Halogenradikale spielen eine Schlüsselrolle in der Chemie der polaren Grenzschicht. Alljährlich im Frühjahr beobachtet man riesige Flächen von mehreren Millionen Quadratkilometern mit stark erhöhten Konzentrationen von reaktivem Brom, welches von salzhaltigen Oberflächen in der Arktis und Antarktis emittiert werden. Dieses Phänomen ist auch als Bromexplosion bekannt. Des Weiteren detektieren sowohl boden- als auch satellitengestützte Messungen signifikante Mengen von Jodoxid über der Antarktis, jedoch nicht in der Arktis. Die Gründe für diese Asymmetrie sind nach wie vor unbekannt, aber das Vorhandensein von nur wenigen ppt reaktiven Jods in der antarktischen Grenzschicht sollte einen signifikanten Einfluss auf das chemische Gleichgewicht der Atmosphäre haben und zu einer Verstärkung des durch Brom katalysierten Ozonabbaus im polaren Frühjahr haben. Der Schwerpunkt der Aktivitäten im Rahmen von HALOPOLE III wird auf der Untersuchung von wichtigen Fragestellungen liegen, die im Rahmen der Vorgängerprojekte HALOPOLE I und II im Bezug auf die Quellen, Senken und Transformationsprozesse von reaktiven Halogenverbindungen in Polarregionen aufgetreten sind. Basierend sowohl auf der synergistischen Untersuchung der bislang gewonnen Daten aus Langzeit - und Feldmessungen sowie auf neuartigen Messungen in der Antarktis sind die wesentlichen Schwerpunkte: (1) Die Untersuchung einer im Rahmen von HALOPOLE II aufgetretenen eklatanten Diskrepanz zwischen aktiven und passiven Messungen DOAS Messungen von IO. (2) Eine eingehende Analyse der DOAS Langzeitmessungen von der Neumayer Station und Arrival Heights (Antarktis) sowie Alert (Kanada) bezüglich Meteorologie, Ursprung der Luftmassen, Vertikalverteilung, sowie des Einflusses von Schnee, Meereis und Eisblumen auf die Freisetzung von reaktiven Halogenverbindungen. (3) Die Untersuchung der kleinskaligen räumlicher und zeitlichen Variation von BrO auf der Basis einer detaillierten Analyse der flugzeuggebundenen MAX-DOAS Messungen während der BROMEX 2012 Kampagne in Barrow/Alaska. (4) Die Analyse der kürzlich in der marginalen Eiszone der Antarktis auf dem Forschungsschiff Polarstern durchgeführten Messungen im Hinblick auf die horizontale und vertikale Verteilung von BrO und IO, sowie den Einfluss der Halogenchemie auf den Ozon- und Quecksilberhaushalt. (5) Weitere detaillierte Untersuchungen des Einflusses von Halogenradikalen, insbesondere Chlor und Jod, auf das chemische Gleichgewicht der polaren Grenzschicht auf der Basis einer Messkampagne in Halley Bay, Antarktis. (6) Detailliertere Langzeit-Messungen von Halogenradikalen und weiteren Substanzen auf der Neumayer Station mittels eines neuen Langpfad-DOAS Instruments welches im Rahmen dieses Projektes entwickelt wird. Zusätzlich zu den bereits existierenden MAX-DOAS Messungen werden diese eine ganzjährige Messungen des vollen Tagesganges sowie die Untersuchung nicht nur der Brom- und Jodchemie, sondern auch der Chlorchemie ermöglichen.
Klimaschutzstaatssekretär Dr. Erwin Manz eröffnet die Abschlusstagung des Artenschutzprojekts „Wiesenknopf-Ameisenbläulinge“. Sind die beiden Tagfalterarten Heller und Dunkler Wiesenknopf-Ameisenbläuling vorhanden, ist das ein Indiz, dass ökologisch alles im Gleichgewicht ist „Der Zustand der beiden Tagfalterarten Heller und Dunkler Wiesenknopf-Ameisenbläuling spiegelt den Zustand einer ganzen Lebensgemeinschaft wider und dient als Frühwarnsystem für den Zustand vieler anderer Arten. Der Helle und Dunkle Wiesenknopf-Ameisenbläuling leben in extensiv genutzten Feuchtwiesen, den artenreichsten Lebensräumen unserer Kulturlandschaft. Feuchtwiesen haben beim Erhalt der Biodiversität eine Schlüsselrolle, da hier viele spezialisierte Arten leben, wie etwa die beiden gefährdeten Tagfalterarten. Sie dienen außerdem der Wasserfilterfunktion, dem Hochwasserschutz sowie als CO 2 -Senke. Deshalb ist es so wichtig, sie zu erhalten und Artenschutzprojekte wie dieses zu fördern“, so Klimaschutzstaatssekretär Dr. Erwin Manz am heutigen Freitag auf der Abschlusstagung des Artenschutzprojektes Wiesenknopf-Ameisenbläulinge in Oberlahr im Landkreis Altenkirchen. Der einzigartige Lebenszyklus der Wiesenknopf-Ameisenbläulinge zeigt deutlich, wie komplex die Natur ist und wie stark Tiere und Pflanzen in einem Ökosystem miteinander vernetzt sein können. Damit die Schmetterlingsarten Heller und Dunkler Wiesenknopf-Ameisenbläuling (Phengaris teleius und P. nausithous) überleben können, brauchen sie mindestens zwei Voraussetzungen: Die Blume „Großer Wiesenknopf“ (Blume des Jahres 2021), die als Nektarpflanze, Ruhe- und Paarungsplatz, einziger Eiablageort und Raupenfutterpflanze dient und zusätzlich jeweils eine bestimmte Ameisenart, die Rote Gartenameise bzw. die Trockenrasen-Knotenameise. Die Ameisen tragen die Raupen nach einem komplexen Adoptionsritual in ihr Nest, wo die Raupen überwintern und sich räuberisch von der Ameisenbrut ernähren. Durch Tarnung mit Gerüchen und Geräuschen fällt den Ameisen der Parasit nicht auf. Die Kombination aus Wiesenknopf und Ameisen gibt es oft nur auf Wiesen, die extensiv bewirtschaftet werden. Um die beiden gefährdeten Ameisenbläulingsarten zu schützen und deren Lebensräume zu erhalten, wurde seit März 2020 ein Artenschutzprojekt von der Stiftung Natur und Umwelt Rheinland-Pfalz (SNU) in den Landkreisen Ahrweiler, Altenkirchen, Neuwied und dem Westerwaldkreis durchgeführt. Durch die Projektgelder in Höhe von rund 910.000 Euro wurde sowohl die Umsetzung von Maßnahmen als auch projektbezogene Öffentlichkeitsarbeit gefördert. Die Projektmittel stammen zu jeweils 50 Prozent aus dem ELER-Entwicklungsprogramm „Umweltmaßnahmen, Ländliche Entwicklung, Landwirtschaft, Ernährung“, kurz „EPLR EULLE“ sowie aus Landesmitteln. Damit konnten rund 70 Hektar als Lebensraum für die seltenen Falterarten aufgewertet werden. Denn Überdüngung, Pestizideintrag, aber auch Verbuschung führen dazu, dass Arten, wie der Helle und der Dunkle Wiesenknopf-Ameisenbläuling verschwinden. Bei den beiden spezialisierten Faltern kommt hinzu, dass auch eine gängige Wiesennutzung in der Landwirtschaft, nämlich die Mahd oder Beweidung im Sommer, schädlich sein kann. Denn zur Flugzeit der Wiesenknopf-Ameisenbläulinge im Juli und August muss der Große Wiesenknopf blühen, damit die Falter überleben können. Um die Bestände zu finden und die Vorkommen gezielt zu fördern, wurden zudem insgesamt 7.000 Hektar kartiert. Ein weiteres wesentliches Ziel des fünfjährigen Projektes war es außerdem, die Öffentlichkeit für die Art und deren Lebensraum zu begeistern. Daher fanden zahlreiche Informationsveranstaltungen wie Exkursionen, Ferien- und Schulklassenveranstaltungen, Aktionstage und Online-Veranstaltungen statt. Die beiden Tagfalterarten Heller und Dunkler Wiesenknopf-Ameisenbläuling leben nur in extensiv genutzten Feuchtwiesen. Auf diese sind auch viele Säugetiere, Vögel, Amphibien, Reptilien, Spinnen, Insekten und Pflanzen angewiesen. Damit profitiert eine Vielzahl von Pflanzen und Tieren von den Schutzmaßnahmen für den Wiesenknopf-Ameisenbläuling. „Geht es den beiden Falterarten gut, können wir davon ausgehen, dass hier ökologisch alles im Gleichgewicht ist. Verschwinden sie jedoch, ist das ein Frühwarnsystem, das anzeigt, dass auch andere Arten gefährdet sind. Das Artensterben ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Vor dem Hintergrund der rasant fortschreitenden Biodiversitätskrise sind Artenschutzprojekte wie dieses von herausragender Bedeutung“, so Manz weiter. Auf der Tagung nahmen viele ehren- und hauptamtliche Personen aus der Region teil, die sich teilweise schon seit vielen Jahren mit den Ameisenbläulingen beschäftigen. Auch Vertreterinnen und Vertreter von Schutzprojekten aus anderen Bundesländern waren vor Ort. Denn international sind Deutschland und insbesondere Rheinland-Pfalz Schwerpunktregionen, in denen die Falter noch vorkommen.
a) Nachweis von Pigmenten, Biochemie, funktionelle Bedeutung der Koerperfaerbung (Mimese, Mimikri, Balz etc.). Farbwechselphaenomene; Fadenpigmente zur Erhaltung der Klebefaehigkeit (Faengigkeit). b) Bestimmung der Variabilitaet des Lebenszyklus klimatoleranter, habitatspezifischer Spinnenarten anhand der Altersstruktur der Populationen und der Fortpflanzungsperiode. c) Erfassung von Vorkommen der seltenen Roehrenspinne Eresus niger, Analyse der Sozialstrukturen der kolonielebenden Individuen und Nachweis der langjaehrigen Koloniepersistenz, Aufklaerung der sozialen Verhaltensweisen, Sexualbiologie und der partiellen Zwergwuechsigkeit (obligat); olifaktorische Leistungen und ihre Rolle. Methoden: Diverse biochemische, cytologische und histologische Verfahren; experimentelle Techniken zur Klebewirkung der Faeden (Pigmente); Biotopkartierungen, Messung von Klimaparametern; Expositionsversuche (Lebenszyklus); Verhaltensdokumentation (Video-recording) im Freiland und bei Haelterung, Tests mit markierten Geschwistergruppen zur intraspezifischen Toleranz und Kooperation, Zucht- und Ansiedlungsversuche unter kontrollierten Bedingungen (Soziobiologie).
Holzminden/Hildesheim/Hannover . Von der Heuschrecke bis zum Schmetterling: d er weltweite Rückgang der Insektenpopulationen stellt eine ernsthafte Bedrohung für die biologische Vielfalt dar. Eine aktuelle Untersuchung des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) zeigt, dass durch gezielte Bewirtschaftungsmaßnahmen wertvolle Lebensräume wieder stabilisiert und gefährdete Arten langfristig gesichert werden können. Dies gelinge allerdings nur Hand in Hand mit der Landwirtschaft, so das Fazit der Experten. Von der Heuschrecke bis zum Schmetterling: d er weltweite Rückgang der Insektenpopulationen stellt eine ernsthafte Bedrohung für die biologische Vielfalt dar. Eine aktuelle Untersuchung des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) zeigt, dass durch gezielte Bewirtschaftungsmaßnahmen wertvolle Lebensräume wieder stabilisiert und gefährdete Arten langfristig gesichert werden können. Dies gelinge allerdings nur Hand in Hand mit der Landwirtschaft, so das Fazit der Experten. Am Tag der Biodiversität am 22. Mai steht der Erhalt von Arten und ihrer Lebensräume im Fokus. Der Naturschutz spielt dabei eine zentrale Rolle, um die ökologische Vielfalt zu bewahren und langfristig stabile Populationen zu sichern. Besonders Insekten sind essenzielle Akteure im gesamten Ökosystem – doch ihre Bestände gehen besorgniserregend zurück. In seiner Studie untersuchte der Landesbetrieb zwischen 2022 und 2024 auf landeseigenen Naturschutzflächen in den Landkreisen Holzminden und Hildesheim die Wechselwirkungen zwischen Landnutzung und Artenbestand. Der Fokus lag dabei auf Tagfaltern, Widderchen und Heuschrecken, deren Bestände über insgesamt drei Jahre systematisch erfasst wurden. Die Untersuchung konzentrierte sich weitestgehend auf Flächen mit dem höchsten Schutzstatus. „Der Vergleich zwischen intensiv und weniger intensiv genutzten Flächen lieferte wertvolle Erkenntnisse über die Auswirkungen der Landnutzung auf Insektenpopulationen“, so Heike Wellmann vom Fachbereich Naturschutz des NLWKN in Hannover. Aus ihnen wurden konkrete Handlungsempfehlungen für die nachhaltige Bewirtschaftung auf 74 ausgewählten Naturschutzflächen in den Ithwiesen, am nördlichen Burgberg und in der Rühler Schweiz abgeleitet, um die Lebensbedingungen dieser Insekten gezielt zu optimieren. „ Als Meister der Metamorphose durchlaufen Insekten eine faszinierende Entwicklung vom Ei zur Larve bis hin zum Erwachsenenstadium. Jede Phase stellt besondere Anforderungen an den jeweiligen Lebensraum und erfordert ein fein abgestimmtes Zusammenspiel. Aufgrund dieser komplexen Wechselwirkungen sind Insekten wertvolle Indikatoren für Umweltveränderungen – sowohl positiv als auch negativ“, weiß Wellmann. Innerhalb der drei Untersuchungsjahre konnten durchschnittlich etwa 50 verschiedene Tagfalter- und Widderchenarten, zehn tagaktive Nachtfalterarten sowie 19 Heuschreckenarten erfasst werden; jede Art mit eigenen spezifischen Entwicklungszyklen. „ Komplexe Wechselwirkungen Komplexe Wechselwirkungen Ein gutes Beispiel für die komplexen Wechselwirkungen und zugleich ein besonders bemerkenswerter Fund war der Nachweis des stark gefährdeten „Kreuzenzian-Ameisenbläulings“, der mit fünf Individuen und rund 65 Eiern 2024 am Burgberg gesichtet wurde. Diese Art bevorzugt als Lebensraum den Halbtrockenrasen. Seine Entwicklung ist eng mit dem Kreuzenzian und Knotenameisen verknüpft. Die Raupen des Enzian-Ameisenbläulings nutzen den bitteren Kreuzenzian als Nahrungspflanze und legen ihre Eier an dessen Blüte ab. Nach mehreren Häutungen lassen sich die jungen Larven zu Boden fallen und warten dort darauf, von einer bestimmten Knotenameise in deren Nest getragen zu werden. Hier imitieren sie chemisch und akustisch die Ameisenlarven und werden wie eine Ameisenkönigin versorgt – bis sie schlüpfen. „Dann müssen sie das Nest rasch verlassen, da ihre Tarnung nun nicht mehr funktioniert. Damit der Enzian-Ameisenbläuling überleben kann, ist das Verständnis dieser Wechselwirkungen unerlässlich“, betont Wellmann. Der „Rostfarbige Dickkopffalter“ wiederrum ist ein Indikator für strukturreiches Grünland. Im gesamten Untersuchungsgebiet konnten in 2024 nur acht Individuen nachgewiesen werden. Trotz seiner Anpassungsfähigkeit ist er anspruchsvoll und wesentlich seltener zu finden als etwa der Kohlweißling. Seine hellgrünen Raupen bauen sich aus einem Blatt eine schützende Überwinterungstüte. „Diese jahrtausendealten Prozesse müssen in die moderne Kulturlandschaft integriert werden. Da Eiablage, Raupenstadien und die Puppen überwiegend in den oberen Bereichen der Gräser stattfinden, kann das frühzeitige und vollständige Mähen der Wiesen ganze Populationen auslöschen“, erklärt Heike Wellmann. Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft entscheidend Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft entscheidend Besonders die Zusammenarbeit mit Landwirten sei daher entscheidend: Denn die Ergebnisse und abgeleiteten Handlungsempfehlungen der NLWKN-Experten sollen nicht nur ein besseres Verständnis der regionalen Insektenbestände liefern, sondern auch dazu beitragen, die Individuendichte zu erhöhen und die Populationen langfristig zu stabilisieren. „Durch eine angepasste Bewirtschaftung können die Bewirtschafter so zu einer Erhaltung der europaweit selten gewordenen artenreichen Grünlandlebensraumtypen und deren daran angepassten Insektenfauna beitragen“, unterstreicht Wellmann. Durch die enge Zusammenarbeit des NLWKN mit den Landwirten vor Ort setze Niedersachsen auf den landeseigenen Flächen ein klares Zeichen für den Schutz der Insekten und die Zukunft der Biodiversität.
Zusammen mit dem Artenschutzprojekt Wiesenknopf-Ameisenbläulinge der Stiftung Natur und Umwelt Rheinland-Pfalz (SNU) pflanzen Gemeindemitglieder in Wirscheid Großen Wiesenknopf auf gemeindeeigenen Flächen und helfen damit seltenen Schmetterlingsarten. Haben Sie es auch schon bemerkt? Immer weniger Schmetterlinge, Bienen und Käfer sind unterwegs. Die Artenvielfalt schwindet, auch bei uns vor der Haustür. Aber was wäre die Welt ohne bunte Schmetterlinge und summende Bienen auf Wiesen oder am Wegesrand? Die gute Nachricht: schon mit einfachen Mitteln können wir dem zumindest teilweise entgegenwirken. Wie zum Beispiel mit dem Setzen oder Säen von standortangepassten, heimischen Blühpflanzen. Insekten finden etwas zu fressen, bestäuben Blüten und bilden zusätzlich die Nahrungsgrundlage für andere Tiere. In der Ortsgemeinde Wirscheid wurde diese Maßnahme in die Tat umgesetzt. Anfang November haben Freiwillige der Gemeinde gemeinsam mit der SNU in einer Pflanzaktion 100 Stauden vom Großen Wiesenknopf eingepflanzt. Warum ausgerechnet der Wiesenknopf gesetzt wurde, hat einen besonderen Grund. Zwei ganz spezielle Schmetterlingsarten können ohne ihn nicht überleben – das gesamte Leben des Hellen und des Dunklen Wiesenknopf-Ameisenbläulings (Phengaris teleius und P. nausithous) dreht sich um den Wiesenknopf. Nicht nur finden Paarung, Ruhezeiten und Eiablage auf den Blüten der Pflanze statt, auch trinken die erwachsenen Falter fast nur seinen Nektar und die Raupen fressen nach dem Schlupf ausschließlich an ihrer sogenannten Wirtspflanze. Doch damit nicht genug, die Wiesenknopf-Ameisenbläulinge haben noch einen zweiten Wirt: bestimmte Ameisen die die Raupen „adoptieren“. Im Ameisennest angekommen verbringt die Raupe hier den Winter und ernährt sich von Ameisenlarven bevor sie sich im Frühjahr verpuppt und als Falter im Sommer das Ameisennest verlässt. Wie das möglich ist? Die Raupen sind Künstler der Tarnung - durch Aussehen, Gerüche und Geräusche täuschen sie die Ameisen so, dass diese sie nicht als Feind erkennen können. Bei so einem komplexen Lebenszyklus wundert es kaum, dass die beiden Falterarten teils stark gefährdet sind. Schonend bewirtschaftete, feuchtere Wiesen und Weiden, die den Lebensraum der Pflanzen und damit auch den der Schmetterlinge bilden, werden immer seltener. So gehen auch die Wiesenknopfbestände weiter zurück. „Als das Projekt uns darüber informiert hat, dass die seltenen Schmetterlinge bei uns noch vorkommen und es sich im Westerwald um eines ihrer Hauptvorkommen Deutschlands handelt, haben wir nicht lange gezögert unsere Unterstützung zum gemeinsamen Schutz der Artenvielfalt zuzusagen.“ resümiert Ortsbürgermeisterin Christine Klasen und ergänzt „wir freuen uns im Rahmen der Pflanzaktion über die Bedeutung der Arten zu informieren und werden die Pflege der Ge-meindeflächen so anpassen, dass die Schmetterlinge im Sommer blühende Wiesenknöpfe finden.“ Von dieser Bewirtschaftung profitieren viele weitere Tier- und Pflanzenarten, die im Sommer auf der Suche nach Nahrung und Versteckmöglichkeiten sind. „Wichtig ist nicht die Größe der Flächen, wichtig ist, dass es viele kleine Bereiche wie Randstreifen oder Inseln als sogenannte Trittsteine gibt, zwischen denen sich die Populationen bewegen und genetisch austauschen können.“ erklärt Linda Müller, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Artenschutzprojekt der SNU, die die Pflanzaktion organisiert hat. Bis der neu gepflanzte Große Wiesenknopf blüht, wird voraussichtlich noch einige Zeit vergehen, aber dann können auch die Flächen in Wirscheid von den Ameisenbläulingen als Trittstein genutzt werden. Hintergrund: Die Förderung des Artenschutzprojektes erfolgt über EU- und Landesmittel aus dem ELER-Förderprogramm „Entwicklungsprogramm EULLE“. Das Projekt verfolgt einen kooperativen Ansatz, wobei der Fokus auf der Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft und Gemeinden liegt. Mit einem Budget von ca. 1,3 Mio. € sollen im Norden von Rheinland-Pfalz zahlreiche Habitate für die Schmetterlinge verbessert oder wiederhergestellt werden. Die noch vorhandenen Populationen sollen ausfindig gemacht und langfristig gesichert werden. Begleitet wird das Projekt durch Öffentlichkeitsarbeit und Umweltbildung. Bis Sommer 2025 sollen bis zu 200 ha Flächen in geeignete Habitate mit einer angepassten Nutzung überführt werden. Fast zeitgleich startete im Nachbarland Nordrhein-Westfalen ein ähnliches Projekt in den Landkreisen Euskirchen und im Rhein-Sieg-Kreis. Besonders grenzübergreifende Populationen werden von der engen Zusammenarbeit der beiden Projekte profitieren können. Das NRW-Projekt wird federführend von der Biologischen Station im Rhein-Sieg-Kreis e.V. für die beiden Biologischen Stationen der beteiligten Kreise durchgeführt. Die komplette Pressemitteilung können Sie hier herunterladen.
SNU und NABU Gebhardshainer Land / Wissen stärken bei einer gemeinsamen Pflanzaktion die Population des Großen Wiesenknopfs zum Schutz gefährdeter Schmetterlinge. Nur ca. zwei Monate im Jahr sind die beiden Schmetterlingsarten Heller und Dunkler Wiesenknopf-Ameisenbläuling zu sehen. Aber das ist nicht das Bemerkenswerteste an ihnen: ihr Überleben ist an das Vorkommen gleich mehrerer Wirtsarten gebunden. Der Große Wiesenknopf bietet den erwachsenen Faltern Nahrung sowie einen Ruhe-, Paarungs- und Eiablageplatz und auch die Raupen ernähren sich in den ersten Wochen ausschließlich von der Blüte des Wiesenknopfs. Später ziehen die Raupen zur Überwinterung in ein Ameisennest um, müssen dafür aber erst einmal von bestimmten Ameisen gefunden und in einem komplexen Ritual von ihnen „adoptiert“ werden. Die Raupen leben dann bis zu 9 Monate räuberisch von der Ameisenbrut und werden durch gute Tarnung nicht als Feinde erkannt. Da die Wiesenknopf-Bestände zurückgehen, nicht zur rechten Zeit blühen oder die richtigen Ameisen nicht (mehr) vorkommen, ist das Überleben der beiden Falterarten gefährdet. Der NABU Gebhardshainer Land / Wissen und die Stiftung Natur und Umwelt Rheinland-Pfalz (SNU) haben sich daher zusammengetan und Ende Oktober gemeinsam eine Pflanzaktion durchgeführt um den Wiesenknopf-Bestand in Nauroth zu unterstützen. In der Nähe der bepflanzten Fläche sind weitere Wiesenknopf-Bestände und auch Vorkommen der Wiesenknopf-Ameisenbläulinge bekannt. Mehr als 70 Pflanzen wurden von 17 Freiwilligen - darunter 9 Kinder - mit Pflanzmessern und Schaufeln in den Boden gebracht. Das nasse Wetter in den kommenden Wochen wird den Setzlingen helfen gut anzuwachsen bevor der Frost kommt und die Nährstoffe von den Blättern in die Speicherwurzeln zurückgezogen werden. Christel Mies, Mitglied der NABU-Gruppe ist begeistert: „Ich freue mich besonders, dass so viele Kinder teilgenommen haben. Wir brauchen Nachwuchs im Naturschutz und solche Aktionen machen Spaß und wecken das Interesse an der Natur. Es ist toll, dass wir gemeinsam mit dem Projekt etwas für die Arten hier vor Ort tun können. Und da ist es schön, dass ich mit meiner Fläche auch einen ganz persönlichen Beitrag leisten kann.“ Die Fläche wird in Zukunft artgerecht für die beiden Schmetterlingsarten bewirtschaftet, z.B. wird die Fläche im Sommer nicht gemäht oder beweidet. Organisiert wurde die Aktion von Linda Müller vom Artenschutzprojekt Wiesenknopf-Ameisenbläulinge der SNU und Christel Mies vom NABU. Das Projekt ist seit 2020 in den Landkreisen Ahrweiler, Altenkirchen, Neuwied und im Westerwaldkreis aktiv um die gefährdeten Falter ausfindig zu machen und ihre Lebensumstände zu verbessern. Dabei liegt ein Schwerpunkt des Projektes auf der Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft und weiteren Flächeneigentümer:innen. Da die Schmetterlinge auch auf kleinen Flächen gute Populationen bilden können, reichen bereits Randstreifen, kleinere ungenutzte oder weniger ertragreiche Bereiche aus. Hauptsache der Große Wiesenknopf und die Ameisen sind ausreichend vorhanden. So wie jetzt auch auf der Fläche bei Nauroth. „Die Pflanzen werden vermutlich einige Zeit brauchen, bevor sie blühen, da sie für das Projekt nachgezogen wurden und noch sehr jung sind. Aber wenn sie soweit sind, kann die Fläche den Wiesenknopf-Ameisenbläulingen einen Lebensraum bieten und auch für viele andere Arten bietet der Große Wiesenknopf ein zusätzliches Nahrungsangebot.“ freut sich Linda Müller. Wer jetzt Lust bekommen hat, die Schmetterlinge und ihre Wirtspflanze in echt zu sehen, kann an einer Projektveranstaltungen im kommenden Sommer teilnehmen, die hier veröffentlicht werden: https://snu.rlp.de/de/projekte/wiesenknopf-ameisenblaeulinge/veranstaltungen/ Hintergrund: Die Förderung des Artenschutzprojektes erfolgt über EU- und Landesmittel aus dem ELER-Förderprogramm „Entwicklungsprogramm EULLE“. Das Projekt verfolgt einen kooperativen Ansatz, wobei der Fokus auf der Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft und Gemeinden liegt. Mit einem Budget von ca. 1,3 Mio. € sollen im Norden von Rheinland-Pfalz zahlreiche Habitate für die Schmetterlinge verbessert oder wiederhergestellt werden. Die noch vorhandenen Populationen sollen ausfindig gemacht und langfristig gesichert werden. Begleitet wird das Projekt durch Öffentlichkeitsarbeit und Umweltbildung. Bis Sommer 2025 sollen bis zu 200 ha Flächen in geeignete Habitate mit einer angepassten Nutzung überführt werden. Fast zeitgleich startete im Nachbarland Nordrhein-Westfalen ein ähnliches Projekt in den Landkreisen Euskirchen und im Rhein-Sieg-Kreis. Besonders grenzübergreifende Populationen werden von der engen Zusammenarbeit der beiden Projekte profitieren können. Das NRW-Projekt wird federführend von der Biologischen Station im Rhein-Sieg-Kreis e.V. für die beiden Biologischen Stationen der beteiligten Kreise durchgeführt. Die komplette Pressemitteilung können Sie hier herunterladen.
Hannover/Handeloh. Eine praktische Unterrichtseinheit der besonderen Art stand für zwei 4. Klassen der Grundschule Sprötze aus Buchholz (Nordheide) vergangene Woche auf dem Stundenplan. Unter dem Motto „Praktischer Naturschutz trifft auf Umweltbildung“ hatten der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) und der Verein Naturschutzpark Lüneburger Heide (VNP) die Schülerinnen und Schüler an den Rand des Naturschutzgebiets Lüneburger Heide nahe Handeloh eingeladen, um die Arbeit im dortigen „Schlingnatter-Korridor“ vorzustellen und zu erklären. Der „Schlingnatter-Korridor“ war durch das EU-geförderte Integrierte LIFE-Projekt „Atlantische Sandlandschaften“ entwickelt worden. Die Kinder lernten nicht nur viel über den Naturschutz vor Ort, sie packten selber tatkräftig mit an und halfen bei den erforderlichen Pflegearbeiten – der sogenannten Entkusselung. Eine praktische Unterrichtseinheit der besonderen Art stand für zwei 4. Klassen der Grundschule Sprötze aus Buchholz (Nordheide) vergangene Woche auf dem Stundenplan. Unter dem Motto „Praktischer Naturschutz trifft auf Umweltbildung“ hatten der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) und der Verein Naturschutzpark Lüneburger Heide (VNP) die Schülerinnen und Schüler an den Rand des Naturschutzgebiets Lüneburger Heide nahe Handeloh eingeladen, um die Arbeit im dortigen „Schlingnatter-Korridor“ vorzustellen und zu erklären. Der „Schlingnatter-Korridor“ war durch das EU-geförderte Integrierte LIFE-Projekt „Atlantische Sandlandschaften“ entwickelt worden. Die Kinder lernten nicht nur viel über den Naturschutz vor Ort, sie packten selber tatkräftig mit an und halfen bei den erforderlichen Pflegearbeiten – der sogenannten Entkusselung. Leonie Braasch vom NLWKN und Lena Götz vom VNP standen den aufgeregten Kindern vor Ort Rede und Antwort. Leonie Braasch erklärte, wie der „Schlingnatter-Korridor“ entstanden ist und warum er für den Naturschutz vor Ort wichtig ist. Die wichtigste Botschaft: Gehölze aus fremden Ländern verdrängen durch ihr Wachstum heimische Tier- und Pflanzenarten und müssen deshalb entfernt werden, um bedrohten Arten wie der Schlingnatter und der Zauneidechse zu helfen. „Wenn wir die noch kleinen Traubenkirschen mit der Wurzel herausziehen, können wir ein schnelles Zuwachsen des Korridors verhindern. Somit haben die Schlingnatter und andere Arten hier weiter einen idealen Lebensraum. Diese Pflegearbeiten nennen wir Entkusselung“, erläuterte die NWLKN-Projektmitarbeitern den neugierig zuhörenden Gästen. Lena Götz von der Schutzgebietsbetreuung des VNP führte die Kinder in die Welt der Schlingnatter ein: „Die Meisterin der Tarnung ist für den Menschen harmlos und ist nur sehr selten zu entdecken. Da die Haut der Schlingnatter nicht mitwachsen kann, häutet sie sich regelmäßig. Die abgestreifte Hautschicht, das sogenannte Natternhemd, lässt sich manchmal in der Natur finden.“ Nach der theoretischen Einführung konnten es die Kinder kaum abwarten, selber loszulegen. Zum Warmwerden für die praktische Arbeit stand am Eingangsbereich des Korridors ein Schlangensuchspiel zwischen Wurzeltellern, Gestrüpp und Moos auf dem Programm. Dann legten die Kinder hochmotiviert mit dem Rausrupfen der kleinen Gehölze los. Begeisterung löste vor allem die Bearbeitung von größeren Exemplaren der Traubenkirsche mit dem Spaten aus und die ausgebuddelten großen Pflanzen wurden stolz in die Luft gereckt. Am Ende gab es noch eine Schlangen-Polonaise durch die Heide und als Dankeschön durften alle Kinder eine Holzschlange mit nach Hause nehmen. „Die Aktion macht nicht nur den Kindern, sondern auch uns als Organisations-Team viel Spaß. Es freut uns, dass nach der gelungenen Pflegeaktion im vergangenen Jahr nun erneut so viele Schülerinnen und Schüler angereist sind, um beim praktischen Naturschutz mitzuhelfen“, sagte Leonie Braasch. Das Fazit von Lehrerin Kristina Stein-Matthies fiel ebenfalls positiv aus: „Der heutige Vormittag war für die Kinder ein ganz besonderer. Draußen in der Natur lernten sie nicht nur viel über die Schlingnatter und ihren Lebensraum, sondern freuten sich darüber, durch ihren Einsatz etwas für den Naturschutz tun zu können. Alle hatten viel Spaß dabei und die auszugrabenden Traubenkirschen wurden mit der Zeit immer größer. Da war Teamarbeit gefragt.“ Hintergrund zum Integrierten LIFE-Projekt „Atlantische Sandlandschaften“ und dem „Schlingnatter-Korridor“ Hintergrund zum Integrierten LIFE-Projekt „Atlantische Sandlandschaften“ und dem „Schlingnatter-Korridor“ Der „Schlingnatter-Korridor“ war durch das EU-geförderte Integrierte LIFE-Projekt „Atlantische Sandlandschaften“ entwickelt worden. Ziel des Korridors aus lichten Waldrändern ist es, Heideflächen mit Vorkommen der gefährdeten Schlingnatter und der Zauneidechse miteinander zu verbinden. Anfang 2021 hatten Harvester und Mini-Bagger deshalb hier Gehölze entfernt. „Die Offenhaltung des Korridors wird uns allerdings jedes Jahr aufs Neue beschäftigen“, betont Lena Götz von der Schutzgebietsbetreuung des VNP. „Das liegt vor allem an der Spätblühenden Traubenkirsche, deren Sämlinge im lichten Korridor sehr schnell wieder hochwachsen.“ Die Gehölzart kommt ursprünglich aus Nordamerika und verdrängt durch ihre dichten und ausdunkelnden Bestände heimische Tier- und Pflanzenarten. Da ist bereits im frühen Stadium händisches Zupacken gefragt. Das Integrierte LIFE-Projekt setzt Maßnahmen wie diese zum Erhalt der biologischen Vielfalt in fast ganz Niedersachsen und weiten Teil Nordrhein-Westfalens um. Die beiden Bundesländer finanzieren 40 % des IP LIFE, die anderen 60 % werden durch die Europäische Kommission gefördert. Weitere Informationen gibt es in folgendem Artikel: Integriertes LIFE-Projekt "Atlantische Sandlandschaften" Ansprechpersonen zum Projekt: Ansprechpersonen zum Projekt: VNP Stiftung Naturschutzpark Lüneburger Heide Dirk Mertens Tel: 05198/982 43 24 E-Mail: mertens@verein-naturschutzpark.de NLWKN, IP LIFE „Atlantische Sandlandschaften“ Leonie Braasch Tel: 0511/3034-3368 E-Mail: leonie.braasch@nlwkn.niedersachsen.de Geschafft! Mit Tatendrang und Teamarbeit ließen die Kinder den Traubenkirschen keine Chance (Foto: Leonie Braasch). Mit der Schlangen-Polonaise ging es in die Heide (Foto: Kristina Stein-Matthies).
Rote Listen Sachsen-Anhalt Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt Halle, Heft 1/2020: 749–768 61 Bearbeitet von Karla Schneider und Wolfgang Bäse (3. Fassung, Stand: Mai 2020) Einführung Die Curculionoidea sind eine weltweit verbreitete Überfamilie der Ordnung der Käfer. Zu ihr gehören neben den Rüsselkäfern (Curculionidae) und den Borkenkäfern (Scolytidae) eine Reihe von Familien, die früher als Teil der Rüsselkäfer betrachtet worden sind. Gegenwärtig sind es die Familien der Blattroller (Atte- labidae), der Ritterspornrüssler (Nemonychidae), der Triebstecher (Rhynchitidae) und der Spitzmausrüssler (Apionidae). Die Familie der Breitrüssler (Anthribidae), in der letzten Roten Liste des Landes Sachsen-Anhalt (Schneider 2004a) noch extra abgehandelt, wird nun innerhalb dieser Überfamilie betrachtet. Die Borken- käfer (Scolytidae) dagegen werden in dieser Fassung der Roten Liste nicht berücksichtigt. In der Checkliste von Sachsen-Anhalt sind 85 Borkenkäferarten erfasst (Bäse 2018b). Die Überfamilie der Curculionoidea um- fasst weltweit über 62.000 Arten, davon allein mehr als 51.000 Arten in der Familie der Rüsselkäfer. Nach Rheinheimer & Hassler (2010) sind die Rüsselkäfer eine Gruppe der Superlative. Sie sind wahrscheinlich die artenreichste Familie im Tier- und Pflanzenreich. Man nimmt an, dass bei den Rüsselkäfern noch viele unbe- schriebene Arten existieren. Die tatsächliche Arten- zahl liegt vermutlich um ein Vielfaches höher. In Mitteleuropa sind die Rüsselkäfer (ohne Borken- käfer) mit etwa 1.200 Arten vertreten, davon konnten in Sachsen-Anhalt bisher 752 Arten belegt werden. Rüsselkäfer besiedeln fast alle Lebensräume. Man kann sie vom arktischen Norden bis zu den Tropen finden. Sie leben im Boden, am Boden, auf Pflanzen, in Stängeln und Samen, unter der Rinde, manche Ar- ten auch im Wasser an Wasserpflanzen oder in tiefen Bodenschichten. Die zuletzt genannten Vertreter sind blind und leben an Wurzeln. Sie sind kaum an der Oberfläche zu finden (Rheinheimer & Hassler 2010). Der große Artenreichtum und die spezielle Lebensweise vieler Arten macht sie zu einem bedeutenden Faktor in den Ökosystemen und Nahrungsketten. Auf der an- deren Seite ist es die Lebensweise, die es erschwert, sie in ihren Habitaten nachzuweisen. So sind zahlrei- che Arten oft nur direkt und zu bestimmten Jahres- zeiten an der Entwicklungspflanze zu finden. Häufig leben sie versteckt bzw. sind dämmerungs- oder nachtaktiv. Viele sind unauffällig gefärbt, dadurch schlecht sichtbar bzw. lassen sich bei Berührung der Pflanzen fallen. Rüsselkäfer leben phytophag und ernähren sich von allen Pflanzenteilen einschließlich lebendem und totem Holz. Es gibt nur wenige Pflanzenarten Rüsselkäfer (Coleoptera: Curculionoidea exkl. Scolytidae) in unserem Gebiet, die von diesen Käfern nicht be- fallen werden. Einzelne Arten sind hoch spezialisiert und können nur an einer einzigen Pflanzenart leben. Rüsselkäfer besiedeln auch Extremhabitate wie aride Zonen (Cleonus-Arten), Salzstellen (Sitona-, Ceutor- hynchus-Arten) und stehende Gewässer (Litodacty- lus-, Eubrychius-, Stenopelmus-Arten). Sie kommen auch artenreich in den Randzonen von Hochmooren, in lichten Bereichen von Wäldern, in Trocken- und Halbtrockenrasen, in Wiesen und in Brach- und Ru- deralflächen vor. Somit stellen sie spezielle Ansprü- che an ihren Lebensraum und eignen sich gut für die Landschaftsbewertung, z. B. im Rahmen von Umwelt- verträglichkeitsprüfungen. Besonders hygrophile und aquatische Arten sind sehr anspruchsvoll. Sie haben eine ähnlich hohe Bedeutung als Indikatoren wie die Schilfkäfer (Sprick & Winkelmann 1993). Häufigkeitsschwankungen oder ein Rückgang von Arten sind bei den wenig bearbeiteten Rüsselkäfern ebenso schwer zu bewerten wie die Frage nach den anthropogenen oder natürlichen Ursachen. Rheinhei- mer & Hassler (2010) nennen einige wichtige Faktoren wie Temperaturschwankungen, Niederschläge, Nah- rungsangebot, Krankheiten, Parasiten und Fraßfeinde, die für eine Beurteilung beachtet werden müssen. Zur taxonomischen Systematik der Rüsselkäfer gibt es derzeit keine einheitliche Auffassung. Das be- trifft auch die Anerkennung selbständiger Familien (vgl. Rheinheimer & Hassler 2010). Familie Anthribidae Billberg, 1820 – Breitrüssler Die Breitrüssler sind mit weltweit etwa 4.000 Arten eine gut abgegrenzte Gruppe und wurden schon früh als Schwesterngruppe der Rüsselkäfer betrachtet. Die Mehrzahl der Arten ist in den Tropen verbreitet und zeichnet sich hier durch einen großen Formenreichtum aus. Einige Arten ähneln durch schlanken Körperbau und lange Fühler den Cerambyciden, andere erinnern an Chrysomeliden oder an Curculioniden, da sie einen gut ausgebildeten Rüssel besitzen. Ähnlichkeiten be- stehen auch zu den Scolytiden und Bruchiden. In Europa sind die Breitrüssler nur mit ca. 60 Ar- ten vertreten. Sie sind unauffällig mit einer geringen Formenvielfalt. Rheinheimer & Hassler (2010) nehmen an, dass die europäischen Arten Relikte einer früher artenreicheren Fauna sind. Für Sachsen-Anhalt konn- ten bisher 14 Arten registriert werden. Die größte Art Platyrhinus resinosus erreicht eine Länge von 15 mm. Heimische Arten entwickeln sich vor allem in Stümp- fen und Ästen abgestorbener und von Pilzen befalle- ner Bäume und Sträucher. Die Larven fressen unregel- mäßige Gänge in das Holz und verpuppen sich auch hier. Die Gattung Brachytarsus weicht von dieser Ent- wicklung ab. Die Larven der Gattung fressen Schild- und Blattläuse und entwickeln sich unter loser Rinde, 749 Rüsselkäfer Abb. 1: Der Weiße Breitrüssler (Platystomos albinus) ist in großen Teilen Europas zu finden. Die Art gilt auch in Deutschland als weit verbrei- tet, ist aber aufgrund seiner guten Tarnung nicht leicht zu finden (Foto: A. Stark). wo auch ihre Verpuppung stattfindet. Da die Färbung der Breitrüssler oft ihrer verpilzten Umgebung ent- spricht, sind die Tiere meist sehr schwer zu finden. Familie Attelabidae Billberg, 1820 – Blattroller Weltweit ist diese Familie mit ca. 1.000 Arten verbrei- tet und besitzt eine der bizarrsten Rüsselkäferarten überhaupt, den Giraffenrüssler aus Madagaskar. Bei dieser Art weisen die Weibchen ein extrem verlänger- tes Halsschild auf. Andere tragen eine leuchtend rote Warnfarbe. Typisch für Blattroller ist die Brutfürsorge. Die Weibchen stellen Blattwickel her, in denen die Eier abgelegt werden. Familie Nemonychidae Bedel, 1882 – Ritterspornrüssler Diese Familie enthielt ursprünglich nur eine Gattung. Neben unserer mitteleuropäischen Art gibt es noch zwei in Nordafrika und eine in Mittelasien. Als Wirts- pflanzen sind zurzeit nur Rittersporn-Arten bekannt. Da durch die intensive landwirtschaftliche Nutzung von Ackerflächen der Rittersporn seltener wird, ist die mitteleuropäische Art stark gefährdet, ihr Fort- bestand unsicher. Die ehemalige Familie Cimberidae Gozis gehört jetzt ebenfalls hierher. In diese kleine und artenarme Gruppe fallen weltweit nur fünf Gattungen mit ca. 15 Arten. Alle Arten entwickeln sich auf Nadelbäumen. In Deutschland kommen zwei Arten vor. Beide leben an Blütenständen von Waldkie- fern (Pinus sylvestris L.). Sie sind weit verbreitet, aber nicht häufig. Familie Rhynchitidae Gistel, 1848 – Triebstecher Nach Rheinheimer & Hassler (2010) existiert die größte Artenvielfalt in Südostasien. Viele Pflanzenfamilien und fast alle Pflanzenteile werden genutzt. Es gibt Brutfürsorge, aber auch Brutparasitismus. Triebste- cher gehören zu einer stammesgeschichtlich alten Familie. Funde aus dem Jura und dem baltischen Bernstein (Eozän) belegen dies. Familie Apionidae Schönherr, 1823 – Spitzmausrüssler Über 1.500 Arten können weltweit zu dieser Familie gezählt werden. Es sind sehr kleine, nur bis etwa 4 mm große Käfer mit recht einheitlichem Aussehen. Der Rüssel läuft vorn spitz zu. Nach hinten werden die Käfer allmählich dicker und zeigen ein birnenför- miges Aussehen. Die meisten Arten leben an krau- tigen Pflanzen, einige wenige an Baumarten. Viele unserer Arten sind Nahrungsspezialisten. Sie fressen monophag an einer Pflanzenart oder oligophag an einer Pflanzengattung. Die meisten Arten sind auf Fabaceae (Leguminosen) und Asteraceae (Korbblütler) zu finden. Sie minieren im Pflanzengewebe, einige erzeugen Pflanzengallen. Gelegentlich können einige Spezies als Schädlinge auftreten und pflanzliche Viren Abb. 2: Der Adern-Bohrer (Curculio venosus) kann in Mitteleuropa überall beobachtet werden. Er liebt wärmere Gebiete und tiefere Lagen. Seine Wirtspflanzen sind verschiedene Eichenarten. Die Larven entwickeln sich in den Eicheln, wo sie zweimal überwintern und die Käfer dann zwischen Mitte April und Juli zu beobachten sind (Foto: S. Schönebaum). Abb. 3: Der Rebenstecher (Byctiscus betulae) glänzt goldgrün, violett oder metallisch blau. In Europa ist die Gattung Byctiscus nur mit zwei Arten vertreten. Die Weibchen betreiben Brutfürsorge, in dem sie Blätter zu einem Wickel zusammenrollen, der den Larven als Nahrung dient. (Foto: S. Schönebaum). Abb. 4: Der seltene aquatisch lebende Rüsselkäfer Bagous majzlani entwickelt sich nach bisherigem Kenntnisstand ausschließlich an Wasser-Schwaden (Glyceria maxima). Nach gut 130 Jahren wurde die Art im Frühjahr 2020 im Wulfener Bruch wiederentdeckt (Foto: D. Rolke). Abb. 5: Der Westliche Möhrenrüssler (Leucophyes pedestris) wird nur selten gefunden. Die Art bevorzugt wärmere Gebiete, wie sonnige Magerrasen oder xerotherme lückige be- wachsene Stellen. Für Sachsen-Anhalt wird sie als stark gefährdet eingestuft und ist nur ganz im Süden des Bundeslandes nachweisbar. Die Futterpflanze der Art ist die wilde Möhre (Foto: D. Rolke). Abb. 6: Der Gefleckte Langrüssler (Cyphocleonus dealbatus) ist in Sachsen-Anhalt weit verbreitet. Die Larven bilden Gallen an den Wurzeln von Asteraceen. Durch ihre grau marmorierte Oberseite mit schwarzen Kahlstellen sind die Käfer auf ihren Wirtspflanzen gut getarnt. Die Art ist typisch für sonnige, warme und offene Böden (Foto: S. Schönebaum). 750 Rüsselkäfer 2 3 4 5 6 751
| Origin | Count |
|---|---|
| Bund | 20 |
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|---|---|
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|---|---|
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