Frank, D. & Schnitter, P. (Hrsg.): Pflanzen und Tiere in Sachsen-Anhalt
Raupenfliegen (Diptera: Tachinidae)
Checkliste
Joachim Ziegler
Einführung
Die Tachinidae bilden die artenreichste Familie un-
ter den Höheren Zweiflüglern (Diptera: Brachycera).
Weltweit sind etwa 8.500 valide Raupenfliegenarten be-
kannt. Allein in Deutschland wurden bisher 511 Arten
gefunden (Ziegler 2012a).
Die Larven der Tachinidae entwickeln sich als hoch-
adaptierte Parasitoide im Körper von Gliedertieren
(ganz überwiegend in Insekten). Häufig sind Schmet-
terlingsraupen die Wirte, woraus sich der deutsche
Name Raupenfliege ableitet. Aber auch in Blattwespen-
und Schnakenlarven sowie in den Larven oder Ima-
gines von Käfern, Wanzen, Heuschrecken, Ohrwür-
mern und sogar Hundertfüßern entwickeln sich einige
Arten. Außerhalb Mitteleuropas ist das Wirtsspektrum
noch breiter. Als Imagines nehmen viele Arten dagegen
nur Honigtau, Pflanzensäfte oder Wasser auf. Andere
Tachinidae bevorzugen Nektar und sind eifrige Blüten-
besucher. Allerdings besitzen nur wenige Arten einen
verlängerten Rüssel, sodass die meisten Raupenfliegen
wegen ihrer kurzen Proboscis auf Schirmblüten und an-
dere Blumen mit leicht zugänglichen flachen Nektarien
angewiesen sind (Ziegler 2003).
Als Parasitoide nehmen die Raupenfliegen eine ex-
ponierte Stellung innerhalb des Beziehungsgefüges von
natürlichen und naturnahen Ökosystemen ein. Aber
auch in der Land- und Forstwirtschaft sowie im Gar-
tenbau können die Tachinidae eine wichtige Rolle spie-
len und von Nutzen sein, indem sie die Populationen
bekannter Schädlinge wie beispielsweise Schwamm-
spinner, Frostspanner, Erdeulen, Getreidewanzen, Kie-
fernspanner, Nonne, Kieferneule und Kiefernblattwes-
pen erheblich reduzieren. Der Einsatz von Tachinidae
bei der biologischen Bekämpfung von eingeschleppten
Schadinsekten hat vor allem in Nordamerika einen
nennenswerten Umfang erreicht. Zur Erhaltung der
Raupenfliegen in der Kulturlandschaft tragen extensi-
vierende Maßnahmen wie Verzicht auf Pestizide, För-
derung oder Schaffung von naturnahen blütenreichen
Waldsäumen, Hecken und Ackerrandstreifen sowie
Umwandlung von Monokulturforsten in standortge-
rechte Mischwälder wesentlich bei (Ziegler 2003).
Raupenfliegen sind sehr divers und haben praktisch
alle terrestrischen Lebensräume besiedelt. Das macht sie
zu einer geeigneten Gruppe für Umweltbewertungen.
Begünstigend kommt hinzu, dass die Tachiniden mit
dem üblichen Methodenspektrum gut erfassbar sind
und die Bestimmung der mitteleuropäischen Arten mit
den Tabellen von Tschorsnig & Herting (1994) ein-
facher geworden ist. Allerdings ist der Kenntnisstand
zur Autökologie der Raupenfliegen insgesamt noch un-
zureichend und aufgrund der ungenügenden Datenlage
in Sachsen-Anhalt ist es gegenwärtig nicht möglich, die
Bestandsentwicklung in diesem Land abzuschätzen. Als
ein Beitrag zur Verbesserung dieser Situation wird die
nachfolgende aktualisierte Zusammenstellung gegeben.
Eine Publikation zum Arten- und Biotopschutzpro-
gramm Sachsen-Anhalt (Ziegler 2001) und eine zwei-
te Fassung der Roten Liste der Raupenfliegen des Lan-
des (Ziegler 2004) sind bereits erschienen.
Bearbeitungsstand, Datengrundlagen
Die aktuelle Liste umfasst 282 in Sachsen-Anhalt
nachgewiesene Arten. Das entspricht 55 % aller aus
Deutschland bekannten Raupenfliegen. Es ist zu erwar-
ten, dass in Zukunft weitere Tachinidae gefunden wer-
den können, sodass die Gesamtzahl für Sachsen-Anhalt
wahrscheinlich größer als 300 sein dürfte. Andererseits
liegen die Funde von 52 Arten (18 %) mehr als 50 Jah-
re zurück. Eine ganze Reihe dieser Raupenfliegenarten
sind aber aktuell in den Nachbarländern nachgewiesen
worden und es ist davon auszugehen, dass die meisten
dieser seltenen Arten bei intensiverer Nachforschung
auch rezent wieder in Sachsen-Anhalt festgestellt wer-
den könnten. Andere scheinen großflächig verschollen
zu sein und wurden in die Rote Liste aufgenommen.
Ein Cylindromyia brassicaria-Weibchen auf einer Senecio-Blü-
te. Der Name der Gattung Cylindromyia ist von ihrem zylin-
derförmigen Abdomen abgeleitet. Ihre Arten entwickeln sich
in Schildwanzen (Heteroptera) und können deshalb auch Wan-
zenfliegen genannt werden. 30.6.2005, Foto: J. Ziegler.
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Die ältesten Notizen über Dipteren auf dem Ge-
biet des heutigen Bundeslandes, die auch Angaben zu
Tachiniden-Arten enthalten, stammen von Hermann
Loew (1807–1879). Sie sind das Ergebnis seiner Auf-
sammlungen bei Wernigerode (Loew 1857) und in
Halle (Loew 1864). Die in diesen beiden Arbeiten ge-
nannten Raupenfliegen-Namen bedurften allerdings
der Revision, um sie faunistisch verfügbar zu machen
(siehe Ziegler 2012b). Es handelt sich um neun weit
verbreitete und auch heute noch häufige Arten. Die
Sammlung Loew befindet sich im Museum für Natur-
kunde Berlin. Von Paul Stein (1852–1921) wurde eine
Artenliste publiziert, die zahlreiche Tachinidae aus der
Umgebung von Genthin enthält (Stein 1888). Diese
Daten sind in das posthum erschienene Bestimmungs-
werk von Stein (1924) in erweiterter und korrigierter
Form eingegangen. Stein sammelte über einen langen
Zeitraum von 1884 bis 1906 regelmäßig um Genthin,
lebte und arbeitete danach aber in Treptow an der Rega
(Pommern). Die Belege für die Fauna von Sachsen-An-
halt in seiner Sammlung sind also generell älter als 100
Jahre. Die Sammlung Stein wird ebenfalls im Museum
für Naturkunde Berlin aufbewahrt und stand dem Au-
tor zur Auswertung zur Verfügung. Etwa zur gleichen
Zeit hat Viktor von Röder (1841–1910) eine bedeu-
tende Dipterensammlung zusammengetragen. Neben
vielen von anderen Sammlern erworbenen Tieren ent-
hält sie auch von ihm selbst gesammeltes Material aus
der Umgebung seines Wohnsitzes Hoym und aus dem
Harz (Stark 1995). Allerdings sind die Präparate, wie
so oft in alten Sammlungen, ungenügend etikettiert
und es existieren auch keine anderweitig überlieferten
Daten zu seinen Aufsammlungen. Von Röder hat aber
zwei kurze Artenlisten zur Dipteren-Fauna von Dessau
veröffentlicht (Röder 1886a, b). Diese Angaben basie-
ren auf dem Material von Amelang und Engel und
enthalten nur wenige Hinweise zu Tachinidae (Ziegler
2001). Die Sammlung von Röder wird im Institut für
Zoologie der Martin-Luther-Universität Halle-Witten-
berg aufbewahrt. Der Sammlungsteil Tachinidae wird
gegenwärtig vom Autor revidiert. Lassmann (1934) er-
wähnt in seinem Beitrag zur Dipterenfauna von Halle
keine Tachinidae. Dagegen sind in der Arbeit von Rapp
(1942) über die Dipteren Thüringens einige Nachweise
zu finden. Da Otto Rapp (1878–1953) einige südliche
Gebiete des heutigen Landes Sachsen-Anhalt in sein
Konzept von Thüringen eingeschlossen hat, enthält die-
se Publikation auch Angaben für die Landesfauna von
Sachsen-Anhalt. Die Sammlung Rapp befindet sich im
Naturkundemuseum Erfurt. Darüber hinaus gibt es
nur wenige weitere historische Informationen zu Ta-
chinidae. Ernst Heidenreich (1881–1964) sammelte
neben Coleoptera auch Diptera und andere Insekten in
der Umgebung seines Wohnortes Dessau. Seine erste
Sammlung wurde 1945 durch Kriegsereignisse im Mu-
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seum Dessau zerstört. Einige Belege von Raupenfliegen
sind aber zuvor in andere Sammlungen gekommen und
erhalten geblieben. Fankhänel (1957) publizierte eini-
ge bemerkenswerte Zuchtergebnisse von Parasitoiden
aus der Elbaue (siehe auch Ziegler 2001) und Hans
Daverhuth (1898–1973) erwähnte in einem Aufsatz
über das Elbauegebiet Kreuzhorst auch die zwei verbrei-
teten Raupenfliegen Panzeria rudis (Fallén, 1810) (als
Nemoraea strenua Meig.) und Gonia divisa Meigen,
1826 (Daverhuth 1965). Der Autor beschäftigt sich seit
1977 mit den Raupenfliegen in Sachsen-Anhalt (Zieg-
ler 1979, 1980, 1982a, b, 1983a, b). In zwei zusammen-
fassenden Arbeiten wurden aus der Umgebung von Des-
sau 142 Arten (Ziegler 1984a) und aus der Umgebung
von Magdeburg 149 Raupenfliegen-Arten gemeldet
(Ziegler 1993b). Einige weitere Beiträge ergänzen die-
se Publikationen (Ziegler 1984b, c, d, 1987a, b, 1989,
1993a, 1994, 1996, 1998, 2001, 2004, 2012a, b, 2014).
Die hier vorgelegte Liste der Raupenfliegen richtet
sich hinsichtlich der verwendeten Nomenklatur weit-
gehend nach Tschorsnig & Ziegler (1999), berück-
sichtigt aber keine Unterfamilien. Änderungen ergeben
sich insbesondere aus den Synonymisierungen, die in
den Arbeiten von Wood (1987), Andersen (1996),
Sun & Marshall (2003) und Cerretti (2010) vorge-
nommen wurden. Der Name Siphona geniculata wird
im gebräuchlichen Sinne verwendet (ICZN 2001). In
der Spalte „Nachweis“ ist die jeweils jüngste Literatur-
stelle mit einem Nachweis der Art aus Sachsen-Anhalt
genannt. Synonyme sind in der Checkliste der Dipteren
Deutschlands (Tschorsnig & Ziegler 1999) und bei
Herting & Dely-Draskovits (1993) zu finden. In der
vorliegenden Liste werden sie nur aufgeführt, wenn die
verwendeten Namen von diesen Quellen abweichen
oder nicht mit den Bezeichnungen übereinstimmen,
die in den unter „Nachweis“ zitierten Literaturstellen
verwendet wurden. Keine der Raupenfliegenarten ist
besonders gesetzlich geschützt.
Weibchen der Raupenfliege Demoticus plebejus beim Blüten-
besuch auf einer Apiaceae. Die Wirte dieser Art sind noch
nicht bekannt. 27.7.2004, Foto: J. Ziegler.
Raupenfliegen (Diptera: Tachinidae)
Die Raupenfliege Gymnocheta viridis ähnelt mit ihrer metallischen Färbung einer Schmeißfliege (Calliphoridae). Im Bild ein
Weibchen dieser Frühjahrsart beim Sonnen auf einem Stein. Ihre Larven entwickeln sich in Raupen von Noctuiden (Lepido-
ptera). 15.5.2005, Foto: J. Ziegler.
Männchen von Nowickia ferox beim Abflug von einem Ahorn-
Blatt. Eine in Sachsen-Anhalt weit verbreitete große Art, die
im Sommer zu finden ist. Wirte sind Raupen von Noctuiden
(Lepidoptera). 9.7.2011, Foto: J. Ziegler.
Literatur
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Gebiete des naturwissenschaftlichen Vereins für Sach-
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Von der Braunen Tageule bis zur Kohleule Wie ihre Namensvettern – die Eulen – sind die Eulenfalter, Trägspinner und Graueulchen dämmerungs- und nachtaktiv. Einige Arten wie die Braune Tageule ( Euclidia glyphica ) sind auch am Tag zu bestaunen. Die meisten Arten können von Frühjahr bis Herbst beobachtet werden. Manche, wie die Satellit-Wintereule ( Eupsilia transversa ) oder die Schwarzgefleckte Wintereule ( Conistra rubiginosa ), unterbrechen bei milder Witterung sogar ihre Winterruhe und können dann auch zwischen November und Februar erscheinen. Unter den Faltern gibt es auch einige Arten, wie die Kieferneule, Gemüseeule oder Kohleule, die in Monokulturen Ertragseinbußen verursachen können. Daher sind sie in der Forst- und Landwirtschaft nicht beliebt. Tarnen und warnen? Wer die Raupe des Beifuß-Mönchs ( Cucullia artemisiae ) entdecken möchte, muss bei ihrer Futterpflanze, dem Beifuß, schon ganz genau hinschauen. Durch ihre Rinden- bzw. Moos- und Flechtenimitation verschmelzen z. B. die Imagines der Goldhaar-Rindeneule ( Acronicta auricoma ) oder der Hellgrünen Flechteneule ( Cryphia muralis ) ganz mit ihrem Hintergrund. Teilweise wird diese Tarnfärbung mit einer deutlichen Warnfarbe ergänzt. So signalisieren beispielsweise das Weidenkarmin ( Catocala electa ) oder die Hausmutter ( Noctua pronuba ) ihren Fressfeinden mit ihren rot bzw. orange gefärbten Hinterflügeln, dass sie nicht gut schmecken. Frühwarnsystem vor Fledermäusen Zu den natürlichen Fressfeinden der Falter gehören die Fledermäuse. Die Falter besitzen an ihrem Thorax ein „Ohr“, das Tympanalorgan, mit dem sie die Ultraschallrufe von Fledermäusen wahrnehmen können. Die Falter reagieren mit einem Zickzackflug oder lassen sich schlagartig fallen, um ihren Jägern auszuweichen. Wie geht es den Eulenfaltern, Trägspinnern und Graueulchen? In der aktuell gültigen Roten Liste gelten von den 530 bewerteten Arten und -unterarten 28 % als bestandsgefährdet und 4 % als ausgestorben bzw. verschollen. Mit 54 % werden mehr als die Hälfte der Arten und -unterarten als ungefährdet eingestuft. Insgesamt 186 zeigen langfristig rückläufige Bestände. Dagegen konnten für 250 Arten und -unterarten mehr oder weniger stabile langfristige Bestände ermittelt werden. Gefährdungsursachen sind der massive Verlust von Lebensräumen wie trockenem Offenland und Feuchtlebensräumen, aber auch der Einsatz von Insektiziden. Aktuelle Rote Liste (Stand Dezember 2007; geringfügig ergänzt Dezember 2010) Wachlin, V. & Bolz, R. (2011): Rote Liste und Gesamtartenliste der Eulenfalter, Trägspinner und Graueulchen (Lepidoptera: Noctuoidea) Deutschlands. – In: Binot-Hafke, M.; Balzer, S.; Becker, N.; Gruttke, H.; Haupt, H.; Hofbauer, N.; Ludwig, G.; Matzke-Hajek, G. & Strauch, M. (Red.): Rote Liste gefährdeter Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands, Band 3: Wirbellose Tiere (Teil 1). – Münster (Landwirtschaftsverlag). – Naturschutz und Biologische Vielfalt 70 (3): 197–239. Die aktuellen Rote-Liste-Daten sind auch als Download verfügbar. Artportraits Olivgrüne Schmuckeule ( Valeria oleagina )