Berlins natürliche Seen und Fließgewässer entstanden vor rund 10 000 Jahren mit dem Abtauen der Gletscher, die das Gebiet während der Weichsel-Vereisung bedeckten. Es handelt sich demzufolge um geologisch sehr junge Gewässer. Damals umfaßte die autochthone (einheimische) Süßwasserfischfauna Deutschlands nach Thienemann 56 Arten, ausgenommen Wanderfische, die die Binnengewässer nur zur Fortpflanzung aufsuchten. Von diesen wiederum war es 31 Fischarten möglich, die Gewässer des heutigen Landes Berlin zu besiedeln. Sie müssen als ursprüngliche bzw. autochthone Fischfauna Berlins betrachtet werden. Diese unterlag bis in die Gegenwart vielfältigen, z. T. noch anhaltenden Veränderungen. Prägten einst die Flußsysteme von Spree und Havel das Berliner Gewässernetz, so mußte ihre Dynamik zunehmend Stillwasser- und Rückstaubereichen weichen. Der Dammbau zum Betreiben von Mühlen läßt sich bis in das 13. Jahrhundert zurückverfolgen. Neben diesen Mühlendämmen wurden weitere Stauanlagen und Schleusen zur Förderung der Schiffahrt errichtet. Bereits im 17. Jahrhundert begann die Begradigung einzelner Flußabschnitte. Der Kanalbau erreichte Mitte des vorigen Jahrhunderts seinen Höhepunkt. Ab dieser Zeit war es Wanderfischen selbst bei Hochwasser nicht mehr möglich, die hohen Wehranlagen zu überwinden und das Berliner Stadtgebiet zu erreichen. Mit der Stauhaltung gingen wertvolle Lebensraumstrukturen der Fließgewässer und die für viele Fischarten notwendigen Überschwemmungsflächen verloren. Die Strömungsgeschwindigkeit nahm ab, und Ablagerungsprozesse führten zu einer Überlagerung der grobkörnigen Sedimente mit Schlamm. Sauerstoffzehrende Abbauprozesse am Gewässergrund wurden vorherrschend. Fischarten, die kiesiges, gut mit Sauerstoff versorgtes Substrat bevorzugen, mußten weichen. Für sie fehlten sowohl geeignete Laich- und Lebensräume als auch die Möglichkeit, Ausgleichswanderungen durchzuführen, weshalb die einstige Leitfischart, die Barbe – ein typischer Flußfisch, ausstarb. Der Gewässercharakter wandelte sich von der klassischen Barben- zur Bleiregion . Neben diesen nachhaltigen Beeinträchtigungen durch den Gewässerausbau spielten Einträge aller Art eine erhebliche Rolle. Bereits vor der Jahrhundertwende war die Belastung von Spree und Havel durch industrielle und kommunale Abwässer sowie Fäkalien derart stark, daß häufig Fischsterben auftraten, und die Fischerei ernsthaft beeinträchtigt wurde. Aufgrund der schlechten Sauerstoffverhältnisse an der Wasseroberfläche war es beispielsweise unmöglich, Fische aus der Unterhavel in Booten mit offenen, durchströmten Fischkästen, sog. Drebeln, lebend nach Berlin (heutige Innenstadt) zu transportieren. Auch die städtischen Rieselfelder boten hinsichtlich der Gewässergütesituation nur bedingt Abhilfe. Die genannten anthropogenen Einwirkungen führten zu einer Verarmung der Berliner Fischfauna. Neben der Barbe starben weitere strömungsliebende, an sauerstoffreiches Wasser gebundene Fischarten, wie Bachneunauge und Bachschmerle, in Berliner Gewässern aus. In jüngerer Zeit wurden die oft stark beeinträchtigten Flüsse und Seen mit einer neuen – keiner besseren – Qualität des Abwassers belastet. Großkläranlagen verhinderten den Eintrag groben organischen Materials (Fäkalien u.ä.); trotzdem blieb die Fracht der gelösten Nährstoffe hoch. Gleichzeitig wurden mit der Intensivierung der Landwirtschaft und zunehmender Industrialisierung verstärkt Dünge- und Pflanzenschutzmittel, Schadmetalle und andere Toxine eingetragen. Besonders Industrieabwässer belasteten die Gewässer zusätzlich durch Abwärme . Eine durch Nährstoffeintrag hervorgerufene bzw. geförderte Eutrophierung begünstigt euryöke (umwelttolerante) Fischarten, deren Bestandsausweitung oftmals das Zurückgehen anspruchsvollerer Arten verdeckt. Die genannten Einflußfaktoren sind zweifellos die bedeutendsten. Damit ist aber die Palette anthropogener Schadwirkungen auf den Fischbestand hiesiger Gewässer noch nicht erschöpft. Gegenwärtig spielt die Freizeitnutzung eine große, ständig zunehmende Rolle. Der durch Motorboote verursachte Wellenschlag sowie das Baden fördern die Erosion der Gewässerufer, indem schützende Pflanzengürtel zerstört werden. Differenzierter zu betrachten ist die Freizeitfischerei . Bei mehrfach genutzten Gewässern (Angeln, Baden, Sportboote etc.) sind die durch Angler verursachten Uferzerstörungen und -verschmutzungen im Verhältnis zu den zahlreichen Badegästen relativ gering. Angler beeinflussen ein Gewässerökosystem in erster Linie durch Eingriffe in die Biozönose in Form von Fischentnahmen und Besatzmaßnahmen . Dabei werden wirtschaftlich wertvolle bzw. für Angler interessante Fischarten einseitig gefördert. Hinzu kommt eine Verfälschung der autochthonen Fischfauna durch Besatz mit nicht einheimischen Arten, wie z. B. Regenbogenforelle und Zwergwels. Sie können Nahrungskonkurrenten, Laichräuber und Freßfeinde sein, auf die sich die heimische Fauna nicht einstellen konnte. Im Verlauf ihrer Entwicklungsgeschichte haben sich die Arten ihrem Lebensraum optimal angepaßt und spezialisiert, um Konkurrenzbeziehungen auszuweichen. Dieser Prozeß führte dazu, daß innerhalb eines Ökosystems die meisten Arten einen relativ abgegrenzten Bereich, eine ökologische Nische haben, den ausschließlich sie optimal nutzen können. Bringt man nun in dieses Ökosystem fremde, d.h. allochthone Arten ein, so ist deren Wirkung vorher oft nicht abzuschätzen. Einheimische Arten können verdrängt werden. Mit ihnen würden im Verlauf der Evolution erworbene, genetisch fixierte Spezialisierungen sowie Anpassungen an hiesige Gewässerverhältnisse verloren gehen. In stark beangelten Gewässern stellt das allgemein übliche Anfüttern zudem einen nicht zu vernachlässigenden Nährstoffeintrag dar. Erste Erhebungen zur Fischfauna Berliner Gewässer vor rund 100 Jahren bieten wertvolle historische Anhaltspunkte, anhand derer die Wirkung der genannten Einflußfaktoren auf die Fischartenzusammensetzung und ihre Veränderung eingeschätzt werden kann. Einzelne Gewässer, vornehmlich im Südosten Berlins, wurden in den 50er Jahren erneut untersucht. Spätere Fischbestandserfassungen konnten aufgrund politischer Grenzen nur noch Teilbereiche Berlins berücksichtigen, weshalb zwei Rote Listen, getrennt für den Ost- und den Westteil der Stadt, erarbeitet wurden (s. Tab. 1). Die unterschiedliche Einstufung der Gefährdung einzelner Arten beruht vornehmlich auf den unterschiedlichen Gewässerverhältnissen in beiden Teilen der Stadt. So überwiegen im Westteil großflächige Flußseen, während der Ostteil über mehr natürliche Fließgewässer verfügt. Folglich weichen die Anzahl der Vorkommen sowie die Bestandsgrößen von Freiwasserbewohnern und Flußfischen in beiden Untersuchungsgebieten z. T. erheblich voneinander ab, was zu einer unterschiedlichen Einschätzung ihrer Gefährdung führte. Nachdem es möglich war, für das gesamte Land Berlin eine Rote Liste zu erstellen, wurden die bisher erhobenen Daten zur Fischbesiedlung zusammengefaßt und ein einheitlicher Bewertungsmaßstab zugrunde gelegt. Die in Tabelle 1 dargestellten, z. T. geringeren Einstufungen einzelner Arten in der neuen Roten Liste sind nicht auf verbesserte Lebensbedingungen zurückzuführen, sondern auf ein größeres Untersuchungsgebiet und eine höhere Anzahl von Befischungen. Im Gegensatz zu früheren Arbeiten wurde fast die doppelte Anzahl von Gewässern beprobt. Dies führte für eine große Zahl von Fischarten zur Feststellung neuer Vorkommen. Auf dieser Grundlage wurde eine neue kommentierte Rote Liste für Berlin erarbeitet (Wolter et al., in Vorbereitung). Gegenwärtig gibt es im Land Berlin mehr als 250 Gewässer, alle mit einer durch den Menschen stark beeinflußten Fischfauna. Kenntnisse über die gegenwärtige Verbreitung und Häufigkeit sowie die wesentlichen existenzgefährdenden Faktoren sind essentielle Voraussetzungen, um Arten- und Biotopschutzmaßnahmen zielgerichtet und mit geeigneten Methoden realisieren zu können. Zur Beurteilung von Gewässern ist die Untersuchung der Fischbestände hilfreich, da sie die Einschätzung der komplexen Einflußfaktoren und deren Langzeitwirkung auf höhere aquatische Organismen ermöglichen kann, ohne diese einzeln betrachten zu müssen. Die vorherrschende Fischfauna ist ein Indiz für den ökologischen Zustand eines Gewässers. Deshalb ist z. B. der Nachweis einer großen Anzahl von Fischarten positiv zu beurteilen, da dies aufgrund ihrer ökologischen Einmischung auf das Vorhandensein vieler verschiedener Lebensräume und damit einer großen Strukturvielfalt hindeutet. Hierbei muß allerdings auch immer die Möglichkeit berücksichtigt werden, daß der vorgefundene Bestand durch Besatzmaßnahmen verfälscht sein kann. Das Vorkommen gefährdeter Fischarten in einem Gewässer kann für seine Beurteilung grundsätzlich positiv gewertet werden, da diese i. d. R. bezüglich der Wasserqualität und der strukturellen Vielfalt des Lebensraumes anspruchsvoller sind als euryöke Arten.
Das Bewertungsverfahren MarBIT ( Mar ine B iotic I ndex T ool) bewertet Faunenelemente der Weich- und Hartböden sowie der Vegetationsbestände (Phytal). Es stehen insgesamt vier Einzelparameter/Teilindizes für die Bewertung zur Verfügung, die Auswirkungen der Eutrophierung oder physikalischer Störungen auf das Makrozoobenthos erfassen (Abb. 1). Jeder Teilindex steht für einen der ökologischen Begriffe, die bei der Wasserrahmenrichtlinie zur Bewertung herangezogen werden sollen: TSI (Taxonomic Spread Index): bewertet die Artenvielfalt und taxonomische Zusammensetzung der benthischen Wirbellosen Abundanzverteilung: bewertet die Verteilung der Häufigkeit auf die verschiedenen Taxa Sensitive Arten: bewertet den Anteil sensitiver Arten an den Faunengemeinschaften Tolerante Arten: bewertet den Anteil toleranter Arten an den Faunengemeinschaften Dem Bewertungssystem liegt eine Datenbank mit Informationen zur Autökologie vieler Nord- und Ostseetaxa zugrunde (z. B. Angaben zu Lebensraum, Zonierung, Salzgehaltsansprüchen oder Sedimentpräferenzen), die eine Erstellung von typspezifischen Referenzartenlisten unabhängig von historischen Angaben ermöglicht. Jeder Teilindex ist mit einem eigenständigen fünfstufigen Bewertungssystem unabhängig von den anderen Indizes bewertbar. Nach einer mathematischen Transformation (=Normierung) können die Teilergebnisse zusammengeführt, also miteinander verrechnet werden, und ergeben dann den abschließenden ökologischen Zustand (= EQR-Wert) der jeweiligen Bewertungseinheit/ Faunengemeinschaft. Abb. 1: Schematische Darstellung des Verlaufs der Bewertung des ökologischen Zustands mit dem modularen Bewertungsverfahren MarBIT. Das wissenschaftliche Prinzip des TSI basiert darauf, dass neben der Artenzahl auch die Komplexität des taxonomischen Baumes für die biologische Vielfalt von Bedeutung ist. Vielfalt in der Taxonomie entsteht durch die Aufspaltung des taxonomischen Baumes. Jedes neue Taxon erzeugt mindestens einen neuen Ast, wenn es sich um eine im Baum noch nicht vorhandene Art handelt. Dadurch wird der Baum breiter, die Taxonomie „spreizt“ sich auf. Es gibt Proben, die nur aus einer oder zwei taxonomischen Gruppen bestehen, z. B. Polychaeten und Mollusken. Andere Proben enthalten dagegen viele taxonomische Gruppen. Die taxonomischen Bäume dieser beiden Proben haben eine unterschiedliche Form durch die unterschiedliche taxonomische Aufspreizung. Diese korreliert direkt mit der in der Probe vorhandenen Artenzahl. Ökologisch im Sinne der WRRL gesehen, steigt der Wert einer Lebensgemeinschaft kaum, wenn viele sehr nahe verwandte Taxa zusammenkommen, die vergleichbare Nischen besetzen oder die bestehenden Ressourcen auf ähnliche Weise nutzen. Kommen jedoch viele verschiedene taxonomische Gruppen zusammen, sind in der Regel auch unterschiedliche Lebensstrategien und Nischen damit verbunden. Diesem Umstand trägt der Index mit einer Gewichtung der verschiedenen taxonomischen Stufen Rechnung. Je höher im taxonomischen Baum die Verzweigung stattfindet, desto höher wird sie bewertet = gewichtet (Tab. 1). Tab. 1: Zusammenhang von taxonomischer Stufe und Bewertung. taxonomische Stufe Bewertung neue Art einer Gattung 2 neue Gattung einer Familie 3 neue Familie einer Ordnung 5 neue Ordnung einer Klasse 8 neue Klasse eines Stammes 13 neuer Stamm eines Reichs 21 Die Berechnung des Teilindex TSI erfolgt also auf Basis der Präsenz der Taxa im Vergleich zu einer typspezifischen Referenzartenliste. Die Abundanz = Individuendichte der Taxa spielt keine Rolle. Es werden jeweils nur diejenigen Taxa der Probe berücksichtigt, welche auf der zugehörigen Referenzartenliste aufgeführt sind. Alle anderen Taxa werden ignoriert. Alle Taxa werden sukzessive einem taxonomischen Baum hinzugefügt und jeder Verzweigung im Baum wird der Wert der entsprechenden taxonomischen Stufe zugeordnet Dann wird an jeder Verzweigung dieser Wert mit der Anzahl der abgehenden Äste multipliziert und zuletzt alle diese Produkte addiert. Der sich ergebende Wert ist der TSI der Probe (Abb. 2). Abb. 2: Beispielhafte Berechnung des TSI für zwei taxonomische Bäume mit jeweils 10 Arten, aber unterschiedlicher taxonomischer Aufspreizung. Die gewässertypischen TSI-Werte der Referenzlisten der Bewertungseinheiten bilden die Basis für das fünfstufige Bewertungsschema (Tab. 2). Tab. 2: Gewässertypische TSI-Werte. Bewertungseinheit TSI-Referenzwert Weichboden Phytal Innerste Gewässer 250 300 Innere Gewässer 160 319 Mittlere Gewässer 225 422 Buchten 338 721 Flussmündungen 304 595 Rügensche Gewässer 254 477 Kieler Bucht 579 906 Mecklenburger Bucht 445 756 Darß bis Polen 289 395 Flensburger Förde 920 799 Becken 794 713 Bewertungsrelevant ist dabei der Quotient aus dem TSI-Wert der Probe und dem TSI-Referenzwert, der den unnormierten EQR für den TSI-Indexwert ergibt (Tab. 3). Tab. 3: Ökologischer Zustand und TSI-Index. Ökologischer Zustand TSI-Index [TSI_Pro/TSI_Ref] sehr gut 0,9 < TSI ≤ 1 gut 0,8 < TSI ≤ 0,9 mäßig 0,6 < TSI ≤ 0,8 unbefriedigend 0,4 < TSI ≤ 0,6 schlecht 0 ≤ TSI ≤ 0,4 Die Abundanzverteilung bewertet die relative Verteilung der Abundanz auf die einzelnen Taxa. Für das Bewertungsmodell wird die Theorie der Log-Normalverteilung zugrunde gelegt, die entsteht, wenn viele kleine Faktoren unabhängig voneinander auf die Populationen einwirken. Die Population besteht dabei aus vielen verschiedenen Taxa, die unterschiedliche Nischen besetzen und Lebensstrategien verfolgen. Wenn keiner der Faktoren dominiert und diese multiplikativ auf die Population einwirken, entsteht nach dem zentralen Grenzwertsatz der mathematischen Statistik eine Log-Normalverteilung. Eine Log-Normalverteilung liegt vor, wenn der Logarithmus der Verteilungsfunktion einer Normalverteilung folgt. Es wird dadurch leicht, eine Lebensgemeinschaft auf Übereinstimmung mit der Log-Normalverteilung zu überprüfen, indem die transformierte Verteilung einfach auf Normalverteilung getestet wird. Im Bewertungsmodell wird der Kolmogorov-Smirnov-Test mit der Ergänzung von Lilliefors (= Lilliefors-Test) verwendet, da er einfach zu rechnen ist und eine für den Zweck ausreichende Genauigkeit besitzt und am empfindlichsten im mittleren Bereich der Verteilung ist. Dies ist von Vorteil, weil dadurch die seltensten und häufigsten Taxa, die besonders große relative Abundanzschwankungen zeigen, nicht so stark gewichtet werden. Das meiste Gewicht liegt auf den stetigen „Kerntaxa“ der Gemeinschaft. Ein weiterer Vorteil des Lilliefors-Tests ist, dass er eine grafische Repräsentation in Form der kumulativen Verteilungsfunktionen besitzt. Für die Analyse der Daten kann daraus entnommen werden, ob z. B. seltene oder häufige Taxa im Vergleich zur erwarteten Verteilung überproportional häufig sind. Der Lilliefors-Test selbst schätzt den Mittelwert und Standardabweichung aus der Probe und vergleicht die daraus entstandene Normalverteilung mit der geschätzten empirischen Verteilungsfunktion der Probe. Abb. 3: Beispiele für kumulative Abundanzverteilung zweier gepoolter Probensätze. Dargestellt sind einmal die relative Abundanz (prozentualer Anteil) pro Taxa als Balkendiagramme in aufsteigender Reihenfolge (rechte Grafiken) und die empirischen kumulativen Häufigkeitsverteilungen (Treppenfunktion, log-transformierte Abundanzen) überlagert durch die entsprechende Normalverteilung mit Mittelwert und Standardabweichung aus der Verteilung der Probe geschätzt (linke Grafiken). Die x-Achse bezeichnet den dekadischen Logarithmus der Abundanz, die y-Achse bezeichnet die kumulative relative Abundanz. Jede Treppenstufe der Probenkurve entspricht einer Abundanz, die in der Probe ein- oder mehrfach vorkommt. Der vertikale Sprung der Stufen ist dabei der Zuwachs an der Gesamtabundanz der Probe und der horizontale Sprung der Stufen ist der Abstand zur nächst höheren, in der Probe vorkommenden Abundanz. Die Berechnung des Teilindex Abundanzverteilung erfolgt also auf Basis der numerischen Abundanzwerte. Taxa, die rein qualitativ in der Probe aufgeführt sind (z. B. koloniebildende Taxa), bleiben für diesen Bewertungsfaktor unberücksichtigt. Von jedem numerischen Abundanzwert wird der dekadische Logarithmus gebildet und anhand dieser Werte der Lilliefors-Test durchgeführt. Dazu werden der arithmetische Mittelwert sowie die Standardabweichung der log-transformierten Abundanzen errechnet, sowie die Anzahl N der Abundanzwerte. Die Abundanzwerte werden dann numerisch aufsteigend sortiert und Z-Scores von jeder Abundanz berechnet als (Abundanz – Mittelwert)/Standardabweichung). Ist die Standardabweichung Null, wird auch der Z-Score Null. Für jeden der Z-Score-Werte wird der zugehörige Wert der kumulativen Verteilungsfunktion (der Normalverteilung) errechnet. Dies ergibt die Liste der erwarteten Idealwerte. Dann werden die Z-Scores durchnummeriert (Variable i). Der erste Wert in der Liste erhält i = 1 zugewiesen, der zweite i = 2 usw. Dann werden die d-Plus-Werte errechnet als d-Plus = i/N – Z-Score und die Liste der d-Minus-Werte als d-Minus = Z-Score – (i-1)/N Dann wird der höchste numerische Wert aus den zwei Listen zusammen (d-Plus und d-Minus) als der D-Wert ausgewählt. Dieser wird in einem letzten Schritt folgendermaßen transformiert (um einheitliche Schranken zu bekommen): Dieser Z-Score stellt den Wert des Teilindex dar und schwankt zwischen 0 (Referenzzustand) und ( ) (schlechtester Zustand). Die Klassengrenzen lassen sich aus der Statistik selbst ableiten. Tab. 4: Ökologischer Zustand und Abundanzverteilung Z. Ökologischer Zustand Index Abundanzverteilung Z sehr gut 0 ≤ Z ≤ 0,5 gut 0,5 < Z ≤ 0,6 mäßig 0,6 < Z ≤ 0,775 unbefriedigend 0,775 < Z ≤ 0,819 schlecht Ausnahme: Sind weniger als 5 Taxa für die Berechnung vorhanden, kann der Index nicht errechnet werden. Dann wird der Indexwert auf 0 gesetzt (schlechter Zustand). Die Berechnung des Teilindex sensitive Taxa erfolgt auf Basis der Präsenz der Taxa im Vergleich zu einer typspezifischen Referenzartenliste. Die Abundanz = Individuendichte der Taxa spielt keine Rolle. Die Bewertung erfolgt durch Vergleich der Anzahl sensitiver Taxa innerhalb der Probe (N Probe ) mit der Anzahl der sensitiven Taxa der zugehörigen Referenzliste (R). Dabei wird zwischen obligatorisch (R o , N o ) sowie nicht obligatorisch sensitiven Arten (R r , N r ) auf der Referenzliste und der Probe unterschieden. Der Teilindex berechnet sich als: mit N o = Anzahl der obligatorisch sensitiven Taxa der Probe N r = Anzahl der nicht obligatorisch sensitiven Taxa der Probe R o = Anzahl der obligatorisch sensitiven Taxa der typspezifischen Referenzliste R r = Anzahl der nicht obligatorisch sensitiven Taxa der typspezifischen Referenzliste Alle Arten der folgenden Gattungen werden für die Bewertung dieses Teilindex auf die Gattung zusammengeführt, bevor die Berechnung durchgeführt wird: Bathyporeia, Bithynia, Electra, Hydrozoa, Lacuna, Lekanesphaera, Littorina, Molgula, Nephtys, Nudibranchia, Ophelia, Palaemon, Pontoporeia, Praunus, Sacoglossa. Tab. 5: Ökologischer Zustand und Sensitive Taxa Index. Ökologischer Zustand Index Sensitive Taxa I sensi sehr gut 1 ≤ I sensi ≤ (R 0 + 0,5 x R r )/R 0 gut 0,7 ≤ I sensi < 1 mäßig 0,5 ≤ I sensi < 0,7 unbefriedigend 0,25 ≤ I sensi < 0,5 schlecht 09 ≤ I sensi < 0,25 Die Berechnung des Teilindex tolerante Taxa erfolgt auf Basis der Präsenz der Taxa im Vergleich zu einer typspezifischen Referenzartenliste. Die Abundanz = Individuendichte der Taxa spielt keine Rolle. Die Bewertung erfolgt durch Vergleich des Anteils toleranter Taxa an der Probe (n t ) und an der Referenzliste (r t ). In jeder Referenz-Artenliste gibt es eine definierte Anzahl toleranter Taxa (R t ) und damit einen definierten Anteil (r t ) an der Gesamtzahl N Ref der Taxa (r t = R t /N Ref ). Genauso wird die Anzahl der toleranten Taxa in der Probe (N t ) und deren Anteil an der Probe (n t = N t /N Probe ) bestimmt. Der Teilindex berechnet sich als: mit r t = Anteil der toleranten Taxa an der typspezifischen Referenzliste n t = Anteil der toleranten Taxa an der Probe R t = Anzahl toleranten Taxa der typspezifischen Referenzliste N t = Anzahl toleranter Taxa der Probe N Ref = Anzahl Taxa der typspezifischen Referenzliste N Probe = Anzahl Taxa der Probe In jeder Referenz-Artenliste gibt es eine definierte Anzahl toleranter Taxa (R t ) und damit einen definierten Anteil an der Gesamtzahl der Taxa (r t ). Zunächst wird die Anzahl der toleranten Taxa in der Probe (N t ) und deren Anteil an der Probe (n t = N t geteilt durch die Anzahl n der Taxa der Probe) bestimmt. Tab. 6: Ökologischer Zustand und Tolerante Taxa. Ökologischer Zustand Index Tolerante Taxa I tolerant sehr gut 1 ≤ I tolerant ≤ (R t x N Probe )/N Ref gut 0,556 ≤ I tolerant < 1 mäßig 3/(1/r t +2×1,8) ≤ I tolerant < 0,556 unbefriedigend 3/(2/r t +1,8) ≤ I tolerant < 0,5 schlecht r t ≤ I tolerant < 3/(2/r t +1,8) Ausnahmen: Wenn es keine toleranten Taxa in der Probe gibt und die Anzahl der Taxa in der Probe 5 oder weniger beträgt, wird der Indexwert auf 0 gesetzt (schlechter Zustand). Wenn es keine toleranten Taxa in der Probe gibt und die Anzahl der Taxa in der Probe über 5 ist, wird der Indexwert auf 0,3 gesetzt (unbefriedigender Zustand). Der Endwert des MarBIT-Systems wird durch Verrechnung der vier Teilindizes miteinander gebildet. Da die Einzelparameter über unterschiedliche Klassengrenzen und Wertebereiche verfügen, ist vor der Verrechnung eine Transformation (Normierung) auf eine gemeinsame Skala erforderlich. Diese Skala ist die EQR-Skala, welche für jeden der normierten Teilindizes sowie für den MarBIT-EQR gilt: Ökologischer Zustand Intervalle > 0,8 – 1 gut > 0,6 – 0,8 mäßig > 0,4 – 0,6 unbefriedigend > 0,2 – 0,4 schlecht 0 – 0,2 Aus den vier normierten Werten der Teilindizes wird der MarBIT-EQR als arithmetischer Mittelwert und als Median der vier Werte errechnet. Dabei gehen die Teilindizes für die Artenvielfalt (TSI), sowie die sensitiven und toleranten Taxa jeweils mit doppeltem Gewicht in den Mittelwert ein.
Waldbrände 2023 war eine Fläche von 1.240 Hektar von Waldbränden betroffen. Damit hat sich die von Waldbränden betroffene Fläche im Vergleich zum Vorjahr deutlich reduziert, liegt aber weiterhin über dem langjährigen Mittel. Neben finanziellen Schäden sind mit den Waldbränden aber auch ökologische Auswirkungen wie die Freisetzung von Treibhausgasen und Schadstoffen sowie Nährstoffverluste verbunden. Waldbrände in Deutschland Mit deutschlandweit 1.059 Waldbränden ist 2023 die Anzahl der Waldbrände im Vergleich zu 2022 um die Hälfte gesunken. Damit ist das Jahr 2023 mit Blick auf die Zahl der Waldbrände ein durchschnittliches Waldbrandjahr im Vergleich zum mehrjährigen Mittel der Jahre 1993 bis 2022 (1.075 Waldbrände). Anderseits ist das Jahr 2023 bezüglich der betroffenen Waldfläche mit 1.240 Hektar, dies entspricht in etwa 3,6-mal der Fläche des Central Parks in New York, ein deutlich überdurchschnittliches Jahr. Das langjährige Mittel der Jahre 1993 bis 2022 liegt bei 710 Hektar betroffener Waldfläche. Auch die durchschnittliche Waldbrandfläche von 1,2 Hektar je Waldbrand ist in 2023 überdurchschnittlich und stellt den fünfthöchsten Wert seit Beginn der Waldbrandstatistik dar (siehe Abb. „Anzahl Waldbrände und Schadensfläche“). Während der finanzielle Schaden mit 1,19 Mio. Euro im Jahr 2023 einen vergleichsweise durchschnittlichen Schadenswert darstellt , liegt der finanzielle Schaden je ha Waldbrandfläche mit 959 Euro pro Hektar (Euro/ha) weiterhin deutlich unter dem langjährigen Mittel von 2.568 Euro/ha im Zeitraum 1993 bis 2022 (siehe Abb. „Durchschnittliche Schadensfläche und Schadenssumme“). Das Auftreten von Waldbränden ist in Deutschland aufgrund der klimatischen und hydrologischen Gegebenheiten und der vorherrschenden Waldbestockung regional unterschiedlich. Im Ergebnis sind weite Teile Nordostdeutschlands, das östliche Nordwestdeutschland und das Oberrheinische Tiefland häufiger von Waldbränden betroffen als andere Regionen Deutschlands. Im Jahr 2023 gab es die meisten Waldbrände in den Bundesländern Brandenburg, Niedersachsen und Sachsen. Dabei wurden, wie bereits in den Vorjahren, in Brandenburg vor allem aufgrund der sandigen Böden, den vorherrschenden Kiefernwäldern und der Munitionsbelastung auf ehemaligen Truppenübungsplätzen erneut die meisten Brände (251) registriert. Auch die größte Brandfläche im Jahr 2023 mit insgesamt 765,2 Hektar war in Brandenburg zu verzeichnen, dies entspricht mehr als der Hälfte der Waldbrandfläche Deutschlands. Hier ist vor allem das Walbrandgeschehen in der Region Jüterbog mit rund 705 ha Waldbrandfläche hervorzuheben. In dieser Region befindet sich ein munitionsbelasteter ehemaliger Truppenübungsplatz, was die bodengebundenen Löscharbeiten stark beeinträchtigt. Mit gut 192 Hektar Waldbrandfläche folgt Mecklenburg-Vorpommern (siehe Abb. „Anzahl Waldbrände nach Ländern“ und Abb. „Waldbrandfläche nach Ländern“). Risikountersuchungen sagen für die kommenden Jahrzehnte ein steigendes Waldbrandrisiko für Deutschland voraus. Dies liegt im Wesentlichen an erhöhten Temperaturen und rückläufigen Niederschlägen in den Frühjahrs-, Sommer- und Herbstmonaten. Waldbrände und ihre Auswirkungen Waldbrände beeinflussen, wie diverse andere Faktoren auch, die Stabilität und die Vitalität der Waldökosysteme. Das Ausmaß der Beeinflussung hängt unter anderem von der Dauer, der Intensität, dem Umfang und der Art des Waldbrands ab. Sogenannte Erdfeuer oder Schwelbrände im Boden sind aufgrund der häufigen Zerstörung oder Beeinträchtigung von Wurzeln und Samen von hoher Bedeutung für die Vitalität der Waldbestände. Boden- oder Lauffeuer führen häufig zur Verbrennung der bodennahen Vegetation und der Streuauflage. Bäume werden dabei abhängig von der Baumart (Rindenstärke) geschädigt oder verbrennen. Durch diese Feuer wird außerdem der Mineralisierungsprozess der Streuauflage beschleunigt, wodurch es verstärkt zur Auswaschung von Nährstoffen kommt. Die Nährstoffaufnahme ist durch die Reduzierung der Vegetation sowie durch die Zerstörung von Pflanzenwurzeln und nährstoffbindenden Ton-Humus-Komplexen ebenfalls stark beeinträchtigt. Kurz- bis mittelfristig kann hierdurch die Vitalität und die Stabilität der Waldbestände aufgrund von Nährstoffmangel weiter herabgesetzt werden. Kronenfeuer und Vollfeuer entstehen, wenn die Bodenfeuer auf den Kronenbereich überschlagen. Diese haben häufig den Verlust des gesamten Bestandes zur Folge, da hierbei sowohl die Assimilationsorgane (Blätter und Nadeln) wie auch die Knospen der Bäume verbrennen, wodurch eine Regeneration deutlich erschwert ist. Unmittelbar während des Waldbrands kommt es wie bei jedem Verbrennungsprozess zu Emissionen, die auch die menschliche Gesundheit beeinträchtigen können. Hierbei werden vor allem Feinstaub, aber teilweise auch Dioxine und andere Schadstoffe freigesetzt. Daneben werden auch Treibhausgase emittiert. So haben die überdurchschnittlichen Waldbrände in 2022 knapp 0,28 Mio. t CO 2 -Äquivalente an Treibhausgasen freigesetzt. Zusätzlich wird die Senkenfunktion der Waldbestände für Kohlenstoff beeinträchtigt. Auf die Biodiversität können Waldbrände hingegen positiven Einfluss haben, da hierdurch ökologische Nischen entstehen, die von besonders angepassten Arten genutzt werden. Ursachen für Waldbrände Bei der Mehrzahl der Waldbrände, rund 51 %, konnte 2023 keine Ursache ermittelt werden. In Fällen, in denen eine Ursache bestimmt werden kann, sind im Wesentlichen zwei Faktorenkomplexe von besonderer Bedeutung für das Waldbrandgeschehen: Zum einen das menschliche Handeln (Brandstiftung und Fahrlässigkeit) und zum anderen das Klima - bzw. Witterungsgeschehen. Als Hauptursache für das Waldbrandgeschehen kann gemäß den Daten der Waldbrandstatistik menschliches Handeln identifiziert werden (sofern eine Ursache ermittelbar ist). Klima und Witterung hingegen beeinflussen zusammen mit den lokalen Gegebenheiten (wie dem Vorhandensein von brennbarem Material) die Disposition einer Waldfläche für die Entzündung und in Folge das weitere Brandgeschehen (Feuerausbreitung). Fahrlässigkeit und Vorsatz (das heißt Brandstiftung) waren im Jahr 2023 für rund 40 % der Waldbrände ursächlich. Bei den 259 im Jahr 2023 durch Fahrlässigkeit verursachten Bränden waren zu rund 54 % das unvorsichtige Verhalten von Waldbesuchern, Campern oder Kindern die Auslöser. In 27 % der Fälle von Fahrlässigkeit sind wirtschaftliche Aktivitäten (Landwirtschaft, Holzernte etc.) ursächlich. Natürliche Ursachen, wie zum Beispiel Blitzschlag, waren hingegen für nur 2,5 % der Waldbrände der Auslöser (siehe Abb. „Waldbrandursachen 2023“). Das Auftreten und die Ausbreitung von Waldbränden sind maßgeblich von der Witterung abhängig. Selbst im Winter kann es bei fehlender Schneedecke zu Waldbränden kommen. Ein jahreszeitlicher Schwerpunkt der Waldbrandgefährdung lag bisher zumeist im Spätfrühjahr und im Frühsommer. So zeigt auch das Jahr 2023 einen Schwerpunkt zwischen Mai und Juli, hier konnten knapp 80 % aller Waldbrände registriert werden. Insgesamt ist in den letzten Jahren zu erkennen, dass sich die sogenannte Waldbrandsaison in den Spätsommer und Herbst hinein verlängert, wie der Vergleich der Mittelwerte der Jahre 2010-2015 und 2015-2023 zeigt (siehe Abb. „Waldbrände in einzelnen Monaten“). Neben der Witterung ist auch der Waldbestand von Bedeutung. Besonders jüngere und lichte Nadelwälder mit dichtem Unterwuchs und üppiger Bodenvegetation sind stark waldbrandgefährdet. Zudem spielen die Holzeigenschaften, wie beispielsweise das Vorhandensein von Harzen oder ätherischen Ölen, eine gewisse Rolle bei der Gefährdung. Dies zeigt sich auch in der Betrachtung der Waldbrände der Jahre 2014 bis 2023. Hier waren Nadelholzbestände (rechnerisch rund 54 % der Waldfläche), mit Ausnahme der Jahre 2017 und 2023, deutlich häufiger und überproportional zum Anteil an der Waldfläche von Waldbränden betroffen als von Laubholzarten dominierte Waldbestände (siehe Abb. „Waldbrandfläche nach Bestandsart“). Für das Jahr 2023 weist die Waldbrandstatistik des Landes Brandenburg eine von Waldbränden betroffene Fläche von rund 703 ha als (Nadelbaum-dominierten) Mischwald aus. Im Gegensatz hierzu erfasst die bundesweite Waldbrandstatistik diese Fläche als mit Laubholz bestockte Fläche aus. Der Umbau von Nadelbaummonokulturen in mehrschichtige Mischwälder mit hohem Laubholzanteil ist somit weiterhin auch ein wesentlicher Ansatz zum vorbeugenden Schutz vor Waldbränden.
Rote Listen Sachsen-Anhalt Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt 39 (2004) Rote Liste der Schwarzkäfer (Coleoptera: Tenebrionidae) des Landes Sachsen-Anhalt Bearbeitet von Sebastian SCHORNACK und Ringo DIETZE unter Mitarbeit von Wolfgang BÄSE, Holger BREITBARTH, Klaus GRASER, Wolfgang GRUSCHWITZ, Manfred JUNG , Torsten P IETSCH , Andreas RÖß LER , Andreas SCHÖNE , Peter STROBL, Günther SCHUMANN, Gerhard und Richard WAHN sowie Thomas WOLSCH (1. Fassung, Stand: Februar 2004) Einführung Die allgemeine Bekanntheit der Schwarzkäfer au- ßerhalb der Spezialistenkreise beruht besonders auf der Tatsache, dass einige Vertreter gefürch- tete Vorratschädlinge sind (Tenebrio molitor, Tri- bolium-Arten). Obwohl meist düster gefärbt, sind nicht alle Schwarzkäfer schwarz, vielmehr enthält die Gruppe eine Vielzahl Arten uneinheitlicher Form und Färbung. Es scheint, als ob in dieser Käferfamilie einige Doppelgänger anderer nicht verwandter Käfergruppen versammelt sind. Typische Bestimmungs-Merkmale sind die durch die vorgezogenen Wangen nierenförmigen Augen, das bei einigen Arten vorhandene Mukro (eine zipfelförmige Verlängerung der Flügeldecken an der Naht, z.B. Blaps lethifera, Stenomax aeneus) und die Tarsenformel 5-5-4. Die Fühler sind rela- tiv dick und perlschnurartig. Zahlreiche Arten sind durch Verwachsung der Elytren flugunfähig. Schwarzkäfer sind meist ausgesprochene Spezi- alisten. Es werden zahlreiche ökologische Nischen besiedelt. Die Käfer leben im Holz (Corticeus fas- ciatus), Pilzen (Eledona agricola, Diaperis boleti, Bolitophagus reticulatus, Platydema violaceum), sind Bewohner von Grassteppen (Asida sabulo- sa, Melanimon tibiale, Opatrum sabulosum), salz- beeinflussten Dünen (Phaleria cadaverina, Phy- lan gibbus), leben in faulenden Pflanzenstoffen (Alphitophagus bifasciatus, Pentaphyllus tes- taceus) und in trockenen, stärkereichen Substra- ten (meist synanthrop, Lagerschädlinge, s.u.). Ei- nige Arten sind aufgrund ihrer engen Habitatbin- dung selten bzw. nur sehr selten nachweisbar (Te- nebrio opacus, Platydema dejeanii, Corticeus sp.). Larven und Imagines sind meist Allesfresser, ei- nige Arten leben räuberisch, andere sind phyto- detritophag oder mycetophag. Zu den Vorrats- schädlingen zählen sowohl heimische Vertreter als auch Tiere anderer Faunenkreise, die mit dem Handel eingeschleppt worden sind (Tribolium de- structor, Latheticus oryzae, Gnatocerus cornutus). In ihrer natürlichen Umgebung sind die Tiere sel- ten und hier meist unter trockener Borke im Holz- mehl zu finden (z.B. Tribolium castaneum, T. con- fusum). Da sie aufgrund ihrer Lebensweise bei Bedrohung der natürlichen Lebensräume die Rückzugsmöglichkeit der Vorratslager haben, kann eine landesweite Gefährdung nicht einge- schätzt werden. Folgende Arten werden deshalb nicht berücksichtigt: Tribolium madens, T. casta- neum, T. destructor, T. confusum, Gnatocerus cornutus, Latheticus oryzae, Tenebrio molitor. Die Familie Tenebrionidae ist die fünftgrößte Kä- ferfamilie weltweit. Der Schwerpunkt ihrer Verbrei- tung liegt in trockeneren, wärmeren Gebieten. Für Deutschland sind rezent 67 Arten registriert (KÖH- LER & KLAUSNITZER 1998). Die beiden Arten Myr- mechixenus vaporariorum GUÉRIN-MÉNEV. und M. subterraneus CHEVR. sind erst kürzlich aus der Familie Colydiidae (Rindenkäfer) vorläufig in die Familie Tenebrionidae eingegliedert worden (SCHA- WALLER 1998). Die Alleculidae (Blütenmulmkäfer) und Lagriidae (Wollhaarkäfer), die taxonomisch den Schwarzkäfern zugehörig sind (LAWRENCE & NEWTON 1995), werden hier nicht berücksichtigt, da sie in den aktuellen Standardwerken auch se- parat behandelt werden. Datengrundlagen Aus Sachsen-Anhalt sind durch historische Da- ten (besonders RAPP 1934, HORION 1956, BORCHERT 1951) 44 Arten belegt, wobei sowohl HORION als auch BORCHERT teilweise auf die Daten von RAPP verweisen. Schwarzkäfer wurden zwar oft als Bei- oder Zu- fallsfänge gesammelt, jedoch liegen im Vergleich zu anderen gut bearbeiteten Artengruppen (Lauf- käfer, Bockkäfer) vergleichsweise weniger gesi- cherte rezente Datensätze vor. In Museen mögen zusätzliche Funde einer Indentitätsprüfung har- ren. Bisher wurden nur die Daten aus dem Muse- um für Naturkunde und Vorgeschichte Dessau (MNVD) berücksichtigt. Erst in neuerer Zeit werden Tenebrionidae auch bei faunistisch-ökologischen Gutachten erfasst (z.B. BUSSLER & SCHMIDL 1997, SPRICK 2000, DIET- ZE & SCHORNACK 2002). Eine Internet-Recherche auf den Seiten des 2. Nachtrags zum Käferver- zeichnis (www.koleopterologie.de/verzeichnis-der- kaefer-deutschlands) erbrachte keine zusätzlichen Neu- oder Wiederfunde für das Land Sachsen- Anhalt. Die Mehrzahl der Datensätze stammt aus den Sammlungen der Mitarbeiter. Nomenklatorisch wurde KÖHLER & KLAUSNITZER (1998) gefolgt. !! Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) Gefährdungskategorie R 1 2 - 2 3 0 5 12,8 - 5,1 7,7 3 7Rote Liste 17 17,943,5 G -Kategorien D V 3 2Sonstige Gesamt 5 -7,712,8 5,1 Bemerkungen zu ausgewählten Arten; Gefährdungsursachen und erforderliche Schutzmaßnahmen Von den historisch erfassten 44 Schwarzkäferar- ten sind 39 rezent nachgewiesen. 12 Spezies werden in der Roten Liste als Vom Aussterben bedroht bzw. Stark gefährdet und Gefährdet eingestuft. Fünf Arten gelten als Ausgestorben oder verschollen, da keine Belege nach 1951 existieren. Zwei Arten sind auf der Vorwarnliste vermerkt. Für weitere drei Arten ist mangels si- cherer Belege eine Gefährdung bisher nicht ein- schätzbar. Die Hauptgefährdung für Schwarzkäfer ist die Be- einflussung oder das Verschwinden ihrer Habitate. Arten der sandigen, trockenen Habitate (z.B. Blaps lethifera, Pedinus femoralis) sind durch Nährstoff- eintrag (Eutrophierung) in ihren Vorkommen be- droht. Außerdem besteht in vielen Fällen die Not- wendigkeit der Sukzessionsverhinderung (z.B. Binnendünen im Gebiet der Mittelelbe). Holzpilz- (z.B. Bolitophagus reticulatus, Platyde- ma violaceum, Platydema dejeanii) und Holzbe- wohner (z.B. Corticeus fasciatus, Tenebrio opa- cus, Neatus picipes) sind Besiedler von intakten Tab. 1: Übersicht zum Gefähr- dungsgrad der Schwarzkäfer Sachsen-Anhalts. Gesamt 39 Tab. 2: Übersicht zur Einstufung in die sonstigen Kategorien der Roten Liste. Gesamt 39 Totholzhabitaten, deren Struktur und Qualität durch Holzeinschlag, Beräumung der Wälder, Nadelholz-Forstungen negativ beeinflusst werden (detaillierte Angaben hierzu in LANDESAMT FÜR UM- WELTSCHUTZ SACHSEN-ANHALT 2003). Im Einzelnen bedeutet der Wegfall spezifischer Nischen (z.B. Tenebrio opacus: alte Eichen mit größeren Mulmhöhlen) einen Verlust der Nah- rungsgrundlage. Als Schutzmaßnahme gilt des- halb besonders der Erhalt dieser Habitate. Zusätz- lich ist eine genauere, flächendeckende Erfassung der Schwarzkäfer, z.B. im Rahmen von Gutach- ten, besonders in Waldgebieten und auf Trocken- rasen notwendig, um eine Abschätzung der Ge- fährdungstendenzen möglich zu machen. Deshalb soll die vorliegende Klassifizierung als Anreiz an- gesehen werden, weitere Daten einzubringen und kritisch zu diskutieren. Danksagung Diese Erstfassung der Roten Liste der Schwarz- käfer Sachsen-Anhalts entstand mit der Unterstüt- zung zahlreicher Kollegen. Besonderer Dank gilt den Mitarbeitern des Museums für Naturkunde und Vorgeschichte Dessau für die Bereitstellung der Sammlungsdaten. Art (wiss.)Kat.Bem. Blaps lethifera MARSHAM, 1802 Blaps mucronata LATREILLE, 1804 Bolitophagus reticulatus (LINNAEUS, 1767) Corticeus bicoloroides (ROUBAL, 1933) Corticeus fasciatus FABRICIUS, 1790 Corticeus fraxini KUGLER, 1794 Corticeus linearis FABRICIUS, 1790 Corticeus longulus GYLLENHAL, 1827 Corticeus pini PANZER, 1799 Nalassus dermestoides (ILLIGER, 1798) Nalassus laevioctostriatus (GOEZE, 1777) Neatus picipes (HERBST, 1797) Opatrum riparium SCRIBA, 1865 Palorus depressus (FABRICIUS, 1790) Palorus ratzeburgii (WISSMANN, 1848) Pedinus femoralis (LINNAEUS, 1767) Platydema dejeanii CASTELNEAU et BRULLE, 1831 Platydema violaceum (FABRICIUS, 1790) Stenomax aeneus (SCOPOLI, 1763) Tenebrio opacus DUFTSCHMID, 1812V 0 V D 2 0 3 2 0 D 0 2 3 3 D 3 1 3 3 1p S, 1951 01) HP 1999 02) H H, 1951 01) H H H, 1951 01) H 03) H, A, 1936 H Sf H H p HP, 1997 04) HP H H !! Art (wiss.)Kat. Uloma culinaris (LINNAEUS, 1758) Uloma rufa (PILLER & MITTERPACHER, 1783)3 0 Bem. H H, 1947 03) Nomenklatur nach KÖHLER & KLAUSNITZER (1998). Abkürzungen und Erläuterungen; letzter Nachweis/ Quelle (Spalte Bem.)A- Arealgrenze MNVD -Museum für Naturkunde und Vorgeschichte Dessau 01) - BORCHERT (1951) 02) - Coll. BÜCHE 03) - Coll. BORRMANN, MNVD 04) - GEIS & TRÖGER (1997) Literaturrichtlinie im Land Sachsen-Anhalt.- Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt, 39 (Sonderheft), 368 S. KÖHLER, F. & B. KLAUSNITZER (Hrsg.)(1998): Verzeichnis der Kä- fer Deutschlands.- Entomol. Nachr. Ber., Beiheft 4: 1-185. LAWRENCE, J.F. & A.F. NEWTON JR. (1995): Families and subfa- milies of Coleoptera (with selected genera, notes, refe- rences and data on family-group names).- In: PAKALUK, J. & S.A. SLIPINSKY (eds.)(1995): Biology, Phylogeny and Clas- sification of Coleoptera.- Papers celebrating the 80th Birth- day of ROY A. CROWSON. Muzeum i Instytut Zoologii PAN, Warszawa. RAPP, O. (1934): Die Käfer Thüringens unter besonderer Be- rücksichtigung der faunistisch-ökologischen Geographie. Band II.- Erfurt, im Selbstverlag. SCHAWALLER (1998): 83. Familie: Tenebrionidae.- In: LUCHT, W. & B. KLAUSNITZER (1998): Die Käfer Mitteleuropas, Band 15, 4. Supplementband. SPRICK, P. (2000): Bemerkenswerte Käferfunde in Sachsen- Anhalt entlang eines Transektes zwischen Oebisfelde und Schönhauser Damm (1992-1999). Teil 1: Diverse Käfer (Coleoptera).- Mitt. ArbGem. Ostwestf.-lipp. Ent. (Bielefeld), 16 (Beiheft 7): 1-42. Anschriften der Autoren und MitarbeiterTorsten Pietsch Türkstr. 12 D-06110 Halle (Saale) p- Sf - HP - H- psammophile Art Art der sandiger Ufer xylomycetobionte Art xylobionte Art BORCHERT, W. (1951): Die Käferwelt des Magdeburger Rau- mes.- In: Magdeburger Forschungen, Bd. II. - Magdeburg: Mitteldt. Druckerei & Verlagsanstalt GmbH. BUSSLER, H. & J. SCHMIDL (1997): Die xylobionte Käferfauna im Bereich des NSG Jederitzer Holz in Sachsen-Anhalt.- unveröff. Gutachten im Auftrag des Instituts für angewandte Ökologie Waldkraiburg: 1-17. DIETZE, R. & S. SCHORNACK (2002): Holzbewohnende Käfer (Coleoptera xylobionta) und Laufkäfer (Carabidae).- In: RANA B ÜRO FÜR UMWELT UND NATURSCHUTZ FRANK MEYER (2002): Schutzwürdigkeitsgutachten und Pflege- und Ent- wicklungskonzept für das geplante LSG Kleinzerbster Busch im Landkreis Köthen.- unveröff. Gutachten. GEIS, K.-U. & M. TRÖGER (1997): Platydema dejeani CAST. (Col., Tenebrionidae) an der Mittelelbe.- Ent. Nachr. Ber. (Dres- den), 41: 182. HORION, A. (1956): Faunistik der mitteleuropäischen Käfer. Bd.V: Heteromera.- Tutzing. LANDESAMT FÜR UMWELTSCHUTZ SACHSEN-ANHALT (2003): Die Le- bensraumtypen nach Anhang I der Fauna-Flora-Habitat- Sebastian Schornack Hafenstr. 41 D-06108 Halle (Saale) E-Mail: schornack@genetik.uni-halle.de Ringo Dietze Stroischen 1 D-06115 Käbschütztal E-Mail: dapsa@gmx.net Wolfgang Bäse Belziger Str. 1 D-06896 Reinsdorf E-Mail: Wbaese@t-online.de Holger Breitbarth Klinkebachstr. 23 D-39116 Magdeburg E-Mail: h.breitbarth@cerambycidae.de Klaus Graser Wedringer Str. 17 D-39124 Magdeburg Wolfgang Gruschwitz Sodastr. 7 D-39418 Staßfurt E-Mail: halophila@gmx.de Manfred Jung Hauptstr. 26a D-38822 Athenstedt Andreas Rößler Am Hilligbornfeld 24 06369 Großpaschleben E-Mail: edv.lkv.koethen@web.de Andreas Schöne Krosigkstr. 3a D-06846 Dessau Peter Strobl Schulstr. 34 D-39576 Stendal Prof. Dr. Günter Schumann Teufelsmauerstr. 24A D-06502 Weddersleben E-Mail: g.schumann@bafz.de Gerhard & Richard Wahn Mühlenstr. 52 D-06366 Köthen Thomas Wolsch Schmeerstr. 21 D-06108 Halle (Saale) E-Mail: t.wolsch@mikrobiologie.uni-halle.de E-Mail:manfred.jung.col@gmx.de !!!
Rote Listen Sachsen-Anhalt Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt 39 (2004) Rote Liste der Weichtiere (Mollusca) des Landes Sachsen-Anhalt Bearbeitet von Gerhard KÖRNIG unter Mitarbeit von Friedemann GOHR, Katrin HARTENAU- ER, Mathias HOHMANN, Martina JÄHRLING, Wolfgang KLEIN- STEUBER, Thomas J. LANGNER, Burkhard LEHMANN, Lutz TAP- PENBECK und Michael UNRUH (2. Fassung, Stand: Februar 2004) Einführung Mollusken sind durch ihre geringe Mobilität eng an ihren Lebensraum sowohl im Wasser als auch auf dem Lande gebunden. Sie besiedeln nur sol- che ökologischen Nischen, die ihren Ansprüchen in artspezifischer Schwankungsbreite entspre- chen. Optimale Bedingungen lassen sich in der Regel durch hohe Individuendichte erkennen. Auf Änderung der ökologischen Parameter reagieren Mollusken weniger durch Ausweichen als mehr durch Verringerung ihrer Fertilität, die dann im Rückgang der Dichte bis zum Erlöschen sichtbar wird. Entsprechend ihrer Toleranzbereiche ändert sich so die Diversität der Artengemeinschaft. Des- halb eignen sich stenöke Arten, aber vor allem auch Artenkombinationen als relativ verlässliche Bioindikatoren. In diesem Indikatoreffekt spiegeln sich weniger einzelne Umweltbedingungen als mehr ein komplexes Faktorengefüge wider. So lässt sich durchaus von einer Molluskengemein- schaft auf die Qualität eines Biotopes schließen. Zur Bestimmung des Saprobienindexes von Fließ- gewässern werden u.a. einzelne Molluskenarten herangezogen. Bestimmend für Landschneckengemeinschaften sind die Bodenstruktur einschließlich des Kalkge- haltes und des pH-Wertes, der Grad der Boden- durchfeuchtung und die durchschnittliche Jahres- temperatur. Mit diesen Faktoren korrespondiert die Vegetation des Standortes, die dann wiederum den Landschnecken als Lebensraum und Nah- rungsquelle zur Verfügung steht. Für Wassermol- lusken ist vor allem der Sauerstoffgehalt des Was- sers von entscheidender Bedeutung. Das trifft besonders für kiemenatmende Tiere zu. Der Sau- erstoffgehalt hängt wiederum ab von der Wasser- bewegung, der Temperatur sowie vom Eutrophie- grad des Wasserkörpers. Letzterer wird stark be- einflusst durch Einträge gelöster Salze und ab- baubarer organischer Substanzen. Die Lungen- atmer unter den Wasserschnecken halten sich häufig an Wasserpflanzen auf, deren Algenbe- wuchs abgeweidet wird. Die Wasserqualität wirkt auch über den Mikrophytenbesatz auf Wasser- schnecken ein, der vielfach deren Nahrungs- grundlage bildet. Gleichermaßen ist die Boden- struktur des Gewässers von Einfluss auf den Ar- tenbesatz wie auch die submerse und ufernahe Vegetation. Die Großmuscheln bedürfen bestimm- ter Fischarten, in deren Kiemen sich die Muschel- larven eine Zeit lang aufhalten müssen. Der Ge- fahr des zeitweiligen Austrocknens der Gewäs- ser sind die meisten Mollusken angepasst. Die Zusammensetzung definierter Molluskenge- meinschaften ist das Ergebnis eines holozänen Sukzessionsprozesses, der sich aufgrund von Schalenresten auch in historischen Dimensionen rekonstruieren lässt (MANIA 1973, 1999). Entspre- chend der Landschaftsgliederung und der geolo- gischen Bedingungen ist die Molluskenfauna in Sachsen-Anhalt regional differenziert. In der Tri- aslandschaft im Süden des Landes finden sich Artengemeinschaften lichter, thermophiler Wälder neben solchen submediterraner und subkontinen- taler Trockenrasen. Im Harz konzentrieren sich Waldarten verschiedener zoogeografischer Her- kunft und finden sowohl Vorposten als auch Re- liktstandorte. In Flussauen und auf anderen Tal- böden der Ebene siedelt eine Auenwald- und Wie- senfauna neben artenreichen Molluskengesell- schaften der Fließe und Altwässer. Die Lebens- räume auf den glazialen Sandböden der Altmark sind relativ arm an Landschnecken. Ackerbau und Weidewirtschaft, Obst- und Wein- anbau, vor allem Holzentnahme zu Bergbauzwe- cken führten schon frühzeitig zu einer weitgehen- den Entwaldung der natürlichen Landschaften. Entwässerung nasser Böden (z.B. Drömling) und Flussbegradigungen veränderten irreversibel das Wasserregime des Landes. Die Molluskenfauna passte sich den Veränderungen an. Neben Arten- schwund ist auch ein Einwandern solcher Arten zu verzeichnen, die in Kultursteppen, segetalen und urbanen Lebensräumen ihre ökologischen Nischen finden. Publikationen und z.T. Sammlungen vermitteln Aussagen über den Wandel der Molluskenfauna des Landes im Laufe des letzten Jahrhunderts. Während vor allem durch GOLDFUSS (1900, 1906) und REGIUS (1930, 1950, 1964, 1966) Angaben für den südlichen Teil des Landes bis zum Harz und den Magdeburger Raum vorliegen, haben wir kei- ne Kenntnisse über die Weichtiere der Altmark, des Flämings und des nördlichen Elbtals durch die Literatur. Erstmals konnte 1999 eine Gesamt- artenliste der Mollusken in Sachsen-Anhalt mit dem Titel Bestandsentwicklung der Weichtiere (Mollusca) veröffentlicht werden (KÖRNIG 1999a). Der aktuelle Artenbestand im Jahr 2003 beträgt einschließlich der verschollenen Taxa 194 Arten. Diese Zahl ist jedoch keine feste Größe. Durch ## Neubeschreibungen bekannter Arten seitens der Fachwissenschaft kommt es zu taxonomischen Aussonderungen neuer Spezies. Neben Einwan- derungen benachbarter Arten sind häufiger Ein- schleppungen fremder Faunenelemente vor allem in urbane, segetale und ruderale Habitate sowie in Binnengewässer mit teilweise expansiver Ver- breitung zu beobachten (Monacha cartusiana). Da diese Arten sich in die Molluskengemeinschaften integrieren, kommt es zu einem permanenten Fau- nenwandel. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts ver- zeichnen wir eine Zunahme von 5 Wasser- und 7 Landmolluskenarten. Verschollen sind dagegen drei Wasserschneckenarten und eine Großmu- schelart. Zieht man die Fundortangaben der Lite- ratur heran, so hat sich die Landschneckenfauna seit 1900 insgesamt nur durch Neozoen verän- dert. Einige Fundorte sind zwar erloschen, dafür wurden aber unvergleichlich mehr neue entdeckt. Im Gegensatz zur Landfauna erlebten die Was- sermollusken beginnend in den 30iger Jahren, verstärkt aber nach 1950 einen gravierenden Ein- bruch vor allem in den industrie- und landwirt- schaftsintensiven Landesteilen. Ursache war die extreme Wasserbelastung durch kommunale und Industrieabwässer sowie Nährsalz- und Pestizid- eintrag durch die Landwirtschaft. Der Zusammen- bruch vieler Molluskenzönosen führte zum Arten- schwund in fast allen Fließ- und Standgewässern und zum Erlöschen zahlreicher Standorte besonders rarer Arten. Mit der landesweiten Ver- besserung der Wasserqualität erholt sich die Was- serfauna zusehends. Es ist eine höhere Fertilität auch bei relativ stenöken Arten zu beobachten neben einer Wiederausbreitung aus erhalten ge- bliebenen Refugien. Als Beispiel kann Theodo- xus fluviatilis dienen. Als ausgestorben müssen vier Wassermolluskenarten gelten, von denen al- lein Pseudaodonta complanata durch die Wasser- qualität erloschen ist. Anisus vorticulus wurde 1900 zum letzten Mal von einem Fundort erwähnt (GOLD- FUSS). Hydrobia ventrosa ist eine Brackwasser- schnecke, die zuletzt in einem Solgraben unter spe- zifische Bedingungen lebte. Das Fehlen von Radix ampla muss möglicherweise der Veränderung der Wasserräume zugeschrieben werden. Datengrundlagen Die wichtigste Grundlage der Aussagen sind ak- tuelle Sammelergebnisse. Daneben wurden Publi- kationen verwandt, die sowohl grundsätzliche als auch spezielle Aussagen machen, so u.a. CLAUSS (1979), DREYER (1996), G LÖER & M EIER-BROOK (1998), GOLDFUSS (1900, 1906), JUNGBLUTH (2002), JUNGBLUTH & KNORRE (1995), KERNEY et al. (1983), KÖRNIG (1992, 1997, 1999a, b, 2002), KÖRNIG et al. (1998), MANIA (1973, 1999), REGIUS (1930, 1950, 1964, 1966) und UNRUH (2001). Bemerkungen zu ausgewählten Arten Clausilia cruciata (Scharfgerippte Schließmund- schnecke): C. cruciata ist eine montane Waldart, #$ die im Bodenstreu und an Baumstämmen lebt. Sie besitzt in Europa zwei Verbreitungsschwerpunkte im alpischen Raum und in Mittelskandinavien. Das ursprünglich einheitliche Areal wurde durch die holozäne Klimaentwicklung getrennt, so dass die mitteleuropäischen Standorte als reliktär angese- hen werden können. Die einzigen Fundorte in Sach- sen-Anhalt sind seit GOLDFUSS bekannt. Es sind schluchtartige Bergwaldhabitate im Harz, in denen die Art ihre nördliche Grenze des alpischen Areals erreicht. Ihr Vorkommen ist nur bei Erhalt der Wald- biotope gesichert. Eine Gefährdung wäre bei zu- nehmender Bodenversauerung zu befürchten. Perforatella bidentata (Zweizähnige Laubschne- cke): Osteuropäisch verbreitet ist die Spezies eine Charakterart eutropher Erlenbrüche und umge- bender Hochstaudenfluren. Man findet sie in nas- ser Bodenstreu zwischen Bulten und Stauden. In Sachsen-Anhalt wird der westliche Arealgrenzbe- reich erreicht. Mit der Trockenlegung der Sumpf- wälder schrumpfte das ehemals geschlossene Verbreitungsgebiet. Heute finden wir zerstreute Vorkommen in allen Landesteilen (Altmark, Flä- ming, Harz, Raum der mittleren Saale und der mittleren Weißen Elster). Die Gefährdung er- wächst vorrangig durch Austrocknung der Lebens- räume. Sphaerium rivicola (Fluss-Kugelmuschel): Ehemals war die Art im schlammigen Sand größeren Fließ- gewässern regelmäßig zu finden. Heute ist ihre Verbreitung europaweit rückläufig. In Sachsen- Anhalt ist ihr einstiges verbreitetes Vorkommen auf wenige Gewässer beschränkt (Havel; Ehle, Biese, Ohre, Elbe, Saale). Sie hat im Lande mögli- cherweise die Depression in Refugialbereichen überstanden und scheint sich zumindest in der Saale wieder auszubreiten. Diese Tatsache veran- lasst eine Herabstufung aus der Gefährdungska- tegorie 1 auf 3. Theodoxus fluviatilis (Kahnschnecke): Sie lebt auf Steinen oder Holz in Fließgewässern und in Zo- nen bewegten Wassers größerer Seen und war in allen Flüssen Mitteleuropas verbreitet. Seit Mitte des letzten Jahrhunderts erlebte die Art einen star- ken Rückgang, so dass die Vorkommen auf vie- len Standorten erloschen sind. Nach GLOËR (2002) ist ihr Absterben auf Mangel an Nahrung infolge schlechter Wasserqualität zurückzuführen. Die im Süßen See lebende Population ist durch eine Schwermetallvergiftung erloschen. Im Raum Sach- sen-Anhalts hat sich ein Refugialraum im Helme- Unstrutgebiet erhalten, von dem aus eine vitale Expansion ausgeht, die sich bis zur unteren Saale erstreckt. Eine weitere Population reicht von der Havel bis in den Elbe-Havel-Kanal (DREYER, 1996). Aus der Kenntnis der Wiederausbreitung kann die Art in die Kat. 3 herabgestuft werden. Vallonia enniensis (Feingerippte Grasschnecke): Als Charakterart von Kalkflachmooren und Nass- wiesen lebt sie dort am Boden zwischen Moos und Landschnecken Wasserschnecken Muscheln Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) Landschnecken Wasserschnecken Muscheln Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) 0 - 3 1 4 2,1 Gefährdungskategorie R 1 2 3 6 11 - 6 1 - 5 1 3 17 13 1,5 8,8 6,7 3 13 2 3 18Rote Liste 33 12 10 55 9,228,3 G 2 - - 2Kategorien D V 2 1 1 1 1 - 4 2Sonstige Gesamt 5 2 1 8 1,02,14,1 1,0 Pflanzenresten. V. enniensis ist südeuropäisch verbreitet und erreicht Mitteleuropa in zerstreu- ten Einzelposten. Mit den umfangreichen Entwäs- serungsmaßnahmen erloschen in Deutschland die meisten Fundorte, so dass sie vom Aussterben bedroht ist. In jüngster Zeit entdeckte Vorkommen in den Kreisen Merseburg und Weißenfels kön- nen die unmittelbare Gefahr des Aussterbens in Sachsen-Anhalt ausschließen. Die entsprechen- den Habitate sind oder werden unter Schutz ge- stellt. Deshalb ist eine Rückstufung der Kat. von 1 auf 2 gerechtfertigt. Zebrina detrita (Weiße Turmschnecke): Die Art ist in Südosteuropa verbreitet und erreicht in Sach- sen-Anhalt die absolute nördliche Arealgrenze. Sie besiedelt sonnenexponierte, skelettreiche Böden mit lockerer Pflanzendecke. Ihr Vorkommen im Lande erstreckt sich auf die wärmebegünstigten Talhänge des Saale-Unstrut-Gebietes und des Süßen Sees und reicht bis zu Felshabitaten des Saaledurchbruches bei Rothenburg. Gefährdung erwächst aus der zunehmenden Verbuschung ih- rer Lebensräume. Gefährdungsursachen und erforderliche Schutzmaßnahmen Da der Bestand aller Molluskenarten allein durch den Erhalt ihrer Lebensräume gesichert werden kann, müssen sich allgemeine Schutzmaßnahmen vorrangig auf den Erhalt der Habitate richten. Für die Molluskenfauna wäre zu fordern: - Erhaltung naturnaher Waldbiotope, wobei sich ein Waldumbau in Richtung standortgemäße Vegetation orientieren muss. Gesamt 124 45 25 194 Gesamt 124 45 25 194 Tab. 1: Übersicht zum Gefähr- dungsgrad der Weichtiere Sachsen-Anhalts. Tab. 2: Übersicht zur Einstu- fung in die sonstigen Kategori- en der Roten Liste. - Unterbindung von Entwässerungsmaßnahmen im Einflussbereich von Schutzgebieten. Damit ist eine Degeneration von Nasswiesen und Er- lenbrüchen zu verhindern. Im Gegenzug sollte in sensiblen Bereichen eine Wiederbewässe- rung veranlasst werden. - Durchführung von Mahd und Schafhutung, um eine Verbuschung von Wiesen und Trockenra- sen zu vermeiden. - Vernetzung von Schutzgebieten, um den Gen- austausch zwischen isolierten Populationen zu ermöglichen (Biotopverbund). - Konsequente Fortführung der Abwasserreini- gung besonders in ländlichen Gebieten. - Vermeiden von Düngerzufuhr in Gewässernähe. - Rückbau von Kanalisationen von kleinen Fließ- gewässern, Einrichten naturnaher Uferzonen. - Arterhaltung sollte mit aktiven Wiederausbrei- tungsmaßnahmen gekoppelt werden. Spezielle Schutzmaßnahmen gelten einzelnen Arten und ihren Habitaten: - NSG Saarenbruch bei Klieken: vorsichtige, etap- penweise Entkrautung; Kat. 1 für Marstoniopsis scholtzi, Pisidium pseudosphaerium u.a., - NSG Jeggauer Moor: vorsichtige Entkrautung; Kat. 1 für Myxas glutinosa u.a., - Fließe der Kleinen Helme: Vermeiden von Dün- gereinträgen; Kat. 1 für Unio crassus u.a. Danksagung Herrn Dr. Hartmut BAADE (Altenburg) gebührt Dank für seine Fundortangaben zu Limax flavus in Sach- sen-Anhalt. Art (wiss.)Art (deutsch)Kat.Bem. Gastropoda terrestrica Aegopinella epipedostoma (FAGOT,1879) Aegopinella nitens (MICHAUD, 1831) Azeka goodalli (FERUSSAC, 1821) Balea perversa (LINNAEUS, 1758) Bulgarica cana (HELD, 1836)Landschnecken Verkannte Glanzschnecke Weitmündige Glanzschnecke Bezahnte Achatschnecke Zahnlose Schließmundschnecke Graue SchließmundschneckeD D 3 3 1A A #%
Rote Listen Sachsen-Anhalt Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt 39 (2004) Rote Liste der Eintags- und Steinflie- gen (Ephemeroptera, Plecoptera) des Landes Sachsen-Anhalt Bearbeitet von Dirk BÖHME unter Mitarbeit von Friedemann GOHR, Matthias HOHMANN, Martina JÄHRLING, Wolfgang KLEINSTEUBER und Lutz TAPPENBECK (2. Fassung, Stand: Februar 2004) Einführung Eintags- und Steinfliegen verbringen als merolim- nische Insekten den überwiegenden Teil ihres Lebens, nämlich das Ei- und Larvenstadium, in Gewässern. Ihr imaginales Dasein ist zeitlich kurz und beschränkt sich auf Partnersuche, Paarung und Eiablage. Mit dieser Lebensweise sind sie im ökologischen Sinne der Gewässerfauna zuzurech- nen. Hier haben sie oft sehr enge Bindungen an bestimmte Umweltqualitäten entwickelt. Ihr Vor- kommen bzw. Fehlen kann deshalb im Rahmen von Bioindikationssystemen zur Feststellung von Störungen des Sauerstoff- und Säurehaushaltes der Gewässer herangezogen werden. 2004 in Vorb., HOHMANN 2004 in Vorb., BRETTFELD & BELLSTEDT 2003), so dass nunmehr 66 Epheme- roptera und 55 Plecoptera aus Sachsen-Anhalt bekannt sind. Regionale Kenntnislücken bestehen vor allem bei den Ephemeroptera von Standge- wässern, für die im Gegensatz zu den Fließge- wässern im Rahmen des GÜSA (Gewässerüber- wachungsprogramm Sachsen-Anhalt) keine Un- tersuchungen des Makrozoobenthos durchgeführt wurden. Hier zogen und ziehen zudem meist an- dere, reicher vertretene Artengruppen wie Libel- len oder Wasserkäfer die Aufmerksamkeit der Faunisten auf sich. Die meisten Arten beider Ordnungen nutzen rasch strömende, gut belüftete Fließgewässer als Le- bensraum. Gleichwohl finden sich unter den Ephe- meroptera auch Arten, die langsam strömende oder Standgewässer bevorzugen. Die Dispersion ist über Abdrift und aktive Aufwanderung der Lar- ven sowie aktiven Flug und Windverfrachtung bei flugfähigen Imagines möglich. Jedoch sind insbesondere die Plecoptera als Gruppe mit sehr geringer Ausbreitungsenergie zu charakterisieren. Alle in naturnahen Gewässern vorhandenen Sub- strate mit Ausnahme von Faulschlamm und trei- bendem Feinsand werden von jeweils speziell angepassten Formen und/oder Entwicklungssta- dien besiedelt. Als Sekundärproduzenten sind beide Gruppen zumindest in der Oberen Forel- len- bis Äschenregion produktionsbiologisch re- levant, indem sie unter naturnahen Verhältnissen gemeinsam um 20-60 % der Biomasse des Mak- rozoobenthos stellen können. Dabei werden häu- fig Individuendichten in einem Bereich von ca. 5x102 bis 3x103 Tieren/m2 erreicht. Datengrundlagen Im Vergleich zur Situation bei Erscheinen der ers- ten Fassung der Roten Liste für Sachsen-Anhalt (REUSCH et al. 1993) hat sich die Datengrundlage durch intensivere Sammel- und Publikationstätig- keit quantitativ und qualitativ bedeutend verbes- sert. Zudem sind einige noch in der ersten Fas- sung berücksichtigte Arten ohne Beleg vom Lan- desgebiet oder wurden inzwischen revidiert. HOH- MANN & BÖHME (1999) stellten für das Land Sach- sen-Anhalt eine Checkliste der Ephemeroptera und Plecoptera auf. Seitdem ergaben sich einige Neunachweise und Ergänzungen (BÖHME et al. '& Abb. 1: Landschaftsgliederung Sachsen-Anhalt. In der Taxonomie wird bei den Plecoptera REUSCH & WEINZIERL (1999) gefolgt. Bei den Ephemeropte- ra liegt weitgehend die Deutschland-Liste von HAY- BACH & MALZACHER (2002) zugrunde. Lediglich bei der Gliederung der Heptageniidae auf generischem bzw. subgenerischem Niveau wird zugunsten der allgemein genutzten Gattungen auf die nicht un- umstrittene weitere Aufgliederung verzichtet. Funde aus dem Harz werden auch in dieser Ro- ten Liste wieder gemeinsam mit den Hügelland- funden denen aus dem Tiefland gegenüber- gestellt. Die Abgrenzung des Tieflandes vom Hü- gelland wurde aktualisiert (Abb. 1) und in der vor- liegenden Form auch der Roten Liste der Tricho- ptera zugrundegelegt (HOHMANN in diesem Heft). Gefährdungsursachen Tatsächliche und mögliche Gefährdungsursachen für merolimnische Insekten und ihre Lebensräu- me stellte WAGNER (1989) zusammen. Mit spezifi- schem Landesbezug wird dieser Problemkomplex in den regionalen Arten- und Biotopschutzpro- grammen (BÖHME 1997, KLEINSTEUBER 1998, TAP- PENBECK & BÖHME 1997, GOHR 2001) behandelt. Unbefriedigend ist hierbei, dass zwar etliche Stör- quellen und Belastungspfade benannt werden, deren lokale und zeitliche Relevanz jedoch kaum landesweit systematisch und quantitativ verfolgt werden kann. Hier fehlen bislang Untersuchun- gen mit klarem Bezug zu Gewässertyp, typspezi- fischer Taxozönose und Wiederbesiedlungspoten- zial, die aktuelle und realistische Be- und Entlas- tungsszenarien für Gewässer und Einzugsgebie- te berücksichtigen. Deshalb können in diesem Abschnitt nur Tendenzen aufgezeigt werden, die sich aus den Erfahrungen der Bearbeiter plausi- bel ableiten lassen. Seit der Bearbeitung der ersten Roten Liste der Ephemeroptera und Plecoptera traten z.T. erhebli- che Veränderungen der Gewässergütesituation auf. Die Belastung der Fließgewässer mit leicht abbaubaren organischen Stoffen ging landesweit zurück (MLU LSA 2002). Einleitungen von toxi- schen Produktionsrückständen und Industrieab- wässern reduzierten sich seit 1990 überwiegend durch Betriebsstilllegungen und -verkleinerungen sowie Neuerrichtung wesentlich ressourcenscho- nenderer Anlagen. Hingegen wird in der Landwirt- schaft nach wie vor intensiv mit Dünge- und Pflan- zenschutzmitteln gearbeitet, die sich zwangsläufig im Gewässernetz wiederfinden. Die anthropogene Aufsalzung einzelner Gewässersysteme ist insgesamt zurückgegangen, aber regional für ein- zelne Gewässerabschnitte im Saalegebiet immer noch ein bedeutendes Besiedlungshindernis und lokal (Untere Bode und Ohre) ein akuter Gefähr- dungsfaktor. Seit 1990 wird verstärkt über anthropogene Ver- sauerungserscheinungen in Bächen des östli- chen Hochharzes berichtet (GAHSCHE 1992, KAM- MERAD & TAPPENBECK 1995, LANGHEINRICH et al. 2002, STÖCKER 1991). Der Zeitraum des Erscheinens dieser Arbeiten ist jedoch auf die seit 1990 gege- bene allgemeine Zugänglichkeit des früheren Grenzgebietes und die seitdem uneingeschränk- te Publizität von augenscheinlichen Umweltbelas- tungen (Waldsterben) zurückzuführen. Ähnliche Wirkungen sind für die immissionsbedingten Wald- schadensgebiete der Dübener Heide dokumen- tiert (MEY 1978). In Verbindung mit Nadelforst-Mo- nokulturen in den Einzugsgebieten bestehen er- hebliche und nur sehr langsam zu behebende Schädigungen von Gewässerchemismus und Bio- zönose. Als erst in den letzten Jahren vertieft untersuchte Stoffklasse sind die Rückstände von endokrin wir- kenden Arzneimitteln und Kontrazeptiva zu nen- nen (ARGE Elbe 2003, THALER 1998, UBA 1997). Diese belasten kommunale Abwässer und sind mit herkömmlicher Klärtechnik kaum zurückzuhalten. Begründete Hinweise auf Störungen der Gona- denentwicklung und des Vermehrungserfolges von aquatischen Tieren liegen zwar vor, jedoch ist die Relevanz dieses Wirkpfades für die beiden hier besprochenen Gruppen noch völlig ungeklärt. Die Strukturgüte zahlreicher Gewässer Sachsen- Anhalts steht derzeit in einem deutlichen Missver- hältnis zur erreichten Wasserqualität. Direkte Ver- luste von besiedelbaren Gewässern durch Ver- rohrung, Kanalisierung, Verlegung und Überstau waren seit Beginn der Industrialisierung bis 1990 quantitativ relevant. Die strukturell zerstörten Ge- wässer unterlagen oft gleichzeitig massiven Ein- trägen von Nähr- und Zehrstoffen, Industrie- und Agrarchemikalien. Im Einzelfall sind neue, direk- te Lebensraumverluste auch heute nicht ausge- schlossen. Allerdings haben sich die materiellen und rechtlichen Schwellen für derartige Eingriffe deutlich erhöht. Dies ist einerseits erfreulich, andererseits gelten diese aktuellen Restriktionen gleichermaßen für die Renaturierung und Auflas- sung von Gewässern zur natürlichen Eigendyna- mik. Daraus resultiert die nur punktuelle, zögerli- che bis halbherzige Aktivität der Unterhaltungs- und Ausbaupflichtigen bei der strukturellen Revi- talisierung des Gewässernetzes. Die qualitative Lebensraumentwertung durch Strukturverar- mung und Errichtung von Hindernissen (Quer- bauwerke, Stauanlagen usw.) ist im Nachhinein, anhand der Rest-Biozönose, oft nicht mehr von der Lebensraumentwertung durch Wasserver- schmutzung zu trennen. Nach erfolgreicher ab- wassertechnischer Sanierung manifestieren sich die strukturellen Defizite deutlicher, indem die Wiederbesiedlung solcher Gewässerabschnitte qualitativ eingeschränkt und/oder zeitlich stark ver- zögert wird. Störungen einzelner Gewässerstre- cken sind durch Reaktivierung und Neuerrichtung von Wasserkraftanlagen an den größeren Fließ- gewässern zu erwarten. Auch wenn sie auf bereits bestehende Staustufen beschränkt bleiben, so sind diese Projekte doch meist mit Stauzielerhö- hungen verbunden und beeinträchtigen damit den Fließgewässercharakter der Rückstaubereiche. Die Verdrängung des gewässerheimischen Ar- tenspektrums durch Neozoen ist vor allem in den Binnenwasserstraßen relevant. Hier sind in Deutschland mittlerweile mehr als 35 z.T. sehr kon- kurrenzstarke Fremdarten aus nahezu allen Erd- teilen heimisch geworden (TITTIZER et al. 2000). Konkurrenzeffekte bzw. die Blockierung entlas- tungsbedingt freiwerdender ökologischer Nischen für die heimische Fauna sind zumindest zu ver- '' 0 Eintagsfliegen Tiefland Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) Bergland Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) Steinfliegen Tiefland Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) Bergland Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) Eintagsfliegen Tiefland Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) Bergland Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) Gefährdungskategorie R 1 2 3 Rote ListeGesamt 44 1236315 2,34,56,813,66,834,1 71331428 11,71,75,05,223,346,7 --42410 --22,211,122,255,5 4234821 7,73,85,87,715,440,4 Kategorien G DSonstige GesamtGesamt V-41544 -9,12,311,4-235 -3,35,08,3 Tab. 1: Übersicht zum Gefähr- dungsgrad der Eintags- und Steinfliegen Sachsen-Anhalts. 60 18 52 Tab. 2: Übersicht zur Einstu- fung in die sonstigen Kategori- en der Roten Liste. 60 Die Kategorie V -Vorwarnliste- wurde nicht vergeben, da hierfür die Datengrundlage derzeit nicht ausreichend ist. muten (TITTIZER et al. 1990) und bedürfen näherer Untersuchung. Bei einer Erhebung an der Saale im Stadtgebiet von Halle im Jahr 2003 betrug der Anteil von Arten dieser Gruppe je nach Substrat zwischen 25 % und 90 % der Gesamtindividuen- zahl (BÖHME unveröff.). Die Reversibilität dieser Prozesse ist fraglich, da Invasionen von einmal erfolgreich angesiedelten Fremdarten (egal ob Tier oder Pflanze) bislang selbst unter Einsatz von nachträglich eingeführten Feinden und Parasiten sowie mit hartem Chemikalieneinsatz kaum zu beherrschen waren. Bestandsentwicklung Die Biozönosen der Berglandgewässer waren in ihrer Gesamtheit nie so flächendeckend geschä- digt wie die größeren Gewässer (Hyporhithrale und Potamale) im Hügel- und Tiefland. Demzu- folge ist der qualitative Sprung für die letztgenann- ten Gewässer um so größer, und hier fallen die früheren Verluste wie auch die Neu- bzw. Wieder- besiedlung durch anspruchsvollere Arten am meisten auf. Die Gruppe der typischen Unterlaufbewohner, die in den letzten Jahren wieder in z.T. erstaunlich hoher Individuendichte angetroffen werden konn- ten, umfasst u.a. die Ephemeroptera Baetis bu- ceratus, Heptagenia sulphurea, H. flava, H. coe- rulans, Oligoneuriella rhenana und Potamanthus luteus. Offenbar konnten kleine Restbestände aus einzelnen Zuflüssen von Elbe, Schwarzer Elster, Saale und Mulde die plötzlich verfügbaren freien Nischen nutzen und sich zügig wiederausbreiten. Dem weiteren Vordringen dieser Arten in andere Zuflüsse stehen jedoch oft Besiedlungshindernis- se entgegen: Wanderungsbarrieren wie Wehre und Stauanlagen, naturfremde Ausbaustrecken mit ungeeigneten Substraten sowie Abschnitte mit noch unzureichender Wasserqualität. Zu den ersten in den größeren Tief- und Hügel- landgewässern wieder auftretenden Plecoptera gehört die euryöke Leuctra fusca. Von den eigent- lichen Fluss-Plecoptera sind Siphonoperla bur- meisteri und Marthamea vitripennis in Sachsen- Anhalt ausgestorben. Weitere Arten mit ähnlicher längszonaler Bindung kamen oder kommen in den Nachbarländern vor, ohne dass Altnachweise aus Sachsen-Anhalt vorliegen. Aus den ökologischen und biogeographischen Verhältnissen ist keine plausible Begründung derartiger Verbreitungslü- cken abzuleiten (ZWICK 1992) es handelt sich wohl eher um historische Bearbeitungslücken. Deshalb dürfte das Spektrum unbemerkt ver- schwundener Arten also deutlich größer sein. Ei- ner Wiederbesiedlung durch diese Arten in abseh- barer Zeit stehen die großen Distanzen zwischen den in Mitteleuropa verbliebenen Restvorkommen und die geringe Dispersionskapazität der Plecop- tera entgegen. Immerhin lassen überraschende Neufunde von Brachyptera braueri (Plecoptera) in der Saale (BRETTFELD & BELLSTEDT 2003) hoffen, dass noch Restbestände vorhanden sind. Die Unterläufe der größeren Harzgewässer un- terlagen nach Eintritt in das Harzvorland ebenfalls
Von Sabine Zeiß und Hans-Jürgen Zietz Im dynamischen Bereich zwischen Fluss und Meer stellen Tide-Weiden-Auwälder einen besonders wertvollen und zugleich stark bedrohten Lebensraum dar. Ein im Rahmen des Verfahrens zur Flexiblisierung der Staufunktion des Emssperrwerks erstelltes NLWKN-Gutachten bestätigt die diesbezügliche Verträglichkeit der geplanten Änderungen. Es zeigt aber auch auf, wo Potenziale für eine aus Perspektive des Naturschutzes erforderliche Vergrößerung der Auwald-Flächen an der Unterems liegen – und wie ihre positive Entwicklung begünstigt werden kann. Im dynamischen Bereich zwischen Fluss und Meer stellen Tide-Weiden-Auwälder einen besonders wertvollen und zugleich stark bedrohten Lebensraum dar. Ein im Rahmen des Verfahrens zur Flexiblisierung der Staufunktion des Emssperrwerks erstelltes NLWKN-Gutachten bestätigt die diesbezügliche Verträglichkeit der geplanten Änderungen. Es zeigt aber auch auf, wo Potenziale für eine aus Perspektive des Naturschutzes erforderliche Vergrößerung der Auwald-Flächen an der Unterems liegen – und wie ihre positive Entwicklung begünstigt werden kann. Wie alle Ästuare verbindet auch das der Ems die Lebensräume zwischen Fluss und Meer und zeichnet sich insbesondere durch eine hohe Dynamik aus. Der Wechsel von Ebbe und Flut oder die Veränderungen von Wasserströmungen und Salzgehalten stellen nur einige Faktoren dar, welche die Lebensbedingungen der Tiere und Pflanzen, die hier beheimatet sind, prägen. Zu den Lebensgemeinschaften, die sich in besonderer Weise an diesen stetigen Wandel ihrer Wachstumsbedingungen angepasst haben, gehören auch die Tide-Weiden-Auwälder – heute einer der seltensten und am stärksten bedrohten Lebensräume Deutschlands. Dieser Biotoptyp steht als Bestandteil des prioritären Lebensraumtyps 91E0* unter dem strengen europäischen Schutzregime der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie . Ein Tide-Weiden-Auwald (Biotoptyp WWT) am Vellager Altarm der Ems (Bild: Hans-Jürgen Zietz/NLWKN) Natürlicherweise würden diese Auwälder weite Teile der Unteremsaue bedecken. Deichbau und die landwirtschaftliche Nutzung der Vorländer haben sie aber weitgehend verschwinden lassen, so dass sich heute vor den Deichen nur noch wenige kleinflächige Vorkommen finden lassen. Diese Bestände bedürfen des besonderen Schutzes und auch der Vergrößerung. Im Zusammenhang mit dem Planfeststellungsverfahren zur Flexibilisierung der Staufunktion des Emssperrwerks übernahm der Bereich Regionaler Naturschutz des NLWKN am Standort Brake-Oldenburg die Aufgabe, die möglichen Auswirkungen der Flexibilisierung auf die Tideauwälder zu ermitteln und zu bewerten. Im gleichen Zuge sollten auch die ökologischen Grundbedingungen für den Erhalt und die Vergrößerung der vorhandenen Bestände ermittelt werden. Dieser Punkt ist ein Beitrag zur FFH-Managementplanung im FFH-Gebiet Unterems und Außenems, die in diesem Bereich maßgeblich vom Landkreis Leer als unterer Naturschutzbehörde verantwortet wird. Tide-Auwälder weisen einige markante Eigenheiten auf: Die vorkommenden Weiden-Arten tolerieren häufige und dynamische Überflutungen, wie sie besonders in Ufernähe und entlang von Prielen und Altarmen auftreten. Als Charakterart der Tide-Weiden-Auwälder ist die Silber-Weide mit ihren seidenhaarigen, schmal-lanzettlichen Blättern besonders auffällig. Bei höheren Fluten entstehen in der Tideaue durch Erosions- und Sedimentationsprozesse Bereiche mit offenen Rohböden, welche von Pionierarten – zu denen viele Weiden-Arten zählen – neu besiedelt werden können. Die besondere Strukturvielfalt und hohe Anzahl ökologischer Nischen (Kleinstlebensräume) der Weiden-Auenwälder bieten einer Vielzahl z.T. seltener Tierarten Lebensraum. Dazu zählen beispielsweise der Biber und die Teich-Fledermaus, Vogelarten wie Kleinspecht, Pirol und Nachtigall, aber auch Käferarten, die totholzreiche Biotope benötigen und weitere Tierartengruppen, die sich in dem ausgeglichenen, feuchten Klima der Auenwälder wohlfühlen. Das vom NLWKN erstellte Fachgutachten zeigt auf, dass die geplante Flexibilisierung der Staufunktion keine signifikanten Auswirkungen auf die Auwälder haben wird. Im zweiten Teil des Gutachtens wurde in Zusammenarbeit mit dem Aufgabenbereich Landesweiter Naturschutz festgestellt, dass zur Erfüllung der Forderungen der FFH-Richtlinie eine Flächenvergrößerung erforderlich ist. Das Gutachten ermittelte hierfür geeignete Suchräume. Es machte zudem ergänzende Vorschläge für entsprechende Maßnahmen wie das Zulassen einer Fließgewässer- und Hochwasserdynamik z.B. durch den Rückbau von Uferbefestigungen, die Erhöhung des Anteils an Altholz sowie ein Belassen von liegendem und stehendem Totholz und die Förderung der Biotopvernetzung durch den Erhalt auch kleinerer Bestände. Alle diese Inhalte sollen jetzt in einen von der unteren Naturschutzbehörde aufzustellenden Managementplan eingespeist werden. Im Rahmen der Aufstellung des Managementplans gilt es allerdings auch Konflikte zu lösen, die sich bei einer natürlichen Vegetationsentwicklung in den Deichvorländern mit den Belangen des Hochwasserschutzes ergeben. Aus der Sicht vieler Deichverantwortlicher geben Wälder im Vorland, und insbesondere solche mit Alt- und Totholz, Anlass zu der Sorge, es könnten bei Sturm Stämme gegen den Deich getrieben werden und diesen beschädigen. Zwischen dem daraus resultierenden Interesse, Alt- und Totholz vorsorglich zu entfernen sowie neuen Gehölzaufwuchs zu verhindern, und der Wahrung und Wiederherstellung des günstigen Erhaltungszustandes des Lebensraumtyps besteht ein Widerspruch, der im Rahmen der Managementplanung bewältigt werden muss. Die Ockergelbe Escheneule (Atethmia centrago), ein in Niedersachsen als stark gefährdet eingestufter Nachfalter, kommt in den Weiden-Auwäldern im Emsästuar vor (Bild: C. Heinecke). Weiden-Auwälder weisen ein ausgeglichen-feuchtes Innenklima und vielgestaltige Kleinsthabitate auf (Bild: Hans-Jürgen Zietz/NLWKN). Echte Engelwurz (Angelica archangelica) im Übergangsbereich zwischen Weiden-Auwald und Röhricht (Bild: Hans-Jürgen Zietz/NLWKN). Silber-Weiden (Salix alba) im Vorland bei Coldam (Bild: Hans-Jürgen Zietz/NLWKN).
Publikumswirksam und leidenschaftlich hat Jürgen Feder aus Bremen, der seit genau 30 Jahren ehrenamtlich als Kartierer für den NLWKN (Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz) arbeitet, kürzlich in zwei Fernsehsendungen (N3 NaturNah, Pro7 TV-Total) auf die Faszination der heimischen Pflanzenwelt aufmerksam gemacht. Inzwischen ist das Video von seinem Auftritt bei TV-Total mit Stefan Raab bei You Tube eingestellt und wurde innerhalb einer Woche mehr als 22.000 Mal angeklickt. Zahlreiche positive Kommentare – zum Beispiel „So einen Biolehrer hätte ich mir gewünscht“ – unterstreichen, dass seine Fernsehauftritte und das Video gerade bei jungen Menschen sehr gut angekommen sind; Feder überzeugte mit seinem Fachwissen und machte deutlich, dass Botanik und Artenkenntnisse alles andere als langweilig sind. „Pflanzenarten werden über Autobahnen und Eisenbahnstrecken verbreitet, finden an den ungewöhnlichsten Stellen ihre ökologische Nische und werden aufgrund ihres Drogengehalts schon seit der Antike auch für kriminelle Zwecke genutzt“, erzählte der 51jährige Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Landschaftspflege. Für Dr. Annemarie Schacherer, beim NLWKN für die Kartierung von Pflanzen und Tieren zuständig, ist das öffentliche Auftreten von Jürgen Feder eine willkommene Werbung für die ehrenamtliche Arbeit beim NLWKN: „Die Zahl der aktiven Kartiererinnen und Kartierer ist in letzter Zeit leider zurückgegangen. Viele Menschen finden neben ihrem Beruf zu wenig Zeit für dieses Engagement“, bedauert Schacherer. Die Leidenschaft von Jürgen Feder könne Ansporn sein, aktiv an den Erfassungsprogrammen des NLWKN mitzuarbeiten. Derzeit arbeiten rund 500 Frauen und Männer ehrenamtlich als Kartierer für Pflanzen. Die Daten werden beim NLWKN ausgewertet und für eine Vielzahl von naturschutzrelevanten Fragestellungen zur Verfügung gestellt.
Kiemenfüßer (Anostraca) und ausgewählte Gruppen der Blatt- füßer (Phyllopoda) Bestandssituation Volker Neumann, Bernd Heinze & Ralf Hennig Einführung Die Kiemenfüßer (Anostraca) und die Blattfüßer (Phyllopoda) bilden nach Hannemann et al. (1992) Un- terklassen der Klasse der Krebse (Crustacea). Zu den Phyllopoda gehören die Ordnungen der Rückenschaler (Notostraca) und Zweischaler (Diplostraca). Die Dip- lostraca werden in die Unterordnungen der Muschel- schaler (Conchostraca) und Wasserflöhe (Cladocera) unterteilt. Auf die Cladocera wird nicht näher einge- gangen. Eine etwas andere systematische Einteilung als die genannten Autoren geben Vollmer (1952) und Flössner (1972). Bei den Anostraca und Phyllopoda handelt es sich um „ursprünglich organisierte“ Krebse. Sie besiedeln seit rund 500 Millionen Jahren die Erde. Die älteste Gruppe unter ihnen bilden die Conchostraca. Im Devon eroberten die Knochenfische die Meere und Süßwasser- flächen. Die ursprünglichen Krebse waren willkomme- ne Nahrungstiere. Ökologische Nischen sicherten ein Überleben der Tiere in nahezu unveränderter Form bis zur heutigen Zeit. Es handelt sich um lebende Fossili- en (Heidecke & Neumann 1987, Eder & Hödl 1995). Triops cancriformis trat bereits im Keuper vor rund 180 Millionen Jahren auf und ist nach Erben (1952) die äl- teste rezente Tierart. Deshalb bezeichnet Eder (2003) die heterogene Gruppe der Groß-Branchiopoden auch als „Urzeitkrebse“. Simon (1998) gibt für die genannten Taxa in Deutschland zwölf Arten an, von denen acht derzeit bestätigte Vorkommen aufweisen. Für Sachsen-Anhalt konnte das Vorkommen von acht Arten belegt werden. Bei vier Arten (Branchipus schaefferi, Eubranchipus grubii, Lepidurus apus und Triops cancriformis) existieren über Jahrzehnte bestän- dige Nachweise. Die meisten Vorkommen wurden für E. grubii und L. apus ermittelt. Verschollen oder aus- gestorben sind Streptocephalus torvicornis und Lynceus brachyurus. Sporadisch, wahrscheinlich durch Ausset- zen angesiedelt, tritt in Sachsen-Anhalt das Salzkrebs- chen Artemia salina auf. Neu nachgewiesen wurde Ta- nymastix stagnalis (Grosse & Engelmann (2002). Sämtliche Arten Sachsen-Anhalts kommen spora- disch an Stellen mit meist periodischer Wasserführung vor. Die Gewässer sind oft nur wenige Quadratmeter groß. Eine extreme Anpassung an diese außergewöhn- lichen Bedingungen sichert den Tieren das Überleben. Die Zeit zwischen den Überschwemmungen überste- hen die Kleinkrebse als Dauereier. Solche Trockenpe- rioden können wahrscheinlich Jahrzehnte überstanden werden. Bedingungen wie Trockenheit, Frost, Tierfraß usw. ermöglichen bei einigen Arten erst den Schlupf der Larven aus den Eiern bei erneutem Kontakt mit Wasser. Vögel, die solche Krebse als Nahrung aufnehmen, sor- gen neben Windverdriftung und Hochwasser für eine Ausbreitung. Die Eier der gefressenen Krebse werden nach Darmpassage unbeschadet mit dem Kot ausge- schieden und können unter entsprechenden Bedingun- gen wieder zur Ausbildung von Populationen führen. Die Lebensweise der Urkrebse, ihre relative Selten- heit und eine lückenhafte faunistische Erfassung gestal- ten eine Zuordnung in die Gefährdungskategorien der Roten Liste sowie eine Einschätzung der Bestandsent- wicklung schwierig. So fand z. B. der seltene Kiemen- fuß Triops cancriformis in Brandenburg und Sachsen in periodisch abgelassenen und bespannten Fischteichen mit Fischbrut zusagende Lebensbedingungen. Es kam zeitweilig zu einem Massenauftreten und Schäden in der Fischbrutaufzucht. In Sachsen-Anhalt sind alle bis- her nachgewiesenen Arten in ihrer Existenz gefährdet. Bearbeitungsstand, Datengrundlagen Triops cancriformis in einer wassergefüllten Fahrspur. Colbitz- Letzlinger Heide, 12.6.2014, Foto: V. Neumann. 572 Literaturangaben zur Verbreitung von Branchipus scha- efferi, Eubranchipus (Siphonophanes) grubii, Lepidurus apus und Triops cancriformis in Sachsen-Anhalt geben u. a. Taschenberg (1909), Buchholz (1962), Flössner (1972), Heidecke & Neumann (1987), Engelmann et al. (1988), Neumann & Heidecke (1989), J. M. (1992), Zu- ppke & Hennig (1993), Nicolai (1994), Berbig (1995), Täuscher (1996), Jacobs (1996), Hahn et al. (1997), Neu- mann (1996, 1998, 1999), Grosse & Engelmann (2002), Heinze (2003), Zuppke (2005, 2007), Dietze (2008), Frank, D. & Schnitter, P. (Hrsg.): Pflanzen und Tiere in Sachsen-Anhalt Pellmann (2008) und Driechciarz (2012). Den faunis- tischen Wissensstand über Vorkommen von Lepidurus apus, Triops cancriformis, Eubranchipus grubii, Tanymas- tix stagnalis und Branchipus schaefferi bis 2003 für die Länder Deutschland und Österreich mit Tabellen von Artnachweisen und Beobachtern geben Engelmann & Hahn (2004). Seit etwa 1990 wuchs national und international das Interesse an den beschriebenen Gruppen dieser Krebse. Es half, national Verbreitungslücken der Arten in den Bundesländern zu schließen, brachte Veränderungen in der Artenzahl und ein Wiederauffinden verscholle- ner Spezies. So entdeckten z. B. Stephan & Schwartz (2004) in den Rühstädter Elbtalauen (Brandenburg) den Eichener Kiemenfußkrebs Tanymastix stagnalis. Auch in Niedersachsen gelangen Funde in Druckwassertümpeln in der Elbaue. Grosse & Engelmann (2002) nennen ei- nen Nachweis von Tanymastix stagnalis für die Wörlitzer Elbaue. In einem Wiesentümpel wurde im April 2001 durch C. Grosser (Wittenberg) die Art vergesellschaftet mit Eubranchipus grubii nachgewiesen. Anmerkungen zu ausgewählten Arten 1) Das Salzkrebschen bzw. der Salinenkrebs Artemia salina kommt in stark salzhaltigen, stehenden oder langsam fließenden Binnengewässern und Küstenla- gunen vor. Föckler (1937) nennt Nachweise von September 1935 bis Februar 1936 für zwei salzhaltige Teiche bei Leopoldshall (jetzt Ortsteil von Staßfurt). Viele Salzkrebschen fanden sich im sogenannten So- leteich mit 6,7 % Salzgehalt. Flössner (1972) erwähnt dieses Vorkommen nicht. Die Vorkommensgebiete existieren mit ihren damaligen Gegebenheiten nicht mehr. Auch Herbst (1962) berichtet über deutsche Fundorte (u. a. bei Magdeburg). Neumann & Heinze (2004) berichten über ein Vorkommen in Lachen am Fuß der Salzhalde von Teutschenthal, welches wahr- scheinlich durch Aussetzen von Eiern bzw. Tieren entstanden ist. 2) Branchipus schaefferi bevorzugt warme, lehmige Wasseransammlungen des Offenlandes. Die Art wur- de ebenso wie Triops cancriformis besonders in was- sergefüllten Fahrspuren, Gräben und Senken ehe- maliger (z. B. südlich Halberstadt – Nicolai 1994, Gegend um Stendal – Dietze 2008) und bestehen- der Truppenübungsplätze (Colbitz-Letzlinger Heide – Driechciarz 2012) gefunden. So wurden aktuell auch im Juli 2014 im Südteil des Truppenübungs- platzes der Colbitz-Letzlinger Heide von E. Walter und V. Neumann in einer Lache B. schaefferi und T. cancriformis vergesellschaftet gefunden. Am 9.8.2000 befanden sich bei Kamern (Nähe Havelberg) in der Fahrspur eines Weges ca. zehn Pfützen, wovon in sieben B. schaefferi und in einer Pfütze B. schaefferi und T. cancriformis beobachtet wurden (W. Trapp, B. Heinze). Weitere Fundorte von B. schaefferi befinden sich nördlich von Magdeburg (z. B. Wiesenpark, Bie- deritz) und auf dem Truppenübungsplatz Altengra- bow (8.7.2010, > 10 besiedelte Pfützen, R. Hennig). Über Nachweise von B. schaefferi und T. cancriformis bei Magdeburg (Krakauer Anger, Biederitzer Busch) berichten bereits Meyer (1907) und Wolterstorff (1907). Wolterstorff (1907) kannte diese Vorkom- men bereits seit 1879 bzw. 1880. Im Landkreis Wit- tenberg wurde B. schaefferi erstmalig am 25.6.2004 in einer Pfütze in der Teucheler Heide durch R. Scha- rapenko nachgewiesen (Zuppke 2005). Eine detail- lierte Zusammenstellung von Funden bis 2003 geben Engelmann & Hahn (2004). 3) Eubranchipus (Siphonophanes) grubii erscheint im zeitigen Frühjahr in temporären Auengewässern wie Schmelzwassersenken, Gräben, Überflutungsgebieten und Druckwasseransammlungen. So befinden sich zahlreiche Vorkommen in Flussauenresten der Elbe, Havelniederung, Mulde, Unteren Schwarzen Elster, Saale-Elster-Aue, oft in Tümpeln und Gräben von Nie- derungswäldern oder Grünlandsenken. Für Fund- orte im Wald ist eine Laubschicht auf dem Grund der Wasseransammlungen charakteristisch (Flössner 1972). Eine detaillierte Zusammenstellung von Fun- den geben Engelmann & Hahn (2004) und Grosse & Neumann (2014). Im Umfeld der Stadt Halle (Saale) wird E. grubii seit 2004 fast regelmäßig an verschie- denen Stellen gesehen. In den davor liegenden Jahr- zehnten wurde die Art hier nur gelegentlich nachge- wiesen und dann auf Exkursionen von Dr. J. Klap- perstück und Dr. R. Piechocki (Zoologisches Insti- tut Halle/S., Martin-Luther-Universität Halle-Witten- berg) mit dem regelmäßig im Gebiet vorkommenden Lepidurus apus vorgestellt (W.-R. Grosse, V. Neu- mann). Von März bis Mai 2007 ermittelte Jeschke zahlreiche Fundorte von E. grubii aus der Muldeaue nördlich und südöstlich von Jessnitz (Belegtiere in MNVD). Ebenso wie E. grubii ist Lepidurus apus eine Kaltwasser- bzw. Frühjahrsform. Sie bevorzu- gen Wassertemperaturen bis 15 ° C. Beide Arten sind mitunter vergesellschaftet, da sie den gleichen Biotop bevorzugen. Meist treten nur Weibchen auf. Dieser Notostrace schwankt in seinem Vorkommen stark. Mitunter kann er an bekannten Fundplätzen mehrere Jahre nicht beobachtet werden. Die Verbreitung von L. apus ist ähnlich der von E. grubii. Eine detaillierte Zusammenstellung von Funden geben Grosse & En- gelmann (2002), Engelmann & Hahn (2004) so- wie Grosse & Neumann (2014). Über Nachweise in der Elbaue bei Wittenberg berichtet Zuppke (2007). Auch aus dem nördlichsten Teil Sachsen-Anhalts, der Garbe-Alandniederung, gibt es aktuelle Nachweise von L. apus (26.3.2012) und E. grubii (26.3.2012, 573 22.4.2013) von P. Müller (schriftl. Mitt., Biosphä- renreservat Mittelelbe). 4) Lynceus brachyurus kann von April bis Oktober in periodischen Gewässern mit Lehm- oder Sandunter- grund auf Wiesen, Feldern und an Waldrändern ge- funden werden. Flössner (1972) nennt Halle (Saale) als Fundort, jedoch ohne nähere Angaben. Diese Mit- teilung scheint auf einen Nachweis von Osterwald (1920) zurückzugehen. Dieser fand am 8.5.1917 im Ruchtendorfer Tümpel (s. Fundort Streptocephalus torvicornis) sowie in einer weiteren Lache in der Nähe derselben Lehmgrube L. brachyurus. Taschenberg (1909) erwähnt diese Spezies für Halle und Umge- bung nicht, auch sind in MLUH keine Belege vor- handen. 5) Streptocephalus torvicornis gilt als wärmeliebende Sommerform. Er besiedelt Tümpel und kleine Dorf- teiche mit stark schwankender Wasserführung im offenen Gelände der Niederungen (Flössner 1972). Dieser Autor nennt als einzigen sicheren deutschen Fundort der Art den sogenannten Ruchtendorfer Tümpel (bei Zörbig), wo sie am 28.6.1914 durch Os- terwald & Schwan (1919) vereinzelt angetroffen wurde. Schon Osterwald (1920) erwähnt, dass seit 1914 die Art nicht wieder bestätigt werden konnte. Das Vorkommen ist erloschen. 6) Triops cancriformis gilt wie Branchipus schaefferi als Sommerform. Beide Arten können auch gemeinsam vorkommen und vertragen niedrigere Temperatu- ren. Triops-Eier benötigen zur Entwicklung nicht unbedingt eine Austrocknungsphase. So können sich mehrere Generationen hintereinander entwickeln. Triops cancriformis kann ab Mai bis zum September/ Oktober gefunden werden. Erstmalig berichtet Pell- mann (2008) über ein gemeinsames Vorkommen von T. cancriformis mit der Frühjahrsform Lepidurus apus nach dem Frühjahrshochwasser der Elbe auf einer Überschwemmungsfläche im Mai 2006 bei Rogätz. Aktuelle Nachweise bestehen von einem ehemaligen Truppenübungsplatz bei Halberstadt, vom Truppen- übungsplatz Colbitz-Letzlinger Heide (Driechciarz 2012), sowie von Überflutungsflächen im Umfeld von Magdeburg und Havelberg. Eine detaillierte Zusam- menstellung von Funden geben Engelmann & Hahn (2004) und Grosse & Neumann (2014). Gefährdungsursachen, Schutzmaßnahmen Bauliche, landschaftsverändernde und landwirtschaft- liche Maßnahmen gefährden zurzeit im besonderen Maße die Existenz dieser urtümlichen Krebse. Bedeut- sam könnten geplante und immer wieder diskutierte wasserbauliche Maßnahmen werden, wie z. B. Staustu- fenbau in Saale und Elbe, die die auentypischen Wasser- standsschwankungen beeinträchtigen. Sie würden Haupt- 574 vorkommen der Arten vernichten. Es reichen Bodenver- änderungen von wenigen Metern (z. B. Auffüllungen), um Vorkommen zum Erlöschen zu bringen. In wasser- gefüllten Fahrspuren ehemaliger Truppenübungsplätze wurden in den letzten Jahren insbesondere Branchipus schaefferi und Triops cancriformis nachgewiesen. In Fol- ge der Einstellung militärischer Nutzung dieser Wege könnte Bewuchs (Gras, Sträucher) diese Standorte ge- fährden (Nicolai 1994, Neumann 1998). Biologische und chemische Schädlingsbekämpfungsaktionen füh- ren zu erhöhter Sterblichkeit bei Branchiopoden. Dies beobachtete Simon (1987) z. B. bei Einsatz von BTI (Bacillus thuringiensis var. israelensis). Die Angaben von Simon (1987) über die Toxizität von Bacillus thuringien- sis var. israelensis konnten durch experimentelle Unter- suchungen an Triops cancriformis, Branchipus schaefferi und Leptestheria dahalacensis nicht bestätigt werden (Eder & Schönbrunner 2010). Aufgrund ihrer unauffälligen, aber sehr extremen Le- bensweise ist es oft schwierig, allen Beteiligten (Kommu- nen, Landwirten, ja selbst so manchem Naturschützer) die Bedeutung dieser Vorkommen klarzumachen und zur Erhaltung dieser notwendigen „Kleinstbiotope“ – wie eben auch die Fahrspur eines Feldweges – beizutra- gen. So konnte bei Stendal der Ausbau eines Feldweges mit nachgewiesenen Vorkommen von B. schaefferi und T. cancriformis verhindert werden. Doch nun droht die Gefahr, dass durch den Bau der A 14 dieser Feldweg eine Sackgasse wird. Aufgrund der dann geringeren Nutzung des Weges würde bei einer einsetzenden Sukzession (Vergrasung) dieses geeignete Biotop und damit das Vorkommen beider Arten verschwinden (Dietze 2005). Eine umfassende Analyse der Gefährdungsursachen von Groß-Branchiopoden in Deutschland geben Reiss- mann & Engelmann (2005). In Deutschland werden nur noch 10–20 % der Auen regelmäßig überschwemmt (Krüger et al. 2013). So führen auch Reissmann & En- gelmann (2005) die „Renaturierung der gegenwärti- gen Auen zu naturnahen, dynamischen und sich selbst erhaltenden Naturraumkomplexen“ als Zielstellung zur Erhaltung der Arten auf. Eder & Hödl (1995) schreiben: „Urzeitkrebse stehen stellvertretend für eine intakte, seit Millionen von Jahren unberührte Natur. Wenn – entwicklungsgeschichtlich betrachtet – selbst die Dinosaurier für sie nur ‚kleine Fische‘ waren, sollte sich heute der Mensch nicht anma- ßen, ihren Lebensraum zu zerstören“. Danksagung Den Herren A. Berbig, Prof. Dr. M. Engelmann, P. Eschke, T. Friedrichs, PD Dr. W.-R. Grosse, Dr. T. Ka- risch, P. Müller, J. Peterson, W. Trapp, D. Spitzenberg und W. Woborzil danken wir für Fundortangaben und kritische Durchsicht des Manuskriptes.
Weichtiere (Mollusca) Bestandsentwicklung Gerhard Körnig EinführungBearbeitungsstand, Datengrundlagen Mollusken sind durch ihre geringe Mobilität relativ eng an ihren Lebensraum – Land oder Wasser – ge- bunden. Sie halten sich dauerhaft nur dort auf, wo ihre speziellen ökologischen Nischen gesichert sind. Damit eignen sich vor allem stenotope Arten, aber auch Arten- kombinationen als Bioindikatoren. Dieser Indikatoref- fekt spiegelt sich nur selten in einzelnen spezifischen Umweltparametern wider, sondern umfasst eher das komplexe Faktorengefüge, das in einem Ökosystem ge- geben ist. So lässt sich durchaus von einer Mollusken- gemeinschaft auf die Qualität eines Biotops schließen. Landschneckengemeinschaften korrespondieren in der Regel mit Vegetationseinheiten. So siedelt z. B. in den thermophilen Eichenmischwäldern des herzyni- schen Trockengebietes eine entsprechende Gastropo- denfauna mit Aegopinella minor und Euomphalia strigel- la als Charakterarten. Nimmt der Säuregrad des Bodens zu, verarmt die Gesellschaft und Columella aspera tritt als Differenzialart auf. Wassermollusken gelten als Anzeiger für die Qualität eines Gewässers. Einige Arten werden zur Bestimmung des Saprobienindexes herangezogen. Entscheidend da- bei sind deren Ansprüche an den Sauerstoffgehalt des Wassers. Neben einem unterschiedlichen Toleranz- bereich gegenüber Sauerstoff bestimmen Temperatur, Fließgeschwindigkeit, Bodensubstrat und biotische Be- dingungen das Vorkommen der Arten in den Gewäs- sern.Für die Artabgrenzung wurden grundsätzlich Stan- dardwerke wie Glöer & Meier-Brook (2003) oder Kerney et al. (1983) herangezogen. Die Nomenklatur richtet sich nach Körnig (2013). Aussagen über den Wandel der Molluskenfauna im Gebiet sind nur begrenzt möglich. Erste gesicherte Fundortangaben stammen von A. Schmidt (Schmidt 1851). Reinhard (1874) veröffentlichte eine Zusam- menstellung der Mollusken Magdeburgs. Um die Jahr- hundertwende haben sich Goldfuss (1900, 1904) und Honigmann (1906, 1909, 1910, 1911) durch Zusam- menfassen des Fundmaterials verdient gemacht. Mit ihren Angaben haben sie das südliche Sachsen-Anhalt bis in den Raum Magdeburg erfasst. Diese Quellen wurden auch bei Ehrmann (1933) berücksichtigt. Das Gebiet der Flusstäler von Elbe bis Aller einschließlich des Nordharzes war auch Inhalt zahlreicher Publikati- onen von Regius (1930, 1936, 1964, 1968 1969). Eine Literaturauswertung zu den Weichtieren des ehemali- gen Salzigen Sees erfolgte durch Hartenauer (2000). Meldungen über Molluskenvorkommen aus dem nörd- lichen Sachsen-Anhalt (Havelland, Altmark, Drömling) lagen bis in die 1980er Jahre nicht vor. Vergleicht man die relativ spärlichen Fundortangaben von vor einhundert Jahren mit den heute bekannten Vorkommen der Arten, so lässt sich erkennen, dass sich das Artinventar der Landschnecken seitdem bis auf den Verlust einiger Vorkommen nicht nur erhalten, sondern sich durch Einwanderung und Einschleppung vor allem synanthroper Arten erweitert hat. Würde man den An- gaben von Goldfuss (1900, 1904) die heutigen Deter- minationskriterien zugrunde legen, so waren damals 98 Landschnecken, 38 Wasserschnecken und 23 Muschel- arten bekannt. Die aktuell größere Artenzahl ergibt sich aus der intensiveren Durchforschung sowie aus Neube- schreibungen bisher nicht erkannter Taxa. Im Gegensatz zu den Landmollusken erlebte die Was- sermolluskenfauna, beginnend in den 1930er Jahren, verstärkt aber nach 1950, einen landesweit gravierenden Zusammenbruch. Ursachen waren die zunehmende Wasserbelastung durch die Industrie und die Kommu- nen und der Eintrag von Mineralien und Pestiziden durch die Landwirtschaft. In Folge der seit 1990 einset- zenden Verbesserung der Wasserqualität sind zurzeit eine Revitalisierung der Gewässer und die Wiederaus- breitung von Arten, die sich in zahlreichen Refugialräu- men erhalten hatten, zu beobachten. Allerdings muss Die einzige Art der Landdeckelschnecken in Sachsen-Anhalt, die Schöne Landdeckelschnecke (Pomatias elegans) kommt nur in einem thermophilen Eichenmischwald auf Muschel- kalkboden südlich Freyburg in einer kleinen individuenrei- chen Population vor. Sammlung Körnig, Foto: A. Stark. 562 Frank, D. & Schnitter, P. (Hrsg.): Pflanzen und Tiere in Sachsen-Anhalt befürchtet werden, dass zahlreiche Vorkommen einzel- ner Wassermolluskenarten für lange Zeit erloschen blei- ben. Als verschollen müssen drei Wasserschneckenarten eingestuft werden. Eine Ergänzung der Wassermollus- kenfauna ist aufgrund der Ausbreitung fremdländischer Faunenelemente zu verzeichnen, die vorwiegend aus Nordamerika eingeschleppt wurden. Somit ist sowohl in der Land- als auch in der Wassermolluskenfauna ein steter Wandel des Faunenbildes erkennbar. Aus der ersten Artenliste für Sachsen-Anhalt (Kör- nig 1999) müssen heute vier Arten gestrichen werden. Es handelt sich dabei um Fehlangaben aus der Literatur, die auf mangelnden Determinationsgrundlagen beru- hen. Es sind die Arten Aegopinella nitens (Michaud, 1831), Candidula intersecta (Poiret, 1801), Trichia strio- lata (C. Pfeiffer, 1828) und Stagnicola turricula (Held, 1836). Im Gegensatz dazu werden 14 für das Land neue Arten in die Liste aufgenommen. Das betrifft zunächst eine Gruppe von Neozoen, die vor allem in synanthro- pen Habitaten, wie Gärten und Gewächshäusern ent- deckt wurden. Daneben finden sich Arten, die wegen Neubeschreibungen einen Artstatus erhalten haben und für Sachsen-Anhalt bestätigt wurden. Es gibt aber auch Spezies, die entweder als verschollen galten und neu gefunden wurden oder offenbar bisher im Land unentdeckt geblieben waren wie Omphiscola glabra, Ver- tigo moulinsiana und Vitrinobrachium breve. Insgesamt umfasst die Landesliste nunmehr 126 Landschnecken-, 46 Wasserschnecken- (drei davon verschollen) und 30 Muschelarten. Die bisher als verschollen angesehene Pseudanodonta complanata konnte neuerdings in der Kleinen Helme entdeckt werden. Zoogeographische Auswertung Durch die Standortgebundenheit und die leichte Fos- silierbarkeit der Schalen lässt sich anhand der Mollus- ken in begrenztem Rahmen die erdgeschichtliche Ent- wicklung rekonstruieren. Für Sachsen-Anhalt ist aus dem Wandel der Artenkombinationen die Dynamik der quartären Klima- und Faunenveränderung ableitbar (Mania 1967, 1973). Die nacheiszeitliche Entwicklung der Molluskengemeinschaften spiegelt auch die derzei- tige zoogeographische Situation des Landes wider. Ein Vergleich der Arealtypen lässt in Sachsen-Anhalt ein Zusammentreffen und Überschneiden zahlreicher Arealgrenzbereiche erkennen und weist das Land als eine Faunenscheide aus. Von den Landschnecken (au- ßer Neozoen) charakterisiert etwa ein Drittel einen sol- chen Arealgrenzbereich. Ost-, Südost-, Nordostgrenze: zehn Arten mit atlantischer, westmediterraner Verbrei- tung; z. B. Azeca goodalli, Balea perversa, Macrogastra attenuata lineolata, Oxychilus alliarius, Helicigona lapi- cida. West-, Nordwestgrenze: zehn Arten mit südost- europäischer, pontischer, karpatischer Verbreitung; z. B. Bulgarica cana, Chondrula tridens, Euomphalia strigella, Semilimax semilimax. Nordgrenze: 13 Arten mit alpisch- mediterraner Verbreitung; z. B. Arten der Felsheide wie Clausilia rugosa parvula, Pupilla sterri, Zebrina detrita und Waldarten wie Helicodonta obvoluta, Isognomosto- ma isognomostomos, Vitrea diaphana, Tandinia rustica. Die Mehrzahl der Neozoen ist aus mediterranen und südeuropäischen Gebieten eingedrungen. Einige sind be- reits zu Adventivarten geworden und richten in Kultu- ren erheblichen Schaden an. Die zwei bis drei Millimeter große Feingerippte Grasschnecke (Vallonia enniensis) ist eine seltene, hygrophile Bodenart der Nass- wiesen. Sammlung Körnig, Foto: A. Stark. 563 Die ehemals landesweit verbreitete Bachmuschel (Unio crassus) konnte nur noch in wenigen Gewässern überleben, so in der Dumme-Beeke-Niederung und in der Kleinen Helme. Ursachen des Rückgangs sind Gewässerverschmutzung und Gewässeraus- bau einschließlich maschineller Unterhaltungsmaßnahmen. Sammlung Körnig, Foto: A. Stark. Im Terrarium gezogene Nachkommen der südosteuropäischen Banat-Felsenschnecke (Drobacia banatica) wurden 1962 in Qued- linburg und bei Rübeland ausgesetzt. Seitdem hat sich die Art lo- kal dauerhaft eingebürgert. Rübeland, 13.6.2011, Foto: A. Stark. Die zwei bis drei Millimeter große Bauchige Windelschnecke (Vertigo moulinsiana) besiedelt eutrophe Verlandungssümpfe und Röhrichte. Sie ist seit 2004 in Sachsen-Anhalt bekannt und wurde inzwischen an sieben Standorten nachgewiesen. Samm- lung Körnig, Foto: A. Stark.Seit etwa 20 Jahren breitet sich die Spanische Wegschnecke (Arion vulgaris, syn. Arion lusitanicus) in fast allen Landbio- topen explosionsartig aus. Dabei verdrängt sie angestammte Arten und richtet große Ernteschäden an. Halle, Foto: A. Stark. Literatur(Frankfurt/M.) 77/78: 11–15. Clauss, E. (1979): Eine Population von Helicigona (Dro- bacia) banatica (Rossmässler, 1838) in Quedlinburg (Gastropoda, Stylommatophora, Helicidae). – Ma- lakol. Abh. Mus. Tierk. Dresden (Dresden) 6: 85–88. Ehrmann, P.(1933): Mollusca. – In: Brohmer, P.; Ehr- Buttstedt, L. (2007): Wiederfund einer Restpopula- tion der abgeplatteten Teichmuschel Pseudanodonta complanata (Rossmässler, 1835) für Sachsen-An- halt (Mollusca: Bivalvia). – Mitt. Dtsch. Malakol. Ges. 564
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