Nr. 21 ––– juNi 2013
ASSE EINBLICKE
InforMatIonEn üBEr EIn EndlagEr
Da geht’s lang: Manche
wege sind beschwerlich.
Daher lohnt es sich,
jeden schritt im Detail
zu planen, um vor unlieb-
samen Überraschungen
sicher zu sein
augEn auf und durch
Wer länger plant, braucht am Ende oft weniger Zeit: Bei der Umsetzung komplexer Großprojekte
wie Flughäfen, Bahnhöfen, aber auch der Rückholung, kommt es neben der Einbeziehung der
Bevölkerung darauf an, die Risiken und Kosten nicht kleinzureden Vo N o l i V e r g e h r s
E
ine gewaltige Baustelle liegt mitten in
der Stadt, seit Wochen tut sich nichts
mehr. Wo noch vor Monaten hunderte
Arbeiter Steine schleppten, Trägerbalken
zurechtschnitten und Pläne studierten,
ist nun alles ruhig. Wie ein Symbol des
Stillstands ragt ein hoher Kran aus dem
unvollendenten Gebäude gen Himmel.
E
Steine liegen herum, Sandhaufen ver-
sperren Passanten den Weg, die Empö-
rung über die Verzögerung des Baus ist groß. Soeben hat der
Baumeister bekanntgegeben, dass das Geld für die Fertigstel-
lung nicht reichen wird. Statt eines stolzen Gebäudes, das welt-
weit von deutscher Baukunst zeugen sollte, steht nun eine Ru-
ine in der Landschaft.
d
ass der Kölner Dom nach einer über 300-jährigen Bau-
unterbrechung doch noch fertig wurde, ist letztlich dem
D
Engagement der Bürger zu danken – und ausgerechnet
einem protestantischen König: Friedrich Wilhelm IV. Unter sei-
ner Ägide nahm man die Bautätigkeit 1842 wieder auf, über
600 Jahre nach der Grundsteinlegung wurde der Kölner om
schließlich am 15. Oktober 1880 eingeweiht – als damals höchs-
tes Gebäude der Welt.
Ob Kölner Dom, Schloss von Versailles (Ludwig XIV. lebte
Zeit seines Lebens auf einer Baustelle) oder Suezkanal: Verzö-
gerungen und Kostenexplosionen sind seit jeher keine Selten-
heit, wenn es um große Bauprojekte geht. Und dennoch fragt
sich mancher Beobachter angesichts der unplanmäßigen Ent-
wicklung am Berliner Flughafen, der Hamburger Elbphilhar-
monie oder dem Stuttgarter Hauptbahnhof, was schief läuft im
Land der Ingenieure, das doch weltweit als Heimstatt von Sorg-
falt und Pünktlichkeit gilt.
Tatsächlich stellen sich nicht nur Politiker die Frage, wie
man komplexe Großprojekte möglichst problemlos realisiert,
ohne dass es zu endlosen juristischen Streitereien kommt, zu
gravierenden Baumängeln oder zu einer Ablehnung in der Be-
völkerung. Nicht zuletzt sind das Fragen, aus deren Beantwor-
tung man auch für die Rückholung des radioaktiven Abfalls aus
der Asse lernen kann. Denn von der Größe,
dem Zeitrahmen und der Komplexität her ge-
hört die sichere Stilllegung des Endlagers zu
einem der ambitioniertesten Großprojekte,
die derzeit in Deutschland realisiert werden.
Der Rahmenterminplan (Seite 2 und 3) gibt
eine Vorstellung, wie umfangreich das Vorha-
ben ist und welche Schritte miteinander koor-
diniert werden müssen.
Dabei ist diese Art einer soliden Vorausschau und Pla-
nung einer der wichtigsten Schritte zur Realisation. „Grund-
sätzlich müssen Großprojekte lange und konzentriert vorge-
dacht werden. Und mit immensem Aufwand muss jedes Detail
erfasst werden“, sagt Klaus Grewe (siehe Interview Seite 4). Der
deutsche Projektmanager koordinierte die Gesamtplanung der
Olympischen Spiele in London 2012 und schaffte das schier
Unmögliche: Die Sportstätten wurden vier Monate früher fertig
als geplant – unter dem Strich stand sogar eine Ersparnis von
mehreren Hundert Millionen Euro.
Geschafft hat das der ehemalige Manager des Baukon-
zerns Strabag mit einer wahren Fleißarbeit: Er bezog bei insge-
samt 14.000 Einzelposten alle erdenklichen Störfaktoren ein
und errechnete die Auswirkungen auf den Zeitplan und die
Kosten. Jeden Monat setzten sich Auftraggeber und Bauunter-
nehmer zusammen, um über die Risiken zu sprechen und mög-
liche Zusatzkosten zu verteilen. „Eine sorgfältige Planung zahlt
sich am Ende aus“, sagt Grewe – ebenso wie die frühzeitige
Zusammenarbeit mit Behörden und Bürgern.
Planung und Kommunikation – das sind auch für den
ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, der
nun Geschäftsführer des Baukonzerns Bilfinger ist, essentielle
Faktoren, um den Erfolg von Großpro-
jekten sicherzustellen: „Den Bürgern
reicht es nicht mehr aus, erst dann
befragt zu werden, wenn die fertigen
Pläne bereits vorliegen“, so Koch.
Man brauche auch in Deutschland
intensivere Mediations- und Erklä-
rungsprozesse, die den Menschen die
Notwendigkeit und den Nutzen von
Projekten verdeutlichten. Ein Weg, den das Bundesamt für
Strahlenschutz (BfS) bei der Asse seit der Übernahme der Ver-
antwortung geht: Mit umfangreichen Informationsangeboten
wurde die Öffentlichkeit von 2009 an bei der Suche nach der
besten Stilllegungsoption miteinbezogen. Im Herbst 2012 wur-
den die Beschleunigungsmöglichkeiten für den Beginn der
Rückholung mit Experten, Gutachtern und Bürgerinitiativen
diskutiert.
oft wIrd nIcht dEr BEstE,
sondErn dEr BIllIgstE
anBIEtEr ausgEwählt,
aBEr das kann aM EndE
tEuEr wErdEn
B
ei der Bewältigung kosten- und zeitintensiver Projekte
kommt es nicht nur auf die Kommunikation zwischen
B
öffentlichem Auftraggeber und der Bevölkerung an, son-
dern auch auf die Rücksprachen mit den ausführenden Firmen.
Oft scheitern große Bauvorhaben daran, dass sich die einzelnen
Fo r ts e tz u N g Au F s e i t e 4
waruM dIE rückholung frühEr startEn kann
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VERÄNDERUNGEN GEGENÜBER MAI 2012
notfallVorsorgE
21.
Beginn der Rückholung: 2036. Das war das Ergebnis des ersten
Rahmenterminplans, den das Beratungs- und Planungsunterneh-
men Arcadis im Mai 2012 im Auftrag des Bundesamtes für Strah-
lenschutz (BfS) vorlegte. Der Ablaufplan basierte auf den bis dahin
gemachten Erfahrungen und den damals bekannten Rahmenbe-
dingungen der Schachtanlage Asse II. Berücksichtigt man den pre-
kären Zustand des mehr als hundert Jahre alten Bergwerks, war
dieses Ergebnis für das BfS nicht akzeptabel.
Es folgte eine intensive Diskussion mit dem Ziel, den Beginn
der Rückholung zu beschleunigen. Im September 2012 fand dazu
ein Fachworkshop mit über 100 Teilnehmern statt. Parallel erarbei-
teten alle Fraktionen im Deutschen Bundestag das „Gesetz zur Be-
schleunigung der Rückholung radioaktiver Abfälle und der Stillle-
gung der Schachtanlage Asse II“ (Lex Asse), das im April 2013 in
Kraft trat. Das Gesetz bringt Rechtssicherheit, um die Vorbereitung
für die Rückholung zügig – anstatt nachrangig zu den Notfallmaß-
nahmen – voranzubringen,
Nun hat die Arcadis GmbH einen neuen Zwischenbericht zum
Rahmenterminplan vorgelegt, der zunächst eine Beschleunigung
von drei Jahren ausweist. In dem aktuellen Bericht sind vor allem
die Beschleunigungsvorschläge des Fachworkshops und die neuen
Randbedingungen durch die Lex Asse eingeflossen. Noch nicht be-
rücksichtigt sind Beschleunigungswirkungen, die sich in den einzel-
nen Teilprojekten noch ergeben können. Der Rahmenterminplan
wird daher kontinuierlich fortgeschrieben: Sich verändernde Rand-
bedingungen und zusätzliche Beschleunigungspotenziale werden
weiter analysiert und berücksichtigt.
Die vorliegende schematische Darstellung zeigt die Bezie-
hungen zwischen den einzelnen Teilprojekten der Rückholung. Sie
veranschaulicht, in welchen Teilprojekten im Vergleich zum Rah-
menterminplan vom Mai 2012 Zeit eingespart werden kann.
Sie zeigt auch, wie sich die bisher identifizierten Beschleunigungs-
potenziale auf das Gesamtprojekt Rückholung auswirken.
DIE MASSNAHMEN DER STABILISIERUNG
UND NOTFALLVORSORGE DIENEN DAZU,
DIE WAHRSCHEINLICHKEIT EINES UN-
KONTROLLIERTEN WASSEREINBRUCHS IN
DAS BERGWERK UND DIE AUSWIR-
KUNGEN EINES SOLCHEN NOTFALLS ZU
VERRINGERN. SIE SIND DIE VORAUSSET-
ZUNG FÜR DIE RÜCKHOLUNG.NOTFALLVORSORGE UND STABILISIERUNG
Die Umsetzung der Maßnahmen benötigt mehr Zeit. Zum einen
hat die einjährige Sperrung der Wendelstrecke, die den oberen
Teil des Bergwerks mit dem unteren verbindet, die Arbeiten
verzögert. Zum anderen müssen die Bohrungen in die Einlage-
rungskammern, durch die im Notfall die Resthohlräume verfüllt
werden, nun vorsorglich fertiggestellt werden. Im Notfall
wäre hierfür nicht genug Zeit. Das hat die Probephase gezeigt.
DIE PROBEPHASE (FAKTENER-
HEBUNG) IN DEN EINLAGE-
RUNGSKAMMERN 7 UND 12
DIENT DAZU, DIE RANDBEDIN-
GUNGEN FÜR DIE RÜCKHO-
LUNG VERLÄSSLICH FESTZU-
STELLEN.PROBEPHASE (FAKTENERHEBUNG)
Die Teilprojekte „Bergetechnik“, „Zwischenlager“ und „Rückho-
lung“ werden von der Probephase entkoppelt. Die Lex Asse
erleichtert es, die Teilprojekte parallel zu planen, ohne die Ergeb-
nisse aus der Probephase abzuwarten. Das parallele Vorgehen
beinhaltet aber auch das Risiko von Fehlplanungen. Führt
die Probephase zu nicht erwarteten Ergebnissen, können zeit-
und kostenintensive Um- oder Neuplanungen nötig sein.
proBEphasE
BErgEtEchnIk
ÜBER DEN NEUEN
BERGUNGS-
SCHACHT SOLLEN
DIE ABFÄLLE AUS
DEM BERGWERK
ZURÜCKGEHOLT
WERDEN.
Infrastruktur
rückholung
lEgEndE
STAND MÄRZ 2013
STAND MAI 2012
ZWISCHENLAGER
Sobald ein geeigneter Standort für das Zwischenlager gefunden
ist, kann mit der konkreten Planung und dann mit dem Bau
begonnen werden. Wenn die Rückholung startet, sind das Zwi-
schenlager und die Konditionierungsanlage, in der die Abfälle
behandelt und neu verpackt werden, betriebsbereit. Zeigt
die Probephase, dass die Rückholung nicht machbar ist, sind die
Investitionen verloren.
BErgungsschacht
rIsIkEn
Der Rahmenterminplan beinhaltet auch Risiken. Während im Rahmen der
Probephase noch die Planungsgrundlagen für die Rückholung ermittelt werden,
z. B. der Zustand der Abfallbehälter und Einlagerungskammern, beginnt parallel
schon deren Vorbereitung, z.B. die Entwicklung von Bergetechnik. Dies kann zu
Fehlplanungen führen, die zeit- und kostenintensiv behoben werden müssen.
Terminrisiken birgt auch der schlechte Zustand des Bergwerks – wie z. B. durch
die Sperrung der Wendelstrecke im vergangenen Jahr. Genehmigungsverfahren
werden im Rahmenterminplan pauschal mit sechs Monaten kalkuliert. Mögliche
Klageverfahren sind dabei aber nicht berücksichtigt.
EIN PUFFERLAGER, DIE
KONDITIONIERUNGSANLA-
GE UND DAS ZWISCHEN-
LAGER WERDEN BENÖTIGT,
UM DIE GEBORGENEN
ABFÄLLE NEU ZU VERPA-
CKEN UND BIS ZUR END-
LAGERUNG SICHER ZU
VERWAHREN.
ZwIschEnlagEr
potEnZIalE
Der Rahmenterminplan ist kein verbindlicher Zeitplan, sondern eine Moment-
aufnahme des Planungsstandes. Er wird kontinuierlich fortgeschrieben. Der
Rahmenterminplan bildet die Grundlage, um weitere Beschleunigungspotenzia-
le zu identifizieren und diese im fachlichen Austausch mit der Asse-2-Begleit-
gruppe und der Arbeitsgruppe Optionen-Rückholung zu diskutieren. Bisher
stand die Vernetzung der Teilprojekte im Zentrum der Bemühungen. Jetzt geht
es darum, das Vorgehen innerhalb der Teilprojekte zu optimieren.
UM DIE RADIOAK-
TIVEN ABFÄLLE AUS
DEN EINLAGERUNGS-
KAMMERN BERGEN ZU
KÖNNEN, MÜSSEN
SPEZIALMASCHINEN
ENTWICKELT WERDEN.BERGETECHNIK
Die Maschinen, mit denen die Abfälle geborgen werden sollen,
können entwickelt werden, ohne dass auf die Ergebnisse aus der
Probephase gewartet werden muss. Sollte sich beim Schritt 2
(Öffnen der Einlagerungskammern) und Schritt 3 (Bergen erster
Abfallbehälter) der Probephase zeigen, dass die Annahmen für
die Planung unvollständig oder falsch waren, müssen Bergetech-
nik und Genehmigungen an die neuen Erkenntnisse angepasst
werden.
DIE INFRASTRUKTUR ÜBER UND
UNTER TAGE UMFASST SÄMT-
LICHE EINRICHTUNGEN (Z. B.
LABORE, WERKSTÄTTEN, SICHE-
RUNGSEINRICHTUNGEN), DIE
FÜR DEN UMGANG MIT DEN
ABFÄLLEN VON DER BERGUNG
BIS ZUM ZWISCHENLAGER BE-
NÖTIGT WERDEN.
DIE RÜCKHOLUNG BEINHAL-
TET DAS GESAMTKONZEPT
SOWIE DIE PLANUNGEN UND
BAUAUSFÜHRUNGEN ZUR
BERGUNG ALLER EINGELA-
GERTEN ABFÄLLE. SIE WIRD
VORAUSSICHTLICH MEHRE-
RE JAHRZEHNTE DAUERN.
BERGUNGSSCHACHT
Die Planung und der Bau des Bergungsschachtes erfolgen nun
unabhängig von den Ergebnissen der Probephase und nur
noch unter Bergrecht. Sie können beginnen, sobald die geolo-
gische Erkundung des vorgesehenen Schachtstandortes
erfolgreich abgeschlossen ist. Der Bergungsschacht ist einsatz-
bereit und an das Bergwerk angeschlossen, wenn die Rück-
holung beginnt. Ist die Rückholung nicht möglich, sind auch
diese Investitionen verloren.
INFRASTRUKTUR
Die Planung der Infrastruktur über und unter Tage ist nicht
mehr mit dem Schritt 3 der Probephase verknüpft. Sie beginnt
bereits, wenn die Erkenntnisse, die beim Öffnen der Einlage-
rungskammern 7 und 12 gewonnen werden, vorliegen. Parallel
zum Bau des neuen Bergungsschachtes werden vom bestehenden
Bergwerk aus die neuen Infrastrukturräume in Richtung des
neuen Schachtes errichtet.
RÜCKHOLUNG
Die Rückholung kann früher beginnen, da durch die Parallelisie-
rung von Teilprojekten der Zeitplan gestrafft wird. So startet z. B.
die Entwurfsplanung und Genehmigungsphase der Rückholung,
obwohl die Probephase noch nicht abgeschlossen ist. Es wird an-
genommen, dass sich die Planungsannahmen auch im Schritt 3
der Probephase – dem Bergen erster Abfallbehälter – bestätigen.
Sollte dies nicht der Fall sein, müssen die abweichenden Erkennt-
nisse nachträglich berücksichtigt werden.
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Fo rts e tz u N g Vo N s e i t e 1
Bereiche zu wenig absprechen und eine effektive Koordi-
nation fehlt. Zuweilen wirft das Durcheinander von Subun-
ternehmern und Teilprojekten die Pläne über den Haufen,
auch wird selten aus Fehlern gelernt.
Der Oxford-Professor Bent Flyberg hat weltweit über
600 Großprojekte aus den vergangenen 90 Jahren unter-
sucht und festgestellt, dass dieselben Fehler über Jahr-
zehnte immer wieder aufs Neue gemacht werden: Viele
Manager hielten ihre Bauprojekte für einzigartig und igno-
rierten die Erfahrungen von Kollegen.
E
inen der größten Fehler sehen Experten in der Fokus-
sierung auf den Preis. Oft werde bei Bauvorhaben
der billigste Anbieter genommen. Daher kalkulierten
die Firmen mit unrealistischen Annahmen, um den Auf-
trag zu erhalten – und stellten im späteren Bauverlauf stän-
dig Nachforderungen. Um dieses Dilemma zu vermeiden,
gibt es in der Schweiz eine besondere Methode: Das bil-
ligste Angebot wird genauso aussortiert wie das höchste.
In beiden Fällen geht man davon aus, dass sich die Annah-
men als falsch erweisen. In Deutschland dagegen herrsche
der Geiz vor, sagt Reinhard Wagner von der Deutschen
Gesellschaft für Projektmanagement. Qualität bei Projekt-
entwicklung und Bauausführung habe ihren Preis.
Zumal es mittlerweile genügend Erfahrungswerte
gibt, um den Kostenrahmen abzuschätzen. So verteuern
sich laut einer Studie Brücken und Tunnel im Schnitt um
30 Prozent, Bahnstrecken um die Hälfte und IT-Projekte
sogar um das Doppelte. Doch oft werden Aufwand und
Risiko kleingeredet, um den Auftrag zu erhalten oder die
Bürger zu beruhigen. Das Risiko, ja selbst den schlimmsten
Fall, mit in die Planung einzubeziehen, ist daher für eine
erfolgreiche Umsetzung von Projekten unverzichtbar: Bei
der Asse bedeutet das, Vorkehrungen für den Fall des Ab-
saufens der Grube zu treffen und gleichzeitig mögliche
Alternativen zur Rückholung zu betrachten, falls diese
technisch nicht möglich oder radiologisch nicht verant-
wortbar sein sollte. Was manchem Bürger wie ein Abrü-
cken vom gesetzlichen Auftrag der Rückholung vorkommt,
ist lediglich Ausdruck eines modernen Projektmanage-
ments, das aus den Erfahrungen der Vergangenheit Lehren
zieht.
Erkundung für Bohrschacht BEgonnEn
Anfang Juni hat die erste Bohrung zur Erkundung für den geplanten
neuen Bergungsschacht begonnen. Er wird für die Rückholung der
Abfälle benötigt. Der bestehende Hauptschacht 2 reicht dafür nicht
aus. Der neue Schacht ermöglicht es zudem, dass mehr Menschen
gleichzeitig im Bergwerk arbeiten können.
Der Bohrplatz liegt etwa 500 Meter östlich des Schachtes 2. Er wurde
auf Grundlage der für einen erfolgreichen Schachtbau wichtigen
Faktoren ausgewählt. Mit der Erkundung prüft das BfS nun, ob die
Geologie am Standort für den Schachtbau geeignet ist. Außerdem
wird durch zwei untertägige Bohrungen geklärt, wie der Schacht an
das bestehende Bergwerk angeschlossen werden kann.
Fallen die Ergebnisse der Erkundungsbohrungen positiv aus,
kann mit der Planung des Bergungsschachtes begonnen werden.
die Infostelle asse (tel.: 05336-89-640, E-Mail: info-asse@
bfs.de) bietet jeweils dienstags um 10 uhr Besichtigungstouren
zum Bohrplatz an. Eine anmeldung ist erforderlich.
»dIE gEsEllschaft lässt EInEM
projEkt nIcht gEnügEnd ZEIt,
uM gEplant Zu wErdEn«
Der Projektmanager Klaus Grewe über planerische Fleißarbeit
und Probleme bei großen Bauvorhaben i N t e rV i e w N AtA s c h A r o s h A N i
a
A s s e e i N b l i c k e : In Deutschland hadert
Wir haben ganz einfach gesagt, was ist und was das Projekt
man zurzeit sehr mit fehlerhaften Groß-
kostet. Auf jede Frage und jede Sorge konnten wir antworten.
projekten wie dem Flughafen BER, der
In der ersten Planungsphase haben wir uns den Betroffenen
Elbphilharmonie oder Stuttgart 21 –
vorgestellt: „Wir sind die, die jetzt viel Lärm machen und fünf
kommt so etwas nur bei uns vor?
Jahre alles auf den Kopf stellen und vielleicht etwas hinterlas-
k l Au s g r e w e : Dass Großprojekte aus den
sen, was ihr nicht wollt.“ Wenn z. B. ein Zubringer über ein
Kosten- und Zeitrahmen fallen und Fehler
Privatgrundstück ging, haben wir das thematisiert. Die Bürger
in der Vorplanung gemacht werden, passiert auch internatio-
waren am Prozess beteiligt und wir haben alle Unterlagen und
nal. Der Grundfehler in Deutschland besteht darin,
Kosten transparent gemacht. Dadurch haben wir
dass die Projekte unter einem hohen gesellschaft-
eine enorme Akzeptanz geschaffen. Gleichzeitig
lichen Druck stehen. Deshalb wird, bevor das Projekt
gab es immer Ansprechpartner.
überhaupt genau definiert und kalkuliert ist, eine
Gesamtsumme in den Raum gestellt, an der die Poli-
Was können die Deutschen lernen von interna-
tik anschließend gemessen wird. Auf Grundlage un-
tionalen Mammutprojekten, die über Jahre ge-
vollständiger Unterlagen kommt es dann oft zu einer
plant und realisiert werden?
frühzeitigen Ausschreibung, und anschließend merkt
Die Gesellschaft lässt einem Projekt nicht genü-
man: Es wird doch teurer als erwartet. Dann erfolgt
gend Zeit, um geplant zu werden. Projekte müssen
die Vergabe an den billigsten Anbieter, den man fin- Klaus Grewe hat als Pro-
vorausgedacht und durchgeplant werden. Mit der
den kann, um wenigstens halbwegs im Kostenrahmen jektmanager u.a. den
Planung wird bereits erwartet, dass gebaut wird.
Berliner Hauptbahnhof
zu bleiben.
Das heißt, es wird begonnen, wenn der erste Pla-
International wird das völlig anders gehand- und den Gotthardtunnel
nungsschritt abgeschlossen ist – so schnell wie
habt. In jeder Planungsphase wird ein Schlussbericht mitgeplant. Seit 2005
möglich also. Dieser Grundgedanke ist falsch. Denn
geschrieben, in dem steht, was bereits getan wurde, lebt er in England, dort
schon in der zweiten, detaillierteren Planungspha-
welche Risiken es gibt, wie sie kalkuliert werden müs- war er verantwortlich
se kann es passieren, dass man auf eine Summe
sen und minimiert werden können. Beides, Kosten für die Gesamtkoordina-
kommt, bei der sich wie z. B. bei der Elbphilharmo-
und Risiken, ergeben dann das erste Budget, das mit tion aller Bauprojekte
nie herausstellt, dass die Stadt sich das Projekt
dem Report der Öffentlichkeit vorgelegt wird. Wich- der Olympischen Spiele
nicht leisten kann und es abbricht.
tig ist, dass es in dieser frühzeitigen Planungsphase 2012 in London.
immer die Entscheidungsfreiheit gibt, ob das Projekt
Häufig ist es schwer der Öffentlichkeit zu ver-
fortgeführt werden soll.
mitteln, warum Großprojekte sich um Milliarden verteuern
und dann auch noch den Zeitplan weit überschreiten. Wie
Kann man Planänderungen kalkulieren oder gar den
lässt sich die Diskrepanz zwischen den realen Ereignissen
Worst Case?
bei Bauvorhaben und der öffentlichen Erwartung in Ein-
Planänderungen können nur einkalkuliert werden, wenn man
klang bringen?
das Projekt von Phase zu Phase betrachtet. Manchmal gibt es
Man muss Mut haben, alles zu kommunizieren: Kosten, Pla-
gesellschaftliche oder politische Gründe, weshalb doppelt ge-
nung, Probleme.
plant werden muss. Wenn jedoch mit dem Bau begonnen wur-
In England haben wir gesagt, die Olympiade kostet 9,3
de, kann es keine Änderungen mehr geben – sonst explodieren
Milliarden Pfund und das ist unwahrscheinlich viel Geld, aber
die Kosten und der Zeitplan wackelt.
mit dieser Summe muss gerechnet werden. In Deutschland exi-
Grundsätzlich müssen Großprojekte lange und konzen-
stiert die „Geiz ist geil“-Mentalität. Es muss jedoch verstanden
triert vorgedacht werden. Und mit immensem Aufwand muss
werden, dass Großprojekte einfach sehr komplex geworden und
jedes Detail erfasst werden.
mit Riesenkosten verbunden sind.
Wie haben Sie es geschafft, bei den Olym-
pischen Spielen 2012 in London im Zeit- und
Kostenrahmen zu bleiben?
Zunächst haben wir uns viel Zeit genommen:
Wie gehen wir vor bei dem Projekt? Wie muss
es organisiert werden? Wie sieht die Bürgerbe-
teiligung aus? Wir haben sehr lange nichts an-
deres gemacht als geplant. Und erst als wir die
Planung vollständig abgeschlossen hatten, ha-
ben wir mit dem Bau begonnen. Obwohl einige schon vorher
nervös wurden. Sie können ein Bauwerk nur vordenken, wenn
Sie detailliert planen. In London haben wir pro Tag maximal
20.000 Leute auf der Baustelle beschäftigt. Sie können sich vor-
stellen, was das kostet, wenn diese Menschen nur einen Tag
nicht arbeiten können, weil es einen unvorhersehbaren Still-
stand gibt.
Es gehört viel planerische Fleißarbeit zu Großprojekten.
Stichwort Asse: Die Rückholung des Atom-
mülls aus dem ehemaligen Bergwerk ist ein
ehrgeiziges, weltweit einzigartiges Projekt.
Wie ist Ihre persönliche Einschätzung als re-
nommierter Projektmanager: Scheint es Ih-
nen realistisch, erst 2033 mit der Mammut-
aufgabe der Rückholung zu beginnen?
Für dieses Projekt mit all seinen Gefahren, der
Komplexität und dem Nichtwissen, wohin der
Atommüll kommen soll, finde ich das einen angemessenen Zeit-
raum. Man sollte den Verantwortlichen die Zeit geben, alles
hundertmal vorher durchzuplanen, aber gleichzeitig auch stän-
dig den Plan kommunizieren und erklären, warum es 20 Jahre
dauert. Und wo die Risiken bei der Planung dieses sensiblen
Themas liegen. Das Wichtigste ist Transparenz. Man muss zuge-
ben, wenn man etwas nicht weiß und was in diesem oder jenem
Stadium noch nicht klar ist. Immer ein Schritt nach dem ande-
ren – das macht komplexe Abläufe aus. Vor allem sollte man den
Mut haben, zu sagen, wenn in der Vorplanung etwas schief geht
oder man bei der Detailplanung merkt, dass es so nicht klappt
– einfach weil es hochkomplizierte Prozesse sind. Dann müssen
die Pläne verändert und eingestanden werden, dass man hier
in einer Sackgasse steckt – auch das kommt vor.
»wIr haBEn gEsagt,
was Ist und was Es
kostEt. auf jEdE
fragE dEr BürgEr
hattEn wIr EInE
antwort«
Die Stadt London setzte bei der Erschließung des olym-
pischen Geländes und des neuen Stadtteils auf Transparenz
und die intensive Einbindung der Bürger. Die Bürgerakzep-
tanz lag bei knapp 90 Prozent – wie erklären Sie sich diese
breite Zustimmung?
IMprEssuM
asse einblicke Informationsschrift zum Endlager Asse II / Herausgeber: Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), V.i.s.d.P.: Katharina Varga, Willy-Brandt-Str. 5, 38226 Salzgitter, www.endlager-asse.de / Verlag: dUMMy Verlag GmbH /
Gestaltung: Jan Spading / Illustration: Axel Pfaender (Titel) und Jindrich Novotny (Porträt) für Asse Einblicke; BfS / Bildmaterial Infografik: Macina digitalfilm / Druck: Bonifatius GmbH, Paderborn / die Asse-Einblicke sind auf
einem FSC-zertifizierten Papier unter Verwendung von Altpapier und wiederaufforstbaren Rohstoffen gedruckt und klimaneutral. die durch die Herstellung verursachten Treibhausgasemissionen wurden durch Investition in das Klimaschutzprojekt
„Wasserkraft, Pueblo Nuevo Viñas, Guatemala“ kompensiert.