchen, wie unabhängig Wissenschaftler für die Er­ probung Gorlebens arbeiten durften, ob nicht manche von ihnen politisch er- wünschte Ergebnisse lieferten und andere, die das nicht wollten, im Abseits landeten. Wie Klaus Dieter Duphorn, ein aner- kannter Quartärgeologe, der detailliert erklären kann, wie die Stauchendmoräne eines eiszeitlichen Gletschers, der von Skandinavien bis nach Düsseldorf reichte, Gestein, gefrorenes Wasser und alle Mas- sen, die unter ihr lagen, „zusammenfaltete wie eine Ziehharmonika“. So entstanden die zuckerhutförmigen Salzstöcke in Niedersachsen. Duphorn hat über die Jahre 5.300 Hand- bohrungen vorgenommen, statt der be- stellten 1.000 hat er 3.200 Analysen abge- liefert, „eine halbe Million Steine in der Hand gehabt“, wie er stolz zu Protokoll gab. Er hat sich mit Kollegen angelegt, weil er immer weiter bohren wollte. Er regte sich auf, als aus vier (das Deckgebir- ge betreffenden) Untersuchungskriterien nur noch eines wurde, das sich auf die Festigkeit des Salzstocks bezog. „Bis heute gibt es fünf Tiefenbohrungen in einem Salzstock, der vier Kilometer breit und 15 Kilometer lang ist. Aus eiszeitgeologischer Sicht sind das Nadelstiche“, sagt Duphorn, der in seinem damaligen Forschergeist so- wohl von Referenten der SPD-Regierung unter Helmut Schmidt als auch von Hel- mut Kohls Forschungsminister gebremst wurde. Denn, auch das ist eine Erkenntnis aus dem Asse- und dem Gorlebenaus- schuss: Die Versäumnisse in der deutschen Atomgeschichte haben viele Parteien zu verantworten. Duphorn, ganz Wissenschaftler, hat da- mals einfach weitergebohrt und die Ergeb- nisse Anfang der 80er-Jahre veröffentlicht. „Das hat dann den Wirbel verursacht“, sagt er, „denn je mehr Bohrungen wir vor- nahmen und je tiefer wir bohrten, umso schlechter wurden die Ergebnisse.“ Die Tektonik der Politik: Der Fall Gorleben Auch August Hanning, der ehemalige Präsident des Bundesnachrichtendienstes, der viele Jahre zuvor im Bundeskanzler- amt unter Helmut Kohl für Gorleben zuständig war, sagte als Zeuge im Berliner Untersuchungsausschuss aus. Der Spitzen- beamte war an dem Krisengespräch be­teiligt, das im Mai 1983 schließlich zur Änderung des Zwischenberichts der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) – dem Vorläufer des BfS – führte. Das Bekanntwerden dieses Vorgangs war Anlass, den Gorlebenausschuss ins Leben zu rufen, schließlich gilt er manchem als Beweis für die Einflussnahme der Politik auf ehemals neutrale Wissenschaftler – und für eine rein politisch motivierte Ent- scheidung für den Standort Gorleben. „Entscheidungstheoretisch macht eine Standortsuche ja Sinn“, so Hanning vor dem Ausschuss, aber das sei politisch un- realistisch gewesen. „Aus Sicht des Bundes wären Probebohrungen und Erkundungen an anderen Orten wünschenswert ge­ wesen. Aber eben nicht aus der Sicht der Landespolitiker. Probebohrungen haben vor Ort heftigste Reaktionen ausgelöst.“ Genau das aber bringt die Gorleben- Kritiker in Rage: dass die Suche nach an- deren Standorten womöglich nicht statt- fand, weil die Regierungen unter Helmut Schmidt und Helmut Kohl neuen Wider- stand fürchteten, Demonstrationen quer durch die Republik. Dass es eine politische Entscheidung war. Und auch hier sehen sie eine Parallele zur Asse: Schließlich wur- de das Bergwerk Mitte der 60er-Jahre nicht etwa zum Endlager erkoren, weil es sich so gut dafür eignete (im Gegenteil: Schon da- mals hatten Fachleute vor dem Zufluss von Laugen gewarnt), sondern weil es billig war und man der Atomindustrie die Frage der Entsorgung abnehmen wollte, um den technischen Fortschritt zu sichern. Heute müssen sich die politischen Ent- scheidungsträger allerdings an andere Maßgaben halten, denn von gesellschafts- politischen Kriterien steht im „Überein- kommen über die Sicherheit der Behand- lung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle“, die die Internationa- le Atomenergie-Organisation (IAEO) 1995 formuliert hatte, nichts drin. Dort ist keine Rede vom Widerstand der Menschen, son- dern einzig und allein vom Widerstand der Elemente – von Gebirgsbereichen, die möglichst weit entfernt von Gefahren wie Grundwasserbewegungen, Erdbeben und klimabedingten Eisbewegungen sein kernkraftwerke weltweit 2000: 439 2009: kosten und einnahmen 437 in milliarden euro Zusatzgewinne für die vier AKW-Betreiber pro Jahr Laufzeitverlängerung: 6,4 Geschätzte Kosten für die Sanierung der Asse: quelle: internationale zeitschrift für kernenergie, kernenergie weltreport 3–4 quelle: International Nuclear Safety Center 2010 Einnahmen durch die kernbrennstoffsteuer pro Jahr: 2,3 59 1 104 75 4 61 2 2 quellen: Deutsches institut für wirtschaftsforschung, bundesamt für strahlenschutz, Bundesfinanzministerium 15 20 8 1 11 2 18 2 6 54 2 2 2 meinungen zur endlagerung in prozent, zur summe von 100 % fehlende angaben = anteil der befragten, die sich nicht äussern wollten Lernen aus den Fehlern: Die Welt blickt nach Deutschland Gespannt schaut man daher auch in ande- ren Ländern auf die Debatte über Asse und Gorleben – etwa in der Schweiz. Experten des dortigen Bundesamts für Energie – dem Schweizer Gegenstück zum BfS – nah- men bereits an Workshops des Arbeits- kreises Auswahlverfahren Endlagerstandort (AkEnd) teil, der im Jahr 2002 noch unter der Regierung von Gerhard Schröder gegründet wurde. Detlef Appel von der Firma PanGeo hat in diesem 16-köpfigen Expertengremium mitgearbeitet und kennt die Stärken des Salzgesteins genau: „Steinsalz ist unter bestimmten Bedin- gungen undurchlässig für Flüssigkeiten und Gase. Es kann dank seiner Fließeigen- schaften Hohlräume sogar relativ schnell wieder verschließen und die Abfälle um- manteln. Allerdings muss man einen Standort finden, an dem diese günstigen Eigenschaften auch zum Tragen kommen. Dummerweise kommt Steinsalz immer auch zusammen mit anderen Gesteinen vor, die diese Eigenschaften nicht in dem Maße aufweisen. Wie zum Beispiel Kali­ salze, die viel wasserlöslicher sind.“ Sehr gute Standorteignung vorausgesetzt kön- ne man dennoch, so Appel, in einem Berg- werk von ausreichender Tiefe und ergänzt um ein zuverlässiges geotechnisches Mehr- barrierensystem die Abfälle sicher für den erforderlichen Zeitraum endlagern. „Gerade das Salz sehe ich nach Asse noch viel kritischer“, sagt hingegen Heinz Smital von Greenpeace. „Man wird schwer- lich ein Wirtsgestein finden, das so ideal homogen ist, dass diese positiven Eigen- schaften wirklich zum Tragen kommen.“ Nicht für immer: Die Debatte um die Rückholbarkeit Neben der Diskussion darüber, ob Salz die richtige Umgebung für Atommüll ist, gibt es noch eine weitere Grundsatzdebatte, die durch die Zustände in der Asse an Dynamik gewonnen hat. Es geht um die Frage, inwieweit nicht alle radioaktiven Abfälle auf Dauer rückholbar bleiben müs- sen, weil man auf absehbare Zeit nirgend- wo vor Wassereinbrüchen oder seismischen Verschiebungen sicher ist. Endlagerprojekte wie die Asse, wo die angepeilte Ewigkeit nach 40 Jahren schon wieder vorbei war, sorgen für Nachschub an Argumenten. Ebenso das einzige bis- lang auf den Weg gebrachte US-Endlager für Wärme entwickelnde Abfälle, Yucca Mountain im trockenen Bundesstaat Neva- da. Dort, nahe des Death Valley könnte es nach neuerer Erkenntnis der Experten in ferner Zukunft vielleicht doch mal stärkere Niederschläge und einen steigenden Grundwasserspiegel geben. Dem hätte der Tuffstein, auf dem bislang alle US-amerika- nischen Hoffnungen für wartungsfreie Endlagerung ruhen, nicht genug entge- genzusetzen. US-Präsident Obama erklärte deshalb im Februar 2009, das Projekt nicht weiter zu verfolgen. Die Anhänger einer Rückholbarkeit wollen diese Option auch als ein Gebot der Ethik verstanden wissen: Es stehe den Menschen schlichtweg nicht zu, künftige Generationen zu Opfern der heutigen technologischen Verfehlungen zu machen. Man müsse ihnen Handlungsmöglich- keiten offenhalten. Die Schweiz und Frank- reich haben bereits rückholbare Endlager auf den Weg gebracht, ebenso wie die Nie- derlande, wo die Rückholoption im Gesetz festgeschrieben wurde. Die Schweizer ha- ben außerdem einen Fonds eingerichtet, aus dem spätere Generationen eventuell notwendige Umlagerung oder Umkonditi- onierung der Abfälle finanzieren sollen. zum bestellen Alle bisher erschienenen »Asse Einblicke« können Sie direkt beim BfS oder auf der Website www.endlager-asse.de kostenlos bestellen. 01 / 2009: Das Bergwerk von innen 02 / 2009: Der Weg des Wassers im Bergwerk 03/ 2009: Die Stilllegungsoptionen 04 / 2009: Woher der Atommüll im Schacht kommt 05 / 2009: Wo lagert radioaktiver Abfall 06 / 2009: Die Kriterien für die Auswahl im Überblick 01 / 2010: Planfeststellung: Wer entscheidet was 02 / 2010: Was nach Konrad kommen darf 03 / 2010: Ohne Notfallplanung keine Rückholung Fragen bleiben dennoch: Ist das Gedächt- nis von Gesellschaften für solche Verpflich- tungen überhaupt ausgeprägt genug? In welcher Sprache muss eine Gebrauchs- anweisung verfasst sein, damit sie im Jahr 3500 noch verstanden wird? Und wird es nicht immer verbrecherische Regime ge- ben, die sie gar nicht verstehen wollen, sondern den Müll lieber recyceln? Gern verteilen AKW-Gegner auf Demonstrati- onen Flugblätter auf Mittelhochdeutsch, das vor 900 Jahren gesprochen wurde und heute niemand mehr versteht. „Langfristig ist die gesellschaftliche Tektonik deutlich schlechter zu berechnen als die geolo- gische“, sagt PanGeo-Chef Appel, der auch als Mitglied der Entsorgungskommission des Bundes für die wartungsfreie Endlage- rung eintritt. Darum wird es in Zukunft neben der Erforschung geologisch tauglicher Räume auch um die Stabilisierung gesellschaft- licher Bewegungen gehen. Um den Dialog mit den Bürgern, der Vertrauen und Rechtssicherheit schafft, damit man auf Untersuchungsausschüsse in Zukunft ge- nauso verzichten kann wie auf milliarden- teure Rückholaktionen. So werden z. B. in Schweden und der Schweiz in einem ge- stuften transparenten Verfahren Standorte mit unterschiedlichen Gesteinsformati- onen verglichen, um die Akzeptanz der Bevölkerung zu gewinnen. Denn auch wenn der Atomausstieg voll- zogen ist, wird der Atommüll bleiben. Das Land wird einen Umgang damit finden müssen, den die Mehrheit der Bürger ak- zeptieren kann, weil er moralisch und rechtlich legitimiert ist. Für diese Notwen- digkeit, so scheint es, gibt es im Jahr 2010 mehr Verständnis als je zuvor. Oliver Geyer schreibt als Reporter u. a. für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und den Tagesspiegel. Ralf Grauel war Gründungs­ redakteur des Wirtschaftsmagazins brand eins. SP JA 2 8 8 ÄTE R 13 JETZ T8 7 Sollte die Endlagerfrage jetzt gelöst werden oder von künftigen Generationen? NE müssen. Schließlich sollen abgebrannte Brennelemente für Millionen von Jahren unschädlich bleiben. Theoretisch, denn bislang hat kein Land auf der Welt für dieses Problem eine Lösung gefunden. 6 EIN Sollte auch in Ihrem Bundesland nach einem Standort für ein nukleares Endlager gesucht werden? Blick in die Zukunft: Wie gut ist das GedAchtnis einer Gesellschaft? .. 2 Falls also genau das eintritt, wofür die deutschen Steuerzahler im Falle der Asse nun Milliarden aufbringen müssen. In Deutschland ist dennoch immer noch die Mehrzahl der Experten für eine war- tungsfreie Endlagerung: Sie führen das Verursacherprinzip an, das uns dazu ver- pflichte, die Atommüll-Problematik heute zu lösen, anstatt sie unseren Nachfahren aufzuerlegen. N 19 17 18 31 4 10 36 IN Ja 6 1 Wären Sie für die weitere Nutzung der Atomkraft, wenn die Endlagerung gelöst wäre? quelleN: TNS Emnid/TNS opinion & social netzwerk Deutsches Atomforum e. v. (TNS Emnid), 2010 Ein Sammelband mit allen Infografiken und Reportagen erscheint Ende des Jahres und kann ebenfalls ab sofort kostenlos beim BfS bestellt werden.

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